Afghanistan-Krieg

Deutschland befindet sich im Krieg. Kaum jemand weiß noch, wie er eigentlich angefangen hat.

Am 11. September 2001 schlugen in den USA Zivilflugzeuge in das World Trade Center und in das Pentagon ein. Von der amerikanischen Regierung wurden noch am selben Tag in Afghanistan lebende und in Pakistan ausgebildete Religionsschüler, sogenannte Taliban, für die Flugzeugeinschläge verantwortlich gemacht. Die Luftabwehr der USA konnte den Angriff nicht abwehren, weil der Präsident und der Verteidigungsminister der USA, die dazu den Befehl hätten geben müssen, mit wichtigeren Dingen als dem Angriff auf die USA beschäftigt waren.

Am 12. September 2001 hat der NATO-Rat die Flugzeugeinschläge vom Vortag als Angriff Afghanistans auf die USA gewertet und den Verteidigungsfall ausgerufen. Die USA begannen am 07.10.2001 die Kampfhandlungen gegen Afganistan mit Luftangriffen. Am 19.10.2001 eroberte die USA einen Flugplatz südlich der afghanischen Stadt Kandahar, die als Machtzentrum der Taliban galt. Am 20.10.2001 landeten 200 Fallschirmspringer in Kandahar. Am 13.11.2001 konnte die mit der NATO verbündete afghanische Nordallianz Kabul kampflos besetzen.

Der deutsche Bundestag stimmte am 16.11.2001 für den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Verteidigungsminister Peter Struck erklärte, Deutschland müsse am Hindukusch verteidigt werden. Die einzige gut befestigte Stellung der Taliban, Tora-Bora, wurde am 16.11.2001 von den USA bombardiert und in den folgenden Tagen erobert. In den folgenden Wochen wurden nach kurzen Gefechten auch Kunduz am 25.11.2001 und Kandahar am 07.12.2001 erobert und Afghanistan von der NATO besetzt.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 20.12.2001 den Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF zur Legitimierung des Einsatzes der Besatzungstruppen in Kabul, später dann auch im Norden von Afghanistan. Der Bundestag entschied am 22.12.2001, dass Deutschland sich mit der Bundeswehr an der ISAF beteiligt. Der Krieg im restlichen Teil von Afghanistan wurde vom UN-Sicherheitsrat nicht gebilligt und wird im Rahmen der von den USA geführten Operation Enduring Freedom (OEF) organisiert. An der OEF ist die Bundeswehr unter anderem mit Tornado-Flugzeugen, die Bilder von möglichen Angriffszielen machen, sowie mit der geheim operierenden Kampfeinheit „Kommando Spezialkräfte“ beteiligt.

Mehr als sechs Jahre später führen Deutschland und die Bundeswehr ebenso wie die USA und die anderen Besatzer immer noch Krieg zur Verteidigung der USA gegen Afghanistan. Die USA machen da allerdings nur noch halbherzig mit, seitdem sie im Jahr 2003 in einem mit vorsätzlichen Lügen begründeten Angriffskrieg den Irak überfallen haben. Eine Aufklärung der Verbrechen vom 11. September, die nur halbwegs internationalen Maßstäben gerecht würde, sind die USA ihren Verbündeten bisher schuldig geblieben.

Franz-Josef Jung, der inzwischen Bundesverteidigungsminister wurde, sagte in einem von der BamS am 07.10.2007 veröffentlichten Interview zum Krieg gegen Afghanistan:

„Wir haben inzwischen – nicht zuletzt dank der Intervention Deutschlands – in der Nato eine völlige Übereinstimmung über unser Konzept. Es geht um unsere Strategie der vernetzten Sicherheit: militärischer Schutz, Wiederaufbau, die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen. Militärisch allein können wir nicht gewinnen.“

So oder so ähnlich wird die Bevölkerung in Deutschland von der Regierung immer wieder über den Krieg in Afghanistan informiert. So oder so ähnlich lauten auch die meisten Informationen zum Afghanistan-Krieg, die Journalisten, die noch nie in Afghanistan waren, und Experten, die in Afghanistan schon einmal eine „Monkey-Show“ mitgemacht haben, in Rundfunk und Fernsehen immer wieder auf allen Kanälen verbreiten.

Sabour Zamani ist vor knapp 30 Jahren aus Afghanistan ausgewandert und engagiert sich im afghanischen Kommunikations- und Kulturzentrum in Berlin. Er steht, so gut es die Kommunikationsverhältnisse zulassen, in regelmäßigem Kontakt zu Landsleuten aus allen Teilen Afghanistans und bekommt von der Bevölkerung Afghanistans viele Informationen, Bilder und Videos aus erster Hand.

In der Broschüre „Afghanistan heute – Eine politische Bilanz“ (pdf, 12 MB), die das afghanische Kommunikations- und Kulturzentrum im September 2007 fertiggestellt hat, beurteilt Sabour Zamani die Lage in Afghanistan hingegen in der Einfühung wie folgt:

„Es vergeht kein Tag in Afghanistan, an dem die Zivilbevölkerung nicht Opfer des Bombenterrors von USA und NATO ist. Der amerikanische Afghanistan-Kriegsgegner Prof. Marc Herold zählt von Oktober 2001 bis Juni 2007 6303 Opfer unter der Zivilbevökerung, doppelt so viel wie am 11. September 2001 in den USA (vgl. sein Buch: „Afghanistan, ein Lehrfeld: Typische Regierung des Neokolonialismus im 21. Jahrhundert“). Die USA und ihre Verbündeten, aber auch die Regierung Karsai in Kabul, versuchten zu Beginn des Krieges, die Menschen zu beruhigen. Sie behaupten, sehr gute Waffen zu haben, die präzise eingesetz werden, so dass diese keine Toten unter der Zivilbevölkerung verursachen würden. Doch seit dem Einsatz von Tornados in Afghanistan gibt es drastisch mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung. Erst kürzlich haben die Engländer entschieden, nur „kleine Bomben“ in Afghanistan abzuwerfen. Hier wird ein neues Experiment der Waffenindustrie auf Kosten der Bevölkerung in Afghanistan ausprobiert.“

Es wäre vielleicht klug von Franz-Josef Jung gewesen, genauer zu erklären, wie er „die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen“ will. Es wäre bestimmt nicht in seinem Sinne, wenn die Menschen in Afghanistan dabei an Experimente der Waffenindustrie oder Schlimmeres denken. Zur Lage der Taliban berichtete der Spiegel am 06.02.2008 unter der Schlagzeile „Britische Experten sehen Afghanistan am Abgrund„:

„Die Situation in Afghanistan verschärft sich dramatisch, analysierte heute der britische Außenpolitik-Expertenrat The Senlis Council. (Extremistische Taliban) hätten das Land an den „Rand des Abgrunds“ gebracht. Eine Verstärkung der internationalen militärischen und wirtschaftlichen Hilfe sei dringend erforderlich, erklärte der Senlis Council heute in London.“

Rheinmetall Defence erklärte schon 2005 auf seiner Webseite „Puma-Schützenpanzer ist auf dem Sprung“. Die Steuergelder sind da bestimmt gut investiert, denn schließlich sind Panzer wichtig für den Krieg. Am 07.11.2007 publizierte die Tagesschau, dass der Verteidigungsausschuss beschlossen hat, fast drei Milliarden Euro für neue Puma-Panzer auszugeben. Allerdings musste da der Haushaltsausschuss noch zustimmen. Im Haushaltsausschuss sitzt zum Beispiel Johannes Kahrs. Johannes Kahrs erklärte laut Abendblatt 2006, als er auf Wahlkampfspenden von Rheinmetall angesprochen wurde: „Es gibt klare Regelungen, an die halten wir uns.“ Na, wenn das so ist, dann ist ja alles in bester Ordnung.

Sabour Zamani sieht das wohl eher so, dass Krieg wichtig ist für Panzer. Die Lage der Taliban beurteilt er in der oben angesprochenen Broschüre wie folgt:

„Die Taleban wurden im Oktober 2001 innerhalb von drei Tagen in Afghanistan militärisch geschlagen. Danach waren die USA jedoch nicht daran interessiert, sie dauerhaft zu besiegen. So haben sich die Taleban in Afghanistan wieder aufgerüstet. Um die katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in Afghanistan unsichtbar zu machen und die Präsenz der Kriegstreibenden zu legitimieren, wurden im Auftrag der Pakistani und der USA wieder Taleban als stärkste Kraft der Welt auf die Weltbühne vorgeschoben und so können sie ihr Spiel in Afghanistan weiter spielen. So möchten die 37 Länder der Welt mit modernsten Waffen der Welt und Millionen Dollar ausgeben eine Niederlage nach der anderen erleben und eine Sicherheitskonferenz nach der anderen organisieren, um Hilfe aus aller Welt zu holen und um mehr Geld und mehr Soldaten und mehr Militärmaschine in das Land zu schicken und auszuprobieren.“

Ist Sabour Zamani schlecht informiert oder lügt er? Oder wurde ich von Medien und Politik in Deutschland schlecht informiert oder belogen? Wer sich die Broschüre von Sabour Zamani durchliest, stellt fest, dass da noch mehr hässliche Überraschungen drin sind. Da gibt es zum Beispiel Informationen zu Uranwaffen. Auch gibt es Informationen dazu, wohin der Teil der Milliarden für Afghanistan fließt, der nicht für Panzer ausgegeben wird. Und zur überraschend gestiegenen Opiumproduktion in Afghanistan steht da ebenso was drin, wie zur Zusammenarbeit von der NATO und der von ihr eingesetzten Regierung in Afghanistan mit Warlords, Drogenbossen und der Mafia. Wieso sagen die Experten der Medien zu diesen Themen nichts?

Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung sagte im oben zitierten Interview zum Terror in Afghanistan:

„Solange es Terror in Afghanistan gibt, so lange brauchen wir OEF als Anti-Terror-Mandat. … Erst wenn es eine selbsttragende Sicherheit gibt, können wir über einen Abzug reden.“

Wo ist der kritische Journalismus in Deutschland, der diese Aussagen herausfordert? Sabour Zamani fordert etwas ganz anderes. Auf der Seite „Warum sind wir gegen den Krieg?“, legt er seine Position beispielsweise wie folgt dar:

„Dieser Krieg produziert Terroristen und machte das Land und seine Völker zu Gefangenen der internationalen Terroristen und des Staatsterrorismus und internationaler Geldmafia und Drogenmafia und Islamisten. Man kann keine Terrorbande dadurch bekämpfen, dass man mit anderen terroristischen Banden paktiert. … Statt Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung sollte es ein Austrocknen der Zulaufqullen für Waffen und Geld der Taleban und anderen Parteien geben. Und Entmachtung aller Mafiabanden, Kriegsverbrecher und Islamistenführer. … Wir fordern Schutz der Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, die kritisch berichten und sich für die Sicherheit der Zivilbevölkerung und für einen ehrlichen Aufbau Afghanistans einsetzen. Die letzte 29jährige Geschichte Afghanistans zeigte, dass die Vereinigung aller Islamisten, Terroristen, Kriegsverbrecher und Warlords nicht zum Frieden und zur Sicherheit des Landes führt, sondern verschlimmert, verschärft und macht Frieden und Sicherheit unmöglich und internationalen Terrorismus stärker.“

Umfragen zufolge sind gut und gern 60% der Deutschen für den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Wo sind in Deutschland die Medien als vierte Gewalt der Demokratie, die dafür sorgen soll, dass solch klare Mehrheiten der Bevölkerung von der Politik auch beachtet werden? Auf Tauchstation. Dabei könnte das jeden Tag eine Cover-Story sein. Demokratisch gewählte Politiker wollen gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung den Krieg nicht beenden. Stattdessen kommt es mir so vor, als wollen mir alle Politiker und Medien in Deutschland erklären, wer nicht für den Krieg ist, sei dumm. Warum wehrt sich eigentlich keiner gegen die Lügen?

Ich fühle mich von den deutschen Medien belogen und von den Politikern betrogen. US-Senator Hiram Johnson sagte einmal: „Das erste, was im Krieg auf der Strecke bleibt, ist die Wahrheit.“ Ich möchte gern ein Stückchen Wahrheit zurück.

(Autor: Marcel, Datum: 09. April 2008, Lizenz: Piratenlizenz, Quelle: Scooptroop)

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