Grüne Linke zu Hamburg: "Kein Durchbruch, kein Konzept, kein Modell"

Soeben erreicht uns die in der Mähdienwelt bisher ungelesene Stellungnahme der Grünen Linken bezüglich der demnächst in Hamburg auf dem Landesparteitag der GAL zur Abstimmung stehenden Koalitionsvereinbarung zwischen den Grünen in Hamburg und der CDU von Bürgermeister Olé von Beust.

Bleibt noch der Hinweis, dass diese Linken früher da waren.

Stellungnahme Grüner Linker zum Koalitionsvertrag zwischen der GAL und der CDU in Hamburg
Inhalt:
1. Die Wahl und das Wahlergebnis
2. Anmerkungen zum Koalitionsvertrag
3. Stellungnahme zum Koalitionsvertrag
4. Anhang Pressereaktion: Kommentar zur den Bürgerschaftswahlen und dem Koalitionsvertrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung


„Wer nur mit einem Flügel fliegen will, der dreht sich noch eine Weile um sich selbst – und stürzt dann ab.“

1. Die Wahl und das Wahlergebnis
Objektiv betrachtet waren die Voraussetzungen für die GAL, die sich in der Opposition zum
Teil hervorragend profilieren und positionieren konnte, zur Hamburger Bürgerschaftswahl
außerordentlich gut: die absolute CDU-Mehrheit und zuvor das Mitte-Rechts-Bündnis mit
dem Rechtspopulisten Schill hatte der CDU viel von ihrem Ansehen und ihrer
Glaubwürdigkeit genommen, Grüne Themen (Bildungsreform, Kreative Stadt, Verhinderung
des Steinkohlekraftwerks Moorburg und der Elbvertiefung, Abschaffung der
Studiengebühren etc.) konnten gut gesetzt werden, die Umfragewerte für die GAL waren

folglich stabil und hoch. In der Nachfolge der Hessen-Wahl schloss jedoch Krista Sager drei
Wochen vor der Bürgerschaftswahl plötzlich ein Bündnis mit der CDU nicht mehr aus:

„Doch die Debatte über Schwarz-Grün hat der Partei bei der eigenen Anhängerschaft massiv
geschadet, wie Christa Goetsch unumwunden einräumte. Lagen die Grünen monatelang in den
Umfragen bei zwölf Prozent, rutschten sie mittlerweile auf neun bis zehn Prozent ab. Da hat es
der Partei nicht mehr viel genützt, dass der Landesvorstand kürzlich die Notbremse zog und
erklärte, es gebe zu viele inhaltliche Differenzen mit der Union, als dass Koalitionsgespräche
eine Grundlage hätten. Mit der Linkspartei ist den Grünen auch in der Hansestadt eine
Konkurrenz erwachsen, die sie lange unterschätzt hat und nun bitter zu spüren bekommt.“

(in: Die Welt, 19.02.2008)
In der Folge erreichte die GAL schließlich nur 9,6% (- 2,7 Prozentpunkte gegenüber den
vorherigen Bürgerschaftswahlen)
. Verluste waren zu verzeichnen an die SPD (- 10.000
Stimmen), an die PDL (- 6.000) und an die Nichtwähler (- 16.000).

Bei den unter 30-jähren musste die GAL gar einen Einbruch von – 8 Prozentpunkten hinnehmen,

während sich die Stimmenzuwächse aus dem Mitte-Rechts-Lager (+ 1.000 von der CDU)

in einem nicht nennenswerten Bereich bewegten.
Dennoch entschied sich die GAL – aus unsere Sicht leider ohne eine wirklich ausführliche
Analyse und Diskussion der Wahlniederlage – schnell und zielstrebig für
Koalitionsverhandlungen mit der CDU Ole von Beusts. Der gesamte Prozess wurde
bundesweit in den Medien breit begleitet und stand deutlich unter den Motto: „Neue
Bündnisoptionen für CDU und Grüne im Fünf-Parteien-System“.

Am 27. April 2008 wird die Mitgliederversammlung der GAL über den nun ausgehandelten

Koalitionsvertrag in geheimer Abstimmung zu befinden haben.

Es wäre das erste Bündnis auf Landesebene zwischen der CDU und einem Grünen Landesverband.
Wenn die GAL tatsächlich Koalitionsverhandlungen mit der CDU geführt hat, um eine Große
Koalition in Hamburg zu verhindern, dann muss der Beurteilungsmaßstab für die
Verhandlungsergebnisse auch sein, was gegenüber einer Großen Koalition mehr erreicht oder
verhindert wurde.
2. Anmerkungen zum Koalitionsvertrag
Der Koalitionsvertrag umfasst 65 Seiten und gliedert sich in elf Abschnitte. Positiv
herauszustellen ist mit Sicherheit, dass nach dem Jahr der Erkenntnis 2007 in Sachen
Klimaschutz erstmals verbindliche Rahmenbedingungen und Handlungsmaximen für
Hamburg vereinbart wurden. Genannt sei hier das Ziel, eine CO2-Reduzierung um 40% zu
erreichen sowie einige wenige Verbesserungen im ÖPNV. Ebenfalls als Erfolg zu bezeichnen
sind die Einführung eines Sozialtickets – zur Erinnerung: ein solches wurde bspw. in Berlin
gerade abgeschafft –, die Schaffung von 4000 Jobs im Umfeld des Programms soziale Stadt,
der Neubau von Sozialwohnungen und der Abschiebestopp für afghanische Familien sowie
die Fortführung der Arbeit der Härtefallkommission.
Alles keine Selbstverständlichkeiten für die CDU.
Wir dokumentieren hier in der Folge die aus unserer Sicht wichtigsten
Verhandlungsergebnisse und berücksichtigen dabei vor allem die in der allgemeinen
politischen Debatte und im Hamburger Wahlkampf besonders hervorgetretenen
Themen, da sich besonders an diesen die Fragen nach dem inhaltlichen Erfolg oder
Misserfolg und der Tragfähigkeit solch neuer Lagerbündnisse sehr gut beantworten lassen.
Dabei betonen und respektieren wir ausdrücklich die autonome Verantwortung der GAL bei
landespolitischen Entscheidungen. Ebenso wünschen wir unseren Parteifreunden in
Hamburg genug Kraft zur Durchsetzung unserer grünen Ziele und ggf. genug Mut das
Experiment nicht zustande kommen zu lassen bzw. zu beenden, falls sich diese Ziele nach
Maßgabe der Landesmitgliederversammlung in dieser Konstellationen nicht ausreichend
verwirklichen lassen. Selbstverständlich sagen wir der GAL auch unsere Unterstützung bei
den von ihr getroffenen Entscheidungen zu.
Bildungspolitik
Bei der Abschaffung der Studiengebühren konnte sich die GAL nicht durchsetzen.
Stattdessen wurde vereinbart, die Studiengebühren von € 500 auf € 375 pro Semester
herabzusetzen und diese nachgelagert für „alle Semester, für die jemand eingeschrieben
war“, zu erheben.

„Die Rückzahlungspflicht ergibt sich bei Erreichen der Einkommensgrenze
von € 30.000 brutto pro Jahr innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren nach Verlassen der
Hochschule.“

Eine Berücksichtigung besonderer Lebenslagen findet jedoch nicht statt. Dies
trifft insbesondere Studierende mit Kind oder solche, die sich – in welcher Form auch immer
– neben dem Studium gesellschaftspolitisch/kulturell engagieren. Anfallende Zinsen sollen
von der öffentlichen Hand übernommen werden.
Positiv: „Etwa 50 weitere Schulen werden zu gebundenen Ganztagsschulen ausgebaut.“
Unklar bleibt hierbei jedoch die Mittagsversorgung für alle Kinder/Jugendlichen.
In der systemischen und gesellschaftspolitischen Differenz zwischen Konservativen
(Eliteförderung, Aussortieren) und Grünen (längeres gemeinsames Lernen, Integration)
wurde folgender Kompromiss vereinbart:

“Das allgemeinbildende Schulwesen gliedert sich künftig in die Primarschule, das Gymnasium
und die Stadtteilschule. Die Primarschule umfasst die Grundstufe mit den Jahrgangsstufen 0 bis 3
und die Unterstufe mit den Jahrgangsstufen 4 bis 6. Das Gymnasium besteht aus Mittelstufe (Jahrgangsstufen 7 bis 9/10) und gymnasialer Oberstufe (Jahrgangsstufen 10/11 bis 12). Die Stadtteilschule besteht aus Mittelstufe (Jahrgangsstufen 7 bis 10) und gymnasialer Oberstufe (Jahrgangsstufen 11 bis 13). Die Stadtteilschulen ermöglichen durch Differenzierung und Individualisierung des Lernens den Erwerb des Hauptschulabschlusses, des
Realschulabschlusses sowie der Allgemeinen Hochschulreife; der Bildungsgang des Gymnasiums
ist auf den Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife ausgerichtet.“

Durch das System der Primar- und Stadtteilschulen wird die Hauptschule faktisch
abgeschafft. Das Problem der notwendigen Zusammenführung von Schülern aus
unterschiedlicher soziographischer Herkunft in den Stadtteilschulen zeichnet sich in dieser
Kompromisslösung allerdings bereits jetzt ab. Problematisch ist aus unserer Sicht auch:
durch die Doppelstruktur der Stadtteilschulen und Gymnasien scheint uns das
Problem der Schaffung von (auch soziographisch bedingten) Elitestrukturen im Schulsystem
nicht grundsätzlich gelöst.

Das zweigliedrige Schulsystem, welches in Hamburg zukünftig
etabliert werden soll, entspricht den bildungspolitischen Vorstellungen, die Ole von Beust in
der letzten Wahlkampfphase vertreten hat. Insofern wird also die CDU-Politik umgesetzt
werden.

Hinzu kommt, dass lediglich die Grundschulphase ausgeweitet wird, das Prinzip des
längeren gemeinsamen Lernens vs. Selektion findet jedoch keine Anwendung. Zu befürchten
ist daher, dass es somit nicht zur eigentlich grünen Idee von „Eine Schule für alle“ kommt,
sondern vielmehr zur Verfestigung der Trennung – dann nach 6 Jahren – und somit die von
uns angestrebte Zugangsgerechtigkeit zu möglichst hoher Bildung für alle keineswegs
Realität wird. Für den Übergang auf das Gymnasium liegt die Entscheidung allein bei der
Zeugniskonferenz. Bei abweichender (Eltern-) Meinung bleibt nur ein Aufnahme-
Prüfungsverfahren. Auch darin zeigt sich die Festschreibung der „Auslese“. Faktisch kommt
dies insgesamt für uns einem Bärendienst für das grüne Modell gleich, da es die Gliedrigkeit
des Schulsystems auf Dauer zementiert, zumal der schwierige Charakter von Schulreformen
ein einmal etabliertes System auf lange Zeit festschreibt.
Die Frage der Lehr- und Lernmittelfreiheit wird außerdem lediglich als Prüfauftrag
vermerkt.
Äußerst enttäuschend ist der Abschnitt zur frühkindlichen Bildung und Erziehung –
diese Begriffe kommen nicht einmal vor, lediglich von Kinderbetreuung und im weiteren
„Betreuung“ ist die Rede, im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frühkindliche

Bildung jedoch ist wesentlich mehr, stellt die Persönlichkeitsbildung und –Entwicklung in
den Mittelpunkt und zielt auf individuelle Förderung von Anfang an – in enger Kooperation
von Eltern und ErzieherInnen, die die Verantwortung teilen. Auch die Problematik: „starke
Kinder brauchen starke Eltern“ wird faktisch nicht berücksichtigt. Vielmehr heißt es im
Kapitel Familie: „Die Erziehung der eigenen Kinder ist vorrangig Aufgabe der Eltern.“

  • Sozialpolitik

Gerade von einer Landesregierung mit grüner Beteiligung wären für uns
Bundesratsinitiativen zur Bekämpfung der zum Teil dramatischen sozialen
Entwicklungen (Kinder- und Familienarmut, verdeckte Armut, working poor) im Sinne
unserer aktuellen sozialpolitischen Ziele zu erwarten gewesen (etwa zur Etablierung eines
eigenständigen Regelsatzes für Kinder und Jugendliche, eine Anhebung der Regelsätze für
alle auf die Höhe des soziokulturellen Existenzminimums etc.).
Positiv: „Die Koalitionspartner verständigen sich auf die Einführung eines Sozialtickets in
Form eines Preisnachlasses auf Zeitkarten in Höhe von 18 Euro. Der Bezug einer
solchen Zeitkarte soll in Form eines auf den benötigten Zeitraum begrenzten
Abonnements möglich sein.“
Sozialpolitisch werden AsylbewerberInnen (hier „Flüchtlinge“ genannt) leider nicht
einmal erwähnt.

  • Ökologie/Klimaschutz

Nur ein ernüchternder Satz findet sich zum Steinkohlekraftwerk Moorburg im
Koalitionsvertrag: “Die zuständige Behörde entscheidet rechtlich über die Genehmigungsund
Erlaubnisanträge zum Bau eines Kohlekraftwerks in Moorburg.“ Eine hier postulierte
Entscheidung auf der Grundlage der bestehenden Gesetzeslage bedarf keiner Festlegung in
einem Koalitionsvertrag. Die Hoffnung auf das „Wasserrecht“ – von der bei einigen
optimistischen VertreterInnen der GAL die Rede ist – könnte sich als äußerst trügerisch
erweisen. Schon einmal hat diese Hoffnung getrogen: auch das große Braunkohlevorhaben
Garzweiler II in NRW konnte damit nicht verhindert werden.
Angesichts der großen Gewinne der vier großen Energieoligopolisten, zu denen Vattenfall
Europe zählt, ist die europaweite Ausschreibung des Fernwärmenetzes für den Zeitraum ab
dem Jahre 2014 – also nach der gerade begonnenen Legislaturperiode – keinesfalls ein
sicheres Instrument, um den Bau des Kohlekraftwerkes Moorburg durch Vattenfall zu
verhindern. Die durch die Gewinne gefüllte Portokasse dürfte Vattenfall im
Konzessionspoker einen großen Spielraum bescheren.
Das Argument hoher Schadensersatzforderungen durch Vattenfall im Falle eines im
Koalitionsvertrag fehlenden deutlichen Bekenntnisses gegen den Bau von Kohlekraftwerken
überzeugt nicht. Die Schadensersatzgefahr ergibt sich v.a. aus vorvertraglichen Zusagen des
vorherigen CDU geführten Senats. Die Verantwortung – auch in finanzpolitischer Hinsicht –
für diese Vorfestlegung muss die CDU und Herr von Beust übernehmen – nicht die Umwelt
und nicht die GAL!
Fraglich bleibt auch, wie die im Koalitionsvertrag genannten Klimaschutzziele – CO2-
Reduktion von 40% bis 2020 – erreicht werden sollen. Die genannten Eckpunkte für das
künftige Klimaschutzgesetz der Hansestadt dürften dafür selbst bei Verzicht auf Moorburg –
was ja derzeit völlig offen ist – nicht ausreichen. Die verkehrsbedingte CO2-Zunahme
aufgrund der im Koalitionsvertrag festgelegten Autobahnprojekte muss hier in jedem Fall in
Rechnung gestellt werden.
Recht unkonkret – im Vergleich etwa zu den Aussagen im Koalitionsvertrag von CDU und
FDP in Baden-Württemberg – wird der Gebäudebereich behandelt. Ebenso wie die
Aussagen zur Klimapolitik im öffentlichen Bereich wird das aufgelistet, was inzwischen
energiepolitischer Mainstream ist.
In der Frage der Sinnhaftigkeit der Elbvertiefung, eines der sensibelsten und für die
Region folgenreichsten ökologischen Themen, konnte keine Einigkeit erzielt werden, sich die
CDU aber dennoch durchsetzen: „Das laufende Planfeststellungsverfahren wird fortgeführt.“
Es ist davon auszugehen: „Die Elbvertiefung kommt in vollem Umfang“, wie der CDUFinanzsenator
Michael Freytag bei der Pressekonferenz zur Einigung betonte. Mit Recht
haben die Umweltverbände immer wieder darauf hingewiesen, dass es in dieser Frage
maßgeblich um die Glaubwürdigkeit grüner Politik geht.
Die im Koalitionsvertrag ausführlich und im direkten Zusammenhang mit der Elbvertiefung
beschriebene Errichtung einer Stiftung zur Verbesserung der ökologischen Situation der Elbe
ist keinesfalls Ausdruck eines grünen Verhandlungserfolges. Vielmehr ist dies eine Form von
Ausgleichsmaßnahmen. Diese sind gesetzlich bei erheblichen Eingriffen in den
Naturhaushalt zwingend vorgeschrieben – egal welche Regierung den Eingriff zu vertreten
hat.
Bei der Frage des Flächenverbrauchs und der Versiegelung soll es lediglich „einen
Rückgang bei der Umwandlung von Kultur-/Naturraum in Verkehrsflächen geben.“ Mehr als
die Absichtserklärung einer „Trendumkehr“ konnte hier nicht erreicht werden.

  • Verkehrspolitik

Mit der sogenannten Hafenquerspange und der A26 werden leider zwei umfangreiche
Straßenbauprojekte vereinbart. Im Gegenzug führt Hamburg „in der laufenden
Legislaturperiode eine moderne Niederflur-Stadtbahn ein. Ziel ist die Schaffung eines
eigenständigen Netzes in betriebswirtschaftlich sinnvoller Größe (von mindestens 40 km),
das die bestehenden Netze ergänzt. Allerdings wird einschränkend darauf hingewiesen: „Ein
wichtiger Faktor für die Entscheidung sind die Zuschüsse, die vom Bund im Rahmen des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu erwarten sind.“
„Die Notwendigkeit und ggf. Durchführbarkeit einer City-Maut soll geprüft werden.“
„Die Koalitionspartner einigen auf das Ziel, in dieser Legislaturperiode eine Umweltzone
insbesondere in Hinblick auf den gewerblichen Verkehr (Schwerlastverkehr, Busse, Taxis,
Transporte) einzurichten.“ Moderne und auch ökonomisch sinnvollere Ansätze zur
Reduzierung des städtischen Schwerlastverkehrs – etwa durch die Einrichtung von
Lieferketten (Beispiel: die Hafenstadt Amsterdam) – finden sich im Koalitionsvertrag
allerdings nicht.

  • Innenpolitik

Anders als die geschäftsführende im Amt verbliebene hessische CDU, hat sich die Hamburger
CDU in der Frage des Abschiebestops für Afghanische Flüchtlinge bewegt und konnte
sich die GAL in den Verhandlungen durchsetzen. Es wurde jedoch, aus unserer Sicht
problematisch, auch vereinbart: „Generell ist bei Abschiebungen dem Schutz von Ehe und
Familie, insbesondere der Familieneinheit, dadurch Rechnung zu tragen, dass die vollziehbar
ausreisepflichtigen Familienangehörigen zusammen abgeschoben werden (…).
Abschiebungen zur Nachtzeit kommen nur in Betracht, wenn andernfalls zu erwarten ist,
dass die Rückführung vereitelt würde oder nur durch Abschiebehaft durchsetzbar wäre.“
Im Sinne einer humanen und modernen Einwanderungspolitik und des Festhaltens am
Grundrecht auf Asyl halten wir dies für einen weiteren Rückschritt hinter unsere Ansprüche.
In den seit dem Mitte-Rechts-Senat sensiblen Fragen der Videoüberwachung und
ordnungsrechtlicher Maßnahmen im öffentlichen Raum konnte sich die CDU
durchsetzen. Es wird am status quo festgehalten und lediglich auf Ausweitungen verzichtet.

„Die Vertragspartner stellen fest, dass sie in Bezug auf die Volksinitiative „Mehr
Demokratie – ein faires Wahlrecht für Hamburg“ unterschiedlicher Meinung sind.“ Der
CDU wurde zum Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl 2009 sogar die Vorlage eines
Gegenentwurfes in der Bürgerschaft zugestanden.
Positiv: „Hamburg strebt eine/n gemeinsame/n Datenschutzbeauftragte/n mit Schleswig-
Holstein an“. „Sofern noch nicht vorhanden, sollen in allen Behörden
Datenschutzbeauftragte ernannt werden.“ Konkrete Vereinbarungen zum Datenschutz
wurden jedoch nicht getroffen.
Ebenfalls positiv: Es „wird beim Ersten Bürgermeister eine Zentralstelle für Transparenz und
Bürgerrechte eingerichtet. Hier hätte jedoch noch klargestellt werden müssen, dass diese
auch Rechte und Handlungsbefugnisse eingeräumt bekommt.
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus scheint es nach
diese Vereinbarung in Hamburg nicht zu geben. Der Begriff Rassismus taucht zumindest auf,
alles weitere jedoch nicht. So gibt es nicht einmal ein Lippenbekenntnis gegen
Rechtsextremismus, geschweige denn eine Aussage, wie man sich im Falle von Aufmärschen
etc. zu verhalten gedenkt.
3. Stellungnahme zum Koalitionsvertrag

Der gesamte Koalitionsvertrag ist auch rhetorisch eher von der Absicht getragen, dass solch
ein neues Regierungsbündnis von beiden Verhandlungspartnern gewollt wird, denn von der
ernsthaften Absicht in heute zentralen gesellschaftspolitischen Fragen wie Klimaschutz,
Umwelt, Soziales, innere Sicherheit vs. Bürgerrechte sowie Bildung konzeptionell schlüssige
gemeinsame Lösungen zu finden. Konservative Grundprinzipien wie die Subsidiarität
im Sozialen, die Familie als „Keimzelle“ der Gesellschaft, Leistungs- und Elitedenken,
Ordnungsdenken, Wachstum als Schlüsselkategorie, motorisierter Individualverkehr, das
Primat der Ökonomie usw. mussten von der CDU nicht aufgegeben werden, sondern wurden
beinahe über die gesamte Länge des Vertrages – mit der Ausnahme des
„Schulkompromisses“ – einfach durch grüne Forderungen ergänzt, sehr oft kleinteilige
Forderungen, die zudem in der Regel nur einen Prüfcharakter haben. So soll im Vertrag über
siebzig mal „geprüft“ werden, „ergebnisoffen“ allerdings nur sechs mal, „wohlwollend“ gar
nur zwei mal. Davon, dass sich solch eine Flut von Prüfaufträgen in einer CDUdominierten
Verwaltungen brechen würde, ist zudem auszugehen.
Immerhin konnte die GAL drei statt der vorher in der Diskussion stehenden zwei
SenatorInnenposten durchsetzen.
Gerade die ungewöhnliche Art der Verhandlungsführung (entgegen der gängigen und
sinnvollen Praxis wurden zuerst die weniger stritten Punkte verhandelt, damit „die
Stimmung“ stimmt) weist nicht nur auf den gewollten “Projektcharakter“ dieser
Koalition hin – wohlgemerkt: der schwarz-grünen Koalition an sich, nicht der Konzeptionen
und Inhalte –, sie hat auch dazu geführt, dass die GAL eine Fülle „weicher“ Themen setzen
konnte (wenn auch zumeist nur als Prüfaufträge), sich in den für Grüne wirklich harten und
im Wahlkampf bestimmenden Politikfeldern (Kohlekraftwerk, Elbvertiefung, Schule,
Studiengebühren) aber am Ende kaum oder gar nicht durchsetzen konnte.

Die Frage, ob eine Hamburger SPD bei etwaigen Koalitionsverhandlungen zu einer großen

Koalition gerade bei diesen harten Themen nicht doch mehr hätte durchsetzen können, sollte

sich daher ernsthaft stellen. Die Elbvertiefung würde – wie jetzt auch – wohl kommen. Das

längere gemeinsame Lernen angesichts des SPD-Programms wohl auch, vielleicht wären es

ein paar Jahre mehr geworden. Ob hinsichtlich des Kohlekraftwerkes Moorburg noch weniger

als die Durchführung des Genehmigungsverfahrens herauskommen würde, darf bezweifelt werden.
Ein offenes Bekenntnis der SPD in Hamburg zu Moorburg dürfte nicht erwartet werden. Zu
eindeutig wird Moorburg im SPD-Programm abgelehnt und stattdessen ein Gaskraftwerk
gefordert. Das 40%-Ziel ist identisch, die Klimaschutzforderungen der SPD – zumindest im
Programm – konkreter als im derzeit vorliegenden Koalitionsvertragsentwurf. Der nun
vorliegende „Schulkompromiss“ und die Straßenbahn gehen zudem auf CDU-Vorschläge
zurück (vgl. den Kommentar im Anhang aus der F.A.Z.).
Auffällig im Koalitionsvertragsentwurf ist zudem der erstaunlich spärliche
haushaltspolitische Abschnitt (nur zwölf Zeilen!), was für uns die Frage nach dem
Finanzierungsvorbehalt der vielen kleinteiligen „zu prüfenden“ Projekte ernsthaft
aufwirft, zumal „grundsätzlich nur ausgeglichene Haushalte ohne Neuverschuldung
aufgestellt werden sollen.“
Dort, wo im Vertrag Erfolge zu verzeichnen sind (etwa im Bereich der Förderung
erneuerbarer Energien, Einstellen des inhumanen kalten Entzugs bei Haftantritt etc.), sollte
auch nicht vergessen werden, dass es sich hierbei sehr oft nur um ein Aufholen einer
Entwicklung handelt, die in anderen vergleichbaren Großstädten bereits vonstatten
gegangen ist und die zuvor von der Mitte-Rechts-Regierung von Beust/Schill schlichtweg
verschlafen oder verhindert wurde.
Zu guter letzt sollten wir, gerade angesichts des nicht optimalen Verlaufs des Wahlkampfes,
gerade die symbolische Bedeutung solch eines keineswegs vorbildhaften
Vertragsentwurfes für unsere Kern- und Stammwählerschaft nicht unterschätzen. Richard
Hilmer von Infratest dimap gibt bezüglich Hamburg folgende aktuelle Umfragewerte an:
50% unserer WählerInnen sprachen sich für Rot-Rot-Grün und 40% für Schwarz-Grün aus,
32% sagen, dass sie es begrüßen würden, wenn Schwarz-Grün endlich mal ausprobiert wird,
60% sehen es als Notlösung, 84% stimmen der Aussage zu, dass Schwarz und Grün nicht
zusammen passen.

Die Reaktionen der großen Umweltverbände sind leider bereits jetzt negativ. Erfolge im
Verlauf einer möglichen Koalition sind angesichts des Fehlens von Gesamtkonzepten in
politischen Kernfeldern und mit einem Partner, der offensichtlich von stark ideologisch
geprägten konservativen Grundprinzipien nicht abzurücken bereit ist, äußerst
unwahrscheinlich.
Auch wenn wir hier nicht alle Punkte ansprechen konnten, zeigt sich für uns sowohl aus
parteistrategischer als auch aus inhaltlicher Warte sehr deutlich: diese Vertragsvorlage ist
kein Durchbruch – egal für welche politische Farbkombination sie zur Grundlage dienen
würde –, Schwarz-Grün ist kein Konzept, diese mögliche Koalition (zumal auf
Bundesebene voraussichtlich ohnehin nur in einer Vierer-Konstellation aus CDU/CSU/FDP
und GRÜNE zu verwirklichen) somit kein Modell für den Bund.

  • Grüne Linke, im April 2008
  • Peter Alberts (KV Münster/NRW), Barbara Richter (KV Hagen/NRW), Karl-Wilhelm Koch (KV
    Vulkaneifel/Rheinland-Pfalz), Robert Zion (KV Gelsenkirchen/NRW), Bärbel Maxisch (KV Kassel-
    Land/Hessen), Irene Mihalic (KV Gelsenkirchen/NRW), Gregor Simon (KV Bergstraße/Hessen),
    Sven Lehmann (Landesvorstand NRW, KV Köln), Simon Lissner (KV Limburg-Weilburg/Hessen),
    Ralf Henze (KV Odenwald-Kraichgau/Baden-Württemberg), Richard Janus (RV Wartburgkreis-
    Stadt Eisenach/Thüringen), Hans-Christian Markert (KV Neuss/NRW) u.a.
  • April 2008 / Kontakt: info@gruene-linke.de / Tel: 0176/24711907

weitere Artikel:

31.03.08
Links raus.
Der Bezirksabgeordnete Vasco Schultz sieht die GAL Hamburg auf dem Weg ins konservative Lager..
11.03.08
Hamburg: GAL-Linke will Urabstimmung über schwarz-grün
26.02.08
Schwarz-grün: Die Elite kämpft um ihr Eigentum Bundesrepublik
25.02.08
Links und Frei in Hamburg: bei “Stern” und “Forsa” quiekt es
04.02.08
Hamburg oder Die Wolfgang Clements der Grünen
07.01.08
Mit Beust in Hamburg: ist die GAL verrückt geworden?
16.09.2007
Die Grünen, Afghanistan und 80 Millionen Geschworene
01.07.2007
Schäuble, schwarz-grün und die Mär von der Mehrheit des Bürgertums

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert