Autor: Citizenking
Das so genannte „Herkunftslandprinzip“ und seine Auswirkungen auf den europäischen Arbeitsmarkt.
Was würden Sie sagen, wenn unsere neoliberalen Parteien eines Tages doch einen Mindestlohn für deutsche ArbeitnehmerInnen beschließen würden, aber nur mit Firmensitz in Deutschland ansässige Unternehmen diesen zahlen müssen – während europäische Unternehmen, die in Deutschland eine Niederlassung eröffnen lediglich den üblichen Lohn ihres Stammlandes zu zahlen brauchen ? In der heutigen Fortsetzung unserer Artikelserie erklärt uns der dänische EU-Abgeordnete Jens-Peter Bonde, wie der europäische Gerichtshof in einem solchen Beispiel entschied…
Während einer Diskussionsveranstaltung in Irland, wo im Juni / Juli diesen Jahres das Volk zu einem verfassungsmäßig vorgeschriebenen Referendum über die Ratifizierung des EU-Reformvertrages von Lissabon aufgerufen ist, führt Jens-Peter Bonde ein Beispiel an, das auf der Grundlage eines Urteils des europäischen Gerichtshofes in Luxemburg deutlich macht, was z.B. dem deutschen Arbeitsmarkt im Falle der Einführung eines Mindestlohns bevorsteht. Jens-Peter Bonde, dänischer Abgeordneter des Europaparlaments, erklärt dies am Beispiel einer lettischen Firma, die in Schweden eine Schule eröffnen und den dort angestellten lettischen Mitarbeitern nur den in Lettland üblichen Durchschnittslohn zahlen wollte. Die Handelskammer Schwedens hatte nichts dagegen einzuwenden, dass der Bau der Schule unter der Zuhilfenahme von lettischen ArbeitnehmerInnen stattfinden sollte. Jedoch war die schwedische Handelskammer entschieden dagegen, dass der lettische Arbeitgeber seinen in Schweden tätigen Mitarbeitern nur den in Lettland üblichen Durchschnittslohn zahlen wollte. So haben die Schweden vor dem europäischen Gerichtshof in Luxemburg dagegen geklagt. (im so genannten „Laval-Fall“)
Am 18.12.2007 erging dann das Urteil des europäischen Gerichtshofes in Luxemburg (EU-Rechtsdirektive 96/71), dass weit reichende Auswirkungen auf die zukünftige Gestaltung des Arbeitsmarktes in Europa haben wird. Das Gericht in Luxemburg wies die Klage der Schweden ab und gab der lettischen Firma Recht.
Welche Auswirkungen wird dies nun z.B. auf den deutschen Arbeitsmarkt haben ? Hier folgert Jens-Peter Bonde, dass sich daraus zwei Möglichkeiten ergeben. Entweder werden die deutschen ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsplatz verlieren, da die Arbeitskräfte aus dem Herkunftsland der Niederlassung einen Lohn bekommen, der teilweise nur halb so hoch ist, wie der momentane – oder, die deutschen ArbeitnehmerInnen erklären sich mit einer drastischen Verringerung ihres Lohnes einverstanden, um ihre Arbeitsplätze zukünftig behalten zu können ! Keine dieser beiden Möglichkeiten ist meiner Meinung nach auch nur im Geringsten akzeptabel. Der Urteilsspruch von Luxemburg war ein Präzedenzfall und andere Firmen, die in ihren innereuropäischen Niederlassungen nur einen Durchschnittslohn zahlen wollen, der in ihrem Stammland üblich ist, werden sich auf dieses Urteil berufen.
Was passiert nun, wenn die deutschen PolitikerInnen einen gesetzlichen Mindestlohn von beispielsweise 10 Euro einführen, der für alle Unternehmen gilt, die in Deutschland ihren Stammsitz haben ? Richtig ! Diese Firmen wären dann im innereuropäischen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig. Unternehmen aus anderen europäischen Ländern würden dann in Deutschland Niederlassungen eröffnen, in denen ausschließlich deren eigene Landsleute tätig sind und nur den im Herkunftsland üblichen Durchschnittslohn erhalten würden. Deutsche ArbeitnehmerInnen würden aufgrund der Lohnkosten kaum noch eine Anstellung finden und die Erwerbslosenzahlen würden daraufhin unaufhaltsam ansteigen. Die im EU-Reformvertrag verankerte „Niederlassungsfreiheit“ (EU-Reformvertrag Kapitel 2, Artikel 49 und 50 [Seite(n) 88 und 89]) garantiert jedem Mitgliedsstaat das Recht, in jedem anderen europäischen Land eine Niederlassung zu gründen, sofern die Unternehmensform den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Das gilt auch für die in letzter Zeit zunehmend populärer werdenden Unternehmensformen „Societé Anonym“ (Frankreich) und die „Corporate Limited“ (England). Hierbei handelt es sich um Unternehmensformen, die den Status einer „GmbH“ besitzen. Allerdings beträgt die Mindesteinlage nicht 25.000 Euro, wie bei uns in Deutschland, sondern lediglich 1 Euro. Damit ist auch die Haftung eines solchen Unternehmens auf 1 Euro begrenzt. Dies öffnet den SpekulantInnen Europas Tor und Tür !
Und jetzt werfen wir unseren Blick einmal auf das französische Insolvenzrecht, was die Spekulationen im Rahmen des Kapitalverkehrs noch unverhohlener befördert. Das deutsche Insolvenzrecht besagt, dass jede BürgerIn nach einer Zeit von 7 Jahren schuldenfrei ist, sofern sie in dieser Zeit alle Geldbeträge an die GläubigerInnen abführt, die über der Grenze des erlaubten Eigenbehaltes liegen. In Frankreich geht das viel schneller, nämlich bereits nach einem Jahr !
Daraus ergibt sich die Möglichkeit des folgend skizzierten Szenarios:
Eine „Societé Anonym“ (Einlage und Haftung: 1 Euro) gründet eine Niederlassung in Deutschland. Sie stellt dort MitarbeiterInnen ein, die keinen tarifvertraglichen Schutz genießen, denn MitarbeiterInnen der Niederlassungen von Unternehmen in anderen EU-Staaten gehören keiner Gewerkschaft an und sind überhaupt nicht tarifvertraglich geschützt ! (…ein weiteres Problem, dem sich die Gewerkschaften zukünftig stellen müssen, sofern sie dann überhaupt noch existieren ?!) Das Unternehmen erwirtschaftet Gewinne, die es durch Reinvestition in andere Kanäle leitet und somit der Steuerpflicht entzieht. Einem befreundeten Unternehmen wird dann (nehmen wir für unser Beispiel einmal an) ein Grundstück gekauft, was nicht einmal 10 % des Verkaufspreises wert ist. Bei einem Wiederverkauf erhält unser Beispielunternehmen dann nur diese 10 % (Realwert) und meldet dann Insolvenz an. Nach bereits einem Jahr ist dieses Unternehmen nach französischem Insolvenzrecht schuldenfrei und darf wiederum tätig werden. Dieser Vorgang kann dann beliebig wiederholt werden. Es lässt sich nur erahnen, welche spekulativen Möglichkeiten sich aus einem derartigen Konstrukt ergeben können…
Bisher ist von den BefürworterInnen des EU-Reformvertrages immer die beschwichtigende Ausrede zu vernehmen, dass die Herkunftslandregelungen ja nur im Dienstleistungssektor gelten – die Frage ist nur, wie lange noch. Sobald ein Großunternehmen mit genügend lobbyistischem Einfluss beim EU-Gerichtshof in Luxemburg für die Wettbewerbsgleichheit klagt und sich dabei dann auf das oben erwähnte Urteil bezieht, ist anzunehmen, dass das Herkunftslandprinzip auch auf alle anderen Branchen ausgedehnt wird. Wie anders sollte denn auch die von den EU-Staatschefs zukünftig angestrebte Liberalisierung des europäischen Arbeitsmarktes funktionieren…
Sie können sich den Filmbeitrag über die Ausführungen von (u.a.) Jens-Peter Bonde auch gerne selbst anschauen, in Englischer Sprache:
http://video.google.com/videoplay?docid=-4291770489472554607&hl=de
Die konsolidierte Fassung des EU-Reformvertrages vom 15.04.2008 in deutscher Sprache:
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st06655.de08.pdf
Lese-Empfehlung: http://post.ostate.org/
Aktions-Link: www.myspace.com/Stop_the_lisboa_treaty-CK-