Politische Klasse versucht Spionage-Affäre wegzureden
Auch Lufthansa und SAP beauftragen die in die Telekom-Affäre verstrickte Firma Control Risks Group
Berlin: Während man sich in der Konzernlandschaft auf den Branchenriesen Telekom eingeschossen hat und bereits auf die Verteilung der Beute wartet, erklingt aus den Parteien nun das übliche inhaltslose Gesäusel.
Dabei wird bewusst ausgeblendet, dass andere DAX-Firmen wie SAP und die Lufthansa die in den Spionageskandal involvierte Firma „Control Risks Group“ (CRG) seit Jahren als Konzerngeheimdienst beauftragen – auch international.
„Control Risks ist ein Dienstleister, der für die Lufthansa bestimmte Aufträge übernimmt“, so ein Lufthansa-Sprecher gegenüber der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Die Lufthansa frage „Sicherheitsinformationen für bestimmte Länder“ bei CRG ab, bevor Ziele dort angeflogen würden. Zwischen Lufthansa und CRG bestehe „eine langjährige Zusammenarbeit“.
Ob auch Daten über Fluggäste, etwa bestimmter Religion oder ethnischer Herkunft in Zusammenhang mit diesen Länder ausspioniert wurden – etwa im Auftrag besorgter staatlicher Behörden gewisser Staaten, etwa der USA, Grossbritannien oder jedes beliebigen anderen Staates der irgendwo Krieg führt – dazu macht die Lufthansa zur Zeit keine Angaben.
Auch gibt es noch keine Berichte, ob etwa internationale Fluggesellschaften Informationen von „Sorgenkindern“ mit Sicherheitsbehörden tauschen.
Ebenfalls eine Zusammenarbeit mit CRG bestätigte der Software- und Computerkonzern SAP AG.
Dieser ist seit geraumer Zeit selbst in eine Spionageaffäre verwickelt.
SAP UND DIE ORACLE SITUATION
Der US-Konzern Oracle warf im Juli 2007 dem Software-Konzern SAP vor, dass Angestellte des SAP-Tochterunternehmens TomorrowNow Log-Ins von Oracle-Kunden genutzt hätten, um Tausende von Softwareprodukten und andere vertrauliche Dokumente von Oracles Servern herunterzuladen und zu nutzen.
Außerdem sei Oracles Lösung zur Anpassung der PeopleSoft-Software an die neuen Sommerzeitregelungen in den USA von SAP gestohlen worden. Dabei seien in der kopierten Version von SAP TomorrowNow sogar kleine Fehler enthalten, die Oracle erst später in seinem Code beseitigte.
SAP räumte daraufhin “einige unangemessene Downloads” ein.
Erst vor wenigen Tagen schloss SAP-Finanzchef Werner Brandt eine aussergerichtliche Einigung mit Oracle im laufenden Verfahren aus.
Am 13.Mai hatten in New York auf dem Kongress „Global Communications 2008“ führende Weltkonzerne der Kommunikationstechnologie die „globale Landschaft der Kommunikation“ eingehend ins Auge genommen. Teilnehmer u.a.: die SAP AG.
BESORGT TUN IN DEUTSCHLAND
Im Regierungsviertel beherrschte heute geschäftiges Erzählen von Weisheiten die politische Landschaft.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Wend, war der Meinung man müsse „den Unternehmen mehr auf die Finger schauen“.
Der Vize-Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels, Gerald Weiß, war der Meinung dass man hinsichtlich des formal immer noch gültigen Artikels 10 Grundgesetz „eher auf Rechtsnormen setzen“ sollte „als auf Freiwilligkeit“ der Konzerne.
Nach Aussage von Wendt könnten auch Bundestagsabgeordnete von den ausspionierten Hunderttausenden von Daten betroffen sein.
Für vogelfreien Luftraum über Berlin-Mitte sorgte wieder einmal Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der Spezialdemokraten:
„Der Saustall Telekom muss ausgemistet werden“.
Dazu heute die Berliner Zeitung:
Der gleiche Herr Wiefelspütz hat kürzlich eine umfassendere staatliche Telekommunikationsüberwachung und damit den Abbau von Bürgerrechten grundsätzlich für gut geheißen. Das Internet sei „eine Welt, in der jede Sauerei dieser Welt stattfindet“, so hat Wiefelspütz seinen Standpunkt begründet.
Der „Tagesspiegel“ fasste die Affäre innerhalb des immer noch teilweise in Staatsbesitz befindlichen Telekom-Konzern heute in einem Artikel übersichtlich zusammen.
Demnach begannen die Ermittlungen überhaupt erst durch eine nichtbezahlte Rechnung der Telekom an die als Konzerngeheimdienst beauftragte Firma „Network.Deutschland“.
Deren Leiter, Ralph Kühn, hatte in einem Fax an den Telekom-Chefjustiziar Manfred Balz die Zahlung von noch ausstehenden 400.000 Euro verlangt.
In den Operationen „Rheingold“ und „Clipper“ hatte Network.Deutschland zuvor die Daten tausende telefonischer Kontaktdaten überprüft, die der Konzerngeheimdienst von seinen Kontaktleuten bei der Telekom bekam. Die erste Zahlung von 300.000 Euro an das „Sicherheitsunternehmen“ hat die Telekom bereits bestätigt.
Die zweite Zahlung wurde aber durch den Konzern abgelehnt. Denn Network.Deutschland hatte über die illegalen Operationen keinen schriftlichen Auftrag erhalten.
Da aber im Zuge von Umstrukturierungsmassnahmen in der Konzernsicherheit die Kontaktpersonen wegfielen, sassen Kühn und seine Firma nun auf der Rechnung die sie nicht beweisen konnten.
Der Versuch, mittels des Faxes Druck auf den Konzern auszuüben, ging für beide Seiten nach hinten los. Die Telekom übergab das Schreiben der Staatsanwaltschaft, die Affäre kam ins Rollen.
Irgendwie erinnert das an Günter Schabowski, wie er in jener unvergesslichen Pressekonferenz am 9.November 1989 die von Egon Krenz handschriftliche bemalte Ministerratsvorlage über die neuen Reisemöglichkeiten vorlas.
WER KONTROLLIERT DIE KONZERNGEHEIMDIENSTE?
Die entscheidende Frage ist nicht nur wann der für Spionage im Innern verantwortliche Innenminister Wolfgang Schäuble und sein Vize, ex-BND-Chef August Hanning, gefeuert werden, sondern wie man grundsätzlich Minister dazu zwingen kann ihre Pflicht zu tun.
Die Einhaltung der Verfassung, der Grundrechte der Bürger, als Schutz nicht nur vor dem Staat sondern auch vor Konzernen und Mächtigen im Allgemeinen, kann nur vom Parlament durchgesetzt werden.
Die Wahrnehmung dieser Aufgabe des Parlamentes muss aber, ganz offensichtlich, gegen das Parlament durchgesetzt werden.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Gelb, welcher gestern sogar die FDP wegen der Forderung nach Rücknahme der Vorratsdatenspeicherung des „politischen Amoklaufs“ verdächtig sah, brachte es diesbezüglich heute wieder einmal auf den Punkt:
„Wir Politiker sollten uns von dieser Hysterie nicht anstecken lassen. Ich sehe keinerlei Handlungsbedarf beim Gesetzgeber.“
Das ist der Offenbarungseid der CDU im deutschen Parlament. Selbst die CSU war heute immerhin für minimale Aktivität des Gesetzgebers. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sprach heute davon, dass Unternehmen gesetzlich gezwungen werden müssten, „Missbrauch“ von Daten, also Verfassungs- und Gesetzesbrüche, selbst öffentlich zu machen und die Opfer zu informieren.
Verständlich, dass sogar der Chef der Konzernlobby in der Republik,“Arbeitgeberpräsident“ Dieter Hundt, nervös wurde. „Das Fehlverhalten Einzelner darf nicht dazu verwendet werden, die ganze Unternehmerschaft in Verruf zu bringen“, so Hundt.
Er sprach dabei von 3 Millionen „deutschen Unternehmen“ in denen die Telekom ein Einzelfall sei. Mal abgesehen von dieser statistischen Wahrscheinlichkeit – wozu überhaupt noch einen Staat? Sind doch alles gute Menschen hier, die nur geben und geben und einander achten.
Es sei denn, sie arbeiten für diese angeblich „3 Millionen deutsche Firmen“ oder haben gar keinen Arbeitsplatz, weil diese Firmen keine schaffen.
„Die Gutmenschen, die leugnen, dass es den Missbrauch des Sozialstaates gibt,“ würden sich über ihn aufregen, so heute der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle mit einem tiefen Griff in die rechtsradikale Rhetorik-Kiste.
Bereits vorher hatte er im Vorfeld des „liberalen“ Parteitages gesagt, der Sozialstaat sei „für die Bedürftigen da und nicht für die Faulen“. Er, Westerwelle, sei jedoch der Meinung, dass der Sozialstaat treffsicherer werden müsse. „Das ist nicht kühl, sondern das wahre Gebot der Nächstenliebe – nämlich denen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können.“
Das gilt auch für die Parlamentarier des Bundestages, die allein 2008 bei nur 20 Sitzungswochen immerhin 7 Monate Urlaub machen. Die schaffen das einfach nicht mehr. Da muss nachgeholfen werden. Aus Nächstenliebe.
Heute startete dazu der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung seinen bundesweiten Aktionstag „Freiheit statt Angst“.
Diesbezüglich wurde in der Öffentlichkeit kaum erwähnt, dass demnächst in 13 Mitgliedsländern der „Europäischen Union“ die Innenministerien und Geheimdienste aller untergeordneten Länder derzeit rund 30 Millionen „elektronische Personalausweise“ elektronisch vernetzen und einsehen dürfen.
Diese werden für öffentliche Dienstleistungen, von der Auszahlung von Sozialleistungen bis hin zur Abgabe von Steuerklärungen, in Anspruch genommen. Die beteiligten Staaten: Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Slowenien, Estland, Spanien, Schweden und Großbritannien.
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