NATO-Staaten unterstellten „Terrorbekämpfung“ am 4.Oktober 2001 der CIA
Die Verschleppung von „Verdächtigen“ wie Abdel Halim Khafagy 2001 durch US-Geheimdienste und Militärs erscheint in einem neuen Licht
Im Zuge der CIA-Atomschmuggelaffäre in der Schweiz kommen immer mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit, die auch ein Licht auf die seit dem 11.September 2001 grundlegend veränderten Machtverhältnisse auf dem Planeten werfen.
Der Schweizer FDP-Ständerat und Sonderermittler des EU-Europarates machte heute in einem Interview mit der investigativen „WochenZeitung“ erneut auf einen Umstand aufmerksam, welcher in der Presse der NATO-Länder seit Jahren unterdrückt wird:
So etwas wie souveräne staatliche Sicherheitsorgane in Deutschland und Europa gibt es überhaupt nicht mehr.
Auszüge aus dem Interview mit Dick Marty in der „WochenZeitung“:
Frage: „Sie haben als Sonderermittler für den Europarat zwei Berichte zu den Geheimgefängnissen und den Geheimflügen der CIA verfasst – wie ordnen Sie den Fall Tinner in Ihre Erkenntnisse ein?“
Marty: „Ich habe immer stärker den Eindruck, dass es historisch einen roten Faden gibt von den Geheimarmeen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Terrorbekämpfung heute. Die Geheimarmeen, beispielsweise Gladio in Italien oder P-26 in der Schweiz, sollten bei einer Invasion der Sowjetunion Widerstand leisten. Aufgestellt wurden sie von der Nato.“
Frage: „Worin besteht nun die Verbindung zur Terrorbekämpfung?“
Marty: „Eine sensationelle Sache in meinem zweiten Bericht wurde von der Presse kaum wahrgenommen: Nämlich, dass sich die Nato Anfang Oktober 2001 in Athen in einer geheimen Sitzung traf. Die Amerikaner beriefen sich auf Artikel 5 des Verteidigungsbündnisses, wonach sie militärisch angegriffen worden seien. Die Terrorbekämpfung stand fortan unter der Führung des CIA. Alle Nato-Staaten machten mit. Und dazu auch die Schweiz.“
Bereits am 15.Juni 2006 hiess es in einem Zwischenbericht des EU-Parlamentes „über die behauptete Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen (2006/2027(INI))“:
„(Das EU Parlament) bedauert, dass die Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) dem Nichtständigen Ausschuss den Zugang zum vollständigen Text des NATO-Ratsbeschlusses vom 4. Oktober 2001 zur Umsetzung von Artikel 5 des Washingtoner Vertrags verweigert hat; fordert die NATO dringend auf, Zugang zum vollständigen Text des Beschlusses zu gewähren, um Klarheit zu schaffen“.
Am 14.Februar 2007 hiess es in einer „Entschließung des Europäischen Parlaments zu der behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen“:
B. in der Erwägung, dass das Parlament durch die Annahme seiner Entschließung vom 22. November 1990 zur Affaire Gladio schon vor mehr als 16 Jahren auf das Vorhandensein geheimer Tätigkeiten unter Beteiligung von Geheimdiensten und militärischen Organisationen außerhalb jeglicher angemessener demokratischer Kontrolle hingewiesen hat,
..
34. bekundet (Das Europaparlament) seine tiefe Besorgnis angesichts der Weigerung des früheren und des derzeitigen Generalsekretärs der NATO, Lord Robertson bzw. Jaap de Hoop Scheffer, vor seinem nichtständigen Ausschuss zu erscheinen, sowie über die abschlägige Antwort dieser Organisation auf seinen Antrag auf Zugang zu dem Beschluss des Nordatlantik-Rates vom 4. Oktober 2001 bezüglich der Umsetzung von Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages aufgrund der Anschläge vom 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten; wiederholt seine Forderung, das Dokument zu veröffentlichen und zumindest Informationen über seinen Inhalt, seine Umsetzung in der Vergangenheit und in der Gegenwart bekannt zu geben und mitzuteilen, ob es noch in Kraft ist und ob in diesem Rahmen CIA-Flüge durchgeführt wurden;
Im Klartext heisst das, dass durch den nach den Attentaten vom 11. September 2001 erklärten „Verteidigungsfall“ es in der NATO-Hegemonie de facto keinen unabhängig agierenden Staat mehr gibt.
Polizei, Militär, Geheimdienste unterliegen offenbar bei Operationen unter dem Schlagwort „Terrorbekämpfung“ dem Oberbefehl des US-Geheimdienstes. Das heisst nicht, dass jede Feuerwehr oder jeder Dorfpolizist in den Staaten des NATO-Einflussbereiches fremdgesteuert funktioniert, wohl aber dessen oberste Leitungsebene: die Ministerien, die Regierungen, die Militärs.
Heute sagte der deutsche Aussenminister Frank Steinmeier vor dem sogenannten „BND-Untersuchungsausschuss“ (welcher geheimdienstliche Aktivitäten insgesamt beleuchtet) zu dem Schicksal des am 26.September 2001 in Sarajewo verschleppten dreifachen Familienvaters Abdel Halim Khafagy aus, der heute 76 Jahre alt ist seit 1979 in München lebt.
Khafagy wurde war in seinem Hotelzimmer von Maskierten überfallen und in ins SFOR-Hauptquartier „Eagle Base“ in Tuzla verschleppt worden, wo er in einem US-Geheimgefängnis interniert und schwer misshandelt wurde. Verhört wurde er wahrscheinlich durch den damals hochgeheimen NATO-Militärgeheimdienst AMIB („Allied Military Intelligence Battalion“), in welchem auch Agenten des deutschen Militärischen Abschirmdienstes sowie mindestens ein Agent des Bundesnachrichtendienstes BND Dienst taten.
Bereits wenige Tage nach der Entführung des Münchner Verlegers waren drei Beamte von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundenachrichtendienst (BND) in Tuzla.
Einigermassen geschockt berichteten sie wieder in Deutschland davon, dass Khafagy von den Amerikanern schwer misshandelt worden sei, sollen ihn aber gleichzeitig nie gesehen zu haben.
Ein BKA-Beamter verfasste extra eine Vorlage für die durch den Fall Murat Kurnaz bekannt gewordene „Präsidentenrunde“ der deutschen Geheimdienste.
Deren damaliger Chef – Frank Steinmeier.
Das AMIB hiess früher übrigens „Allied Counterintelligence Unit“ (ACIU), besteht aus geschätzt 60 ausgesuchten Spezialisten aus 7 Exekutiven von 7 NATO-Staaten und ist Teil der 650th Military Intelligence Group des Militärgeheimdienstes der US Army.
Am 25.Juni 2007 veröffentlichen „Report Mainz“ und „tagesschau.de“ dann Auszüge aus einem Brief des Bundesverteidigungsministeriums an den Verteidigungsauschuss. In diesem wird behauptet, sämtliche in den Jahren 1999 bis 2004 durch den Militärgeheimdienst „Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr“ (ZNBw) weltweit gesammelten Daten seien irgendwie vernichtet worden.
Von selbst. Da könne man nichts machen. Beim Militär habe man eben schon immer Computer gehabt, die es einfach nicht bringen. Überlastet und so.
Die analogen Bänder (!) der Sicherungskopien seien unlesbar gewesen und deshalb 2005 vernichtet worden.
In dem mit NATO und EU-Behörden vernetzten Datensystem „Joint Analysis System Military Intelligence“ (JASMIN) waren Daten und Informationen von sämtlichen deutschen Geheimdiensten gespeichert, Auslandsaufklärung, Satellitenspionage, Personeninformationen, usw, sowie natürlich aus dem deutschen Militär selbst.
Angeblich verschwunden nun: Sämtliche Daten über die Kriegseinsätze der Bundeswehr auf dem Balkan und Afghanistan, natürlich auch sämtliche Daten über den Fall Kurnaz und Khafagy.
Grünen-Politiker Ströbele bezweifelte damals im Juni 2007 die Darstellung des Ministeriums. Noch im November 2006 habe er einen Brief von Staatssekretär Peter Wichert aus dem Verteidigungsministerium bekommen, wonach der Verteidigungsausschuss über Einsätze der Eliteeinheit KSK im Ausland informiert werde.
„Darin steht keine Silbe davon, dass die Daten weg sind. Deshalb zweifle ich, ob das alles so richtig ist.“
Rainer Arnold (SPD), ebenfalls Mitglied in diesem parlamentarischen Kontrollorgan, übertraf sich gar selbst und sagte, er könne sich auch nicht erklären, dass in einem solchen Apparat die Datensicherung nicht sorgfältig sei. Aber er wisse schon, woran´s gelegen habe:
„Die Technik ist nicht auf der Höhe der Zeit“.
Die verschwundenen Daten hätten aber bei der Aufklärung im Fall Murat Kurnaz sowieso nicht weitergeholfen, so Arnold, ohne die in Luft aufgelösten Daten von 5 Jahren nach eigenem Bekunden je gesehen zu haben.
Das deutsche Parlament murmelte also ein bisschen, in den deutschen Zeitungen las man ein bisschen rum, dann ward wieder Stille. Bei den NATO-Militärs, deren Daten sich ja ebenfalls im vernetzten „Joint Analysis System Military Intelligence“ Datensystem befanden und mit denen man ja auch ständig Daten tauschte, wurde nicht einmal nachgefragt.
Heute nun sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier zum Schicksal des 2001 wegen einer simplen Verwechslung unschuldig entführten und misshandelten Münchners, Abdel-Halim Khafagy sei „gravierendes“ Unrecht angetan worden.
Er selbst habe wie viele andere in Deutschland auch erstmals durch einen Bericht der Zeitung „Washington Post“ vom 2. November 2005 erste Hinweise auf Geheimgefängnisse erhalten.
„Verschleppung und Folter kann man nicht verteidigen», so Steinmeier heute.
Steinmeier verteidigte die enge Zusammenarbeit mit den US-Sicherheitsbehörden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dies sei mit Unterstützung aller damals im Bundestag vertretenen Parteien im Bundestag geschehen.
CIA-Gefangenenflüge seien aber von deutscher Seite weder unterstützt noch geduldet oder gar gefördert worden, so Steinmeier.
Dann berichtet der deutsche Aussenminister etwas sehr Ungewöhnliches.
Er verweisst auf einen Brief an Rice vom 4. März diesen Jahres, in dem er darauf verwiesen habe, dass die USA die Souveränität anderer Nationen respektieren müssten. Dieses Schreiben sei bis heute nicht beantwortet.
„Ich will nicht verhehlen, dass unterschiedliche Standpunkte in wichtigen Fragen fortbestehen“, so Steinmeier.“Wir erwarten von unseren Freunden, dass sie unsere Rechtsprechung respektieren und dass sie sich bei ihren Aktivitäten in Deutschland an unser Recht und Gesetz halten“.
Das könnte man, angesichts des immer noch geheim gehaltenen Unterwerfungsbeschluss der NATO-Staaten vom 4.Oktober 2001 unter die Regide der US-Regierung und ihrer Geheimdienste, fast als so etwas wie eine Unabhängigkeitserklärung auffassen…
(…)
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