Die Aufgabe der NATO ist es, „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.“
Lord Ismay, erster NATO Generalsekretär
„Wir sollten unverzüglich ein Treffen des Nordatlantischen Rates einberufen, um über die Sicherheit Georgiens zu beraten und Maßnahmen zu prüfen, die die NATO ergreifen kann, um dazu beizutragen, diese sehr gefährliche Situation zu stabilisieren.“
John McCain am 8.August 2008
„Wenn wir präventiv mit Rußland und mit Georgien gearbeitet und sichergestellt hätten, daß die NATO die Fähigkeit und die nötige Präsenz und Entschlossenheit besitzt, hätten wir dieses [die Invasion Süd-Ossetiens und die darauf folgende Antwort Rußlands] vielleicht verhindern können“
Tom Daschle, früherer Mehrheitsführer der Demokraten im Senat und Berater von Barack Obama am 17. August 2008
„Von allen Feinden der allgemeinen Freiheit ist Krieg vielleicht derjenige, der am meisten zu fürchten ist, weil er die Keime für alle weiteren enthält und nährt.“
James Madison (1751 – 1836), vierter amerikanischer Präsident
Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (North Atlantic Treaty Organization – NATO) ist ein Übrigbleibsel des kalten Krieges. Es wurde am 4. April 1949 als defensive Allianz westeuropäischer Länder, Kanadas und der Vereinigten Staaten gegründet, um die erstgenannnten Länder vor der Vereinnahmung durch die Sowjetunion zu schützen.
Aber seit 1991 existiert das Sowjet-Imperium nicht mehr und Rußland arbeitet seitdem mit westeuropäischen Ländern zusammen, indem es sie mit Öl und Gas und allen möglichen anderen Waren versorgt. Dies hat das Geflecht wirtschaftlicher Beziehungen in Europa verstärkt und die Notwendigkeit für eine solche defensive Militärallianz über die eigenen Verteidigungssysteme der europäischen Länder hinaus stark verringert.
Allerdings sieht die US-Regierung die Dinge nicht auf diese Weise. Sie zöge es vor, ihre Rolle als bevormundender Beschützer Europas und als einzige Supermacht der Welt zu behalten. Die NATO ist ein willkommenes Werkzeug, um dies zu erreichen. Aber vielleicht sollte sich die Welt Sorgen wegen der Art von Leuten machen, die auf dem Planeten herumlaufen, den Benzinkanister in der einen Hand und eine Schachtel Streichhölzer in der anderen halten und vorgeben, Feuerversicherungen zu verkaufen.
So wie es derzeit aussieht, ist es eine Tatsache, daß die US-Regierung und die einflußreichen Kreise in der usamerikanischen Außenpolitik die NATO als wichtiges Werkzeug der usamerikanischen Außenpolitik für Interventionen in aller Welt ansehen. Da viele usamerikanische Politiker die UN als oberste internationale Organisation zur Sicherung des Friedens in der Welt de facto nicht mehr unterstützen, erscheint die NATO in ihren Augen als höchst attraktiver Ersatz für die Vereinten Nationen, ihren ansonsten illegalen offensiven militärischen Unternehmungen in aller Welt den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Sie ziehen es vor eine kleinere Organisation wie die NATO vollständig zu kontrollieren, selbst wenn sie zu einer überflüssigen Institution geworden ist, als bei den Vereinten Nationen, wo die USA immerhin eines der fünf Vetos im Sicherheitsrat halten, gezwungen zu sein, Kompromisse einzugehen.
Das ist die bestimmende Logik hinter den Vorschlägen, die NATO neu zu ordnen, neu zu orientieren und zu vergrößern und sie zu einem handlichen Werkzeug der usamerikanischen Außenpolitik zu machen. Dies ist eine weiterer Beweis, daß überflüssige Institutionen ein Eigenleben haben. Wenn der Zweck für den sie ursprünglich geschaffen wurden, nicht länger existiert, werden neue Zielsetzungen erfunden, um sie am Leben zu halten.
Was die NATO angeht, so geht der Plan dahin, sie in eine vergrößerte offensive, imperiale, von den USA dominierte politische und militärische Allianz gegen den Rest der Welt zu verwandeln. Entsprechend dem Plan soll nicht nur die NATO in Zentral-Osteuropa um die meisten der früheren Mitglieder des Warschauer Paktes (Polen, die tschechische Republik, die Slovakei, Bulgarien, Rumänien, Albanien und Ungarn) und viele der früheren Republiken der Sowjetunion (Estland, Lithauen, Lettland, Georgien und die Ukraine) erweitert werden, sondern es sollen auch in Asien Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea hinzukommen, und möglicherweise soll sogar Israel im Nahen Osten zugelassen werden. Heute ist die ursprünglich aus zwölf Mitgliedsstaaten bestehende NATO zu einer Organisation von 26 Migliedern angewachsen. In der Zukunft könnten daraus, wenn es nach dem Willen der US-Amerikaner geht, 40 Mitgliedsstaaten werden.
In den USA halten Republikaner und Demokraten die Umwandlung der alten NATO in diese offensive Militärallianz gleichermaßen für eine gute (neokonservative) Idee, um sowohl amerikanische Interessen als auch die von engen Verbündeten wie Israel in aller Welt zu befördern. Dies wird nicht nur von den neokonservativen Bush und Cheney aktiv vorangetrieben, sondern ebenfalls von den neokonservativen Beratern der beiden Präsidentschaftskandidaten im Wahljahr 2008, Senator John McCain und Senator Barack Obama. Tatsächlich sind beide Präsidentschaftskandidaten enthusiastische Befürworter militärischer Interventionen, was im wesentlichen daran liegt, daß sich beide auf Berater verlassen, die aus demselben neokonservativen Lager stammen.
So sind etwa die rücksichtslose Eile, mit der Bush-Cheney der früheren Sowjetrepublik Georgien die NATO-Mitgliedschaft versprochen haben, sowie die militärische Unterstützung und Versorgung für das Land ein gutes Beispiel dafür, wie die NATO in Washington D.C. von beiden großen politischen Parteien US-Amerikas gesehen wird. Auf der einen Seite der republikanische Kandidat, der sich eine neue Weltordnung vorstellt, die um eine von den Neokonservativen inspirierte „Liga der Demokratien“ herum errichtet werden soll, die die Vereinten Nationen de facto ersetzen und über die die USA die Welt regieren würden. Die Position von Senator Barack Obama auf der anderen Seite ist nicht sehr weit von Senator McCains außenpolitischen Vorschlägen entfernt. So tritt Senator Obama für den Einsatz militärischer Gewalt durch die USA und im Zuge von multilateralen militärischen Interventionen bei regionalen Krisen zu “humanitären Zwecken“ ein, selbst wenn hierfür die Vereinten Nationen übergangen werden müßten. Aus diesem Grund ist mit Sicherheit davon auszugehen, daß wenn Senator Obama jemals an die Macht gelangt, er keinerlei Bedenken haben wird, Senator McCains Sicht der Welt zu übernehmen. So würden zum Beispiel wahrscheinlich beide Präsidentschaftskandidaten ein Streichen der Klausel der NATO-Konvention unterstützen, die den Ersteinsatz von Nuklearwaffen verbietet. Man darf es als sicher ansehen, daß unabhängig davon, welcher der beiden Kandidaten ins Weiße Haus einzieht, die Welt noch weniger gesetzestreu und sicher sein wird, als sie es unter der gesetzlosen Regierung Bush-Cheney schon wurde.
Allerdings ist schwer einzusehen, wie diese offensive Rolle der NATO im Interesse der europäischen Länder oder Kanadas liegen könnte. Insbesondere Westeuropa hätte im Falle eines Wiederbeginns des kalten Krieges mit Rußland und möglicherweise auch mit China alles mögliche zu befürchten. Die Umwandlung der NATO von einem nordatlantischen Verteidigungsbündnis zu einer von den USA geführten weltweit offensiven Militärorganisation wird tiefgehende internationale geopolitische Konsequenzen in aller Welt zur Folge haben, insbesondere aber für Europa.
Europa übt eine starke wirtschaftliche Anziehungskraft auf Rußland aus. Warum sich also auf die agressive Politik der Regierung Bush-Cheney einlassen und Rußland militärisch durch die Erweiterung bis an Rußlands Haustür und durch Errichtung eines Raketenschildes in seiner unmittelbaren Nachbarschaft umzingeln? Wäre es für Europa nicht besser, harmonische wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Rußland zu entwickeln? Warum den nächsten Krieg vorbereiten?
Was Kanada unter der neokonservativen Minderheitsregierung Harper betrifft, so ist es in Bezug auf auswärtige Angelegenheiten de facto traurigerweise zu einer usamerikanischen Kolonie geworden – ganz ohne ernsthafte Diskussion oder ein Referendum in Kanada über diese Frage. Das letzte was Kanada braucht, ist diesen verminten Weg weiterzugehen.
Es scheint der Schluß nahe zu liegen, daß die humanistische Idee von Frieden, freiem Handel und internationalem Recht als Grundlagen der Weltordnung zugunsten einer Rückkehr zu Großmachtpolitik und Kanonenbootdiplomatie über Bord geworfen werden. Dies ist ein Rückschritt um 100 Jahre.
Es ist eine Schande!
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Quelle: http://www.thenewamericanempire.com/tremblay=1093
Originalartikel veröffentlicht am 20. August 2008
AUTOR: Rodrigue TREMBLAY
Übersetzt von Hergen Matussik
Über den Autor:
Hergen Matussik ist ein Mitglied von Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, der Übersetzer, der Prüfer als auch die Quelle genannt werden.
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