„Wertekanon“ und Selbstzensur: Der Schmock dient als Leitbild
Zhang Danhong (42), bis dato stellvertretende Redaktionsleiterin der China-Redaktion des Auslandssenders Deutsche Welle, ist seit kurzem „suspendiert“. Sie erhielt ein Auftrittsverbot und darf nicht mehr ans Mikrophon der DW. Die Gründe dafür sind inzwischen Gegenstand öffentlicher Debatten, obwohl es von der Deutschen Welle nur wenig und von ihrer Redakteurin Zhang keine öffentliche Erklärung zu den Vorgängen gibt:
Zhang Danhong bekam einen Maulkorb verpasst, weil sie bei Illner im ZDF sowie in zahlreichen Zeitungs- und Rundfunkinterviews auf die erwünschte, erwartete und übliche China-Schelte verzichtet und ihre eigene Meinung geäußert hatte. Sie wurde von ihrem Arbeitgeber abgestraft für den löblichen Versuch, das von arroganten, hämischen deutschen Medienleuten verbreitete Zerrbild von der VR China ein wenig sachlicher zu zeichnen.
Ein Fall von Zensur? Von Selbstzensur? Ein Medienskandal? Eine Polit-Affäre? Wir werden sehen: Das Schmierenstück, das die DW mit Zhang Danhong aufführt, hat von allem etwas. Fiese Hauptrollen spielten, noch bevor dafür der Vorhang richtig aufging, ein SPD-Bundestagsabgeordneter namens Wiefelspütz, die Berliner Zeitung und das Magazin Focus. Hinter den Kulissen wirkte die Psycho-Politsekte Falun Gong.
Ansgar Burghof, Leiter der DW-Intendanz: „Es gab ein paar Aussagen von Frau Zhang, die nicht so stehen bleiben können.“ Und: „Wir sind gemeinsam übereingekommen, die Vorwürfe in Ruhe zu prüfen“.
Der Redakteurin Zhang werden unliebsame Meinungsäußerungen vorgeworfen. Äußerungen, die nicht über die DW-Sender gingen, sondern auf externen Foren fielen. Wofür Zhang Danhong aber hausintern und quasi vorsorglich-präventiv gemaßregelt wurde. Geprüft wird erst hinterher. „In Ruhe“.
Diese Grenzüberschreitung zum Unzulässigen auch noch öffentlich zu bekunden, ist dem DW-Hierarchen nicht einmal peinlich. Die Schändlichkeit der von ihm selbst beschriebenen Vorgehensweise fällt weder dem Intendanz-Leiter Burghof noch sonst einem DW-Leithammel auf. Zu schweigen von der arbeitsrechtlichen Unhaltbarkeit.
Kampagne gegen Meinungsfreiheit
Was war geschehen? Zhang Danhong hatte im Vorfeld der Olympiade in Talkshows und Interviews zu wenig kritische Äußerungen über China abgesetzt. Äußerte sie doch Tatsachen: Im Westen würden zumeist nur die negativen Seiten der Volksrepublik in den Vordergrund gestellt. China habe jedoch auch Fortschritte vorzuweisen, sogar bei den Menschenrechten. Von oppositionellen China-Websites wie der Epoch-Times (der Falun Gong-Sekte nahestehend) angestoßen, war daraufhin eine Kampagne gegen die Kollegin angelaufen.
„Ich streite überhaupt nicht ab, dass in China die Menschenrechte verletzt werden. Mein Kritikpunkt ist, dass nur über negative Dinge berichtet wird. Auf Fortschritte wird nicht geguckt. Bei so einem riesigen Land wie China mit dieser komplizierten Entwicklung wünschte ich mir mehr fundierte Hintergrundberichte…“
Ein sehr berechtigter Wunsch. Die VR China hat eine unerhörte Leistung vollbracht: 1,4 Milliarden Menschen haben – wenigstens das Nötigste – zu essen. Die Fortschritte im Bezug auf die Rechtssicherheit sind unübersehbar. Sie sind sogar so bedeutsam, dass sich zum Beispiel Vertreter deutscher und US-amerikanischer Firmen in China (selbst Vertreter der deutschen Auslandshandelskammer in der VR!) über das neue Arbeitsrecht als „zu weitgehend“ aufgeregt haben (weil ihre Kulis nunmehr vor der schlimmsten Ausbeutung geschützt werden sollen?). Es geht vorwärts in der VRCh, langsam zwar, aber stetig. Bedauerlicherweise allerdings ohne nennenswerte Unterstützung und ohne die verdiente Anerkennung in den deutschen Mainstream-Medien.
Ein anderes Zhang-Zitat: „Ich habe bis 1988 ja selbst in China gelebt, damals war es wirklich schlimm. Das war mit ein Grund, warum ich meinem Heimatland den Rücken gekehrt habe. Im Vergleich zu damals genießt die Mehrheit der Chinesen heute sehr viel mehr Freiheiten. Wenn man aber hier in die Zeitungen guckt, denkt man, dass China ein ganz schlimmes, böses Land ist, das Menschenrechte mit Füßen tritt. …“
Gut beobachtet, wahr gesprochen. Zhang hatte auch die Ansicht vertreten, die Kommunistische Partei Chinas habe „mehr als jede politische Kraft auf der Welt“ zur „Verwirklichung des Artikels 3 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beigetragen“. Der Artikel 3 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung lautet kurz und knapp: „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ Die Bezugsgruppe ihrer Aussage hatte Zhang Danhong zuvor genannt: vierhundert Millionen aus der Armut geholte Chinesen, die dank der Politik der KP nicht mehr, wie einst Jahr für Jahr zu Hunderttausenden, vor Hunger oder Kälte oder beidem elend verreckten.
Respekt vor der abweichenden Meinung?
Als Blickwinkel einer gebildeten Chinesin ist Zhangs Meinung zu sehen und leicht zu verstehen: Wenn es 90 Prozent gut geht, kann man ertragen, dass es 10 Prozent noch nicht gut geht, und sich bemühen, die Lage dieser 10 Prozent zu verbessern. Und: Die materielle Grundversorgung ist Voraussetzung für ideelle Freiheiten, nicht umgekehrt.
Als Europäer braucht man eine solche Sichtweise zwar nicht unbedingt zu teilen. Aber sie ist zu respektieren, selbst wenn sie einem nicht schmeckt. Kollegin Zhang die eigene, fundierte Meinung zum Vorwurf zu machen, weil sie nicht in unsere Schablonen passt, spottet allen unseren Vorstellungen vom Recht auf Meinungsfreiheit.
Frau Zhang, heißt es weiter, habe die Sperrung kritischer Internet-Seiten der Organisationen Falun Gong und Free Tibet durch Peking „indirekt gerechtfertigt“ mit dem Hinweis, in Deutschland könne man „auch nicht Seiten zu Kinderpornografie oder Rechtsextremismus aufmachen“. Der Vergleich hinkt, keine Frage. Kollegin Zhang hatte allerdings ausdrücklich hinzugefügt, sie wolle ihn auch nicht so unmittelbar gezogen sehen. Wer sich bemüht (die Interviewäußerungen der DLF-Sendung „Kontrovers“ sind im Zusammenhang im Internet abrufbar), kann sehr wohl verstehen, was tatsächlich gemeint war: Nämlich dass die Vorstellung davon, was den Massenmedien erlaubt und was ihnen nicht erlaubt sein sollte, von Land, zu Land wechselt, von Regierung zu Regierung, von Kulturkreis zu Kulturkreis. Und er kann hören, dass Frau Zhang auf sehr provozierende Einwürfe antwortete. Die Behauptung, Zhang Danhong habe eine Zensurmaßnahme Pekings „gerechtfertigt“, ist mit dem Wortlaut des Interviews nicht zu begründen.
Allerdings befinden wir uns im Fall Zhang nicht vor einer um Objektivität bemühten Instanz, sondern auf öffentlichem, auf politischem Feld. Dort schwingen Parteibonzen wie der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, die verbale Keule. Von Selbstzweifeln und intelligenter Einsicht ebenso weit entfernt wie vom Bemühen um Sachkenntnis und Fairness unbelastet (er hatte es nicht einmal für nötig befunden, die Sichtweise der Kollegin Zhang zu erfragen), tönte er: „Die Dame hat die Zensurversuche der chinesischen Regierung bereits im Kopf.“ Die Leistungen dieser Journalistin „werden der Aufgabe der Deutschen Welle nicht gerecht“.
Als ob ein selbstgefälliger innenpolitischer Sprechblasen-Produzent wie Wiefelspütz das beurteilen könnte. Seine Abfälligkeiten sollten allerdings auch nur der eigenen Profilierung und Selbstinszenierung dienen. Die „Berliner Zeitung“, längst am Rand des Abgrunds und frei vom einstigen halbwegs guten Ruf, stieg zu und nahm die herabwürdigenden Absonderungen des Sprücheklopfers begierig auf. Der „Focus“, bekannt nicht nur für seinen China- und Kommunistenhass, sondern auch für seinen zwanglosen Umgang mit Wahrheit und Fakten, schrieb am 11. August, Zhang Danhong habe „die Kommunistische Partei Chinas hofiert“. Ein widerwärtiger Schmäh, typisch für das lockere Verständnis des Blattes von sauberer journalistischer Arbeit. Aber beileibe kein Grund für Wiefelspütz, sich zu genieren oder gar zu distanzieren.
Leitbild, Wertekanon, Meinungsfreiheit
Die Deutsche Welle, Zhangs Arbeitgeber, hatte in einer reichlich klebrigen Pressemeldung erklärt: „Gestützt auf langjährige Erfahrung wissen wir, dass Frau Zhang den umfassenden Wertekanon der Deutschen Welle ohne Einschränkung teilt und dies in ihrer täglichen journalistischen Arbeit vorbildlich unter Beweis stellt …“
Wertekanon?
Werden mittels dieser schwülstig-wolkigen Umschreibung nach offiziellem DW-Verständnis die Grenzen freier journalistischer Meinungsäußerung bestimmt? Ist der ungenierte Gebrauch einer solchen Totschlagvokabel nicht vielmehr ein Hinweis darauf, dass in unseren Mainstream-Medien nur die „richtige“ Meinung auch richtig frei ist?
„Wir fördern den Dialog der Kulturen und setzen uns für Völkerverständigung und Toleranz ein,“ behauptet die DW von sich selbst in ihrem „Leitbild“. Wie soll das denn mit den Vorgängen um Zhang Danhong zusammenpassen?
Ein Kernsatz aus dem gesetzlichen Auftrag für den deutschen Auslandsrundfunk lautet: „Deutschland als europäisch gewachsene Kulturnation verständlich machen und das Verständnis und den Austausch der Kulturen und Völker fördern.“ Und dies mit dem Versuch, einer kritischen Journalisten die Äußerung einer eigenständigen Meinung zu verbieten?
Die DW versteht sich – Erbarmen! – als „mediale Visitenkarte Deutschlands in der Welt“, die verlässliche Werte, Grundsätze und Visionen brauche. Nämlich diese:
„Wir vermitteln deutsche und andere Sichtweisen“. Ach. Mit Ausnahme solcher, die uns nicht in den Kram passen?
„Wir fördern den Dialog der Kulturen und setzen uns für Völkerverständigung und Toleranz ein.“ Indem wir Maulkörbe verteilen?
„Wir vermitteln die Werte freiheitlicher Demokratie und setzen uns für die Menschenrechte ein.“ Ausgenommen vom Wertegenuss sind die Mitarbeiter der Deutschen Welle?
„Wir sind Kulturträger und vermitteln Kultur aus Deutschland und Europa.“ Und über unsere Unkultur schweigen wir?
„Wir fördern durch unsere Glaubwürdigkeit das Ansehen Deutschlands weltweit.“ Indem wir objektiv richtige Aussagen über die VR China unterbinden, weil dort ja bloß 1,4 Milliarden Eingeborene leben?
Die Deutsche Welle hat die Fragen faktisch beantwortet. Zugunsten ihres „Wertekanons“ und zuungunsten der Meinungsfreiheit. Die zitierte Stellungnahme des Senders gibt es leider auch auf einer chinesischen Version der DW-Webseite zu lesen. Schämen kann sich eben nur, wer die eigene Blöße bemerkt.
Politischer Druck? Den gibt ´s doch gar nicht …
Politischen Druck habe es keinen gegeben, hatte Ansgar Burghof, Leiter der DW-Intendanz, dreist behauptet. Und damit gezeigt, für wie blöd und naiv er seine Berufskollegen und die Öffentlichkeit hält. Die deutsche Welle ist zwar eine Anstalt des Öffentlichen Rechts. Aber sie wird ausschließlich aus Steuermitteln finanziert. Ihr Intendant Erik Bettermann ist SPD-Mitglied. Und Dieter Wiefelspütz sitzt auf SPD-Ticket im Bundestag und gibt dort den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion.
In mindestens einer der Interview- bzw. Talk-Runden, in denen sich Zhang Danhong über ihr Geburtsland äußerte, saß inkognito ein Vertreter der Falun Gong. Wer sich nicht, wie z.B. die Masse der Dalai Lama-Anhänger, blindlings fernöstlicher Mystik hingibt und alle kritische Vernunft hat fahren lassen, der weiß: Falun Gong betreibt nicht nur kontemplative Übungen und morgendliche Gymnastikstunden für Oma und Opa, sondern ist ein subversiver Zirkel von Leuten, die mit geheimdienstlicher Unterstützung aus dem Ausland die chinesische Regierung zu destabilisieren suchen. Als was immer Falun Gong auch erscheinen mag: Diese Geheimloge ist alles andere als harmlos. Stringente Nachweise dafür hat zum Beispiel der Duisburger Professor Thomas Heberer geführt. Über den Meinungsterror, dem er seither ausgesetzt ist, könnte er wohl weitere akademische Abhandlungen verfassen.
Aus der Sekten-Ecke wurden „Berliner Zeitung“ (BZ) und „ Focus“ mit dem „Fall Zhang“ munitioniert. Sie haben geschossen und einen Menschen hart getroffen.
Druck aus der Herrenriege, Schutz der Kollegen
Die hetzerische Kampagne gegen die Kollegin Zhang hat in der verkommenen deutschen Medienwelt nur wenig Widerspruch gefunden. Weggucken, wegducken, Rad fahren: Ein Heer von Journalisten vermeidet persönliches Engagement und verweigert das Selbstverständliche: aktive Loyalität und Solidarität mit einer Kollegin, die gemaßregelt wird, weil sie sich in den Augen ihrer Verfolger nicht abwertend genug über die VR China geäußert hat. Und weil ihr berufliches Schicksal in der DW einer Herrenriege von Vorgesetzten anheim gestellt ist, die es offenkundig nicht für wert erachten, die Meinungsfreiheit einer Kollegin aus dem eigenen Hause zu verteidigen und sie vor beschämenden Angriffen zu schützen.
Immerhin: Noch ist in der DW ein Redakteursstatut zur Sicherung der Inneren Rundfunkfreiheit in Kraft. Auch den Personalrat der DW dürfte es nicht kalt lassen, dass hier erfolgreich zur Hetzjagd auf eine Arbeitskollegin geblasen wurde. Sollte bei der DW-Leitung nicht doch noch Vernunft einkehren, könnte die Affäre sogar vor Gericht enden. Und dort würden die DW-Verantwortlichen rundum schlechte Figur machen, besonders wegen erbärmlichen Mangels an Standhaftigkeit.
Nirgendwo aber hab ich auch nur den Versuch feststellen können, sich Zhangs Äußerungen als Ansichten eines Menschen zu erklären, der seine Wesensprägung in der chinesischen Gesellschaft erfahren hat und der die chinesische Realität ebenso adäquat betrachten kann wie ein Westeuropäers die europäische Gegenwartsrealität. Jemandem diese „originale“ Betrachtungsweise anzukreiden und ihm gar beruflichen Schaden zuzufügen, ist nichts anderes als eine subtile Form von Meinungsterror.
Dieser Vorwurf ist der Deutschen Welle ebenso zu machen wie der schweigenden Zuschauerschar in der BRD und der großen Mehrheit unserer Kollegen in allen Medien.
Meine Literaturempfehlung: Gustav Freytags Lustspiel „Journalisten“ (1853). Darin treibt der Journalist Schmock sein Unwesen, seither Inbegriff opportunistischer Medienvertreter, die gegen Bezahlung (oder um sich bei den politisch Mächtigen beliebt zu machen) gewünschte Beiträge verfassen.
Vergesst ihn nicht, den Schmock, liebe Kolleginnen und Kollegen!
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Volker Bräutigam schreibt für die Zeitschrift OSSIETZKY, Nachfolgerin der „Weltbühne“, die dem deutschen Journalismus zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Ehre gereichte. OSSIETZKY orientiert sich strikt an diesem Vorbild. (s.a. http://ossietzky.net).