John le Carré: Marionetten

Es wird Weihnachten und vielleicht wollen sich einige selbst Beschenken. Wer wirklich ein gutes Buch über den Verfolgungswahn unserer Sicherheitsexperten in Sachen islamistischer Terrorismus lesen will, der sollte sich für 22,90 € das Buch – Marionetten von John le Carré, Sabine Roth, und Regina Rawlinson kaufen.

Das der Altmeister der Geheimdienst- Thriller gute Romane schreibt und als ehemaliger britischer Secret Intelligence Service Mann (MI6) weiß, von was er schreibt, dürfte allgemein bekannt sein. Sein Roman Marionetten aber geht tief unter die Haut, zeigt den Verfolgungswahn der Neokonservativen ebenso, wie der Verlust der bürgerlichen Freiheiten in Folge dieses Wahns.

John le Carré gehört – nicht – zu den Autoren, welche die Gefahren des Terrorismus leugnen, auch nicht mit teilweisen dümmlichen Verschwörungstheorien, wie so manch anderer Autor. Verschwörungstheorien, die häufig in ihrer Substanz noch dünner sind als die offizielle Wahrheit.

Aber er gehört zu den analytisch, denkenden Menschen, denen klar ist, welchen Preis wir alle bezahlen und welch furchtbare Einzelschicksale dieser Verfolgungswahn der Sicherheitsexperten produziert.

Er zeichnet die Unfähigkeit deutscher Geheimdienste und die daraus resultierende Abhängigkeit von den Informationen der amerikanischen Geheimdienste ebenso auf, wie diese kleinen, dämlichen Verrücktheiten – von denen ich ohne Bezug zum Roman das BKA- Ermächtigungsgesetz oder die von der EU geplanten Ganzkörper-Scans auf den Flughäfen nennen möchte.

Er ist ein Suchender. Einer der vor dem Altar der Vernunft kniend betet, dass sich die wahren Werte der westlichen, politischen Kultur – der säkularen, humanistischen, liberalen, bürgerlichen Freiheitsrechte, insbesondere der Amerikanischen, wieder zeigen und am politischen Horizont Erscheinen mögen.

Auf vielen Seiten des Romans werden jene Mechanismen der politischen Macht erkennbar, welche auf die Verbreitung von Angst beruht. Einer Angst, die es erst ermöglicht die Grundrechte auszuhebeln und die politische Macht auszudehnen. (Wir sollten dabei vielleicht auch an die Terrorhysterie bestimmter Medien in Deutschland denken.)

Da gibt es den in Hamburg lebenden, tschetschenischen, illegalen Muslim „Issa“ und drei Romanfiguren in seiner Umgebung, darunter die Rechtsanwältin Annabel Richter, die (alle drei) von diesem angeblichen Top-Terroristen „Issa“ regelrecht verzaubert werden, nicht mehr wissend was richtig ist; – schwankend zwischen Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages oder den Erwartungen der Sicherheitsdienste – wissend oder vermutend – dass dieser Issa unschuldig ist – dass ihm Abschiebung und Folter in seiner Heimat drohen.

Das einzige was ich bedauerte war, dass es John le Carré offen lässt, ob sich Annabel Richter in ihren Mandanten verliebt hat.

 Einige Anmerkungen:

  • Issa ist der arabische Name von Jesus, der im Islam ein Prophet ist, welcher Mohammed vorausging.
  • Das Vorbild für die Romanfigur Issa soll der Bremer- Taliban Murat Kurnaz sein, bei dessen Schicksal mir persönlich klar wurde, dass diese angebliche Terroristenabwehr nichts Weiteres ist als die Verachtung des Menschen an sich, bei der – der Kauf einer Hose oder eines Fernglases zum Beweis für die Gefährlichkeit eines Ausgeguckten wird.
  • Ein besonderer Leckerbissen war für mich die Vermittlungsversuche der Rechtsanwältin Annabel Richter zwischen Issa und dem britischen Bankier Tommy Brue, die beide mit den wahren Gesichtern ihrer Väter konfrontiert werden und ihre Handlungen zwischen Erschrecken über dieses Gesicht des Vaters,  ihrer Abscheu von den Taten der Väter – und Wahrung des Scheins — ansiedeln.
  • Toll auch der Auflauf der Geheimdienste, die wie die Fliege auf einen Kuhfladen reagieren und nur deshalb in Issa (anfänglich) eine Gefahr sehen, weil die anderen Geheimdienste ja auch in Issa eine Gefahr sehen. Erkennen dann aber, dass sie einen unschuldigen „Trottel“ vor sich haben, den aber dann zum Top Terroristen hochlügen, um die (in ihrer Einbild vorhandenen) Kämpfer der al-Qaida in eine Falle zu locken.
  • Nicht völlig überzeugt hat mich die Figur der türkischen Sportskanone „Melik“, bei dem Issa Unterschlupf findet und von wegen Klassische Musik am Hamburger Hauptbahnhof, John le Carré hat eine Meise. Ich bin sicherlich häufiger in Hamburg als er – habe da aber noch nie klassische Musik auf dem Bahnhofsvorplatz gehört.
  • Der Leser findet sich in einer einzigen Anklageschrift gegen die praktizierte Terroristenabwehr wieder – locker dargeboten mit viel Clownerie – welche bei mir ab und an dem blanken Entsetzen wich. Man muss manchmal nicht nur LESEN – sondern sich auch die Romaniguren in der Realität vorstellen.

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