In den letzten Wochen hörten wir viel über die Gefahren im Internet, auf Kommentare zu diesen unsäglichen terroristischen Meldungen im Netz soll hier verzichtet werden.
Es geht erst einmal um die zahlreichen Meldungen, die vor Twitter und sozialen Netzwerken wie Facebook oder SchülerVZ gewarnt haben im Zusammenhang mit der Preisgabe der persönlichen Daten gerade unter den Jugendlichen und Kindern (7). Eltern werden verunsichert, sie wüssten meist nicht, was die Kiddis alles dort so treiben. Das ist zum Teil richtig, man sollte nicht in alle Welt persönliche Daten hinausposaunen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Nun gibt es eine neue Studie des „Brain and Creativity Institute“ der University of Southern California (USC), die uns vor anderen Gefahren als die oben erwähnten, nämlich vor Twitter @ Co warnt (1). Die Themen, uns das Internet zu vergraulen, gehen nicht aus. Eltern werden beim Lesen dieser Studie ganz besorgt sein und man hat sein Ziel erreicht, wenn Mama oder Papa den lieben Kleinen den Zugang sperren. Obwohl, technisch gesehen machen die den Älteren allemal was vor.
Fazit der Studie ist, das Internet macht uns unmoralisch und überfordert unser Gehirn. Die US-Wissenschaftler haben hier besonders Twitter und Facebook im Visier. Neue Beweise würden dafür vorliegen, dass die digitale Flut von Informationen aus Networking-Sites langfristig schädliche Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung von jugendlichen Gehirnen haben könnte.
Twitters und Facebook-Nutzer würden „gleichgültig für das menschliche Leid“, weil sie nie Zeit hätten, sich Gedanken zu machen über die Emotionen anderer Menschen. Dabei beziehen sie sich darauf, das das Gehirn in kürzester Zeit physischen Schmerz registriert, aber für die Entwicklung der Gefühle wie Bewunderung oder Mitgefühl länger benötigt. Sechs bis acht Sekunden hätten die Versuchspersonen benötigt, um den Inhalt einer virtuellen Nachricht mit sozialem Leid voll verarbeitet zu haben. Das spricht ja nun eigentlich nicht gegen Twitter oder soziale Netzwerke, denkt man an Radio und Fernsehen, da prasselt gleich die nächste Meldung im Sekundentakt herein.
Manche Leute haben im realen Umgang ein Aufmerksamkeitdefizit, hören nicht zu, sind nicht in der Lage etwas zu verarbeiten und sind in Gedanken schon bei der nächsten Thematik. Das hat nichts mit Internet zu tun, sondern liegt am Zeitgeist. Prof. Hartmut Rosas (Universität Jena, Soziologie) Veröffentlichungen zum Thema „Entschleunigung“ sind für diese im Hamsterrad Gefangenen zum Lesen zu empfehlen. Sogar hier im Internet, wenn man das möchte (2). Nehmen Sie sich Zeit 🙂
Der rasche Strom der Nachrichten-Schnipsel, der durch das Fernsehen, Online-RSS-Feeds oder soziale Netzwerke wie Twitter entstehen, verringere unsere emotionale Entwicklung.
Dieses Ergebnis der Studie ist einseitig und bietet Stoff für Diskussionen. Was das Fernsehen betrifft, ist man tatsächlich von dem Sendeplan, dem Inhalt, schnellen Schnitten und Werbeeinblendungen abhängig und guckt, das ist jedem selbst überlassen, die ganze Zeit passiv in die Röhre.
Dagegen gehalten werden muss: die Benutzung des Internets ist eine andere, eine aktive Angelegenheit. Hier bestimmt jeder in eigener Entscheidung, welche Webseite er zu besuchen gedenkt und wie lange er ein Thema darauf verfolgt, sei es das Lesen von Nachrichten und Informationen, das Verfassen einer Nachricht oder Gespräche im Chat bzw. Foren.
Wird er beim Chatten oder Schreiben in Foren auf interessante, ihm zusagende Gesprächspartner treffen, kann dies sehr entspannend, anregend oder bereichernd sein. Logisch, dass er bei Nichtinteresse diese Sachen nicht weiter verfolgt.
Findet er ein anregendes Thema, das ihn anspricht und berührt, entwickelt er dabei durchaus Emotionen, die Zeit ist ausreichend vorhanden, die die Studie dem Gehirn dazu abspricht. Schliesslich kann man sich beim Eintippen der Antwort sogar viel mehr Zeit lassen als im direkten Dialog oder am Telefon.
Nichts gegen unersätzliche Gespräche mit einem realen Partner, hier soll mit diesem Einwurf das Argument der Studie der mangelnden Zeit widerlegt werden.
Im Internet kann man beliebig in Ruhe Wiederholungen ausführen und analysieren.
Facebook: Was dieses mit schnellen Informationen und ihrer Nichtverarbeitung im moralischen Kontex zu tun hat, bleibt rätselhaft.
Die Studie prangert zu Recht eine Medienkultur an, in der endlos Gewalt und Leid gezeigt wird, dass zu einer Gleichgültigkeit gegenüber menschlichen Leidens führt. Aber, hier sollte sie Tageszeitungen und politische Wochenzeitungen sowie das Fernsehen mit der Schlagzeilenhascherei nennen, die selten ausführliche Hintergrundreflexionen bringen – ganz im Gegensatz zum Internet (mit Ausnahme der gleichen gewissen Mainstreamnachrichten), in dem durchaus unendlich viele Informationen und Diskussionen miteinander geführt werden können.
Selbstverständlich werden gerade bei schönen angenehmen, übereinstimmenden Gesprächsstoff oder kontroversen Debatten Gefühle entwickelt genau so wie bei dem Lesen von menschlichem Leid, das zu Solidaritätsbekundungen und Hilfsaktionen führen kann, die in ihrem Umfang eine Hilfe ohne Bekanntwerden im Netz bei weitem übertreffen.
Menschen, die hier für solche Emotionen nicht empfänglich sind, sind es auch im realen Leben nicht. Beispiele für rohe Personen, die sich nicht im Internet in sozialen Netzwerken bewegen, wird wohl jeder zur Genüge nennen können.
Soziale Netzwerke würden Schuld daran tragen, dass man zu wenig Zeit darauf verwendet, sich im realen Leben mit Freunden zu treffen.
Und diese Aussage ist nun vollkommen falsch.
Gerade durch das Kennenlernen von Leuten mit den gleichen Interessen im Internet finden jeden Tag auf der ganzen Welt Verabredungen statt, die sonst nie voneinander gehört hätten, sei es privater Natur oder Vereine wie die von Dampflokomotivenfans, Künstler, Musikgruppen, sozialengagierte Aktionsgruppen, Umweltaktivisten, Bürgerrechtler.
Sie können gemeinsame Aktionen planen, die sie virtuell und real zusammenführt. Und dies effektiv und schnell.
Erfahrungen dazu sind hier sehr gern als Kommentar willkommen.
Wenn es um den blitzschnellen Austausch von Nachrichten rund um den Erdball geht, die man von oberen Stellen lieber verheimlicht wüsste, nun, keiner wundert sich mehr über die ständigen Diskreditierungen und Zensurmassnahmen dieser freien Welt.
Auch der Vorabauszug der genannten Studie von der dailymail am 14. April ist als ein solcher Manipulationsversuch zu verstehen. Die Studie erscheint nächste Woche in Proceedings of the National Academy of Sciences Online Early Edition. Immerhin wird erwähnt, dass die digitalen Medien bis zu einem gewissen Grad für geistige Prozesse besser geeignet sind.
Wenn man damit die Vernetzung, die Informationen, das Verständnis der lokalen und globalen Ereignisse in ihren Zusammenhänge meint, wissenschaftlich und gesellschaftlich, kann man dem nur zustimmen.
Man denke auch an die Nutzung der frei zugänglichen Wissensdatenbanken.
Das Interesse an Informationen und Austausch wächst, die neuesten Zahlen aus dem Google AdPlanner:Twitter legte um mehr als 400% Besucher in Deutschland zu, Facebook um 9,5%, StudiVZ und SchülerVZ werden ebenfalls verstärkt in Anspruch genommen (6). Wenn es nach der Studie gehen würde, hätten wir nun in verstärktem Masse lauter Leute vor uns, die gefühlsmässig zu verrohen drohen. Eine vollkommen absurde Vorstellung.
Die nachfolgenden Beispiele wären ohne das Internet nicht möglich gewesen. Und es könnten an dieser Stelle noch Tausende andere stehen.
Beispiel Twitter: Bericht aus Die Zeit: „So beschrieb die Autorin Zoe Margolis in der britischen Tageszeitung The Guardian, wie sie auf der Webseite des sozialen Netzwerks nach Erklärungen suchte, nachdem sie merkte, dass ihr Buch Girl with a one-track Mind seinen Amazon-Verkaufsrang verloren hatte.
Auf Twitter fand sie bald heraus, dass sie nicht die einzige Betroffene war und beriet sich mit anderen Benutzer über Gegenmaßnahmen. Innerhalb von Stunden entstand so eine Protestgruppe – nicht auf der Straße, sondern auf der Datenautobahn. Einen Tag später veröffentlichte Amazon seine Entschuldigung.“ (8)
Beispiel organisierte Proteste, email-Aktionen und Demonstrationsaufrufe gegen den Anbau von Genmais in Deutschland, die erfolgreich waren (3),(4)
Beispiel Bekanntwerden von industriellen Raubbau an der Natur auf der anderen Seite des Planeten in Australien (5).
Die Menschen sind in einer neuen Zeit, im 21. Jahrhundert angekommen. Das etablierte System trauert weiterhin dem 19. Jahrhundert mit seiner Ausbeutung nach und versucht dem entsprechend das Internet als Informationsquelle zu reduzieren.
Quellenangaben:
(1)
http://www.dailymail.co.uk/news/article-1169788/Twitter-make-immoral-claim-scientists.html
(2)
http://qtl.appspot.com/?cx=partner-pub-8392726761634214%3A9cij9ki49t9&cof=FORID%3A10&ie=UTF-8&q=Prof.+Rosa+entschleunigung&sa=Search#1120
(4)
http://www.gruene.de/no_cache/einzelansicht/artikel/nicht-stehen-bleiben-jetzt-gegen-gen-mais-in-europa-kaempfen.html?tx_ttnews[backPid]=1
(5)
http://www.indymedia.org/de/2009/04/923313.shtml
(6)
http://meedia.de/nc/details/article/plus-400–twitter-boomt-in-deutschland_100019534.html
(7)
http://www.badische-zeitung.de/muellheim/sicherheit-im-internet-x1x–13443465.html
(8)