Als ich Georg Schramm das erste Mal Mitte 2000 auf einer Kleinkunstbühne in Frankfurt/Main sah, wusste ich nicht so recht, ob mir Lachen, Weinen oder einfach Wut diese Schluckbeschwerden verursachten, welche ihrerseits einfach nicht zuließen, dass ich das eben Gesehene verdauen könnte.
Möglicherweise war es auch der Tatsache geschuldet, dass ich kurz davor Aristoteles‘ Poetik gelesen und zumindest jetzt verstanden hatte, wie lebendig seine über 2000 Jahre alten Studien über die Tragödie waren. Dass eleos (Jammer) und phobos (Schauder) [1] wohl tatsächlich auf die Katharsis – die Reinigung – zielten und die Komödie nichts weiter als ein Teil der Tragödie war, wo das Lachen den Effekt der Reinigung übernahm, lehrte mich Schramm an diesem und anderen Abenden, bei welchen er das Publikum immer auf seinen Balanceakt zwischen befreiender Schadenfreude über die Schelte für die Politikerklasse einerseits und der Empörung andererseits, sich selbst in vielen Vorurteilen und Klischees andererseits zu finden, mitnahm.
Einige Jahre später strahlte ein Rundfunksender ein sehr interessantes Feature über ihn aus. Hier erfuhr man von Georg Schramm, dass man beispielsweise den Sputnik-Faktor nicht außer Acht lassen dürfe, wenn man über den Zugang zur Bildung für Proletarierkinder aus den 50er und 60er spräche. Erst der Wettlauf zum Mond machte terrestrischen Betonköpfen Beine, beflügelt von der Panik, nicht noch einen Planeten an die Russen zu verlieren, ohne dass jene ihn jemals betreten hätten. Dass der Mars schon immer rot schimmerte, erwähnte er dabei nicht, wie er auch viele andere Dinge nichts sagte.
Trotzdem erfuhr ich hier, dass Georg Schramm eigentlich Psychologie studiert und diesen Beruf auch tatsächlich zwölf Jahre in einer neurologischen Reha-Klinik ausgeübt hat. Nun, irgendwie macht er dies ja immer noch, diesmal jedoch nicht unbedingt als Bediensteter, als vielmehr als Patient – quasi in Dreifaltigkeit. Schließlich lebt das Programm von Georg Schramm von den drei bekanntesten Figuren, die er abwechselnd zu immer neuem, wütendem Leben erweckt:
Der preußische Rentner Lothar Dombrowski, bei dem viele vermuten, er habe seine rechte Hand im Krieg verloren, obwohl dies niemals explizit erwähnt wurde, ist insofern ein sehr gutes Beispiel, wenn es um Projektionen, Projekte oder um Programme geht. Dieser renitente, verbitterte Mann nimmt kein Blatt vor den Mund und versucht auch im neuen Fernsehformat ‚Neues aus der Anstalt‘ seine Vorstellungen von Moral, Tugenden und Vorbildern (meist ungefragt) an den Mann/die Frau zu bringen. Unterstützt wird er dabei sporadisch von Oberstleutnant Sanftleben, der seinerseits einen Teil von Schramms Biografie repräsentiert, war er doch schließlich Offizier der Reserve.
Der unverbindliche Befehlston ist hierbei nur ein Beispiel für eine Widersprüchlichkeit, die eigentlich und vielmehr die Untrennbarkeit vermeintlicher Gegensätze aufzeigt. Schrecken und Lachen, Komödie und Tragödie – alles findet in der ‚Anstalt‘ seinen Platz, manchmal in der ersten Reihe und manchmal leider auch auf der Hinterbank.
Mitunter zeigt sich dieses Programm und trotz Georg Schramm etwas zu sehr auf Lacher ausgelegt. Wer weiß, ob ein Gastauftritt des dritten Schramm‘schen Alter Egos – des hessischen Sozialdemokraten August – da ein wenig Abhilfe schaffen könnte. Schließlich wurde Georg Schramm in Bad Homburg, also praktisch vor den Toren Frankfurts, geboren. Trotz oder womöglich auch aufgrund der Tatsache, dass in Schramms Elternhaus niemals Hessisch gesprochen wurde, verkörpert diese Figur nicht nur sprachlich eine ganze Generation, deren politischen Glauben und schließlich auch deren kollektive Enttäuschung.
Insofern mag ‚Neues aus der Anstalt‘ uns Zuschauern ein wenig als Wegweiser in Richtung geschlossene oder aber auch offene Abteilung dienen. Schließlich können wir entscheiden, wie und ob wir das ambulante Angebot (die Sendung wird einmal pro Monat ausgestrahlt) annehmen oder uns doch eher stationär behandeln lassen möchten – d.h. die tägliche Berieselung mittels mediokrer Comedy-Formate wählen. Eins steht in jedem Fall fest:
Georg Schramm eignet sich nicht als Beruhigungsmittel, wenn es um Paranoia, Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit geht. Nein, seine Figuren sind Anstifter, die heilsames Feuer legen können. Sie stacheln an zur kleinen Revolution, zum Nein-Sagen, wenn es um alltägliche Ungerechtigkeiten, politische Willkür, Verschwendung öffentlicher Gelder und andere Entgleisungen nicht nur seitens der Bahn geht. Mögen seine Charaktere auch gespielt sein – die Empörung ist ohne jeden Zweifel echt.
Die Verpackung in den Rentner Lothar Dombrowski, den hessischen Sozialdemokraten Augustoder eben auch in Oberstleutnant Sanftleben sind dabei nur ‚Hülsen‘, die wirklich scharfe, satirische Munition in sich tragen und mit erfreulicher Regelmäßigkeit die Bomben zum Platzen bringen.
Ob die ‚Anstalt‘ Georg Schramm heilen wird, bleibt abzuwarten, aber nicht zu hoffen!
Lesehinweise:
[1] Aristoteles: Poetik – 6. Tragödie „… wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt.“
Aristoteles: Poetik – 6. Tragödie http://www.digbib.org/Aristoteles_384vChr/De_Poetik
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