Von Lopez Suarez | Womblog | – Ratten gelten und galten seit jeher als schmutzige und ekelerregende Tiere, deren Auftreten immer schon als unheilvolles Zeichen galt – grausame Tierexperimente mal nicht berücksichtigt. Sei es, dass sie die Pest brachten oder irgendeine andere Apokalypse ankündigten – als Unheilboten sind sie weit bekannt und gefürchtet.
Insofern treten sie auch in der Literatur als hermeneutische Schlüsselfiguren auf, die den Tod und das Verderben immer wieder antizipiert kommunizieren, ja sogar die Menschheit warnen möchten, auf dass dieses fragile Sozialkonstrukt umdenke und sich rette. Doch wie in vielen Fällen kommt ihre Warnung oder ihr Auftreten immer zu spät, zumindest für den Großteil der Menschheit. Dieses Bild unterscheidet sich weder in Camus Die Pest [1] noch in Günther Grass’ Die Rättin [2]. In beiden epochalen Werken tauchen die Ratten nicht unbedingt als frohe Botschafter, dennoch als Symbole auf, welche den nahestehenden Tod aller Menschen ankündigen – und wie immer damit ins Leere laufen.
Albert Camus setzte bei seinem Drama auf die Ratten als erste Opfer einer geheimnisvollen Epidemie, die sich schließlich als die Pest entpuppt. Grass hingegen lässt es etwas surrealer angehen und beschreibt die Ratten als Kassandra [3], die ihrerseits ja auch ungehört blieb und für ihre Visionen geächtet und bestraft wurde, weil niemand denken sollte, er kann Menschen vor jenem ungestraft warnen, vor dem sie sich in Gebetszyklen, Kneipen und medialen Mülldeponien flüchten.
Während es bei Grass ein einziger Mensch ist, der einsam in einem Raumschiff die Atomkatastrophe überlebt hat und nun im Dialog mit einer Ratte zusehen muss, wie diese Nagetiere die Welt beherrschen, findet sich bei Camus das Sterben der Ratten als Initialzündung für die grassierende Pest, der zahllose Menschen zum Opfer fallen, die sie andererseits aber auch im Kampfe einigt. Schließlich ist nämlich das zentrale Element dieses Dramas nicht unbedingt die Pest, sondern die Isolation der Menschen, ihre Abtrennung voneinander.
In diesem Zusammenhang lässt sich, wenn auch mit etwas Mühe, das gesellschaftskritische Element entdecken und ohne Zweifel Analogien knüpfen zu bestehenden Formen des Zusammenlebens. Nehmen wir beispielsweise die Politiker und ihr natürliches Habitat, nämlich das Fernsehen. Politiker sind längst keine Volksvertreter mehr, es sei denn, sie vermuten es hinter einem Plasma-Bildschirm. Politiker aller Parteien sind vielmehr selbstgefällige Medienjunkies geworden, die sich keine Möglichkeit entgehen lassen, um sich beim 16:9-Grinsen auch filmen zu lassen. Neben ihren Diäten teilen sie sich wohl auch die GEZ-Gebühren als Aufwandspauschale und quälen uns Bürger mit ihrer Omnipräsenz. Man kann ihnen faktisch nicht entkommen, fühlt sich umzingelt und mit dem Rücken zur Wand gestellt.
Tatsächlich jedoch wäre es an der Zeit, diese kollektive Wahrnehmung in ebensolche Tat umzuwandeln und Politiker/innen wieder in ihre Quarantänestationen – den Bundestag- und Rat, die Ausschüsse und Gremien – zu verbannen. Schließlich gehören sie genau dorthin. Ihre zunehmende Anwesenheit in unserem privaten Leben lässt Böses erahnen. Wenn sie nämlich ständig im TV sind, können sie nicht gleichzeitig vernünftige Politik machen.
Aber da genau beginnen wir uns zu gruseln und zu fürchten. Ähnlich der Pest scheinen ihre Ideen und politischen Konzepte amorph und damit überhaupt nicht fassbar für jene zu sein, die sie eigentlich verstehen sollten – die Wähler/innen. Auch die Desinfektion durch Ab- und Neuwahlen lässt immer wieder auf Camus’ Pest und die Folgen für die betroffene Stadt Oran schließen: Am Ende weiß der Erzähler zu berichten, dass die Pest nur schläft und praktisch jederzeit wiederkehren kann, wenn es denn notwendig scheint, ein Umdenken zu veranlassen. Doch genau dieses Umdenken erfahren nur jene, die direkt betroffen waren, Freunde und Verwandte verloren oder selbst nur knapp überlebten. Für die anderen hat diese Katastrophe nie stattgefunden. Kein Änderung der Verhaltensweisen in Sicht, dafür jedoch die Gewissheit, dass sie beim nächsten Mal wieder „verpestet werden, womöglich bereits eine gewisse Immunität dagegen aufgebaut haben.
Das genau darf uns Bürgern niemals passieren. Wir dürfen diese Pest nicht einfach so hinnehmen und hoffen, dass sie uns verschone, solange wir den Kopf einziehen. Der permanente Zustand der Vergiftung darf keine Gleichgültigkeit und Gottergebenheit hervorrufen, denn sonst hat die Moral der Pest oder eben jenes, was wir an Moralischem daraus ziehen, keine Chance und ein Zustand ewiger Lethargie wird den Boden für selbstgefällige Politiker/innen ebnen, die dann eigentlich nichts mehr machen müssen, außer sich selbstverliebt in der medialen Manege Tigern ohne Zähne und Krallen zu stellen.
Nein, die Pest muss in sich nicht schlecht oder böse sein. Es geht vielmehr darum, ihre Symptome und Vorzeichen deuten, aber nicht mit ihr Leben zu lernen. Wer sich mit einer Seuche arrangiert, verrät die Solidarität und den Altruismus. Egoisten gibt es auf der politischen Bühne schließlich genug. Da fühlt man sich mitunter an die Büchse der Pandora [4] erinnert und fragt sich, was an den in ihrem Kämmerlein eingeschlossenen Verwaltungsbeamten denn so falsch war. Schließlich sind die schillernden Party-Politiker und ihre Vergeudung wertvoller Sendezeit und Steuergelder bestimmt kein adäquater Tausch. Die wahre Pest ist demnach der Irrglaube, dass Diskussionsrunden im Fernsehen wirklich was mit Debatten zu tun haben. Vielmehr geht es dabei um die Verbreitung einer Seuche und das Verhindern einer Antikörper-Bildung, die uns nicht unbedingt immun, sondern im Gegenteil anfällig und damit aber auch wütend machen kann angesichts einer Berufsgruppe, die davon lebt, ihre Aufgaben chronisch zu versäumen und den Bürgerwillen zu verhöhnen.
Insofern muss die Forderung Bestand haben, Politiker tatsächlich in die Quarantäne zu verbannen, damit sie beweisen können, frei von pestilenten Einstellungen und Erregern und voller tatsächlichem Elan zu sein. Wir hingegen sollten nicht nach dem Antiserum oder einer Impfung gegen diese Art von Pest suchen. Nein, wir sollten sie mit offenen Augen anvisieren und jeglicher Gleichgültigkeit vorbeugen.
Dieser Text darf frei verwendet werden und unterliegt einer Piratenlizenz.
Lesehinweise:
[1] Albert Camus Die Pest
http://www.die-leselust.de/buch/camus001.htm
[2] Günter Grass Die Rättin
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_R%C3%A4ttin
[3] Kassandra
http://de.wikipedia.org/wiki/Kassandra_(Mythologie)
[4] Büchse der Pandora