Beim Psychotherapeuten
Beim Psychotherapeuten
(eine satirische Analyse der Gegenwart)
Assistentin: Mit einem Lächeln. Herr Bürger, bitte!
Patient Bürger: Stimmt etwas nicht mit mir? Oder ist es mein Name, weshalb sie lachen?
Assistentin: Nein, Nein! Entschuldigung! Mit ihnen hat das nichts zu tun. Ich las eben nur einen Artikel von einem Mann, der sich in einer Moskauer Klinik eine Penisvergrößerung von 15 auf 25 cm machen ließ. Nach einem Monat kam er wieder zurück und ersuchte die Ärzte, den Eingriff wieder rückgängig zu machen, da keine Frau mehr mit ihm verkehren wollte. Der Arzt sagte, wenn es eine chirurgische Möglichkeit einer Gehirnerweiterung gäbe, würden sie ihm einen Gratisversuch anbieten.
Patient Bürger: Der Mann wäre dann eher ein Fall für sie, als für die plastische Chirurgie.
Assistentin: Mit Gehirnerweiterung hat unser Institut nichts zu tun. Da wären wir bald arbeitslos. Aber nun zu ihnen. Sie sind also Herr Bürger, und sie verstehen sich als Repräsentant einer Gruppe, die sich Gesellschaft nennt, und sie sind der Meinung, dass all ihre bisherigen, konventionellen Therapieversuche, durch geändertes Wahlverhalten und politischen Druck, kläglich gescheitert sind, ja teilweise sogar zu gegenteiligen Effekten führten, die die negativen Kräfte der Selbstzerstörung noch zusätzlich verstärkten und beschleunigten. Bevor wir den Herrn Professor mit der eigentlichen Behandlung betrauen können, müssen wir noch einige Fragen, vor allem über die Höhe des Honorars, aber auch hinsichtlich der Erfolgschancen klären, weil ein hoffnungsloser Fall, der Reputation unseres hoch angesehenen Privatinstitutes schaden würde, und deshalb von uns a priori abgelehnt werden muss. Daher bitte ich sie, zuerst diesen Fragebogen auszufüllen, erst dann können wir, nach einer sorgfältigen Prüfung und Auslotung aller Risiken, über eine mögliche Annahme und die für sie geeignete Therapie entscheiden.
Patient Bürger: Ja, aber es handelt sich doch um einen dringenden Fall, wie ich bereits sagte, um Selbstzerstörung, Suizidgefahr einer Gesellschaftsordnung. Es ist Gefahr im Verzug, und alle öffentlichen Institutionen wurden doch in den Konkurs getrieben und privatisiert, allein deshalb kann man mich doch nicht abweisen.
Assistentin: Ach! Da sind sie aber schwer im Irrtum. Gerade wegen dieser Privatisierung, unterliegen wir ja auch keiner Behandlungspflicht. Dieses ganze asoziale Gesindel sind ja ohnehin nur Sozialschmarotzer, ein gesellschaftliches Übel, ein Ballast nur, der unseren geplanten gesellschaftlichen Höhenflug hemmt. Aber auch dafür, wird sich eine humane Lösung finden. Ein Hartz IV Ghetto scheint ein möglicher Lösungsansatz zu sein, um diesen Abschaum von unseren guten, kritiklosen Erfolgsmenschen fern zu halten. Wir haben jetzt die selektive Betreuung, wonach jeder entsprechend seiner Vermögensverhältnisse und seiner sozialen Bedeutung individuell betreut und versorgt wird. Oder haben sie vielleicht schon vergessen, wie schlecht alles Staatliche und wie gut alles Private ist.
Patient Bürger: Nein, nein! Diese Slogans haben sich tief in mein Bewusstsein eingegraben und wurden, so wie ein Tinnitus, zu meinem ständigen Begleiter. Aber die Medikamente der bisherigen Behandlungen scheinen an Wirkung zu verlieren, da mich schon wieder Gedanken quälen, die mich zum Handeln zwingen, um eine Reanimation menschlicher und gesellschaftlicher Werte herbeizuführen, die eine Wiedereingliederung in die internationale Rechtsordnung ermöglichen könnten. Was jedoch die Frage des Honorars betrifft, so kann ich zwar kein Geld anbieten, da uns durch die erzwungenen Opfergaben an die neoliberalen Götter, so gut wie nichts an Volksvermögen übrig geblieben ist, aber wir wären bereit Vernunft einzubringen, um die drohende Katastrophe gemeinsam abzuwehren, was sicher auch in ihrem Interesse wäre.
Assistentin: Dann sieht es allerdings sehr schlecht für sie aus, denn der Herr Professor hat, ebenso wie sein elitärer Zirkel, längst aufgehört selbständig zu denken. Er bewegt sich in einer Art gedanklicher, geopolitischer Endlosschleife, die durch blindes Streben nach einer Weltregierung den Bezug zur Realität längst verloren hat. Außerdem ist man in seinen Kreisen nicht an Vernunft interessiert, da es den Geldfluss abgraben und den Korruptionssumpf austrocknen würde. Unser Institut ist deshalb so erfolgreich, weil der unbewussten Programmierung der Schafe, durch permanente Wiederholung von Schlüsselwörtern und falschen Assoziationen, für die Erreichung des angestrebten Zieles, größte Bedeutung zukommt. Daher war es doch sehr nahe liegend, unseren Herrn Professor für diese Aufgabe zu gewinnen, da er ja eine absolute Koryphäe im Wiederkäuen wissenschaftlicher Termini technici ist, gelingt ihm auch die Bewusstseinssteuerung der Herde, als bezahlter Experte für Öffentlichkeitsarbeit, vorzüglich. Seit er diesen Posten bekleidet, reagiert er nur mehr auf das Schlüsselwort Mammon. Ohne derartiger Reize gelingt ihm einfach keine Reproduktion simpler Sachverhalte in lateinischer Interpretation mehr, sodass ein für jedermann unverständlicher Kauderwelsch diagnostiziert und formuliert werden kann, der dann, aufgrund der einflussreichen, wissenschaftlichen Position und des hohen gesellschaftlichen Prestiges des Herrn Professors, gleichsam dogmatische Unfehlbarkeit erlangt. Indem sie jedoch von einer akuten Gefahr sprechen, die auch mich betrifft, verspüre ich eine gewisse Beunruhigung in mir und verständlicher Weise auch Neugier, sodass ich doch mehr über ihren Fall erfahren möchte.
Patient Bürger: In den von ihnen zitierten Unterlagen, scheint auch einiges im Argen zu sein, da bei deren Richtigkeit das Problem ja nicht existent wäre. Genau genommen handelt es sich in meinem Fall inzwischen um eine Minderheit, sozusagen um den denkenden Kern unserer Gesellschaft, deren kleinste Einheit ich als Subjekt hier vertrete. Ich betone das, weil ich Wert lege auf die Tatsache, dass jeder einzelne von uns seine individuellen Unterschiede aufweist und dass es nur bestimmte gemeinsame Interessen sind, die uns als Gruppe oder Volk vereinen. Folglich kombiniere ich, durch induktive Schlussfolgerung, wenn Rechte und Freiheiten des Individuums beschränkt und verletzt werden, verstößt der Staat gegen seine Verpflichtung im Interesse der Allgemeinheit zu handeln, wodurch er seine Legitimation als Staat verliert. Wer die angeborenen Rechte des Einzelnen auf Leben, Freiheit, Würde, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung nicht achtet, was sozusagen den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt, ist nicht Freund sondern Feind des Menschen. Ihre vermutete Einheit, wie sie meinen, ist längst durch die indoktrinierten Heilsbotschaften der Selbstregulierung und Liberalisierung von den Laissez-faire Göttern vernichtet worden. Mir kommen auch oft böse Gedanken, dass all die großen Vorbilder unserer Gesellschaft und Ideale unserer Jugend eher das Gegenteil von dem sind, was man uns vormacht. Oh! Mein Tranquillizer schein gerade wieder den Kampf gegen meine innere Stimme zu verlieren. Hören sie nur! Hören sie die Stimme?
Justitia, befreie dich!
Justitia, war vom Olymp gestiegen, um mit Recht und Ordnung die Anarchie zu besiegen.
Wo Mörderbanden wüten, toben, da wird ein Volk in Angst regiert von oben.
Wo Freund und Helfer intrigieren, da kann die Freiheit nur verlieren.
Den friedlichen Bürger sollten sie schützen; anstatt zu verpassen ihm eins auf die Mützen.
Der Vaterlandsdiener, wer kennt ihn nicht, tut auch nur seine Bürgerpflicht.
Er schwor einen Eid auf Leben und Tod, wenn der Staat wird von außen oder innen bedroht,
dann beschützt er uns alle im Verteidigungsfalle.
Wissen ist Freiheit, Wissen ist Macht!
Wir sind das Volk, wir haben die Macht!
Doch hört nur die Stimmen, was ist da geschehen?
Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen!
Sie logen, betrogen und ergriffen die Macht, der Staat korrumpiert und die Freiheit verlacht.
Justitia geschändet, misshandelt und zur Hure gemacht, so war das niemals ausgedacht.
Die Gleichheit vorm Recht, wie in der Magna Charta versprochen, habt ihr gebrochen.
Seid ihr des Wahnsinns, seid ihr besessen, habt ihr den Sturm auf die Bastille vergessen?
Die Rechte der Bürger, die uns damals gewährt, habt ihr inzwischen ins Gegenteil verkehrt.
Wissen ist Freiheit, Wissen ist Macht!
Wir sind das Volk, wir haben die Macht!
Doch hört nur die Stimmen, was ist da geschehen?
Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen!
Was rechtens getrennt, das wurde vereint, aus den Säulen der Macht ein Monster gemacht.
Verwandelt Militär und Polizisten zu Kriegsverbrecher, Terroristen.
Sie sprengten die Türme und erklärten den Krieg, public relations versprach den Sieg.
Doch was von Edward Bernays so erfolgreich begonnen, ist durch Blogger wie Eis in der Sonne zerronnen.
So war es dann auch, als der Krawattenfresser den Russen rannte ins offene Messer.
Propaganda und Lügen halfen nicht mehr, der Aggressor war er.
Wissen ist Freiheit, Wissen ist Macht!
Wir sind das Volk, wir haben die Macht!
Doch hört nur die Stimmen, was ist da geschehen?
Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen!
Ihr paktiert im Geheimen, belügt und betrügt, so seid ihr Putschisten und dient den Faschisten.
Wie könnt ihr es wagen, ohne das Volk zu fragen, setzt außer Kraft, was unsere Souveränität ausmacht.
Da waren Gedanken, ich wies sie in Schranken.
Ich könnt euch zerreißen, in den Arsch euch beißen.
Wie nennt ihr euch? Volksvertreter! In meinen Augen bloß Hochverräter.
Wissen ist Freiheit, Wissen ist Macht!
Wir sind das Volk, wir haben die Macht!
Doch hört nur die Stimmen, was ist da geschehen?
Sie konnten der Versuchung nicht widerstehen!
Die Zentralbanken wurden zu Raubritterburgen, was Vernunft verneint, haben sie vereint.
Wo Glaube, Heer und Geld sich einen, durch eine Dunkle Macht der Teufel erwacht.
Neoliberalismus, der neuen Götter Glaube vereint diese Mächte unter einer Haube.
Die Hölle wird damit entfacht und einem friedlichen Volk der Krieg gemacht.
Was? Ihr wollt uns zur Ader lassen, damit wir uns alles gefallen lassen.
Lissabon wir es mit uns niemals geben, doch wenn ihr es wagt, erlebt ihr ein Beben, wie nur einmal im Leben.
Da kann kein Gott die Augen verschließen, und zusehen nur beim Blutvergießen.
Gott hat sie einst aus dem Tempel verjagen, denn sie waren die schlimmste aller Plagen.
Jeder muss sein Bestes geben, denn Freiheit ist, wie die Luft zum Leben.
Assistentin: Mir scheint, sie rennen ja tatsächlich nicht rund. Ich werde sofort den Herrn Professor rufen.
Professor: Veranlassen sie unverzüglich eine Einweisung in eine geschlossene Anstalt, wegen Pandemiegefahr infolge akuter kontagiöser Kontaminierung freigeistlichen Denkens auf arglose, nichts ahnende Bürger.
Autor: Franz Mayer
Verfasst: 10. Jun. 2009
mayer.franz (at) aon.at