Aus Glitzerband wird Rostgürtel a la Chasm City – Aufstieg und Niedergang der amerikanischen Städte der Autoindustrie
Kennen Sie die mehrteilige „dark hard“ Space Opera des Physikers und Astronomen Alastair Reynolds? Bis April 2004 arbeitete Reynolds als Wissenschaftler für die Europäische Raumfahrtbehörde (ESA).
In seinem Zukunftsroman „Chasm City“ (Teil des „Offenbarung“- Romanzyklus, erschienen 2001) ereilen die einst blühenden Habitate und am weitesten fortgeschrittene Zivilisation in der Geschichte der Menschheit – das Glitzerband – um den Planeten Yellowstone einen jähen wirtschaftlichen und damit verbundenen sozialen Verfall infolge der bewusst durch ihre Elite herbeigeführten Schmelzseuche, bei der eine Art Virus Nanotechnologie befällt. Aus dem Glitzerband wird der Rostgürtel. Reynolds Romane enthalten viele psychologische (Erinnerung, Idendität, skrupelloses Machtstreben, Korruption) und technologische Analogien inklusive Warnungen vor ausufernden unmenschlichen technischen Möglichkeiten in seinen Zukunftsszenarien für die Menschheit. Die funktionierende Stadt mit ihrer gesellschaftlichen und physischen Struktur ist Thema dieses Romans.
Die USA haben auch einen Rostgürtel – die Autoindustriestädte, zusammengebrochen infolge des Virus Habgier und Gewinnmaximierung der elitären Kreise auf Kosten der Bevölkerung und zuvor erfolgtem bedingungslosen Wirtschaftswachstums.
Eine davon ist Flint, die viertgrösste Stadt im US-Bundesstaat Michigan. Der Niedergang dieser Stadt begann schon in den 80er Jahren, als General Motors die Produktionsstätten für die Automobilindustrie stilllegte bis in die 90er Jahre hinein. Die Stadt gilt als verarmt, ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Der Umwelt wurde durch die Auto-Industrie grosse Schäden zugefügt.
Jetzt soll die Stadt zum grossen Teil der Natur zurückgegeben werden, die wirtschaftlichen Zeiten haben sich dramatisch geändert. Die Stadt leidet an Bevölkerungsschwund, mangelnde Auftragslage des Gewerbes und Rückgang lokaler Dienstleistungen.
Dan Kildee, Schatzmeister des Genesee County, zu dem Flint gehört, hat schon während des Wahlkampfes Barack Obama diesen Vorschlag unterbreitet. Ganze Stadtteile und Bezirke sollen mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht und wieder Teil der Natur werden.
Da Flint nicht die einzige Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika ist, die von diesem Niedergang betroffen ist, wendet sich die US-Regierung und Wohltätigkeitsverbände an Dan Kildee, um seine Erfahrungen im Rückbau der Stadtbezirke kennenzulernen.
Nach einer aktuellen Studie der Brookings Institution, einem einflussreichen Washingtoner Think-Tank, sind mindestens 50 Städte in der gleichen Situation wie Flint und müssen erheblich in der Fläche schrumpfen im Verhältnis zu ihren Vermögen.
Die meisten sind ehemalige Industriestädte im „Rost-Gürtel“ von Amerika‘s Mittleren Westen und im Nord-Osten. Dazu gehören Detroit, Philadelphia, Pittsburgh, Baltimore und Memphis.
In Detroit, dass von den Problemen der US-Automobilindustrie niedergedrückt ist, gibt es bereits Pläne, die Stadt in eine Ansammlung von kleinen städtischen Zentren voneinander getrennt durch die Landschaft aufzuteilen.
„Die eigentliche Frage ist nicht, ob diese Städte schrumpfen – wir schrumpfen alle – sondern ob wir es in einer destruktiven oder nachhaltigen Weise zulassen.“ sagte Herr Kildee. „Der Rückgang ist eine Tatsache des Lebens in Flint. Widerstand dagegen ist wie gegen die Schwerkraft anzukämpfen.“
Karina Pallagst, Direktorin des globalen Perspektive-Programms „Schrumpfende Städte“ an der University of California, Berkeley, sagte, es sei „auch ein kulturelles und politisches Tabu“ über die Zulassung dieses Rückgangs in Amerika zu sprechen. „Orte wie Flint haben hit rock bottom. Sie sind an dem Punkt, wo es ist besser, eine Menge von Gebäuden abzureissen.“
Flint, sechzig Meilen nördlich von Detroit, war die ursprüngliche Heimat von General Motors. Der Autoriese beschäftigte einst 79.000 Menschen vor Ort, aber diese Zahl hat sich auf rund 8.000 reduziert. Die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung, die sich fast um die Hälfte auf 110.000 Bewohner halbiert hat.
Die Abwanderung – vor allem der jungen Menschen – in Verbindung mit den sich daraus ergebenden Zusammenbruch der Immobilienpreise führte dazu, dass Strasse um Strasse in den Abschnitten der Stadt fast vollständig aufgegeben wurden.
Im Zentrum der Stadt befand sich einst das Grand Hotel Durant – benannt nach William Durant, dem GM-Gründer – und ist ein Symbol für den Niedergang der Stadt, sagte Kildee. Das große Gebäude steht seit 1973 leer, etwa seit der Zeit, als Flints Niedergang begann.
Herr Kildee sagte, dass derjenige, der fast sein ganzes Leben lang dort lebte, die tiefsitzende amerikanische kulturelle Mentalität überwinden muss, um die kommende Zersiedelung der Städte zu begreifen. Flint umfasst 34 Quadrat Meilen.
„Die Obsession mit Wachstum ist leider eine sehr amerikanische Sache. In den USA gibt es die Annahme, dass alle Entwicklung gut ist, dass die Gemeinden wachsen, wenn sie erfolgreich sind. Wenn sie schrumpfen, sind sie es nicht.“
Einige Müllautos sammeln nur einen Beutel voll Müll in der Woche, Straßen sind verfallen, die Polizei sind sehr unterbesetzt und es gibt einfach zu wenige Menschen, die für diese Dienstleistungen bezahlen. „Wenn die Stadt nicht zurückbaut wird, wird sie schliesslich in Konkurs gehen“, fügte er hinzu.
Zu Flints Sanierung wurde vor ein paar Jahren eine neues Gesetz verabschiedet, dass der Stadtregierung erlaubte, sehr billig Grundstücke aufzukaufen, um die Häuser abzureissen, zu verkaufen oder zu vermieten.
Die Stadt will die Spezialisierung in den Bereichen Gesundheit und Bildung fördern, beides Gebiete, die nicht so leicht ins Ausland verlagert werden können.
Die lokale Behörde hat die Stadt wieder attraktiver gemacht, indem sie 1100 aufgegebene Häuser in abgelegenen Gebieten abreissen liess.
Herr Kildee schätzt, dass noch 3000 abgerissen werden müssen, auch wenn die Grenzen der Stadt die gleichen bleiben werden.
Bereits jetzt führen Strassen stadtauswärts in Wälder oder auf Wiesen und man sieht keine Anzeichen mehr davon, dass dort einst Häuser standen.
Die Wahl, welche Bereiche weiterhin abzureissen sind, wird heikel, aber viele von ihnen sind bereits offensichtlich, sagte er.
Niemand wird gezwungen werden, auszuziehen, sagte Kildee.“Ein Großteil der Flächen wird renaturalisiert. Die Menschen werden in der Nähe von einem Wald oder einer Wiese leben.“
Herr Kildee hat anerkannt, dass einige Kollegen und Amerikaner seine Lösung als „defätistisch“ bezeichnen, aber er bestand darauf zu betonen, es sei „nicht mehr defätistischer wie das Beschneiden eines verwilderten Baumes, so dass er wieder Früchte tragen kann“.