Die gesetzlich geregelte Überprüfung von demokratisch legitimierten Volksvertretern auf Spitzeltätigkeit in der DDR gegen ihre Mitbürger ist verfassungsgemäss.
Das gab der Thüringer Verfassungsgerichtshof in einer Presse-Information vom 1.Juli 2009 bekannt.
ThürVerfGH 38/06
Das gesetzlich geregelte Verfahren zur Überprüfung von Abgeordneten auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR ist verfassungsgemäß.
Dies hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom heutigen Tag festgestellt. Nach dem Thüringer Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten werden Mitglieder des Landtags ohne ihre Zustimmung daraufhin überprüft, ob sie als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter mit dem Ministerium für Staatssicherheit MfS oder dem Amt für Nationale Sicherheit AfNS zusammengearbeitet haben. Hinsichtlich einzelner Bestimmungen dieses Gesetzes stellte die Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle. Dieser Antrag hatte keinen Erfolg.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof insbesondere ausgeführt:
Der Gesetzgeber durfte eine gesetzliche Regelung erlassen, nach der die Verstrickung von Abgeordneten in das Bespitzelungssystem der DDR aufzuklären ist. Die Zulässigkeit einer Untersuchung ist nicht dadurch entfallen, dass mittlerweile nach der Wende fast 20 Jahre vergangen sind.
Der Gesetzgeber hat die Geltungsdauer des Gesetzes in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bis zum Ablauf der vierten Wahlperiode des Landtags befristet. Das gesetzlich festgelegte Überprüfungsverfahren wahrt den Status des Abgeordneten. Seine Beteiligungsrechte sind umfassend ausgestaltet, so dass er an dem Ergebnis der Untersuchung maßgeblich mitwirken kann.
Die Feststellung des zuständigen Gremiums, der Abgeordnete habe als inoffizieller Mitarbeiter mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR zusammengearbeitet, setzt eindeutige Beweise voraus. Mutmaßungen oder unbewiesene Behauptungen sind dem Gremium nicht erlaubt. Zudem sind nach dem Gesetz bei einer Entscheidung die für den Abgeordneten sprechenden Umstände zu berücksichtigen. Erst nach Abwägung aller Tatsachen ist dem Gremium die Feststellung erlaubt, ein Abgeordneter sei unwürdig, dem Landtag anzugehören.
Für diese Feststellung, die das Verfahren abschließt, gilt von Verfassungs wegen kein Vorbehalt des Landtagsplenums. Es ist sachlich gerechtfertigt, das gesamte Verfahren einem Gremium zu übertragen. Insbesondere um den Abgeordneten vor Indiskretionen zu schützen, ist der Kreis der mit der Überprüfung befassten Personen klein zu halten. Aus diesem Grund
ist es verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass nach dem Gesetz zu dem Beschluss des Gremiums keine Aussprache im Plenum stattfindet.
Zu dieser Entscheidung bzw. ihrer Begründung haben vier Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ihre abweichende Meinung in Sondervoten niedergelegt. Das Mitglied Prof. Dr. Baldus vertritt die Meinung, nach der Thüringer Verfassung dürfe die abschließende Feststellung der “Parlamentsunwürdigkeit” nur das Landtagsplenum, nicht aber ein Gremium treffen. Dies ergebe sich insbesondere aus Art. 62 ThürVerf, nach dem der Landtag Ausschüsse nur “zur Vorbereitung seiner Verhandlungen und Beschlüsse” einsetze. Der Verfassungsgeber habe klar zum Ausdruck gebracht, dass das Plenum Aufgaben auf einen Teil des Landtags nur aufgrund einer verfassungsgesetzlichen Ermächtigung übertragen dürfe. Über diesen eindeutigen Willen des Verfassungsgebers setze sich die Mehrheitsmeinung hinweg.
Die Richterin Dr. Martin-Gehl trägt das Urteil mit, soweit es die Ausgestaltung des Überprüfungsverfahrens für verfassungsgemäß erklärt. Nach ihrer Auffassung bestehen jedoch Bedenken gegen die gesetzliche Möglichkeit, den Abgeordneten für “parlamentsunwürdig” zu erklären. Der Ausspruch stelle einen schweren Eingriff in den verfassungsrechtlich geschützten Status des Abgeordneten dar. Es sei höchst fraglich, ob ein derartiger Eingriff unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten geeignet und erforderlich sei, um den von der Mehrheitsmeinung angeführten Zweck der “Selbstreinigung des Parlaments” zu erreichen. In jedem Fall habe der Abgeordnete keine hinreichende Möglichkeit, sich gegen dieses Werturteil zu wehren; dies sei auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren. Zudem habe in einer Demokratie die Entscheidung, ob ein Abgeordneter es “verdiene”, das Volk zu vertreten, nicht das Parlament, sondern die Öffentlichkeit und letztlich der Wähler zu treffen.
Die Richterin Pollak schließt sich dem letztgenannten Sondervotum an. Die dort aufgeführten Bedenken gegen den Ausspruch der Parlamentsunwürdigkeit” würden durch den Umstand verschärft, dass nicht der Landtag als Ganzes, sondern ein von ihm eingesetztes Gremium
dieses Werturteil fälle. Zudem sei insbesondere wegen der mangelnden gesetzlichen Bestimmtheit des Begriffes der “Parlamentsunwürdigkeit” ein politischer Missbrauch des Verfahrens nicht ausgeschlossen. Schließlich habe der Abgeordnete keine Chance, seine politische Integrität gegen dieses öffentlich bekanntgegebene Verdikt zu wahren.
Das Mitglied Dr. Zwanziger stimmt dem Urteil in seinem Ergebnis zu. Er ist jedoch der Ansicht, dem Landtagsplenum könne es nicht verwehrt sein, zu dem Beschluss des Gremiums eine Debatte und gegebenenfalls eine Abstimmung durchzuführen. Diese Mitwirkung des Plenums sei von Verfassungs wegen geboten. Es sei dem Landtag nicht erlaubt, durch ein
einfaches Gesetz auf seine Beteiligungsrechte zu verzichten. Vielmehr habe er die Pflicht eine derartig politisch sensible Angelegenheit selbst abschließend zu behandeln. Das Gesetz könne und müsse im Lichte dieser Anforderungen verfassungskonform ausgelegt werden.
Quelle: http://www.thverfgh.thueringen.de/webthfj/webthfj.nsf/$$webservice?openform&thverfgh&presse