Der grüne Denker Zion

Der Vorstandssprecher von Bündnis 90/Die Grünen in Gelsenkirchen steht für eine mögliche intellektuelle Renaissance des ex-SPD-Regierungspartners von 1998-2005.

Am 15.September 2007 geschah in der Lokhalle zu Göttingen ein Antagonimus zur bis dahin unangefochtenen Politmaxime des Krieges in Afghanistan um jeden Preis.

Auf einer durch die Basis erzwungenen Sonderdelegiertenkonferenz besiegte die pazifistische Mehrheit der Partei Bündnis 90/Die Grünen eine einflussreiche Minderheit in der oberen Funktionärsschicht und erzwang einen Beschluss gegen die von der Regierung bewusst zusammengelegten Tornado-, ISAF- und OEF-Mandate. 1

Nachher stimmten zwar einzelne BellizistInnen im Bundestag trotzdem für den Afghanistan-Krieg; für diese bedeutete es allerdings den Karriereknick, wie z.B. für Thea Dückert und die früheren Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt. Auch der damalige Parteichef Reinhart Bütikofer schaute sehr, sehr dumm aus der Wäsche, heulte sich noch ein bisschen bei der Kriegspresse aus und verschwand anschliessend irgendwann in der Versenkung.

Dieser Umbruch, diese Revolte gegen eine Partei-Oligarchie war von dem Abgang Edmund Stoibers in der CSU einmal abgesehen die erste in der Republik seit dem Rauswurf von Rudolf Schwarping als SPD-Vorsitzenden 1995, und sie nützt den Grünen bis heute. Denn seit diesem Göttinger Parteitag im September 2007 wagte es die Parteiführung der Hartz-Gesetze und zweier mitgetragener NATO-Kriege im Kosovo und in Afghanistan , nie wieder sich gegen Parteitagsbeschlüsse zu stellen und gewisse Grenzen der exekutiven Arroganz zu überschreiten. Logischerweise stiegen auch die Wahlergebnisse der Grünen, mit Ausnahme natürlich die der GAL in Hamburg, die Gründe dafür dürften auf der Hand liegen.

Das Ruder bei jener Göttinger Sonderdelegiertenkonferenz in 2007 herumgerissen hatte vor allem ein Mann: Robert Zion. Allein das Zustandekommen dieses Parteitages war nur durch äusserste Hartnäckigeit gegen den üblichen bürokratischen Widerstand im Parteiapparat erzwungen worden und wer so etwas nie erlebt hat, der sollte dazu schweigen.

Nach seinem Sieg gegen die gesamte Parteiführung geschah das für die Berliner Bundesparteien Übliche, wenn politische Talente auftauchen und das tumbe Mittelmass blamieren: man versuchte Zion irgendwie loszuwerden. Das Dumme war nur – er war ja schon niemand. Was ist schon ein Vorstandssprecher der Grünen in Gelsenkirchen.

Nun, das war nicht das einzige Problem, was das bräsige grüne bürgerliche Establishment umtrieb: ein Talent, durchsetzungsfähig und dann noch mit Überzeugung und Moral. Bäh.
Und dann kann man ihn noch nicht mal irgendwo rausschmeissen, weil er niemand ist. Und dann noch Philosoph, oh meine Güter…

“Das Gattungswesen Mensch, jenes von Nietzsche so genannte “nicht festgestellte Thier” muß also sehr rasch und pragmatisch ein Bewußtsein dafür entwickeln, daß es nun einen gemeinsamen Menschheitsraum und Zeithorizont gibt, welche die Handlungsmaximen und Werteorientierungen der bisherigen Völker, Religionen und Staaten und ihre entsprechenden Raum- und Zeitorientierungen Territorium und Geschichte überlagern, es muß buchstäblich zur Menschheit werden. So etwas, ein derartiges Zum-Subjekt-seiner-selbst-Werden der Menschheit, hat es im Übrigen noch nie gegeben. Es wäre aber falsch, jetzt von einer Weltregierung, einer Weltreligion, einem ökonomischen Weltsystem reden zu wollen, denn faktisch und unhintergehbar leben wir in einer multipolaren Welt der Interessen- und Wertegegensätze und der Ungleichzeitigkeiten. Entweder wir leben und überleben in einer solchen Mannigfaltigkeit oder wir gehen darin unter. Im Überleben oder Untergehen wird die Menschheit also eine gewesen sein, die Frage aber, wie es dazu gekommen sein wird, wird in einer faktischen, deterritorialisierten Mannigfaltigkeit und zudem in einer Zeitform entschieden werden, die sich ebenso gegenüber dem Mit-sich-selbst-identisch-Sein der Menschheit prinzipiell sperrt, der der vollendeten Zukunft zweite Zukunft, futurum exactum :
Bei dem in Frage stehenden Subjekt-Werden der Menschheit geht es mit ihr um die vollendete Zukunft dessen, was diese für das gewesen sein wird, das zu werden sie im Begriff steht.” 2

Und jetzt stellen Sie sich bitte dazu das Gesicht von Renate Künast vor. Das kann doch nicht gut gehn.

Robert Zion hat eben neben Hartnäckigkeit für die gute Sache auch noch etwas anderes, was in der deutschen Parteienlandschaft quasi Anlass für ein Berufsverbot ist: Geist und Verstand. Hinzu kommt – ich möchte mich jetzt nicht wirklich die ganze Zeit an mich selbst erinnern, aber das tut auch mal ganz gut als Indigo-Kind – eine Fähigkeit zur gesellschaftlichen Analyse, die man nur hat, wenn man weiss dass die Gesellschaft erstens überhaupt da ist und nicht nur ab und zu mit der Post kommt, sondern wenn man tatsächlich Teil von ihr ist und das auch bewusst.

“Was die SPD eigentlich bräuchte, wäre ein mindestens achtjähriger oppositioneller Rückzug von ihrer Funktion als Staatspartei und einen radikalen Personalschnitt. Für Ersteres ist die derzeitige Führung nicht gemacht, Letzteres ist weit und breit nicht in Sicht. Und so beißt sich die sozialdemokratische Katze in den Schwanz: damit sich etwas ändern kann, müsste sich erst etwas ändern. Unter diesem Gesichtspunkt ist die fortwährende Verweigerung der Wählerinnen und Wähler, den starrsinnigen Selbstbestätigungsritualen von Steinmeier, Müntefering, Steinbrück oder Struck noch Glauben zu schenken, vielleicht sogar ein demokratischer Gnadenakt.” 3

Dieser ganze Aufsatz von Robert Zion im “Freitag” ist so gut, dass man ihn am Liebsten in Stein gemeisselt jedem blöden Tippelbruder in den Onlinegazetten auf die Tastatur knallen möchte. Auch dieses Zitat des italienischen Linken Antonio Negri aus dem Jahre 2006 kommt darin vor. Es könnte nicht europäischer sein.

“Nie habe ich derart gleichgültige Menschen und derart triste Leidenschaften erlebt wie unter der derzeitigen Führung der Linken. Traurige Leidenschaften, die nicht vom Bewusstein der Verantwortung oder der Schwere der Aufgabe, die subalternen Klassen zu vertreten, herrühren können. Denn denen hören sie weder zu, noch hören sie überhaupt etwas: Es sind Bürokraten, Sachbearbeiter, sie sind intellektuell erschöpft.”

Jeder denkende Mensch muss mittlerweile Angst davor haben, dass die politischen Nullen aus “SPD” und “Die Linke” zusammen in einer Regierung ganz unmathematisch auf eine gefährlich hohe Summe hoch addieren. Das Einzige, was noch schlimmer wäre, ist leider alles andere. Eine Möglicheit wäre vielleicht ein Wahlergebnis von Bündnis 90/Die Grünen bei 19% und eines der SPD bei dem was sie verdient hat. Über einen Kanzler Jürgen Trittin wäre man im Führerbunker Willy-Brandt-Haus sicherlich schwer entzückt. Man kennt sich noch von früher. Und dann noch das mit der Atomkraft, ja das auch noch, das ist ja grade wieder aktuell, ach Du dicker Genosse..

“n-tv: Sie schreiben auch, es sei “nahezu ausgeschlossen”, dass die SPD in den sich verschiebenden parteipolitischen Koordinaten “noch eine positive und aktive Rolle einnehmen wird” – und Sie empfehlen der SPD acht Jahre Opposition. Folgt daraus nicht zwangsläufig, dass sich die Grünen einen anderen Partner suchen müssen?

Zion: Dass ist mir zu machtmechanisch gedacht. Ich glaube, die politische Landschaft wird sich verändern, sie verändert sich gerade in ganz Europa. Nach dieser Krise werden bestimmte Dinge einfach nicht mehr gültig sein – zum Beispiel, dass man beständig Wachstum generiert und über dieses Wachstum den Wohlstand verteilt. Die Parteien, die diesen Prozess verstehen und die Lösungskonzepte anzubieten haben, werden als Gewinner daraus hervorgehen. Die beste Entwicklung wäre die, dass wir uns wieder daran erinnern, dass wir eine Legislativdemokratie sind und keine Exekutivdemokratie; vielleicht wird dann möglich, was derzeit noch undenkbar ist: dass auch hierzulande, wie in Skandinavien, mit wechselnden Mehrheiten regiert wird.”

Ein Untertan möcht wahnsinnig werden vor Kopfschmerzen. Mal ehrlich – haben Sie schon mal irgendwo die Begriffe “Legislativdemokratie” oder “wechselnde Mehrheiten” gelesen oder gehört? Ist das überhaupt noch legal, sowas, geschweige denn legislativ?

Nach der Wahl am 27.September werden dem Bundestag, hi und da, ein paar seiner derzeitigen Stubenfliegen und Coach Potatoes fehlen. Einziehen wird natürlich nicht Robert Zion. Das wäre dann doch zuviel für die Grünen. Da müsste man ja Angst vor ihnen haben, so einen Philosophen als Abgeordneten. Aber davor wird man weiter Angst in den Grünen haben, und zwar ganz oben hinten rechts, wenn man politisch dreidimensional zu denken in der Lage ist…

weitere Artikel:
23.05.2008 “Links-Libertär”: Der Aufruf des Zion
16.09.2007 Die Grünen, Afghanistan und 80 Millionen Geschworene
14.03.2007 Sudan,Darfur: Gewehre für die TAZ-Redaktion
10.03.2007 Über Krieg und Revolte
Gestern geschah jetzt nach der CSU auch bei den Grünen etwas, was es jahrzehntelang in der Republik nicht mehr gegeben hat, und bei den Grünen schon gar nicht – Rücktrittsforderungen aus dem Mittelbau einer etablierten Partei an eine korrupte, abgehobene und vollkommen autistische Zentrale, in diesem Fall in Berlin.Aus Nordrhein-Westfalen kam die Forderung nach Rücktritt des “Parteichefs” Reinhard Bütikofer, sowie von Renate Künast und Fritz Kuhn als “Bundestagsfraktionschefs”

Quellen:
1 http://www.radio-utopie.de/2007/09/16/die-gruenen-afghanistan-und-80-millionen-geschworene/
2 http://www.episteme.de/download/Zion-Ethos-Menschheit.pdf
3 http://www.freitag.de/community/blogs/robert-zion/traurige-leidenschaften

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