Leuchtturm Prantl über Bundestag
Der linksliberale Rufer in der süddeutschen Wüste schreibt heute wieder einmal über das schlechteste Parlament der Welt.
Heribert Prantl ist buchstäblich einer der letzten Mohikaner, die noch eine Erinnerung an die Presse der Willy-Brandt-Ära darstellt. Der Rest der deutschen Presse, eine feiste, abgefeimte und dumm-korrupte Meute am Gängelband ihrer Oberaufseher, wird bald nur noch eine Erinnerung an das Willy-Brandt-Haus darstellen.
Heute nun rief der Heribert, der Prantl, mal wieder in der Wüste der „Süddeutschen“ (1). Man weiss bei dieser Zeitung nicht so genau, warum sie ihn da nicht schon längst exkommuniziert und auf den Scheiterhaufen geschmissen haben. Vielleicht als Reminiszenz an die Bilder an der Wand im Zimmer der Chefredaktion, für ein gehauchtes, gutes, altes „Jaja..“, bevor man dann wieder Regierungsmegafon spielt oder den Volksempfänger anmacht.
Prantls war wieder einmal selbst Lyrik gewordenes jüngstes Gerichtsurteil der Männer in den roten Kitteln, welche die sehr, sehr teuren 611 Abgeordneten im Bundestag von Karlsruhe aus nun zum wiederholten Male ermahnt haben, doch endlich einmal Parlament zu spielen anstatt „Reise nach Brüssel“.
„In Deutschland gibt es 1,2 Millionen Bürger, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können – meistens deshalb, weil sie alt und gebrechlich geworden sind. Ihnen wird vom Vormundschaftsgericht ein Betreuer zur Seite gestellt; der kümmert sich dann um die Dinge, die notwendig sind: Er kauft einen Rollstuhl, kümmert sich um das Vermögen und sorgt dafür, dass regelmäßig ein Arzt kommt. Der Bundestag ist zwar erst sechzig Jahre alt, aber gleichwohl schon sehr gebrechlich: er ist offensichtlich derzeit mehrheitlich nicht mehr in der Lage, seine Rechte selbst ordentlich wahrzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht konnte das nicht mehr mit ansehen. Und weil es sich ja immerhin um die Gebrechlichkeit eines obersten Verfassungsorgans handelt, hat das Verfassungsgericht selbst die Rolle des Vormundschaftsgerichts und zugleich des Betreuers übernommen.“
Wohlgemerkt – hier ging es um das Recht der frei gewählten Abgeordneten, wenigstens zu erfahren, wenn sie von Geheimdiensten ausspioniert werden. Und selbst das wollten nur die Wenigsten überhaupt wissen. Und das seit 2006. Prantl dazu gestern (2):
„Das Verfassungsgericht wird mit dieser dritten Entscheidung zu den Parlamentsrechten quasi zum Vormundschaftsgerichts des Parlaments: Das höchste deutsche Gericht betreut fürsorglich die Rechte der Abgeordneten, weil diese selbst mehrheitlich offenbar nicht mehr dazu in der Lage sind oder in der Lage sein wollen, ihre Rechte zu behaupten und zu vertreten. Die Urteile besagen: Dem Bundestag stehen mehr Rechte zu, als ihm die Bundesregierung einräumt oder er sie sich selbst bisher herausgeholt hat.“
Über das schlechteste Parlament der Welt, den Ort, wo selbst die Hühnerlacher noch zu Protokoll gegeben werden, schrieb Prantl am 3.Juli in „Parlament als Farce“ (3):
„Das Parlament muss sich einen neuen Namen suchen. Bisher heißt es so, weil es der Ort ist, an dem öffentlich Reden gehalten werden: Parlament kommt von parlare, das heißt reden. In der vergangenen Nacht aber, kurz nach Mitternacht, ist das öffentliche Reden im Bundestag abgeschafft worden, teilweise jedenfalls…Die Reden zu all den Themen wurden einfach auf dem Tisch deponiert. Die zweite und dritte Lesung von Gesetzen bestand einzig und allein in der Niederlegung von schriftlichen Reden. Das war und ist die parlamentarische Praxis des Artikels 42 Grundgesetz, in dem es heißt: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“
„Rede zu Protokoll“ heißt dieses merkwürdige Verfahren, das die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen aus Gründen der Effizienz erfunden haben. Vor etwa zehn Jahren wurde es erstmals häufiger praktiziert. Heute bedienen sich die Fraktionsgeschäftsführer der Koalition dieses Verfahrens behende und exzessiv. Sie platzieren ihnen lästige oder zeitraubende Themen ans Ende eines langen Beratungstages – auf dass die Abgeordneten erleichtert sind, wenn sie nicht mehr ausharren müssen und sich also „zu Protokoll“ verabschieden können.
Der Bundestag wird dann zu mitternächtlicher und späterer Stunde nur noch durch seinen Präsidenten repräsentiert, der mit müder Stimme den Tagesordnungspunkt aufruft und die zu Protokoll gegebenen Reden registriert. Das Parlament verwandelt sich in eine Reden-Abwurfstelle samt Registratur. Der Clou: Die nun ganz offizielle Einführung von „Reden zu Protokoll“ erfolgte durch Reden, die „zu Protokoll“ gegeben wurden.
In der vergangenen Nacht sind 43 Tagesordnungspunkte auf diese Weise parlamentarisch „erledigt“ worden. Dafür vorgesehen waren 35 Minuten. Das ergab, so errechnete süffisant der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch, 52 Sekunden Beratung pro Tagesordnungspunkt: „Wenn das keine Leistung ist!““
Wer kann es sich leisten, August Hanning (wegen Journalisten-Bespitzelung als BND-Chef entlassen und durch die SPD-CDU-CSU-Koalition 2005 ins Bundesinnenministerium als Staatssekretär befördert) angesichts ewiger Terror-Warnungen vor einer schlecht ausgehenden Bundestagswahl am 27.September als „schizophrenes Orakel“ (4) zu bezeichnen?
Gut – ist jetzt keine Lektüre etwa für den Strand in Mallorca. Aber immerhin für die knowing few.
„Das Innenministerium schlägt Alarm, indem es von der Gefahr von Anschlägen spricht und warnt gleichzeitig vor der Alarmstimmung – die es mit seinen Äußerungen selbst erzeugt..
Es handelt sich bei all dem um eine gefährliche Orakelei. Das Ministerium schlägt Alarm, indem es von der Gefahr von Anschlägen vor der Bundestagswahl spricht. Gleichzeitig warnt es aber vor der Alarmstimmung, die es mit seinen Äußerungen selbst erzeugt. Das ist schizophren. So wird das Bundesinnenministerium zum Bundesangstmachministerium..Abstrakte Gefahr – das ist ein Begriff aus dem Strafrecht, mit dem der Laie wenig anfangen kann. Im Strafrecht gibt es „abstrakte Gefährdungsdelikte“: Der Gesetzgeber bestraft Verhaltensweisen, die generell als gefährlich erscheinen, auch wenn konkret gar nichts passiert.
Daher wird bestraft, wer besoffen fährt; selbst wenn nichts passiert – es hätte ja jederzeit etwas passieren können. Diese „abstrakte Gefährlichkeit“ kann man nicht auf eine angespannte Sicherheitslage übertragen, in der es keine Handlungen und Personen gibt, auf die man zugreifen könnte. Mit der abstrakten Gefahr verhält es sich hier wie mit der abstrakten Malerei: Man sieht, dass etwas da ist, weiß aber nicht genau, was es ist…Wer so daherredet, trägt dazu bei, dass das Land den kühlen Kopf verliert, den es im Kampf gegen den Terrorismus braucht. Vielleicht ist das so gewollt: Angst ist eine Autobahn für Sicherheitsgesetze. Vielleicht ist es auch so, dass diejenigen in der Politik, die für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan plädieren, als nützliche Idioten der Terroristen diskreditiert werden sollen.
Ähnlich wurde es ja einst mit den Kritikern der (später vom Verfassungsgericht partiell aufgehobenen) Gesetze gegen Organisierte Kriminalität gemacht. Die Kritiker wurden als Helfershelfer der Kriminellen beschimpft.“
Am 24.April (5) über die innere Sicherheit der Menschen, irgendwie ein Dach über dem Kopf, etwas zu Essen und so etwas Alttestamentarisches wie einen „Arbeitsplatz“ zu haben, und zwar mit entsprechendem Zwang des Verdieners an dieser Arbeit, dem „Arbeitgeber“, gefälligst entsprechende Abgaben für die soziale Absicherung dieses Arbeiters der Gesellschaft zu bezahlen:
„Nicht die Polizei und nicht die Justiz waren jahrzehntelang Garant des inneren Friedens in der Bundesrepublik; nicht Strafrechtsparagraphen und Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt. Es war der Sozialstaat: Er war Fundament der wirtschaftlichen Prosperität, Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte; er verband politische Moral und ökonomischen Erfolg.
Der Sozialstaat hat soziale Gegensätze entschärft, ohne ihn hätte es öfter gekracht in der Republik. Sozialstaat heißt: Der Staat bürgt für die soziale Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger. Soziale Unruhe ist dann zu befürchten, wenn die Bürger an diese Bürgschaft nicht mehr glauben – womöglich in der Befürchtung, dass sich der Staat in Bürgschaften für die Banken verbraucht.“
Und am 7.Oktober (5) schrieb der alte Leuchtturm zu der von SPD, CDU und CSU geplanten Verfassungsänderung für einen Militäreinsatz im Innern gegen die eigene Bevölkerung:
„Es ist ein vergiftetes Geschenk zum 60. Jubiläum: Die große Koalition schickt sich an, das Grundgesetz zu ändern. Sie will den bisher verbotenen Bundeswehreinsatz im Inneren zulassen. Sie will beschließen, was die Verfassung bisher ausschließt. Sie will die Amtshilfe der Bundeswehr für die Polizei zumal bei Terrorgefahr erlauben. Dies ist ein Bruch mit der deutschen Grundgesetztradition.
Nur in absoluten Ausnahmefällen soll die Bundeswehr im Inneren eingesetzt werden, heißt es beschwichtigend. Der Mechanismus dieser absoluten Ausnahmefälle ist bekannt: Aus ihnen wird über kurz oder lang, meist über kurz, eine Regel…
Schäuble verfolgt seine Pläne seit über 15 Jahren. Das macht sie nicht besser. Aber der Widerstand schwindet. Jetzt hängt es von den Grünen, der Linken und vor allem von den Freien Demokraten ab, ob Schäuble es schafft.“
Ein kleines Zwischenspiel dazu:
Wenn man nun heute einen Otto-Normal-Demokratieverbraucher ein einziges Mal die kluge Frage stellt, wo das alles hin ist, was man ihm mit dem Erreichen seiner Volljährigkeit als Staatsbürger einmal in die Hand gedrückt hat, dann kommen da nur zwei, nein, drei, nein, vier Antworten bzw Antworttypen.
1. doofes Glotzen eines gehirnamputierten Schwachkopfes, der unfähig ist einen einzigen vollständigen Satz zu sagen welchen er sich nicht vorher mühsam abgehört, abgelesen oder abgeschaut hat. Also die typisch-markante Reaktion eines SPD-Wählers.
2. wirres Kopf- und Gliederzucken, unsteter Blick will in die Ferne, Fragenopfer will es auch, ähh, wie, ähh, ja, ähh, nee, ähh, Fingergewedel, hol-die-Broschüre-raus, kram-in-den-Taschen-rum, üblich-mittelmässige Taktik für Zeitschinderei. Wenn man dann einfach nur den Blick geradeaus hält und immer schön auf das Gesicht achtet, ein, zwei Minuten schlicht beobachtet und sieht was dort passiert, erwischt es einen irgendwann wie der Blitz: man kann einem Untertan einfach keine Fragen stellen. Man kann es nicht.
3. der Giftspritzer. Der Lager-Bauer. Der um den Scheiterhaufen-Hüpfer mit der roten Fresse, der noch Holz drauf schmeisst und ruft, „HAAAAAAAAA! SUCH DIR ERSTMAL MEHRHEITEN!!“. Der Choleriker. Der Mutti-ich-tu-es-Typ, der sich sein Leben lang für etwas rächen muss, was er im Leben noch nie hinbekommen hat. Wahlweise auch die aalglatte, bemalte Konzernschlampe oder gute Freundin von Schlipsträgern, hi und da, die einfach nichts will als mit ihrem Lebensabschnittsgefährten sowie dessen Auto anzugeben, sich die ganze Politik vom Hals zu schaffen, und das in millionenfach gestanzter Ausfertigung in der Generation Bimbes (ca.40 Jahre) bis heute auch bestens hinbekommen hat.
Sie können es nicht leiden, nicht Recht gehabt zu haben. Deswegen müssen sie es auch behalten und suchen ständig nach dem Laden wo man es kaufen kann, weil es einem plötzlich ausgegangen und nicht wieder gekommen ist.
4. der Mitwisser. Der Zyniker. Der „ja-hast-du-wirklich-geglaubt“, „sag-mal-wie-naiv-bist-du-eigentlich“, „das-war-doch-klar“, „das-ist-doch-alles..“-Typ, der im Grunde immer, praktisch nie, aber stets doch irgendwie alles gewusst hat. Im Grunde ein simpler Interessenvertreter seiner selbst, und nur seiner selbst.
In seinem heutigen Artikel zog Heribert Prantl zu diesem systematischen Ausverkauf einer Republik, eines Volkes und seines Staates durch das eigene Parlament (was durch eine ganze Generation versaut wurde) ein sowohl vernichtendes, als auch grundgütig-naives Resumée (1):
„Der Ausfall des Parlaments als souveränes Verfassungsorgan bedeutet letztlich den Herzstillstand der Demokratie. Um diesen Exitus zu verhindern, hat das Bundesverfassungsgericht erste, zweite und dritte Hilfe geleistet. Mehr als Hilfe zur parlamentarischen Selbsthilfe kann das Verfassungsgericht allerdings nicht leisten. Die vormundschaftsgerichtliche Betreuung des Bundestags kann und darf nur eine vorübergehende sein. Man kann den Hund nicht zum Jagen und den Gesetzgeber nicht zur Wahrnehmung seiner Rechte tragen.“
Da ist jetzt die Möglichkeit für Pitbulls der unabhängigen Medien dem Alten Weisen galant zu widersprechen: man kann nicht nur, man muss. Denn es ist niemand anderes mehr da.
Heribert Prantl ist einer der letzten normalen Menschen dieses Landes, die es sich leisten können einer zu sein.
Ihn lesen zu können, in dieser abgetakelten Schmierenkomödie zu Berlin, das ist schon sehr, sehr viel in diesen Tagen.
(…)
Quelle:
(1) http://www.sueddeutsche.de/x5Z38j/2988527/Ach-der-Bundestag.html
(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/908/482371/text/
(3) http://www.sueddeutsche.de/politik/655/479149/text/
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/654/479148/text/
(5) http://www.sueddeutsche.de/politik/727/466311/text/