Nachschlag in Schmidts Dienstwagen-Affäre: Revanche gegen SPD für Neuverhandlung von Lissabon-Vertrag?

Nicht nur die Bundestagswahl steht auf Messers Schneide, sondern das Schicksal der Berliner Republik. CDU/CSU und FDP versuchen da offenbar Prioritäten zu setzen.

Im Berliner Intrigensumpf fallen zwei Vorgänge zeitlich auffällig zusammen. Der eine ist von höchster gesellschaftlicher Relevanz, der andere zwar lächerlich unbedeutend, aber propagandistisch für die bereits ausgerufene CDU-CSU-FDP-Regierung immer noch verwertbar.

Gestern war eigentlich die gütliche Entmachtung des Bundesverfassungsgerichtes sowie der Parlamentskammern Bundestag und Bundesrat durch die Bundesregierung geplant. Die Begleitgesetze zum Lissabon-Vertrag mussten durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofes vom 30.Juni. neu geschrieben werden.

In dem Karlsruher Urteil war die Nichtaufgabe souveräner Staatlichkeit Deutschland und der Fortbestand des Grundgesetzes als deutsche Verfassung zwingend festgeschrieben worden. Ebenso wurden dem Lissabon-Vertrag und der „europäischen Integration“ im Karlsruher Entscheid Artikel 79 Absatz 3 (und damit auch die Grundrechte Artikel 1-20) als “absolute Grenze” der Anpassung des Grundgesetzes an die EU gesetzt, deren “geschützter Mindeststandard” nicht unterschritten werden dürfe. (1)

Nun hatte die Bundesregierung am gestrigen Montag eben auch die Rolle des Bundesverfassungsgerichtes „diskutiert“, wie es hiess (2). Einige Tage zuvor war durch 30 regierungsnahe Juristen offen zum Staatsstreich aufgerufen worden, in dem eine Unterordnung des Bundesverfassungsgerichtshofes unter den EuGH gefordert worden war. Den entsprechenen Wortlaut für eine einfache Gesetzgebung hatten die Juristen gleich mitgeliefert. (3)

„An sich sind wir politisch durch“, hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Röttgen, nun am gestrigen Montag Nachmittag gegen 15 Uhr im Berliner Regierungsviertel noch verkündet (4). SPD, CDU, CSU, FDP und Grüne würden im September gemeinsam die erforderlichen vier „Begleitgesetze“ zum Lissabon-Vertrag im Parlament beschliessen.

Doch dann die Überraschung: „in der SPD“ gäbe es noch Widerstand gegen die Abgabe des Mitspracherechts von Bundestag und Bundesrat bezüglich Brüsseler Verordnungen.  Auch Bundesregierung Länderregierungen verschoben ihre Verhandlungen. Offensichtlich waren neue Fakten aufgetaucht. Es gehe um „kommunale Fragen“, einen „weltweiten Abbau von Handelsschranken“, um die Frage ob Bundesrat und Bundestag Verordnungen der in Brüssel tagenden Regierungen der EU-Staaten widersprechen dürfe, oder ob und wann die deutschen Parlamentskammern durch die von der deutschen Regierung in Brüssel mitgetroffenen Entscheidungen wenigstens unterrichtet werden müssen. Dabei plant die Bundesregierung aus SPD, CDU und CSU den Berichten zufolge, aus selbstdefnierten „zwingenden Gründen“ sowieso jeglichen Entscheid des deutschen Gesetzgebers – also des Parlamentes – einfach zu ignorieren.

Auffällig auch der eklatante Widerspruch im Gebaren der CDU/CSU; einerseits  drängt sie zur Eile und will unbedingt das Gesetz noch vor der Bundestagswahl über die Bühne bringen, andererseits vertröstete CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder die gewählten Abgeordneten des deutschen Bundestages gestern mit dem wahrlich beruhigenden Versprechen, man werde dann in der nächsten Legislaturperiode auch über ein paar unerfüllte Forderungen der Parlamentarier sprechen, welche „nicht mehr vor der Bundestagswahl berücksichtigt werden“ könnten.

Die entsprechende Meldung des Focus (5) erschien gestern um 17.59 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt musste das Scheitern des handstreichartigen Durchpaukens der Begleitgesetze bei SPD-Bundestagsfraktion und Landesregierungen schon einige Minuten klar gewesen sein. Just der „Focus“ (6) hatte einige Minuten zuvor um 17.47 auch folgende Meldung lanciert:

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) habe ihren Dienstwagen auch in den vergangenen fünf Jahren für ihren Urlaub in Spanien benutzt und die Kosten nicht wie in diesem Jahr privat abgerechnet. Dies gehe, so die Zeitung,

„aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Otto Fricke hervor, die am Montag der AP in Berlin vorlag.“

Nun fragt man sich – wann ist diese Anfrage des Herrn Otto Fricke denn nun gestellt worden und lag die Antwort der Bundesregierung dann ausgerechnet am Montag Nachmittag vor?

Wie man dem neu gestylten Sitzungskalender des Bundestages (der netterweise auch gleich die Sitzungswochen des bedeutungslosen EU-Parlamentes mitaufzeigt) problemlos entnehmen kann, hatte der Bundestag seine letzte Tagungswoche Anfang Juli (7).  Zum Haushaltsausschuss, dem Otto Fricke (FDP) vorsitzt, gehört auch ein Unterausschuss mit 13 Mitgliedern zu Fragen der Europäischen Union. Zu diesem heisst es im Bundestag (8):

„Durch die wachsende Anzahl dieser Vorlagen nimmt auch das Arbeits­volumen dieses Unterausschusses ständig zu. Zur Arbeit des Unterausschusses ge­hören auch Treffen mit Mitgliedern des Europäischen Rechnungshofes, Abge­ordneten des Europäischen Parlaments und den EU-Kommissaren.“

Man könnte dem FDP-Abgeordneten Fricke durchaus so etwas wie einen Hang zu den lieben Kollegen aus Brüssel unterstellen, wenn man denn so gemein sein wollte. Auf jeden Fall kam die nun mit viel Tamtam vorgetragene Empörung über die paar verfahrenen Mücken der Gesundheitsministerin zeitlich so prompt, dass man eine versuchte Erpressung der SPD-Abgeordneten und Landesregierungen durch CDU, CSU, FDP vermuten könnte, mit dem Zweck diesen vor Augen zu führen, dass sie im Grunde gar nichts mehr zu bestimmen hätten, sondern gefälligst zu kuschen.

Das Thema „Dienstwagen-Affäre“ ist gegen die Abermilliarden, die hier seitens aller Parlamentsfraktionen schon aus dem Fenster gekippt worden sind, so dermassen lächerlich, dass man am Verstand der Zeitungsleser aus Bürgertum und Malochertum schier verzweifeln könnte. Aber vielleicht reicht es ja doch noch, hi und da, eins und eins mühsam zusammen zu zählen. Diese Farce um den Dienstwagen der Ministerin Schmidt hat jedenfalls CDU, CSU und FDP massiv geholfen, während andere gute Gründe die SPD bei 20 Prozent minus X zu lassen öffentlich so gut wie unerwähnt blieben.

Die Entscheidung, welches politische System wir nun demnächst haben werden, sollte aber auch für den Kurzsichtigsten wichtig genug sein einmal etwas genauer hinzuschauen.

Quellen:
(1) http://www.radio-utopie.de/2009/07/01/wir-sind-souveraen/
(2) http://www.radio-utopie.de/2009/08/17/eu-nationalisten-und-globalisten-planen-den-staatsstreich-gegen-die-republik/
(3) http://www.radio-utopie.de/2009/08/17/juristen-fordern-zum-staatsstreich-auf/
(4) http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE57G0CM20090817
(5) http://www.focus.de/politik/deutschland/eu-verhandlungen-ueber-eu-mitsprache-vertagt_aid_427158.html
(6) http://www.focus.de/panorama/vermischtes/dienstwagen-affaere-kosten-fuer-fruehere-urlaube-nicht-privat-abgerechnet_aid_427146.html
(7) http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/sitzungskalender/sitz_pdf_09.pdf
(8) http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/a08/aufgaben.html

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