Piratenpartei: erste neue Bundestagspartei seit 19 Jahren?

Piratenpartei

Die Digitalen Bürgerrechtler liegen in einer Umfrage des Studentennetzwerks StudiVZ weit vor allen anderen Parteien. Zur Bundestagswahl könnte der Einzug ins Parlament gelingen.

Seit Wochen ist es spürbar – es tut sich was. Nach dem (mutmasslich unter aktiver Mithilfe von U-Booten organisierten) Selbstmord der „Freien Union“ bekommt die Piratenpartei als letzte Wahlalternative mehr und mehr Zuspruch von einer Bevölkerung, welche von ihrer Oberschicht die Schnauze so gestrichen voll hat, wie seit der Gründung der Berliner Republik 1990 nicht mehr. Ein Berliner Frühling liegt in der Luft…

Hatte die Piratenpartei bei der EU-Wahl am 7.Juni noch 0.9 %, bekam sie in einer Umfrage des „Handelsblattes“ am 12.August schon 2 % (1).

Nun brach die Piratenpartei in einer Umfrage unter 71.047 Menschen (2), wenn auch aus dem akademisch-wohlhabenden Spektrum, alle Rekorde. Laut der Erhebung im Studentennetzwerk „StudiVZ“ ergaben sich für die Piratenpartei satte 31.1 %. Weit dahinter kam erst die zweitstärkste Partei CDU mit 17.9 %.

Auffällig auch hier: SPD und FDP gleichauf, mit jeweils 12.5 %. Die Grünen haben offensichtlich ihre Anziehungskraft auf das gebildete bürgerliche Spektrum eingebüsst und müssen sich nun voll auf das spiessbürgerliche Spektrum verlassen: 12 %. Von der Linken spricht sowieso keiner mehr.

Die Jungen Liberalen reagierten schon vor einigen Tagen auf die neue Konkurrenz: in einem internen Papier, was am 6.August über „wikileaks“ in die Öffentlichkeit drang (3), gab die Jugendorganisation der FDP einen Argumentationshelfer heraus, in welchem die Situation durchaus realistisch geschildert und den eigenen Mitgliedern empfohlen wurde, wie sie mit den neuen Konkurrenten als Verfechter der Bürgerrechte umgehen sollten:

„Mit diesem Arguliner wollen wir Dir helfen, Dich mit den politischen Forderungen und Argumentationen der Piratenpartei vertraut zu machen, Dich in Diskussionen ihrer Kritik zu erwehren und die Piratenpartei selbst kritisch zu durchleuchten. Denn für uns ist klar: Wer für den Schutz der Bürgerrechte ist, muss FDP wählen!

Die beste Strategie ist, die Piratenpartei gar nicht erst selbst aktiv ins Gespräch zu bringen und dadurch ihren Bekanntheitsgrad weiter zu steigern (keine gemeinsamen Aktionen oder Pressemitteilungen). Sie bekommt im Moment schon genug Öffentlichkeit und gute Presse. Das ist aber kein Grund unruhig zu werden! Bisher gibt es keine Umfrage, die die Piratenpartei auch nur in der Nähe der 5%-Hürde sieht. Also einfach cool bleiben, sie im Auge behalten und nötigenfalls argumentativ reagieren!“

Quer durch die erlahmte und vergreiste Parteienlandschaft hindurch sahen derweil nun Politzombies des 20.Jahrhunderts ihre Pfründe bedroht.

Die Sprecherin der Fraktion, welche als Teil der SPD-Schröder-Regierung von 1998 bis 2005 die Republik zum Terrorterritorium der Geheimdienste gemacht und nichts anderes zu tun hatte ausser den Menschen Grundrechte, soziale Sicherungen und Schutz vor den Kapitalkräften zu rauben, roch in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ (4) ebenfalls den Braten. Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) protegierte dabei ausgerechnet den staatsmonopolkapitalistischen Verein, welcher Kunstproletarier, Veranstalter und Musiknutzer seit ihrer Einrichtung am 28. September 1933 durch Joseph Goebbels (damals unter dem Namen „Stagma“) gleichmassen schröpft wie ein Raubritter alter Schule – die Gema:

“ ..wir sollten die Piraten inhaltlich ernst nehmen. Es geht um ein ernsthaftes Anliegen, das viele jüngere und Internet-affine Menschen beschäftigt: Datenschutz, Freiheit im Internet…Unser Grundsatz ist: Im Internet gilt das, was im wirklichen Leben auch gilt. Wir wollen Freiheit, aber keinen rechtsfreien Raum. Es geht ja nicht nur um die Verbreitung von Kinderpornos. Ein großes Thema ist der Schutz von Urheberrechten, die im Internet missachtet werden.

Wir fordern eine Kultur-Flatrate, die organisiert werden soll wie die Gema-Gebühr für Musiktitel. Auch Künstler und Autoren müssen von ihrer Arbeit leben können. Dafür wäre die Flatrate ein Modell. Aber das ganze Internet-Recht muss erst noch geregelt werden. Das erinnert an das 19. Jahrhundert, als das Bürgerliche Gesetzbuch entwickelt wurde.“

Wieder einmal hört dieses bemalte Megafon der Nomenklatura den Schuss nicht mehr. Erst letzen Monat haben 106575 Staatsbürger eine Petition gegen die Praktiken der Gema im Bundestag unterzeichnet. Wörtlich hiess es da (5):

„Die GEMA wird zunehmend vom „Kultur-Schützer“ zum „Kultur-Vernichter.“

Seit Jahren kämpft die Künstlerin Barbara Clear gegen diesen Kulturvernichtungsverein Gema, gegen den sich beim Kartellamt seit Jahren die Eingaben stapeln, ohne dass die dortigen Bürokraten auch nur einen Finger rühren. Clear verlor vor der sattsam bekannten Amigo-Justiz des Münchner Landgerichts gegen die Gema und schrieb (6):

„Ich spiele also 100 Konzerte mit meinen Kompositionen und Texten, der Veranstalter zahlt für die 100 Konzerte 30.000 bis 50.000 Euro an die Gema, und ich habe keinen Anspruch, den ich formulieren kann oder darf. Vielleicht vergütet mir die Gema nach ihrem System und Gutdünken 100, vielleicht 1000 Euro, vielleicht auch 5000 Euro, was auch immer. Und der Rest der Einnahmen, die durch meine Songs entstanden sind, fließt irgendwo hin, keiner weiß es – außer der Gema. Wenn das keine Ausbeutung ist, was denn dann. Und nun auch noch dokumentiert. Die Gema und ihr staatlicher Auftrag, sich um die Rechtewahrnehmung von Komponisten und Texter zu kümmern, bedeutet also nach meiner Meinung: Kassiere mit diesen Dir übertragenen Rechten so viel und wo‘s nur geht ab, und füttere die, die Du füttern willst. Und keiner kann Dich wegen solch willkürlicher Umverteilung angreifen.“

Und was sagte dazu der Ausputzer der Fantom-Sozialdemokratie in allen Geheimdienstausschüssen, Thomas Oppermann? Er bezeichnete vor wenigen Tagen nicht etwa die jahrzehntelang skrupellos das Kunstproletariat ausplündernde Musik- und Filmindustrie oder die durch die Nazis geschaffene staatskapitalistische Monopolgesellschaft Gema als „kriminell und unsozial“ (7) – sondern die Piratenpartei.

Seit Jahren kämpfen Künstler wie Barbara Clear um ihre Rechte und niemand, niemand hilft ihnen. Nicht die Penner in den Gewerkschaften, nicht die Penner in den „Parteien“, nicht die Penner in der Konzernpresse und erst recht nicht die Verbrecher aus der Musikdindustrie und den Ämtern, die mit ihnen unter einer Decke stecken. Nun klagt Barbara Clear vor dem Oberlandesgericht. Es wird ein Präzendenzfall. (7)

„Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du“. Dieses Zitat von Mahatma Gandhi erlebt mal wieder seine sounsovielte Auflage, die allerdings steigt und steigt und steigt. Ganz im Gegensatz zu den Profiten der Monopole in Medien-, Musik- und Filmindustrie. Dort rauft man sich ob des verdienten schmählichen Niedergangs in Zeiten des Weltinformations-, Kommunikations- und Handelsnetzes Internet die Haare. Jetzt schreit auch noch EMI nach der „Finanzspritze“ vom Staat (8). Wie immer werden die Ausbeuter von der gut vernetzten Parteien- und Banken-Mafia weltweit und in der EU alles in den Rachen geworfen kriegen, während man Arbeiter und Künstler im Elend lässt. Aber lange geht das nicht mehr so.

Zusammen mit der Fantom-Presse, welche die Weltöffentlichkeit jeden Tag mit nichts als Lügen die Hucke vollquatscht, geht die etablierte Parteienlandschaft Deutschlands den Orkus hinunter; vorneweg die Regierungsparteien SPD, CDU und CSU. Alles sieht nach einem politischen Erdbeben am 27.September aus und dem ersten Einzug einer neuen Partei in das deutsche Bundesparlament seit dem Einzug der PDS 1990, wenn man mal von den Selbstmördern der WASG im Jahre 2005 absieht, auf deren Buckel die PDS überhaupt erst wieder in den Bundestag zurückkehren konnte.

Eine parlamentarische Erneuerung ist möglich. Es wäre eine mehr als überfällige Demokratiespritze für die abgetakelte und von Korruption zerfressene Berliner Republik.

In der Tat genau wie im 19.Jahrhundert, da hat Renate Künast ungewollt recht, brechen sich die unterdrückten und ausgebeuteten Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft Bahn und werden die Verhältnisse im industriellen Raum grundlegend ändern. Dabei haben die Unterschichtler, die hier revoltieren, diesmal den grossen Vorteil nicht wie damals in einem Kaiserreich, sondern immer noch in einer Republik zu leben. Noch dürfen auch Arbeitende und Kreative – mit einem Wort: Proletarier – wählen. Und das wird sich auswirken. Gerade die Künstler und Künstlerinnen der Republik setzen bei den Bundestagswahlen in die Piratenpartei ihre Hoffnung, damit sie endlich wieder in Deutschland arbeiten und davon auch leben können.

Wer jetzt immer noch fragt warum er die Piratenpartei wählen sollte, obwohl er von deren Nutzen im Parlament überzeugt ist, der hat die Demokratie schon aufgegeben. Der hat sich selbst schon aufgegeben.

Radio Utopie jedenfalls wünscht der Piratenpartei gutes Gelingen. Wir werden berichten.

update:

Die Gamer-Community „pcaction“ meldet heute bei einer Umfrage 48.57 % Prozent für die Piratenpartei.

(…)

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Quellen:
(1) http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/was-die-exklusive-handelsblatt-umfrage-zeigt;2443558;2
(2) http://www.readers-edition.de/2009/08/17/piraten-an-die-macht/
(3) http://www.radio-utopie.de/2009/08/07/fdp-angst-vor-piratenangriff-auf-bundestag/
(4) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/0812/politik/0004/index.html
(5) https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=4517
(6) http://www.kult-werk.de/GEMA/UrteilverkuendigungClear.htm
(7) http://www.heise.de/newsticker/SPD-und-Gruene-versuchen-sich-im-Umgang-mit-der-Piratenpartei–/meldung/143445
(8)
http://www.pnp.de/nachrichten/artikel.php?cid=29-24818982&Ressort=bay&BNR=0
(9) http://www.gulli.com/news/majorlabel-am-boden-braucht-2009-08-15/