In Sachsen, Thüringen und dem Saarland schlägt heute der Wähler die Trommeln. Man wird sie bis nach Berlin hören. Seien Sie live dabei.
Dieser Ticker wird heute in regelmässigen Abständen mit Neuigkeiten geflutet. Zum Einlesen erstmal die Ergebnisse und Verhältnisse in den betreffenden drei Bundesländern seit den letzten Wahlen, nachzulesen hier, hier und hier.
Was sie in ein paar Minuten sehen und hören werden, hat es noch nie gegegen. Bisher hat nach jeder Wahl derjenige der verloren hat erzählt, er habe noch nie verloren und schon gar nicht gegen den Wähler, den er bisher immer erfolgreich beschissen hätte.
Diese Version ist nicht mehr up to date, wie der Weise zu sagen pflegt. Man verliert wieder. Sogar gegen den Wähler in Tomanien.
Auch machen was man will, kann man nicht mehr. Dabei hat man es doch eigentlich schon immer. Nun heisst es gleich, „Ganz ruuuhig. Wir sind doch noch nicht unten angekommen. Wir fliegen doch noch.“
Also: hier gibt´s was zu Gucken, hier gibt´s was zu Lesen und natürlich alles durch eine Brille mit Demokratiedurst. Noch stehen Sie da und schwatzen, überall. Und haben schon die Prognosen in der Tasche und versuchen drumrum zu reden bis 18.00 Uhr.
Nun ja. Nur noch ein paar Minütchen…
18.00 Uhr:
BONG! Prognosen ARD.
Thüringen: CDU 32.5 % (-10.5), Linke 26.0 % (-0.1), SPD 18.5 % (+4.0), Grüne 5.5 % (+1.0) , FDP 8.0 % (+4.4), Freie Wähler 3.5 % (+3.5), NPD (+4.8), Andere 1.2 %. Eine schwarz-gelbe Regierung scheidet aus.
Saarland: CDU 34.5 %, SPD 25.0 %, Linke 21.0 %, Grüne 5.5 %, FDP 9.5 %.
Sachsen: CDU 41.0 %, Linke 20.0 %, SPD 10.0 %, Grüne 6.0 %, FDP 10.5%, NPD 5.5 %, Andere 6.5 %. Die Piratenpartei findet bei der ARD nicht statt. Es reicht für eine schwarz-gelbe Regierungskoalition.
Wahlbeteiligung: in Sachsen runter, in Thüringen rauf, im Saarland stark rauf.
18.17 Uhr
Erste Hochrechungen ARD.
Saarland:
CDU 34.6 %, Linke 20.7 %, SPD 25.1 %, Grüne 5.7 %, FDP 9.3 %.
Seite neu laden nicht vergessen. Uff..
Thüringen:
CDU 32.2 %, Linke 26.1 %, SPD 18.7 %, Grüne 5.7 %, FDP 8.1 %, NPD 4.7 %.
Sachsen:
CDU 40.9 %, Linke 20.5 %, SPD 9.9 %, Grüne 6.1 %, FDP 10.5 %, NPD 5.4 %, Andere 6.7 %.
18.35 Uhr
Gucke da. Wer steht denn da im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Kreuzberg? Frank-Walter Steinmeier (Spitzenkandidat) und Franz Müntefering ( Vorsitzender). Schon der erste Satz von Steinmeier macht alles klar. Nach der endlosen Klatschkanonade der Genossen sagt er: „Die Botschaft ist angekommen“ und lacht. Noch mehr Beifall. Mit dem Planeten Erde wird wieder einmal abgeschlossen, die Leute hätten.. da bricht die Übertragung ab und es kommt ein sehr blasser Heiko Maas auf den Bildschirm. Mamas kleines Gruselkabinett. Der bemühte ARD-Hilfesteller fragt ihn nicht, wie er es geschafft hat im Saarland eine sozialdemokratische mit 21 Prozent Partei geschaffen hat die nicht die seine ist, sondern er konstatiert Maas – zärtlich zu ihm hinab gebeugt – dass ein Parteifreund von ihm gesagt habe, Maas hätte es geschafft die SPD „aus der Schockstarre zu befreien“. Wie er das hingekriegt habe, fragt er Maas.
Einen Augenblick ist man sicher, ohne Schnitt in einem Monthy Python Film gelandet zu sein.
Dann fängt sich Maas wieder und rattert seine Sprüche runter. Der ARD-Garderobenständer dankt ihm nochmal, fast haut er ihm auf die Schulter, Schnitt –
Dieter Althaus, demnächst (mutmasslich) ex-Ministerpräsident in Thüringen. Seine Gesichtsfarbe ist ebenfalls nahe dem Tapetenweiss. Auch er steht da und erzählt etwas von Verantwortung und deshalb wolle er natürlich im Amt bleiben.
Die erste Kandidaten-Runde in Thüringen wird ein Messerwetzen. Christoph Matschie, Mr. 18 Prozent mit breitem SPD-Kreuz, giftelt gegen Bodo Ramelow (Linke) und der wiederum ist so in Fahrt, dass er Matschie fast sagt was er von ihm hält. Der Hintergrund ist typisch SPD.
SPD-Spitzenkandidat Matschie hatte nämlich schon vor der Wahl versprochen, dass die SPD lieber Rüdiger Althaus noch einmal zum CDU-Ministerpräsidenten machen würde, als einen einen Linken in dieses Amt zu wählen. Das wird für die SPD noch einmal ganz besonders peinlich, da nach der letzten Hochrechnung die Linke nur noch knapp 4 Prozent hinter der CDU liegt.
„Demokratieunfähigkeit“ wirft Ramelow dem lippenkauenden SPD-Helden Matschie neben ihm noch zu, da wird schon umgeschaltet zu Guido Westerwelle.
Der FDP-Bundesvorsitzende hat den Braten denn auch gerochen und äussert sich vorsichtig. Er gestattet sich süffisant darauf hinzuweisen dass man in Sachsen vor der SPD sei und bezeichnet den heutigen Wahltag als „Warnschuss für die ganze Republik“. Es gäbe die Möglichkeit dass „rot-rot-grün an die Macht kommt“. Der Zuschauer will ihm den Gefallen tun und mitzittern vor Angst, nur mag es irgendwie nicht so recht gelingen. Wie soll man Angst vor einer SPD haben die seit 90 Jahren nicht mehr rot ist und in Sachsen froh ist, wenn sie als viertstärkste Partei über 10 Prozent kommt?
19.25 Uhr
Die aktuellen ARD-Hochrechungen (1), sie zeigen keine grundsätzlichen Veränderungen mehr.
Saarland:
CDU 33.9 %, Linke 21.4 %, SPD 25.1 %, Grüne 5.7 %, FDP 9.3 %.
Thüringen:
CDU 31.7 %, Linke 27.5 %, SPD 18.5 %, Grüne 5.7 %, FDP 7.4 %, NPD 4.7 %.
Sachsen:
CDU 40.9 %, Linke 20.3 %, SPD 10.0 %, Grüne 5.9 %, FDP 10.3 %, NPD 6.8 %, Andere 6.8 %.
19.30 Uhr
Die Berliner Runde der Parteigeneräle. Es hat was, wenn man früher gern Geisterbahn gefahren ist und ab und zu noch einen nostalgischen Sehnsuchtsanfall nach der guten alten Bonner Republik hat. Ronald Pofalla, CDU-Generalsekretär ohne Vergleich, bringt es näselnd auf die alte Adenauer-Formel „Keine Experimente“. Dirk Niebel (FDP) fällt wieder einmal vorne über in die Kamera und macht den Eindruck, als warte er durch die Bank weg auf den Startschuss für die bürgerliche Bundesregierung ohne den Schuss zu hören, der eben laut und deutlich aus immerhin zwei Bundesländern zu hören war, selbst in der Käseglocke Berlin.
SPD-Generalissimus Hubertus Heil wiederum, hier wurde schon geschrieben über ihn, bringt ältere Mitbürger nicht dazu früher einzuschlafen, sondern früher zu sterben. Richtig witzig wurde es, als Ronald Pofalla ihm durch die Nase befahl mal ruhig zu sein und seinem SPD-Koalitionspartner Heil beschied: „In einem Bundesland unter 10 Prozent, in einem unter 20 und im Saarland verloren. Ich finde Sie sind bescheiden geworden beim Feiern“.
Heil verwies dann in seiner ganzen Grösse einerseits darauf, dass man in Thüringen unbdingt den eigenen Spitzenkandidaten mit seinen 18 Prozent zum Ministerpräsidenten machen wolle, um damit sicherzustellen dass Matschie wenigstens Minister einer CDU-geführten Regierung unter Rüdiger Althaus werde. Andererseits sei man gegen eine Roten Socke-Kampagne, Pofalla dazwischen „die stinken, die Roten Socken“, man blödelte etwas hin und her. Heil hielt sich dann an dem Begriff fest, den in der immer noch laufenden Schröder-Ära der SPD jedem Führungsfunktionär morgens als erstes in den Tee getan wird: „strategisch“.
Gegen die SPD könne nicht regiert werden. Man sei da in einer „strategischen Position“. Wer die Sprüche hört, der erinnert sich wieder einmal an die Sprüche aus den 80er Jahren. Allerdings von der FDP.
Dietmar Bartsch, der als Wahlkampfleiter der PDS 2002 dafür sorgte dass die Partei aus dem Bundestag flog und dafür bis heute vielleicht sogar extra bezahlt wird, hielt gut mit. Er sei „total erleichert“ über das Wahlergebnis, es hätte in 60 Jahren Bundesrepublik nie eine Sonderrolle für Linke gegeben, daher wolle man auch mal einen Ministerpräsidenten als stärkste Partei in einem Bundesland, es müsse Steuererhöhungen geben (erste Reaktion des Wählers „oh nein“, da hilft auch kein „Millionärssteuer, Millionärssteuer“ hinterher) und dem aufmerksamen FDP-Generalsekretär Dirk Niebel warf er hinüber, man brauche (mitten in der laut Banken-Hochrechnungen 10 Billionen Euro (2) teuren Kapitalismus-Krise) „mehr Wachstum und Beschäftigung“, das würden doch alle unterschreiben.
Steffi Lemke, Mitbegründerin der Grünen in der DDR 1989, machte wieder einmal einen durchweg freundlichen, aber bestimmten Eindruck. Sonderlich Bürgerliches nach Hamburger Art war von ihr nicht zu hören, aber man hat fast den Eindruck als macht Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Geschäftsführerin aus ihrer Perspektive genau das Richtige – die eigene Politik betonen, geschickt sich aus dem Torf-Bewurf der absaufenden „Volksparteien“ heraus und gleichzeitig alle Optionen offenhalten.
20.15 Uhr
Nach lauter Spitzenrunden auch aus den Bundesländern Saarland, Thüringen und Sachsen ist es Zeit für eine grobe
Zusammenfassung und Analyse
Sachsen
Kein Wunder, dass die Wahlbeteiligung dort im Gegensatz zu den beiden anderen Landtagswahlen nochmal gefallen ist. Sie wird erst wieder steigen, bis die kleine Koalition aus CDU und SPD unter 50 Prozent gefallen ist, davon trennt diese laut der letzten Hochrechnung noch gerade mal 0.6 Prozent.
Nochmal in Zeitlupe: die „grosse“ Koalition der Berliner Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD ist in Sachsen knapp über die 50-Prozenthürde gekommen.
Und dann steht da dieser SPD-„Spitzenkandidat“ (auf welches Amt eigentlich?) Thomas Jurk mit seinen neunkommaneun oder doch 10 %, redet in einem Tonfall als würden demnächst Schulen nach ihm getauft und erzählt eine surreale Oper daher, das hat die Welt noch nicht gehört.
Das Wahlergebniss der Piratenpartei Sachsen war und war und war einfach nicht in Erfahrung zu bringen. Wer es weiss, bitte in die Kommentare setzen.
Also, Sachsen nochmal auf 5 Jahre Autopilot gestellt. Mein herzliches Beileid. Der Nächste bitte.
Thüringen
Leider schafften es Die Guten mit einer Handvoll junger Leute innerhalb von drei Monaten bloss bei der Thüringer Kommunalwahl am 7.Juni in den Stadtrat von Jena und nicht auch noch kurz danach 1000 Unterschriften für die Teilnahme an der Landtagswahl zusammen zu bekommen. Da auch die Piratenpartei nicht antrat, fehlte der Wahl das gewisse Etwas. Die Freien Wähler Thüringen schafften es (nach einem gewohnt schlechten Wahlkampf) immerhin auf 3.5 Prozent.
Nun, stellen wir uns doch mal einen Ministerpräsidenten Christoph Matschie vor. Sehen Sie, da haben wir schon das Problem: das geht nicht.
Also haben wir da die Möglichkeit des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (übrigens Born in BR) oder wieder das Skifahrer-Ass Rüdiger Althaus. Da die SPD mutmasslich nicht willens genug.. – halt, streichen – ..da die SPD mental nicht ausreichend begabt ist im Jahre 2009 das Ende des Kalten Krieges zu bemerken, wird es auf Althaus hinauslaufen. Allein das wird der Linken zur Bundestagswahl am 27.September schätzungsweise ein Prozent extra obendrauf packen. Die „strategische Position“ der SPD ist also unter aller Sau, aber das passt eben zu ihrer Politik.
Ah. Wo wir schon beim Thema sind.
Saarland
Heiko Maas sitzt in der Müntefering-Falle. Vernichtet er die SPD im aussichtslosen Versuch als Jünger des auf ganzer Linie gescheiterten ex-Kanzlers Gerhard Schröder im Nachhinein recht haben zu wollen, quasi als unpassend junger Statist in der Fortsetzung von „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ für über 60-Jährige?
Wenn Maas heute Abend nicht nur blass, sondern auch noch froh genug darüber ist die Chance zu haben demnächst diletantischer Ministerpräsident zu werden, könnte er schlau genug sein zu versuchen seinen zukünftigen Mitminister Lafontaine am Kabinettstisch mühsam zu übersehen. Macht er Peter Müller dagegen, nach 13 % Verlust, wieder zum CDU-Ministerpräsidenten without a cause, schenkt er der Linken zur Bundestagswahl nicht ein Prozent (wie der andere Genius Matschie in Thüringen), sondern eher zwei bis drei Prozent zusätzlich.
Wer das jetzt für übertrieben hält, der warte es einfach ab. Das Potential für eine soziale und linke Partei liegt bei 20 Prozent, das haben Umfragen schon vor Jahren bewiesen. Das Problem von „Die Linke“ war seit dem Zwangsanschluss der WASG eben bloss immer, dass sie nie eine linke oder soziale Partei war, sondern bloss immer potentieller Regierungspartner einer überstarken SPD-Mutti aus alten Zeiten. Dass dies aber in der Informationsgesellschaft und Wissendemokratie des 21.Jahrhunderts genauso ein Fantasma ist, wie eine bürgerliche Mehrheit von Kalten Kriegern denen neokonservative Denkpanzer über die Neue Weltordnung das Ohr vollpusten, dürfte wenigstens seit heute allen klar sein.
Nun – warten wir also enspannt und gelassen ab, welche Art der Niederlage die SPD nun die beste dünkt. Ihre Politik zu ändern wird sie nicht schaffen, das wäre in etwa der Versuch Franz Müntefering als SPD-Vorsitzenden zu ändern. Das wäre genau der Versuch Franz Müntefering als SPD-Vorsitzenden zu ändern. Manche Dinge wird man los und manche eben nicht. Im Augenblick wird der Wähler die SPD los und tut der Welt damit einen Gefallen.
Was Angela Merkel angeht, so mochte man heute fast nostalgisch werden. Jürgen Trittin jedenfalls sah man bei einer Pressekonferenz von Bündnis 90/Die Grünen wie schon lange nicht mehr (3). Mit mit weit aufgerissenen Augen und ehedem berühmten Stilpausen sprach er in die Ferne…
„Dieser 30.August…das kann auch…der Anfang…vom Ende…der Kanzlerschaft Angela Merkels werden.“
Fehlt dem alten Göttinger Linken nur noch eine Partei, die einen anderen Kanzler stellen will. Ausser der CDU natürlich.
(…)
Quellen:
(1) http://wahlarchiv.tagesschau.de/wahlen/2009-08-30-EVENT-SNTHSL/index.shtml
(2) http://www.faz.net/s/Rub58241E4DF1B149538ABC24D0E82A6266/Doc~E46B727E834A44EB5A2522BBC5D15BE1F~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(3) http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ondemand100_id-video558824.html