Ist Deutschland noch systemrelevant?

Der Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwürgt den Staat. Derweil werden von diesem weiter die Banken bezahlt, mit Geld, was diese mit staatlicher Deckung selbst erfunden haben. In der Realwirtschaft wiederum wird man sich aufwendig-sinnlose Sterbebegleitung für den Opel-Konzern und die Industriearbeiterschaft leisten, um sich nicht mit den Banken anlegen zu müssen. Eine Republik wird überflüssig.

„Herrischer, politiksüchtiger Finanzminister zur Pflege abzugeben“: so oder so ähnlich lautet die Anzeige, welche man im Berliner Regierungsviertel nie aufgeben würde. Dafür ist Wolfgang Schäuble immer noch zu mächtig. Seine Doktrin ist die komplette Handlungsunfähigkeit des Staates, mithin die Entstaatlichung eines ganz normalen EU-Bundesstaates. Und niemand fällt ihm dabei in den Arm. Denn die Republik Deutschland, mit ihren 82 Millionen Menschen, scheint auch für diese Bundesregierung nicht mehr systemrelevant genug.

Um sich in die Psychologie der Fans desjenigen hinein zu versetzen, der den Abschuss von Passagierflugzeugen, den Militäreinsatz in der Republik, die gezielte Ermordung von „Verdächtigen“, Guantanamo-Lager auch in Deutschland und das Grundgesetz als lästigen Beifang eines gescheiterten Menschenbildes endlich beseitigen lassen wollte, reicht ein Blick ins neokonservative und damit SPD-nahe „Hamburger Abendblatt“ (1). Florian Kain und Barbara Möller schrieben dort am 3.November:

„Mit Wolfgang Schäuble hat Angela Merkel ihren erfahrensten Mann im wichtigsten Ministerium platziert. Und der CDU-Politiker ist dem Auftrag bereits gerecht worden..
Er mag diese neue Rolle als starker Mann am Kabinettstisch. Er, den viele bereits abgeschrieben hatten..
Wie Phoenix aus der Asche ist er aus dem Verhandlungsmarathon aufgestiegen. Schon qua Autorität scheint es ihm zu gelingen, Vertrauen in das zweite Kabinett Merkel zu schaffen..
Was für eine Genugtuung. Der Mann, der schon so viel gewesen ist und immer noch mehr werden wollte, rückt nun noch einmal groß ins Scheinwerferlicht. Und er genießt es, auch wenn er redet wie einer, der ohne persönlichen Ehrgeiz ist.“

Man hat es in der deutschen Presse, in der deutschen Politik, in der deutschen Kultur und in der deutschen Politik mit einer Generation zu tun, der in ihrer Jugend das Rückgrat gebrochen wurde und die sich deshalb, wenn sie mal mühsam versucht sich aufzurichten und nach vorne zu blicken, sich selbst einbildet nach oben zu schauen. Die Band „Surrogat“, mit dem jetzt ca.40-jährigen Patrick Wagner, drückte es vor ein paar Jahren in „Meine Generation“ so aus:

sie ist faul
sie ist alt
sie macht Angst
sie will nichts
riskiert nichts
sie zweifelt
verzweifelt an sich
ist immer auf dem Weg
und nie am Ziel
..und so debil
sie funktioniert
ist wohltemperiert
verdient nur Hohn..
ich hasse meine Generation

16 Jahre lang herrschte nicht der Kanzler Helmut Kohl, sondern das Regime Helmut Kohl. Danach sorgte dann sein ihn bewunderndes Pendant Gerhard Schröder, mit seinem Joschka als Alternativen-Fischer, für die Kontinuität der gleichen Eliten (das ist ein Schimpfwort), der gleichen Kreise, der gleichen Profiteure, der gleichen Lügen, aber mit neuen falschen Versprechen.

Das Ergebnis darf und muss man jetzt bewundern, politisch, kulturell, wirtschaftlich und natürlich auch „geldpolitisch“. Eine Opposition gibt es nicht mehr, eine Sozialdemokratie gibt es nicht mehr, eine Linke gibt es nicht mehr, nur noch Potemkinsche Kleindörfler, die aus Fassaden herausgucken und bunt bemalt mit ihren Etiketten winken, ob man nicht in ihr Etablissement wolle, man sei doch viel billiger als die anderen.

Aufbruch zu Aufbrauch, Frieden zu Krieg, Parlamente zu „Lähmung“, Enstaatlichung als Programm, um dem Generationenplan von Geheimbünden, Bekloppten und Gelderfindern zum kontinentalen Machtblock endlich den Weg frei zu machen; Zersetzung der eigenen Republik auf jeder Ebene, immer eine blöde Ausrede und ein falsches Lächeln auf den Lippen, immer muss man gerade weg wenn´s was zu Erklären gilt und immer hält man die Hand auf wenn´s was zu kassieren gibt. Dabei guckt man dann mit diesem leeren Ausdruck, der sagt „ich bin gar nicht da, ich bin gar nicht da, ich bin gar nicht da, gib mir, gib mir, gib mir, ich bin gar nicht da“, nimmt das Almosen, nimmt den Profit, nimmt den Posten, nimmt die Gnade, nimmt die Tritte, nimmt die Gunst seiner Meister entgegen und schleicht dann erbärmlich von dannen, der Schleim der Republik, aber immer schick angezogen; und im nächsten Augenblick wieder  angeknipst wie ein kleines Spielzeug, dass in die Hände klatscht.

Und klatscht. Und klatscht. Und klatscht. Und klatscht.

Wolfgang Schäuble sitzt seit 1972 im Bundestag. Das sind 37 Jahre. 37 Jahre meines Lebens sitzt Wolfgang Schäuble im Bundestag. Im Bundestag sitzt Wolfgang Schäuble. Seit 1972.

„Schäuble hat jetzt seinem Sprecher zufolge in seinem Kabinetts- Rundschreiben zur Aufstellung des Etats deutlich gemacht, dass sich die Ressorts nur auf wichtige durch den Koalitionsvertrag festgelegte Maßnahmen konzentrieren sollen..
Zusätzliches Personal lehnt Schäuble ab. Änderungswünsche dürfen die Ressorts nur bis Donnerstag nächster Woche vortragen. Dann will bereits der Bundestag – nach der Kabinetts-Sondersitzung und den Fraktionsberatungen am Montag – erstmals über einen Entwurf des Gesetzes zur Wachstumsbeschleunigung debattieren. Am 4. Dezember entscheide der Bundestag voraussichtlich abschließend, der Bundesrat folge am 18. Dezember, sagte Offer. Dabei geht es um die sieben Milliarden Entlastungen 2010 – unter anderem durch Erhöhung von Kinderfreibetrag und Kindergeld. Über den Entwurf will das Kabinett voraussichtlich am 16. Dezember erstmals beraten.
Berlins Regierender Bürgermeister nannte die Steuersenkungen und weitere Entlastungspläne von Schwarz-Gelb unbezahlbar. Ein starkes Ablehnungssignal wünsche er sich von der laufenden Tagung des Deutschen Städtetages. «Ich hoffe sehr, dass die Kanzlerin in diesem Punkt auch innerhalb der eigenen Koalition wachsenden Gegenwind bekommt.»“

Ich möchte keinen Content-Klau begehen. Der Grund, weshalb ich dieses surreale Geschwafel der „Zeit“ (2) hier so ausführlich hineinkopiert habe, ist, dass sich an diesem Beispiel verdeutlichen lässt, was passiert: Klaus Wowereit versucht, wie die gesamte SPD, zur Zeit nichts Anderes, als eine Verbesserung der Lebenssituation von Menschen in diesem Lande mit allen Mitteln zu verhindern. Denn das wäre der Beweis, dass es in den letzten 11 Jahren eine Alternative zur Steigerung des Systems Kohl gegeben hätte. Deswegen darf, aus Sicht der Fantompartei SPD, auch auf keinen Fall das Kindergeld erhöht werden.

Wolfgang Schäuble wiederum versucht nichts anderes ausser die laufende Entstaatlichung der Republik – die vollkommene Handlungsunfähigkeit des Staates auf allen wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Gebieten – mit allen Mitteln durchzusetzen. Übrig bleiben soll allein die militärisch-polizeiliche, aber auch diese nur im Kontext des von ihm entscheidend geprägten und entworfenen „Stockholmer Programms“ der sogenannten „Europäischen Union“, deren „Direktiven“ – angeordnet durch Regierungen, nicht durch ein Parlament – in Deutschland sukzessive den alttestamentarischen Begriff „Gesetz“ ersetzen.

Übrigens: vor einer „völligen Entstaatlichung“ Deutschlands, die durch eine zu mächtige EU-Kommission drohe, warnte im Oktober 2005 niemand anderes als Gerhard Schröder (3). Seit er anschliessend auf dem Gipfel des EU-Rates (das ist das einzig relevante Gremium der „EU“, die Regierungen der Mitgliedsstaaten) offenbar mit entsprechenden Pfründen ruhig gestellt wurde, war von dieser Befürchtung natürlich nie mehr etwas zu hören.

Wie surreal, wie absurd die Handlungen auch dieser Bundesregierung sind, kann an der Tatsache ermessen werden, dass eine ganz normale kommerzielle Bank wie die Hypo Real Estate Bank als „systemrelevant“ erklärt, vom Staat aufgekauft wird und nach mehr als 100 Milliarden Euro Subventionen nun nochmal 3 Milliarden hinterher geworfen bekommt. Zusätzlich werden Garantien von weiteren 52 Milliarden Euro bis Juni 2010 verlängert (4). Von der insgesamt durch Banker diktierten Garantiesumme des Staates von einer halben Billion Euro im Zuge des „Finanzmarktstabilisierungsgesetzes“ vom Oktober 2008 für ihr globalisiertes Bankensystem ganz zu schweigen.

Niemand redet mehr darüber, dass sowohl FDP, Grüne als auch Linke mit einem einfachen Nein zur Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages dieses finanzielle Ermächtigungsgesetz zumindest aufhalten hätten können (5), um es entsprechend des Verfassungsauftrages wenigstens einer regulären Beratung durch das Parlament zu unterziehen. Sie taten es nicht. Stattdessen führte die Opposition eine Schmierenkomödie auf, um der Republik vorzumachen, sie sei noch eine.

Nun sitzt die FDP an der Regierung. Ganz ehrlich – ich bin froh darüber. Wohlgemerkt, froh über wenigstens einen minimalen Wechsel im Machtgefüge, einem Rauskomplimentieren Wolfgang Schäubles aus dem Innenministeriums, einem Abgang des Verteidigungsministers Franz Jung und sehr, sehr froh über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Justizministerium.
Nicht froh bin ich über den neuen FDP-Wirtschaftsminister Heiner Brüderle, der heute mal wieder verlautbarte, dass er sich nur von Banken und Konzernen erpressen lässt, aber doch nicht von irgendwelchen verrückt gewordenen Fabrikdrohnen bei Opel.

Es sei hier einmal vermieden, auf die ganze Schmierenkomödie verschiedener globalisierter Konzerne wie General Motors oder Magna einzugehen. Auch die ganze weltpolitische Bedeutung von Machtwidersprüchen zwischen dem real existierenden EU-Bundestaat Deutschland, mit dessen (noch vom deutschen Parlament gewählten) Bundesregierung, und der US-Regierung in Washington, soll ausnahmsweise mal nicht detailreich dargestellt sein. Konzentrieren wir uns auf das, was geschehen müsste und nicht geschehen wird.

Auch hier dazu ein ausführliches Text-Original, von einer ausgesucht entstaatlichten Zeitung, die bei jedem Artikel klarmacht, wohin doch alle Wege führen (6):

„Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten mit Opel-Standorten wollen Opel retten. Das kann dazu führen, dass Brüderle bald das exekutieren und politisch gutheißen muss, was er aus Überzeugung ablehnt: Staatshilfen. Im Frühjahr, als die FDP sich für den Wahlkampf heiß redete, sagte Brüderle kühle Sätze wie diese: „Autos werden nicht besser, wenn der Staat Unternehmer wird.” Gestern gab sich der Freidemokrat zurückhaltender: „Wir werden uns nicht erpressen lassen”, sagte er.

FDP-intern hat längst der Richtungsstreit darüber eingesetzt, wie mit dem neuen Fall Opel umzugehen ist. Marktliberale sprechen im Stile Guttenbergs hinter vorgehaltener Hand von geordneter Insolvenz und davon, dass es sich verbiete, „Steuermilliarden in das marode Unternehmen zu stecken”. Andere Liberale, die wie in NRW in Mitregierungsverantwortung stehen, sehen sich in einer „brisanten Zwickmühle”.“

Heute gibt es für FDP-Bundeswirtschaftsminister Heiner Brüderle beim Opel-Problem keinen besseren Verbündeten als die Feudalisten der IG Metall; allen voran eine der unvorstellbarsten Witzfiguren, welche das in Kontinuität befindliche neokonservative System Helmut Kohls und Gerhard Schröders jemals hervorgebracht hat: den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz.

Einig im Willen weiter von den Arbeitenden üppig alimentiert zu werden, werden auch FDP und IG Metall einen Weg finden, in Zeiten der Kapitalismus-Krise die Industriearbeiterschaft irgendwie dicht zu texten und dabei eine temporäre Lösung aus dem Hut zaubern. Dabei können sie darauf zählen, dass das politische Bewusstein, das gesellschaftliche Verwantwortungsgefühl und das Gewissen für die Republik sowohl bei ihnen selbst, als auch bei der Industriearbeiterschaft, gleich Null ist. Jeder schert sich einen Dreck um alles und versucht nur irgendwie kurzfristig seine Interessen durchzusetzen, mit dem Unterschied, dass sowohl die „Gewerkschaften“, als auch die „Parteien“, sehr viel besser als die Arbeiterschaft wissen, dass durch dieses System des Geldmonopols der Banken – und die dadurch resultierende sklavische Abhängig- und Erpressbarkeit der Realwirtschaft – der Industriekonzern Opel nicht mehr zu halten sein wird.

Mit dem Geldsystem aber sind weltweit für den „Normalbürger“ nicht vorstellbare Privilegien für die Banken und ihre Kaste verknüpft, welche diese mit allen Mitteln verteidigen werden. Ein Mittel dazu ist der Bankenstreik, die wirtschaftliche Destabilisierung ganzer Staaten und die dann folgende Erpressung von Bankentributen („Bail Out“, „Finanzmarkstabilisierungsgesetz“, etc). Real existierende Wirtschaft springt dabei schlicht über die Klinge, ganze Staaten und Gemeinwesen hinterher, meistens auch noch freiwillig, weil sie zu dumm für die Demokratie sind.

Genau so wird es auch jetzt passieren. Die Arbeiterschaft wird sich, von den durch sie selbst finanzierten Kasten aus „Politik“, „Parteien“ und „Gewerkschaften“, einfach zum Hundertsten Male dichtquatschen und betrügen lassen, weil sie glaubt, dadurch wieder den Rest ihres Lebens die Kaste der Konzerne (und damit die hinter ihnen stehenden Banken) mit ihrer Arbeit ernähren und füttern zu dürfen.

Das Ergebnis der Farce um Opel wird – nach „langen und zähen Verhandlungen“ – die kurzfristige Bezahlung irgendeines Konzerns sein, damit er die Arbeiterschaft nur etappenweise und nicht in einem Schwung rausschmeisst. Dabei wird man, zu Recht, auf das Prinzip der Entsolidarisierung setzen. Einmal rausgeworfen, kümmert ein Arbeiter bei Opel keinen mehr. Vielmehr sorgen sich nun die Übriggebliebenen noch mehr um ihren eigenen Arbeitsplatz und lassen sich die Löhne noch mehr kürzen. Es dürfen nur nicht zuviele auf einmal rausfliegen, dann könnte die Lage „instabil“ werden.

An den Eigentumsverhältnissen wird natürlich nicht gerüttelt werden. Was braucht der Staat irgendeinen real existierenden Wirtschaftsbetrieb, wenn er schon schwarze Löcher wie die Hypo Real Estate füttern muss.

Die Frage, wie lange weltweit überhaupt noch Automobile in dieser Zahl und Grössenordnung produziert werden können – und wer die überhaupt kaufen soll, wenn die von Kapital und deren Konzernen ausbezahlten Löhne für die Arbeitenden weltweit ins Bodenlose fallen – wird dabei nicht gestellt. Es will auch niemand wissen. Es will niemand mehr irgendetwas vom Anderen, vom Gemeinwesen, oder sich selbst wissen.

Es will überhaupt niemand mehr irgendetwas wissen. Das behindert einen nur am Lügen und am Selbstbetrug.

Dieses Land, diese Gesellschaft, ihre Republik, ihre Realwirtschaft, Politik, Kultur und Schwerkraft, verschwindet vor unseren Augen. Begleitmusik: endloses Geschwätz. Übrig bleibt das grosse Nichts des Gemeinsamen und individuelle Opfer – leichte Beute für die Errichter eines neuen Korsetts für alte Privilegien, der schönen „Neuen Weltordnung“.

(…)

weitere Artikel:
21.02.2009 Prognose: Das Verschwinden von Opel, Industriearbeiterschaft, SPD und DGB
06.09.2008 Das Schwarz-Rote Loch: Die Republik wird verkauft

Quellen:
(1) http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1255488/In-Merkels-Auftrag-Wolfgang-Schaeuble-haelt-die-FDP-in-Schach.html
(2) http://www.zeit.de/newsticker/2009/11/4/iptc-bdt-20091104-642-22898044xml
(3) http://www.123recht.net/article.asp?a=14737&ccheck=1
(4) http://www.n-tv.de/wirtschaft/Frische-Milliarden-fuer-HRE-article576963.html
(5) http://www.radio-utopie.de/2008/10/14/lafontaine-und-kuhn-zustimmung-zu-ermaechtigungsgesetz-durch-die-hintertuer/
(6) http://www.derwesten.de/nachrichten/nrz/2009/11/4/news-139585811/detail.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert