Nachtrag zur „Blogger Conference Germany“ am 14./15. November in Berlin.
Es ist seit Jahrzehnten so, in der Republik: entwickelt sich irgendwo irgendetwas Neues, wird eine Innovation vorgestellt, macht irgendjemand einen Anfang, dann heisst es, „Neu? Aber das gibt´s doch noch gar nicht..“
Es ist die Logik unseres Wirtschaftssystems: für das, was noch nicht da ist, gibt es auch keinen „Markt“. Ergo kann man es nicht „verkaufen“. Ergo kann auch nicht sein, was nicht verkäuflich ist. So auch mit der Wahrheit, mit der Information, mit der Presse, mit den Medien. Nur das, was die Leute kaufen wollen, kann man ihnen auch verkaufen, so der Abgrund der Postmoderne im Spätkapitalismus. Alle halten sich an irgendwelchen Bilanzen und Statistiken fest (die ihnen von „Markt- und Meinungsforschungsinstituten“ verkauft worden sind) und erklären, die Leute würden nichts Neues wollen, weil es noch nicht da sei und ihnen deshalb auch nicht verkauft werden könne.
Genauso in der Politik, welche sich mittlerweile in jeder einzelnen Bundestagspartei diesen Regeln der Wirtschaftsordnung vollständig und bis zur Selbstaufgabe unterworfen hat. Die Leute würden ja auch keine neue Partei wählen, selbst wenn sie da wäre. Sie sei ja schliesslich noch nicht da. Na gut, die zwei Prozent der Piratenpartei bei der Bundestagswahl, aber was heisst das schon. Die Leute nehmen das Produkt nicht an. Sehen Sie doch, hören Sie doch, ja nun lassen Sie das doch, nun kaufen Sie schon unser Zeug, ja nun machen Sie doch, ja was soll das denn..
Wenn eine in 16 Jahren Kohl (und anschliessend 11 Jahren SPD) nach oben geschwemmte Generation von Verkäufern mit allen Mitteln versucht, den Leuten ihre „Produkte“ anzudrehen, dann kommt genau das dabei heraus, was wir hier jeden Tag betrachten. Die Allermeisten wissen ganz genau, dass hier nichts mehr stimmt in dieser Republik, nichts, aber sie halten die Schnauze oder jammern leise in ihre Chatrooms hinein. Bestenfalls suchen sie sich irgendeine Tränke und dann ein naives Opfer, um ihren ganzen inneren Müll auszuschütten, ihr ganzes sinnloses, hohles Blabla und dann die ganzen Ausreden, warum sie den Leuten nichts Besseres verkaufen können, weil die es ja nicht haben wollten, weil es noch nicht da sei, weil die alle es ja nicht haben wollten.
Die ganze Repubklik ist zu einer Ansammlung von 82 Millionen Käufern geworden, die von einer kleinen Schicht von Verkäufern regiert wird. Die Käufer, früher vielleicht „Bürger“, „Staatsbürger“, „Erdlinge“ oder auch „Menschen“ genannt, nehmen heute als „Endverbraucher“ oder „Kunden“ eben das, was da ist. Es ist ja nichts anderes da. Es ist halt nichts anderes mehr da. Na dann nehmen wir halt das da. Ist ja nichts anderes mehr da. Und wer da was besseres bekommen hat, ja dem nehmen wir das wieder weg. Der denkt wohl, er sei was Besseres.
Man steht an der Startlinie, bibbert vor sich hin, krallt sich panisch am anderen fest und kreischt, „JA NUN ZIEH MICH DOCH, DU FAULE SAU, ZIEH MICH DOCH!! SIEHSTE, SIEHSTE, DU BIST AUCH NICHT BESSER ALS DIE ANDEREN!“. In einer gigantischen, epischen Reihe steht die Bevölkerung dieser Republik (überall sonst würde man das Volk dazu sagen), da stehen nun die Käufer und Verkäufer nebeneinander und wisssen schon gar nicht mehr, wer eigentlich wer ist. Aber alle warten auf den grossen Ruck und sagen, „Kunde, geh Du voran“.
Am eindimensionalen Rande die Monopolisten auf Veränderung: die Radikalinskis. Die „-isten“. Die dürfen das. Da geht das. Die wollen ja immer alles anders und das schlecht. Und die verlieren sowieso, also sollen sie mal machen, da. Du willst was anders machen? Ja dann stell Dich gefälligst zu denen. Dort können dann die Verkäufer und die Dienstverkäufer besser draufkloppen, also marsch, marsch, ab an den Rand. Wir wollen Dich hier nicht haben. Hier ist die Mitte und hier wird verkauft, was da ist.
Am letzten Wochenende war irgendetwas anders. Da waren Leute schon mal losgegangen und hatten sich in Berlin getroffen, in der c-base. Eigentlich waren es die Journal-„isten“, vor allem aber die Zivil-„isten“, und die sind bekanntlich am Gefährlichsten, wenn das Militär seit 8 Jahren im Krieg ist und die Käufer zu dumm sind das zu merken. Irgendwie war da was anders am Wochenende, weil da was anders war. Und weil das anders war, war das von denen. Na, von denen. Ja gucken Sie doch mal, gucken Sie doch mal, gucken-gucken-gucken Sie doch mal richtig hin, da und da und da und da, alle von da.
Und wenn Sie nichts sehen, weil da nichts ist, ja dann schau ich nochmal nach, ob ich noch was finde, was ich ihnen verkaufen kann.
Liebe Leute, die ihr nach allen möglichen Zersetzungsversuchen von da und da, den ersten unabhängigen Kongress von Journalisten, Bloggern, Medienarbeitern (und nicht Verkäufern), von Multiplikatoren, Bürgern, Sauerstoff-Tauschbörsenbenutzern und CO2-Emissionären organisiert, erarbeitet und möglich gemacht habt, ich danke Euch. Es war ein Anfang, der hier fehlt und es war nur der erste Schritt zu einer Veränderung, die alle wollen und niemand sieht, weil sie noch nicht da ist, weil sie niemand macht, weil sie niemand verkaufen will, weil sie keine Marktchancen hat.
Auf dem Kongress wurden u.a. folgende Entwicklungen vorgestellt: Martin Michel, 19 Jahre, Stadtrat in Jena, in der Partei „Die Guten“, stellte die von ihm entwickelte Suchmaschine „news-grep“ vor. Jens Blecker, der für diesen Kongress mehr gelitten hat als jeder andere, der stellte die neue Nachrichtenagentur Net News Express vor.
Michael Mross von MMnews war da und berichtete mal über das, was früher noch andere kritisierten, nämlich den Finanzkrieg Kapitalismus, den Krieg mit anderen Mitteln. Andy Müller-Maguhn (Chaos Computer Club) erklärte uns, warum für die Verkäufer die Informationsfreiheit der Webkommunismus ist. Mit Frederick William Engdahl im Rollstuhl zogen wir nachher umher und diskutierten über sein Referat „Totalitäre Demokratie in der neuen Weltordnung“ und warum sowas nicht einen besseren Verlag findet. Dazu sagte Wilhelm Ruprecht Frieling etwas, wie auch über die Buchwelt im Digitalen Zeitalter insgesamt, die alle Möglichkeiten hat, weil sie da sind, aber die nicht genutzt werden, weil man sie nicht kaufen muss, sondern nur gebrauchen und dafür bloss 5 Minuten Gehirn aufzuwenden, die aber nicht da sind. Prof. Dr. Bernd Senf war da und benutzte das Z-Wort, was früher öfters gebraucht wurde, als man noch in Frage stellen durfte, wozu der Zins im Finanzkapitalismus eigentlich da ist.
Ja, und Nicolas Hofer war auch da. Als sein Zuhörer ist es stets wie auf einem Silbertablett zu stehen, welches jemand trägt, der auf einem Drahtseit balanciert. Einer der Intellektuellen der Berliner Republik, mit einem hellwachen Geist, der wie viele ohne politische Heimat, Trutzburg und Wurzeln ist, weil das für solche wie uns noch nie da war, ist Nicolas Hofer einer der immer fragt, immer zweifelt und stets auf der Suche ist, dabei ständig in Gefahr vor lauter (Aus-)Verkäufern um sich herum irgendein Produkt in die Hand geschüttelt zu bekommen, was schon mal da war. Immer kleben ihm die Vampire am Fenster und wollen da rein, ständig kommen sie angeflattert und wollen alles untot beissen, was sich noch bewegt, auf der grossen, epischen Startlinie der Republik.
Wenn es ein Resumée gibt, was beim nächsten Kongress zu beachten ist, dann ist das alle mehr zu Wort kommen zu lassen, die da sind. Noch mehr zu diskutieren, noch mehr zu kontakten, noch mehr zu debattieren, aber eben nicht über Demokratie und Freiheit, sondern „für Demokratie und Freiheit“, mit seinen Werten Grundgesetz, Völkerfrieden und Religionsfreiheit. Und wenn es etwas gibt, was wir alle vor, während und nach dieser Konferenz erfahren haben, dann ist das der Versuch, genau solche Debatten von Dissidenten in der Berliner Republik mit allen Mitteln zu verhindern, und wenn das nicht geht, von linken und rechten Händen der gleichen Puppenspieler unterwandern und zersetzen zu lassen.
In diesem allen Ebenen laufenden weltweiten Krieg des 21.Jahrhunderts, in dieser müden, blinden Oase des mittleren Westens, in diesem Albtraum von Idioten, in diesem Potburri der Feiglinge, Stümper und Heuchler, in diesem ganzen Treibgut der Wohlstandsopfer und Verkäufer von Freiheit, Presse und Republik, habe ich an diesem ganz anderen Wochenende in der Weltstadt Berlin die Anwesenheit von Vielen genossen, wenn es auch wenige Genossen waren. Weil die lieber darauf warten, dass alles so schlimm wird, dass die Leute sich etwas erarbeiten was noch nicht da ist („soziale Bewegungen“ zum Beispiel), um dann anzukommen und zu sagen, „na endlich, und nun her damit, Genosse, ich geh voran, aber hinter Dir und wenn Du wieder was erarbeitet hast, Proletarier, dann reich es gleich nach hinten weiter, schliesslich weiss ich wo´s lang geht, wenn Du voran gehst“.
Wenn ich jemals wieder einen verdammten Haufen von Betrügern und Lügnern irgendwo in einem Hinterzimmer einer Kneipe in Neukölln sehen muss, ich glaube, dann raste ich doch noch aus. Und nein, ich will auch nicht über die Shoa diskutieren. Die war nämlich da, auch wenn ich nicht da war. Vielleicht sogar weil ich nicht da war.
Es wird hier bald eine ganze Menge geben, was noch nie da war. Wer das jetzt als Drohung sieht, der sieht das ganz richtig. Wer das nun als Hoffnung sieht, der sieht das vollkommen richtig. Es kommt eben immer auf den jeweiligen Standpunkt an und wer gerade da ist – hier, in diesem Jahrhundert, hier, in dieser Welt, und ja, auch hier in diesem Land, immer noch, oder auf einmal.
Gerede ist einfach. Verträge zwischen den Menschen zu schliessen, das ist sehr viel schwieriger. Der Gesellschaftsvertrag Grundgesetz ist der wichtigste, den die Menschen in dieser dritten Republik auf deutschem Boden haben. Bessere Verträge kriegt man immer, wenn sie da sind, aber wann sind sie das schon? Am Ende sind sie auf einmal wieder weg, weil man nicht da war. Oder weil da Leute waren, die meinten, das könne alles weg, weil die Leute es ja nicht kaufen täten, weil sie es ja schon hätten und deshalb auch nicht verteidigten, z.B. durch eine Bürgerrechtsbewegung. Weil sie nun einmal so seien, diese Leute von hier.
Es war im Jahre 1949, als ein gewisser Max Reimann, der erst da war, dann hier und später dort, zum Beschluss des Vertrages Grundgesetz folgendes sagte:
„Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“
Schön, wenn der Tag da ist. Dieser ist bekanntlich dann am Nächsten, wenn die Nacht am Tiefsten ist. Und genau da waren wir. Und von genau da kommen wir. Und zur Sonne, zur Freiheit, dorthin geht es immer noch – auch wenn wir sie nicht sehen können und deshalb denken, sie gar nicht mehr da.