Schaffen die linken Dummbeutel den Sprung ins 19.Jahrhundert?
Am 27. November trifft sich der „Verein zur Förderung von Demokratie und Völkerverständigung“ zum 20.Jahrestag der Gründung. Eingeladen wird zu einer Podiumsdiskussion mit dem vielsagenden Titel „Die politische Linke nach der Wahl – Anforderungen für ein mittelfristiges Reformprojekt“. Man bemüht sich – um eine Wiederherstellung der Wertetabelle zu Zeiten des Kaiserreiches.
Es ist wieder einmal Robert Zion, der sich abmüht, den dümmsten Linken der Welt durch ein Zeitfenster zu helfen, welches sie nicht sehen würden, selbst wenn es sie den ganzen Tag anschrei(b)en täte. Nun, wenigstens Zion kann man guten Gewissens unterstellen, bei der Verteidigung uralter fortschrittlicher und emanzipatorischer Standpunkte auch standhaft zu sein. Wenn er nur noch ein bisser erfolgreicher dabei wäre, in seinem Haufen. Vielleicht täte es auch eine simple Umtaufe, etwa in „Bündnis 1890/Die Grünen“, oder so ähnlich. Denn während der am 27.November beginnenden dreitägigen Jubiläumstagung des „Vereins zur Förderung von Demokratie und Völkerverständigung“ im nordrhein-westfälischen Hattingen (1) gönnt sich dieser nicht nur einen Versuch, möglichst vielen Wahlverlierern und -innen in der Berliner Republik des 21.Jahrhunderts ihren verdienten Status zu erläutern, sondern progressive und emanzipatorische Politik wenigstens wieder auf den Stand von SPD-Wahlprogrammen des Jahres 1890 zu bringen.
Nach dem Auslaufen des vom Kaiser nach merkwürdigen und fehlgeschlagen Attentaten erlassenen Sozialisten-Gesetzes, nutzte im Jahre 1890 die „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAP) die Gelegenheit und benannte sich flux in „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD) um. Im Jahre 2009 Jahre ist man bei dieser Partei nun so clever, im Artikel „Die SPD im Kaiserreich“ (2) die damaligen und späteren Wahlergebnisse einerseits 100 und andererseits 119 Jahre in die Zukunft zu versetzen:
„Das Gesetz verfehlte seinen Zweck völlig; nach seiner Aufhebung 1990 erhielt die Partei auf Anhieb 20% aller Wählerstimmen und schickte 35 Abgeordnete in den Reichstag.“
Zur Entschuldigung der cleversten Sozens aller Zeiten liesse sich allerdings noch hinzufügen, dass die Verwechslung schon allein deshalb nicht schwer fällt, weil die SPD in den letzten 11 Jahre selbst den Partei-(Kaiser) gestellt hat. DieseR wurde zwar wenigstens im Reichstag gewählt, aber dafür dessen Abgeordnete für so gewissensfrei erklärt, dass diese immer noch nicht machen müssen wozu sie gewählt sind. Genau wie vor 119 Jahren.
Die Verhältnisse mögen ja ähnlich sein, aber wenigstens haben sich die Forderungen der SPD verändert – wenn auch nicht zum Besseren. Ein Auszug aus dem Wahlprogramm der SPD Bielefeld im Jahre 1893:
„1. Beschleunigung der Einsetzung eines Gewerbe-Schiedsgerichts.
2. Errichtung eines städtischen Arbeitsnachweises, … Dem Arbeitsnachweisamt soll die fortlaufende Führung einer Statistik über Arbeitslosigkeit obliegen. Auch soll mit dem Arbeitsnachweisamte eine städtische Unterstützungskasse für Bielefelder Arbeitslose verbunden werden..
3. Freie Schule und freie Lehrmittel für alle städtischen Bürgerschulen..
4. Beschleunigte Vervollständigung der Wasserleitung, der Straßenpflasterung und der Straßenbeleuchtung in den, vornehmlich von Arbeitern bewohnten Außenstraßen Bielefelds..
5. Die Stadtverwaltung hat städtische Arbeiten nur an solche Unternehmer zu vergeben, welche sich verpflichten, in ihren Betrieben keine Gefangenen (zu) beschäftigen und in erster Linie einheimische Arbeiter einstellen zu wollen..
6. Die Straßenreinigung und das Feuerlöschwesen ist in städtische Verwaltung zu nehmen.
7. Für alle städtischen Arbeiter und Beamte darf die tägliche Arbeitszeit höchstens 8 Stunden betragen
und ist als Minimallohn 3 Mk zu zahlen.
8. Die Sätze der städtischen Armenpflege sind zu erhöhen.
9. Zu Festlichkeiten dürfen städtische Gelder nicht verwendet werden; dagegen ist die Benutzung städtischer Plätze – Kesselbrink – zu Festen auf Verlangen allen Bürgern, ohne Rücksicht auf die Parteiangehörigkeit, in gleichem Maße zu gewähren.
10. Als Gemeindesteuer soll von allen Einwohnern, welche weniger als 2000 Mk jährliches Einkommen haben, nur 100 Prozent der staatlichen Einkommenssteuer erhoben werden. „
Ein „Gewerbe-Schiedsgericht“. Man stelle sich mal das Gesicht irgendeines Kaufhaus-Managers vor, der beim Staat gerade wieder einmal um ein paar Milliarden Subvention bettelt, nachdem er jahrzehntelang mit rotem Gesicht jedem zubrüllte, der Staat halte eh nur die Hand auf und habe sich rauszuhalten, wenn man in aller Ruhe die kleinen Läden plattmache.
Eine „städtische Unterstützungskasse für Arbeitslose“. Also erstens heisst das „Kunden“ heutzutage, zweitens sind die alle selber Schuld, wenn das Kapital der Kapitalisten sich zwar selbst vermehrt, diese es aber nicht in den Wirtschaftskreislauf ausgeben wollen und der daraufhin absäuft, und drittens ist das alles Sozialismustheorie. Es gibt gar keine „Arbeitslosen“. Jeder kann doch umsonst arbeiten. Na sehn´se.
„Freie Schule und freie Lehrmittel für alle städtischen Bürgerschulen“. Man könnte fast sagen: ein bisschen zuviel DDR, und das schon 1893.
„Beschleunigte Vervollständigung der Wasserleitung, der Straßenpflasterung und der Straßenbeleuchtung in den, vornehmlich von Arbeitern bewohnten Außenstraßen Bielefelds“. Fehlt noch: „..und bitte nicht für die nächsten 100 Jahre `verleasen`, ihr Arschlöcher!“
„Die Stadtverwaltung hat städtische Arbeiten nur an solche Unternehmer zu vergeben, welche sich verpflichten, in ihren Betrieben keine Gefangenen (zu) beschäftigen und in erster Linie einheimische Arbeiter einstellen zu wollen“. Gut, man weiss ja, dass an der NSDAP im Grunde die SDAP schuld war, die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschland“, gegründet am 8.August 1869, u.a. von Wilhelm Liebknecht. Sehen wir doch mal ganz genau hin, bei diesem Wahlprogramm der SPD Bielefeld von 1893: sind da nicht Ähnlichkeiten vorhanden? Irgendein struktureller Anti-Hannoveranismus? So ein fremdenfeindlicher Unterton? „In erster Linie einheimische Arbeiter“. Das klingt doch verdächtig. Das ist doch typisch. Das ist doch genetisch veranlagt. Das stecken doch diese ganzen eingewanderten Polen im Pott dahinter.
Da fällt mir ein: wieviel bekamen eigentlich die Gefangen im Kaiserreich? Waren das am Ende alle Praktikanten?
„Für alle städtischen Arbeiter und Beamte darf die tägliche Arbeitszeit höchstens 8 Stunden betragen
und ist als Minimallohn 3 Mk zu zahlen.“
Nein. Offensichtlich nicht. Wenn man sich mal überlegt, was man für drei Mark damals alles kaufen konnte. Eigentlich waren diese Arbeiter damals alles Feudalisten und hatten einfach viel zu viel Zeit für Politik. Und dann „städtische Armenpflege“. Igitt, wie sich das anhört. Bleibt uns vom Leibe und wählt bloss die Anderen, nein, dann lieber gar nicht, neiiin, neiiiiin, HAAAALLLLLLLT…
„Zu Festlichkeiten dürfen städtische Gelder nicht verwendet werden. Dagegen ist die Benutzung städtischer Plätze zu Festen auf Verlangen allen Bürgern, ohne Rücksicht auf die Parteiangehörigkeit, in gleichem Maße zu gewähren.“
Es muss sich da um einen Rechtschreibfehler handeln. Da fehlen zwei Worte. Das muss heissen:
„Zu Festlichkeiten dürfen nur städtische Gelder verwendet werden. Dafür ist die Benutzung städtischer Plätze zu Festen auf Verlangen von allen Bürgern, ohne Rücksicht auf die Parteiangehörigkeit, in gleichem Maße zu gewähren.“
„Als Gemeindesteuer soll von allen Einwohnern, welche weniger als 2000 Mk jährliches Einkommen haben, nur 100 Prozent der staatlichen Einkommenssteuer erhoben werden“
Wie man sieht, hat sich wenigstens der gute alte Steuerstaat nicht verändert.
Man lese sich das alles nochmal in aller Ruhe durch und überlege dann, was in den letzten 116 Jahren eigentlich so passiert ist. Offenbar wurde soviel besser, dass man all diese Forderungen des 19.Jahrhunderts nicht mal mehr erheben braucht. Allen geht´s gut. Allen geht es besser. Nur den Linken geht´s schlecht. (4)
„Die gegenwärtige Krise der Linken im Allgemeinen und der Sozialdemokratie im Besonderen ist eine substantielle. Sie entspringt der schwindenden Steuerungsfunktion des Nationalstaates, dem postindustriellen Umbruch der Arbeitsgesellschaft, der erfolgten Aufkündigung der Sozialpartnerschaft seitens des Kapitals und der Zerstörung der natürlichen Reproduktionsgrundlagen in der Globalisierung. Sie ist die Krise einer Gesellschaftsordnung im Umbruch, der in seiner Tiefe mit dem von der Feudal- in die Industriegesellschaft verglichen werden kann. Die Krise unserer Gesellschaftsordnung ist die Krise des global gewordenen Kapitalismus schlechthin (der Zerstörung seiner gesellschaftlichen und natürlichen Reproduktionsgrundlagen und politischer Regulierungen).
Auch der (gescheiterte) Neoliberalismus hat diese Krise für den Kapitalismus nicht gelöst – er hat lediglich Reichtum und Chancen neu (nach oben) umverteilt, ohne das Problem der eigenen Reproduktion zu lösen.
Unsere Gesellschaften befinden sich daher an der Schwelle zu einer Neukonstitution des Politischen auf globaler, d.h. transnationaler Ebene. Solch ein im Entstehen begriffener Commonwealth wird nicht mehr entlang traditioneller reformistischer oder revolutionärer Rituale gestaltet werden können, sondern nur noch mit einer bewussten Gestaltung neuer Eigentums-, Produktions- und demokratischer Repräsentations- und Organisationsformen, die gerade aus den Trümmern des Alten entstehen.Dieser Transformationsprozess findet gerade statt, unabhängig davon, ob die parteipolitische Linke diesen zur Kenntnis nimmt oder nicht. Sie ist daher dazu aufgerufen, neue Begriffe zu entwickeln um ihn zu begreifen, sich wieder in die Gesellschaft hinein zu öffnen und Alternativen zu formulieren, die auch das eigene politische Selbstverständnis und die eigenen Arbeits-, Repräsentations- und Organisationsformen betreffen. Gemeinsame Foren, auch Ideen- und Zukunftswerkstätten sind daher unabdingbar.“
Dazu fällt einem nur noch folgendes ein: wer noch etwas mit diesem Jahrhundert zu tun haben will, der sollte begreifen, dass das vorletzte schon gewesen ist.
Am Samstag, dem 28.November, werden nun in Hattingen um 14 Uhr auf einer Podiumsdiskussion folgende Personen zusammen sitzen (1):
– die absolut tapfere Heldin des Denmokratischen Sozialismus, Franziska Drohsel, Bundesvorsitzende der „Jusos“ in der SDAP. Nein, SPD.
– Björn Böhning, „Vorsitzender des Forums DL21 e.V.“ (Und ich dachte schon, dass wäre diese Pfeife, der als Juso-Vorsitzender von 2004-2007 immer Männchen vor´m Kanzler gemacht hätte.)
– Ralf Krämer, Die Linke. (Moment mal, den kenn ich doch. War das nicht der Verkäufer der WASG?)
Dann gibt´s da noch Tom Strohschneider, Redakteur bei „Der Freitag“ (, die Zeitung, die 300 Bloggern in Kuba ein Denkmal baut und 120 andere in den Dreck zieht, wenn sie das Gleiche in Deutschland machen.)
Klaus Dörre, spw-Mitherausgeber, Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie, Universität Jena. (Jena. Da klingelt´s doch irgendwo. Hoffentlich nicht frühmorgens bei den Studenten.)
„Zurück in die Zukunft“ wäre jetzt das falsche Motto. Nein, hier hat uns bereits der Gegner ungewollt seine Inspiration konstruktiv zur Verfügung gestellt. Es fehlt nur noch ein kleine Ergänzung.
„Vorwärts in die Vergangenheit! Verdammt, und dann sind wir immer noch 120 Jahre zu spät dran!“
(…)
Quelle:
(1) http://www.robert-zion.de/downloads/Jubilaeumstagung%20_spw.pdf
(2) http://www.spd-schwaebisch-hall.de/index.php?mod=content&menu=801&page_id=4187
(3) http://www.spd-bielefeld.de/db/docs/doc_305_2002621125324.pdf
(4) http://www.radio-utopie.de/wp-content/uploads/2009/11/Thesen_Robert_Zion.pdf