Die Nichts-Republik

Der Luftangriff von Kunduz, Afghanistan und Franz-Josef Jung: Die Staatsaffäre um vom Militär und der Regierung unterdrücktes Beweismaterial über einen am 4.September von der Bundeswehr befohlenen Massenmord in unmittelbarer Nähe ihres Hauptquartiers in der zentralasiatischen Besatzungszone, ist mehr als nur ein „Versagen“ dieser seit Jahren allmächtig agierenden Institutionen; es ist der Offenbarungseid einer nicht mehr funktionierenden und nur noch rudimentär existierenden Demokratie.

09.00 Uhr, Donnerstag. Im Reichstag beginnt die Parlamentsdebatte über den von der Regierung gestellten Antrag auf „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO“ (1). In Drucksache 17/39 (2) soll nicht nur die Fortsetzung der deutschen Besatzung im zentralasiatischen Afghanistan beschlossen, sondern auch im neunten Jahr Regierung und Militär eine umfassende Kriegsvollmacht ausgesprochen werden, den Einsatz der Luftwaffe eingeschlossen. Auch im Jahre 2009 heisst es, es gelte der gleiche „Verteidigungsfall“, wie er nach den immer noch ungeklärten Attentaten des 11.Septembers 2001 auf us-amerikanischem Boden durch den Nordatlantikpakt beschlossen worden war.

Die Abgeordneten lesen bereits Zeitung. Das ist ungewöhnlich. Es ist die „Bild“-Zeitung (3). Darin steht, was 622 vom Volk gewählte Abgeordnete bisher angeblich nicht wussten und auf jeden Fall nicht wissen wollten, genauso wenig wie ihre 614 Vor- und Wiedergänger. Der neu ernannte Aussenminister Guido Westerwelle ergreift das Wort. Er spricht:

„Wir engagieren uns in Afghanistan aus Menschlichkeit, aber vor allem aus unserem ureigenen Sicherheitsinteresse. Afghanistan und das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet dürfen nicht erneut zum Rückzugsgebiet für Terroristen werden. Damit wir hier in Freiheit und Sicherheit leben können, auch dafür ist der Einsatz da.“

Noch nie hat ein afghanischer Staatsbürger ausserhalb seines Landes irgendein Attentat verübt. Es ist nichts über irgendwelche Verbrechen an deutschen Staatsbürgern durch Afghanen bekannt, welche vor der Invasion durch Nato-Truppen geschehen wären, geschweige denn, dass diese den Bestand dieser Republik gefährdet hätten. Es ist auch nach der Invasion deutscher Truppen in Afghanistan im Jahre 2001 nichts über irgendwelche politisch oder religiös motivierten Verbrechen an Deutschen bekannt geworden, von denen ein einziges einem Afghanen in einem ganz normalen Gerichtsverfahren nachgewiesen worden wäre.

Doch das alles ist nicht da. Das alles ist nicht wirklich. Das gibt es gar nicht. Es gibt nur das, was gesprochen wird. Es gilt das gesprochene Wort. Eine andere Realität hat es nicht zu geben, gab es nie und wird es auch niemals geben – weil sie Theorie wäre. Eine Verschwörungstheorie. Es zählt das gesprochene Wort.

Sicherheit ist das Schlüsselwort. Ohne Sicherheit gibt es in Afghanistan keine wirtschaftliche Entwicklung, keinen Aufbau demokratischer Institutionen, keine Freiheit und keine Gleichberechtigung. Ohne Sicherheit werden in Afghanistan keine Brunnen, keine Krankenhäuser und keine Schulen gebaut, schon gar nicht für Mädchen. Sicherheit ist daher das Schlüsselwort für unseren Einsatz. Darauf konzentrieren wir uns: auf den Schutz und die Sicherheit Deutschlands und Europas, auf die Verbesserung der Sicherheit für die Menschen in Afghanistan, aber auch auf die bestmögliche Sicherheit für deutsches Zivilpersonal und unsere Soldaten. Ihnen müssen wir vor allem die richtige Ausrüstung zur Verfügung stellen, und auch darauf wird die Bundesregierung ihr Handeln ausrichten.“

Dies ist nicht das Jahr 2009. Und im Jahre 2008 sind nach Angaben der Uno auch keine 2118 Menschen durch den Krieg in Afghanistan umgekommen. Und wenn, dann war es ja ein „Anstieg um 40 %“, wie man sagt. Das kann doch mal vorkommen. Gut, die in Kabul ansässige unabhängige Organisation Afghanistan Rights Monitor (ARM) meinte, es seien 4000 Tote gewesen (4). Aber wissen wir das? Nein. Wir wissen gar nichts. Gar nichts wissen wir. Es gilt das gesprochene Wort. 2007 waren es laut einer Nachrichtenagentur die mal durchzählte – weil das seit Kriegsbeginn niemand macht, wissen Sie? – in 2007 waren es also schon am 1.Juli 2800 Tote, als wieder so ein Luftangriff 130 Tote forderte. (5)

Aber Tote – gibt´s die überhaupt? Die Welt ist nicht einfach schwarz oder weiss. Die Welt ist grau, die Mitte der Gesellschaft. „Tot“, das ist doch nur eine Frage der Mediation. Wir finden schon eine Lösung. Entweder, oder, das ist was für Radikale und Störer. Für Verrückte und Verlierer. Wir gewinnen diesen Krieg, da gibt´s kein entweder, oder. Das ist überhaupt keine Frage.

Es gibt keine klaren Unterschiede zwischen dem, was wirklich und dem was unwirklich ist, genauso wenig wie zwischen dem, was wahr und dem was unwahr ist. Etwas ist nicht unbedingt entweder wahr oder unwahr; es kann beides sein, wahr und unwahr. Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemand. (6).

Es gilt das gesproche Wort. (1)

„Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:

Bitte, Herr Kollege.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Bitte schön, Herr Beck.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Außenminister, bevor Sie zum Ende kommen, wollte ich wissen – Sie haben den Punkt der Ehrlichkeit angesprochen -: Wie bewerten Sie angesichts des in der Bild-Zeitung veröffentlichten Berichts, demzufolge von Anfang an Kenntnis über zivile Opfer vorlag, die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums in der Amtszeit Ihres Kollegen Jung? Dieses Haus wurde von der Bundesregierung bislang nicht darüber unterrichtet.

Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:

Ich mache darauf aufmerksam, dass in dieser Debatte noch andere Wortmeldungen erfolgen werden, und bitte um Verständnis dafür.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hannemann, geh du voran!)

Offen gestanden glaube ich: Wenn ich hier als Außenminister zum ersten Mal ein solches Mandat einbringe, dann sollten wir der Debatte Genüge tun. Das gilt auch für Zwischenfragen, die nichts anderes zum Zwecke haben, als eigene Süppchen zu kochen. Das ist völlig unangemessen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte? Dann lesen Sie mal die Zeitung! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen, dass es längst Entscheidungen gibt. Es ist nicht an mir, hier zu diesen Entscheidungen zu sprechen.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Antwort hat die Bundeskanzlerin nicht erfreut, Herr Außenminister! – Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Wahrheit! – Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Sie jetzt Außenminister oder nicht? Die Wahrheit auf den Tisch!)

– Frau Kollegin Künast, Sie rufen dazwischen. Ich muss Sie fragen: Wissen Sie eigentlich, worüber wir hier reden?

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, im Gegensatz zu Ihnen!)

Wir reden darüber, dass Frauen und Männer in Gefahr kommen. Sie sitzen in der ersten Reihe und lesen Zeitung. Es ist absolut inakzeptabel und würdelos, wie Sie das hier machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, die Bild-Zeitung! – Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Wahrheit! Davor haben Sie Angst!)

Ich bitte Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandates, damit Deutschland entsprechend seinen wohlverstandenen eigenen Sicherheitsinteressen handeln kann, damit unser Land ein verantwortungsvoller und verlässlicher Bündnispartner bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus bleibt, damit die Stabilisierung Afghanistans gelingt und wir die Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle Übergabe schaffen können.“

Es ergreift der Herr Abgeordnete Johannes Pflug das Wort. Er redet viel über Frauen und Mädchen. Seit Jahren redet er viel über Frauen und Mädchen. Man kümmert sich, in Afghanistan. Das muss doch jemand tun, in der Welt – sich kümmern.

„Die zentrale Rolle spielt allerdings Pakistan. Das Land ist für die Islamisten immer noch logistisches Hinterland. Zwar ist Pakistan am Kampf gegen den Terror beteiligt; aber Pakistan ist viel zu schwach, instabil und intern zerstritten, um wirksam handeln zu können. Es hat keinerlei Kontrolle über sein Grenzgebiet zu Afghanistan. Gleichzeitig ist Pakistan Atommacht. Es ist in unser aller Interesse, dass die Atomwaffen nicht in falsche Hände geraten.“

Es ist unsere Pflicht, uns um die Atomwaffen eines anderen Staates zu kümmern. Damit sie nicht in falsche Hände geraten.

„Wir werden der Verlängerung des ISAF-Mandates zustimmen. Ich sage aber nochmals: Herr Minister zu Guttenberg, wir vertrauen darauf, dass Sie das, was passiert ist, rückhaltlos überprüfen und das Parlament darüber informieren. Ich wiederhole: Wenn sich die Berichte als richtig erweisen, werden wir die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss stellen.

Danke schön.“

Oh, bitte. Setzen Sie sich, Herr Abgeordneter. Ihr Vertrauen ehrt Sie. Denn Minister, Beamte, Generäle, sind ehrenwerte Leute. Ihnen kann man vertrauen. Abgeordnete müssen erst einmal Vertrauen lernen. Dann ehrt auch sie das Vertrauen. Und weil sie das ehrt, sind auch sie ehrenwerte Leute. Und weil sie das sind, ja deshalb sind sie das auch. Und weil das so ist, ist das vernünftig.

Der Minister Baron zu Guttenberg ergreift das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Pflug, ich will gerne Stellung nehmen zu dem geheimen Untersuchungsbericht, über den die Bild-Zeitung heute berichtet. Dieser Bericht war mir zum Zeitpunkt meiner Erklärung zu dem Bericht des ISAF-Kommandeurs nicht bekannt. Ich habe ihn jetzt zum ersten Mal vorgelegt bekommen.

Dieser Bericht wurde – wie andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode – nicht vorgelegt. Hierfür wurde an maßgeblicher Stelle Verantwortung übernommen, und die personellen Konsequenzen sind erfolgt.

– Lassen Sie mich bitte ausreden! – Der Generalinspekteur hat mich gebeten, ihn von seinen Dienstpflichten zu entbinden. Ebenso hat Staatssekretär Wichert Verantwortung übernommen. – Wenn ich hier hämisches Lachen höre, will ich an dieser Stelle trotzdem beiden für ihren jahrzehntelangen Dienst für unser Land danken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Selbstverständlich werden diese Berichte unverzüglich ausgewertet

(Thomas Oppermann (SPD): Ist das alles?)

und den Fraktionen zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Das versteht sich von selbst, und das ist auch mein Verständnis von Transparenz, was den Umgang mit solchen Vorfällen anbelangt.

(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ministerium ist ein Tollhaus!)

Der Bericht wird auch der Generalbundesanwaltschaft übergeben.“

Dieser Bericht hat nur deshalb innerhalb weniger Stunden zum Rücktritt des höchsten Militärs Deutschlands, sowie zum Rücktritt des jahrzehntelang einflussreichsten Strippenzieher im Verteidigungsministerium  geführt, weil er der „Bild“-Zeitung zugespielt wurde. Ob er nun auch noch der Generalbundesanwaltschaft übergeben wird, spielt allerdings in der Tat eine gewisse Rolle. In jedem Theaterstück gibt es die Rolle des Pausenclowns, des Lückenfüllers, zur Ablenkung des zahlenden Publikums, damit ihm nicht so schnell langweilig wird und es die Vorstellung verlässt. Denn das wäre das Ende der Vorstellung.

Auch das Bundesministerium für Verteidigung und der gesamte Bundestag und die Generalbundesanwaltschaft spielen eine Rolle. Und sie bemühen sich wirklich, ihre Texte gut aufzusagen. Jeder hat so seinen Part.

Am Ende des Tages kommt dann der Arbeitsminister wieder. Franz Jung, gefühlt eben gerade noch Verteidigungsminister, war für einige Stunden verschwunden, um nochmal die Aktenlage zu studieren, wie er sagte. Nun sitzt er erstmal auf der Regierungsbank. Schnell noch das mit dem O, E und F. Man braucht nur drei Buchstaben, um der Kriegsrepublik wieder ein paar Soldaten für ein Jahr und irgendwo aus der Nase zu ziehen. Diesmal Afrika, ein paar Kriegsschiffe, Luftwaffe gefällig? Oder Spezialeinheiten? Eine Grundgesetzänderung vielleicht, schnell zwischengeschoben? Irgendwie gibt es doch immer Piraten, Taliban, Terroristen, man weiss es ja, dass man nichts weiss. Es ist da, aber man selbst nicht, also muss man sich kümmern. Das weiss man doch. Schliesslich steht es in der Zeitung. Manchmal. Dies und das. Und dann muss man auch, das geht dann nicht anders. Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Arbeitsminister Franz-Josef Jung ergreift das Wort. Es gilt. Er sagt, er habe einen Bericht von Feldjägern, die aus Kunduz schon am nächsten Tag nach dem Bombardement von zivilen Opfern berichtet hatten, nie gelesen, aber an die Nato weitergeleitet.  Was er da irgendwie vergisst: vorher lag dieser eine Woche beim Militäroberkommando der Berliner Republik rum. (7)

Das Militäroberkommando, was sich aus Gründen des gesprochenen Wortes „Einsatzführungskommando der Bundeswehr“ nennt, das führt ein gewisser Rainer Glatz. Rainer Glatz war mal Chef der „Division Spezielle Operationen„, in den Kriegsjahren 2002- 2006. Zur DSO gehört u.a. das Kommando Spezialkräfte KSK.

Das Militäroberkommando, gesprochen „Einsatzführungskommando“, wird gestellt durch die inoffizielle „4.Truppengattung“ der zur Interventions- und Besatzungsstreitkraft transformierten Bundeswehr. Diese inoffizielle Truppengattung ist, neben Heer, Luftwaffe und Marine, die „Streitkräftebasis“, mit Hauptquartier in Potsdam. Auch das Zentrum für Transformation der Bundeswehr (ZTransfBw) hat in Potsdam eine Zweigstelle.

Zur „Streitkräftebasis“ gehört u.a. auch die Militärspionage „Militärischer Abschirmdienst“ (MAD), das mit 7000 „Bediensteten“ grösste Kommando des deutschen Militärs, das „Kommando Strategische Aufklärung“ (u.a. mit den Einheiten für elektronischen Kampf EloKa und der „satellitengestützten Aufklärung“ SAR Lupe), sowie das Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo). Das SKUKdo wiederum führt ein gewisser Manfred Engelhardt. Ihm unterstehen da u.a. die Truppen für psychologische Kriegführung, Verzeihung, für „Operative Information“. Es gilt das geprochene Wort:

„Die Kräfte des Zentrums Operative Information wirken auf Streitkräfte des militärischen Gegners und Konfliktparteien, aber auch die Bevölkerung fremder oder gegnerischer Staaten ein. Ziel ist hierbei deren Einstellungen und Verhalten zu ändern.“

Das Streitkräfteunterstützungskommando könnte eigentlich auch im Inland viel tun, um die Streitkräfte bei ihrem Krieg zu unterstützen. Leider, leider, gibt es da noch Reste eines lästigen Schriftgutes, was dem gesprochenen Wort ständig im Weg rumsteht. Dabei warten schon seit Jahren die 441 Kommandos der ZMZ („Zivilmilitärischen Zusammenarbeit“), mit jeweils zwölf ständig einsetzbaren Reservisten in sämtlichen kreisfreien Städten, Landkreisen und Regierungsbezirken, auf ihren grossen Auftritt als „fast geheime Armee“ wider den inneren Feind (8). Auch die ZMZ-Heimatarmee untersteht dem SKUKdo.

Und all diese Stränge all dieser verschiedenen Kommandos und Ebenen der „Streitkräftebasis“, sowie der regulären Truppengattungen natürlich auch, laufen samt und sonders beim Oberbefehlshaber der Bundeswehr, dem Verteidigungsminister zusammen. Der Befehlstrang für die Truppen im Einsatz  läuft folgendermassen:

Verteidigungsminister > Generalinspekteur > Einsatzführungskommando

Nun ist der Stellvertreter des Verteidigungsministers natürlich ein durchaus mächtiger Mann, gerade wenn der Minister eine absolute Niete ist und eigentlich nichts macht, ausser sich rauszureden wegen Sachen, die er befohlen hat, ohne sie zu begreifen. Da kann man schon mal ein bisschen die Strippen ziehen, in einem Verteidigungsministerium, was seit 8 Jahren ein Kriegsministerium ist und vorher schon mal den Yugoslawienkrieg hatte um ein bisschen zu üben.

Heute entliess also der neue Verteidigungsminister Baron zu Guttenberg seinen verbeamteten Staatssekretär. Das war der Peter Wichert. Der war da von 1991 bis 2000 und von 2005-2009 in der „grossen Koalition“. Da kennt man schon ein paar Leute. So einen muss man erstmal rauswerfen. Nur fehlte heute ein Dieter Wiefelspütz, der im Bundestag mit rotem Gesicht den Minister anbrüllt, dass ihm das im eigenen Hause keine Freunde machen würde. Das hatte der Wiefelspütz (natürlich „SPD“) nämlich gemacht, als der neue Innenminister de Maiziere am 10.November seinen Staatssekretär der „grossen Koalition“ rausschmiss, den hinter Wolfgang Schäuble herrschenden August Hanning (9). Hanning war 2005  wegen verbotener Inlandsspionage gegen Journalisten aus dem Posten des Präsidenten vom Auslandsgeheimdienst BND gefeuert  worden und von SPD und CDU/CSU flux ins Bundesinnenministerium befördert worden.

Nach dem Rauswurf von Innenstaatssekretär August Hanning, gestern nun die Entlassung von Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert. Nur dieses eine Mal am gestrigen Tage, da zählte eine Tat.

Staatssekretär Wichert hatte sich im Juni 2007 erlaubt, sämtliche Daten des verdeckten militärischen Geheimdienstes der Bundeswehr namens “Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr” (ZNBw) über die Jahre 1998 bis 2004 für verschwunden zu erklären – allerdings nur die Auslandsdaten. Die Inlandsdaten wurde magischerweise erhalten. Rückendeckung bekam Wichert – genau wie regelmässig Schäuble und Hanning im Innenministerium – von der SPD.

Hans-Peter Bartels (SPD), Mitglied bei Verdi, Journalist und Dr. phil.-Mitherausgeber der Zeitschrift “Berliner Republik”, erlaubte sich damals einen doppelten Salto Logikus. Er, Bartels, glaube nicht dass die “verschwundenen” Daten des ZNBw aus dem “Jasmin”-Datensystem im Falle des entführten und jahrelang unschuldig in Lagerhaft inhaftierten Murat Kurnaz von Bedeutung seien. Schliesslich stünde es da ja im Augenblick – ohne die Daten – Aussage gegen Aussage. (10)

Gestern stand dann  Bartels im Bundestag und hielt eine wohlfeile Rede über genau den CDU-Verteidigungsminister, dem er als SPD-Abgeordneter vier Jahre lang treu gedient hatte.

Bereits im November 2006 wurde bekannt, dass das “Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr” (ZNBw) durch den BND übernommen werden sollte. Dadurch bekam der BND u.a. Zugriff auf die Spionagesatelliten der Bundeswehr. Ausserdem wurde der BND von 8 auf 12 Abteilungen aufgestockt. Erste Pläne gab es bereits im Juni 2005. In einer am 27. Juli 2005 unterzeichneten Leistungsvereinbarung zwischen ZNBw und BND ist geregelt, dass der BND “in der Wahrnehmung seiner Aufgaben” durch die Bundeswehr unterstützt muss. (11)

Heute nun empörte sich der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, über den jetzigen Arbeitsminister. Es war, zugegeben, eine gute Rede, bloss 10-15 Jahre zu spät. Allerdings vergass Gysi, bei seiner recht mutigen Frage Richtung CDU-Kanzlerin Angela Merkel, was sie denn eigentlich von dem ganzen Salat gewusst habe, irgendwie den ehemaligen SPD-Aussenminister Frank Steinmeier, der vor sich hin stierend an seiner Brille nuckelte und ab und zu lustlos auf die Flirtversuche Jürgen Trittins reagierte.

Auch Rainer Arnold, 4 Jahre lang SPD-Militärfachmann im Rausreden, gönnte sich eine professionelle Amnesie. Selbst Angehöriger des Verteidigungsausschusses, (nebenbei noch einen kleinen Sitz im Präsidium des Förderkreises Deutsches Heer innehabend, was er jedoch gegenüber dem Bundestag nicht angemeldet hatte), merkte man bei ihm nicht eine Sekunde, dass dieser Mann zum Zeitpunkt des gezielten Luftangriffs auf eine Menschenmenge – durch Bomben, die gezielt in die Mitte zwischen beiden „entführten“ Tanklaster 5 Kilometer vom deutschen Militärhauptquartier abgeworfen wurden – Teil der Regierungsfraktion SPD war, welche den Aussenminister stellte. Er schauspielerte, verbog sich die Handgelenke und gab dann Verteidigungsminister zu Guttenberg – der mal eben den ranghöchsten Militär und einflussreichsten Strippenzieher im Militärapparat gefeuert hatte – den einzigen guten Tipp, den er in der SPD gelernt hatte: etwas mehr „Demut“ zu haben.

Demut.

Das Schlimmste an diesem unsagbar elenden Moment war, dass es Arnold noch nicht einmal begriff, was er da sagte, auch nicht als das Gelächter anfing, weil er zu den typischen Wracks einer vermeintlich sozialdemokratischen Aufsteigerschicht gehört, die bei jeder Art von Anlass immer wieder die gleichen sinnfreien Sprüche über segensreiche Unterwerfung der verschiedensten Art loslassen. Was soll der Mann auch sonst machen? Er hat nichts anderes gelernt. Deswegen sitzt er auch im Bundestag.

Und dann Franz Jung. Seine letzte Rede hätte von keinem Drehbuchautor besser gestaltet werden können. Man dachte an alle möglichen Endzeit- und Horrorfilme, es fand sich einfach kein Vergleich mehr. Das ist das Peinlichste, was dem Militär seit der „Spiegel-Affäre“ wiederfahren ist, nein, halt, da gab es ja noch die MAD-Agenten, der in irgendeiner Schwulenbar Opfer einer Verwechslung wurden und mal eben einen 4-Sterne-General und deutschen stellvertretenden NATO-Oberbefehlshaber stürzten.

Jedesmal wenn Jung, auf der Regierungsbank wie auf einem Opferaltar an die Seite geschoben, vom Rednerpult angeschossen wurde, rollte sein schnauzbärtiger, ministerpostenloser Nachbar (dessen Identität nicht zu ermitteln war) ohne eine Miene zu verziehen nach hinten aus der Schusslinie und Jung hatte, sowieso schon in gebückter Haltung, überhaupt keine Deckung mehr vor den Kameras, so sehr er sich auch hilfesuchend umsah.

Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe, der aussah wie seine eigene Oma, wirkte derart aschfahl und zerknittert, dass man richtig Angst bekam. Wahrscheinlich dachte Robbe daran, dass er es war, der eigentlich genau so eine Staatsaffäre hätte verhindern müssen – am besten gleich den ganzen blöden Krieg. Wenigstens so ein lästiges Massaker. So ein Mist aber auch.

Heute trifft sich der Verteidigungsausschuss zu einer Sondersitzung. Man kann dieses Gremium als den grössten Stümperhaufen des deutschen Parlamentarismus seit Existenz eines solchen Gremiums bezeichnen – es würde nicht annähernd umschreiben, zu was diese Versager alles nicht fähig sind. Vor allem käme eine solche Umschreibung nicht einmal in Sichtweite des Abgrunds, in welchen die Mitglieder dieses Witzvereins all das geworfen haben, zu was sie gar nicht fähig sein wollen. Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses wollen doch gar nichts anderes ausser nichts, vom Zustimmen einmal abgesehen. Sonst müsste man keine Videos an die „Bild“-Zeitung schicken.

Wer jemals eine Rede von Ulrike Merten im Bundestag gesehen hat, der weiss, was man früher Dorftheater nannte und warum. Es hat den Eindruck, die schlechtesten SchauspielschülerInnen bekommen immer die wichtigsten Posten, damit sie nicht besetzt sind. Nicht wirklich. Es zählt das gesprochene Wort. Aber manchmal tut´s ein Armrudern auch.

Diese ganze Farce, dieser Albtraum von Republik, mit ihren Witzfiguren im eigenen Raumschiff der sich „Parlament“ nennt, hat sich gestern, in einem seltenen Moment der Bühnendemontage, selbst den Vorhang hochgezogen und als ertappter Oz, wild an den Hebeln fuchtelnd, versucht den gütigen Mantel des Husch-Husch wieder über das ganze Desaster zu decken. Es gelang nicht.

Diese Demokratie funktioniert nicht. Diese Demokratie existiert auch bald nicht mehr, wenn das Parlament  – das im Jahre 2008 nur 20 Wochen im Jahr überhaupt tagte – nicht endlich seinen bezahlten Streik beendet und seine Arbeit macht. Kein Sapiens hält diesen Saftladen mehr aus – nicht die kullergrossen Augen, wenn man von den Mädchen in Afghanistan erzählt, nicht die eine Knitterfalte die man sich rausquetscht, wenn man für diesen guten Zweck auch mal aus Versehen 130 Leute bombardiert hat, nicht das verdammte Gestammel, wenn man wieder mal nichts wusste von dem was man beschlossen hat, nicht das ganze Potburri von blöden Versprechungen, Ankündigungen, der „Besorgnis“ wegen dies und das, und auch nicht die Eine-Hand-In-Die-Hosentasche-Geste, wenn man mal für eine Kamera vorbeiläuft. Diese ganze Schmierenkomödie hält hier einfach niemand mehr aus.

Wie wäre es, wenn man einfach den ganzen Laden dicht macht – weil das Parlament bekanntlich sowieso nur „die Regierung lähmt“ – und die ganze Trottelhorde en gros nach Brüssel schickt?

Wenigstens das wäre dann ein konsequenter Vorteil der Nichts-Republik – man bräuchte das ganze Nichts wenigstens nicht mehr mit ansehen.

(…)

Artikel zum Sachverhalt:

23.11.2009 US-Spezialeinheiten bilden offiziell “Anti-Taliban” in Afghanistan aus
Strategiewechsel in Washington: Vieles spricht dafür, dass derzeit durch die zivile US-Regierung jahrelang vertuschte Praktiken von Militär und Milizen in den Kriegsgebieten bekannt gemacht werden, um diese unter Kontrolle zu bekommen. Dabei gerät auch die deutsche Regierung auf dünnes Eis – mitsamt ihrem Militär und der Auslandsspionage. Bis zum 13.Dezember muss die Vollmacht für ein weiteres Jahr Besatzung in Zentralasien durch das Berliner Parlament unterschrieben sein. Und nun berichten hochrangige US-Regierungsmitglieder, dass u.a. in der deutschen Besatzungszone “Anti-Taliban” Tribute und Schutzgeld von der Bevölkerung erpressen.

10.09.2009 Samstag Morgen: Entführung eines NYT-Reporters, 5 Kilometer vom deutschen ISAF-Stützpunkt entfernt
Afghanistan: Die Befreiung des US-Reporters Stephen Farrell durch ein britisches Militärkommando wirft eine Menge Fragen auf.

13.09.2009  Kunduz: Journalist enthüllt Einzelheiten des deutschen Kriegsverbrechens
Afghanistan: Ein Journalist des “Guardian” schafft es, Familienangehörige von Opfern des vom deutschen Militär befohlenen Luftangriffs zu interviewen. Was er berichtet, ist entsetzlich.

06.09.2009 Bundeswehr-Oberst befahl offenbar nach BND-Behauptungen Luftangriff auf sichtbare Menschenmenge: 125 Tote
Afghanistan: Der deutsche ISAF-Kommandeur liess nach Angaben eines Nato/ISAF-Sprechers fast nach eine Stunde nach Eintreffen der ersten Bomber und Vorliegen von Luftaufnahmen bombardieren. Dabei stützte er sich auf Behauptungen eines Geheimdienstvertreters im Operationszentrum.

27.06.2007 „Jasmin“-Affäre: Jung, Wichert, Bartels, De Maiziére – die Fingerwedler
Washington: Mit der begnadeten Grazie eines Nilpferdes, was urplötzlich in schwindelerregender Höhe auf einem Drahtseil balancieren muss und zur Beruhigung seiner selbst jetzt anfängt eine Arie zu singen, die es selber schon nicht mehr hören kann – obwohl ihm der Dompteur versprochen hatte, es könne sich hemmungslos eine Bresche durch das Publikum schlagen – hat sich unser aller Verteidigungsminister Franz Jung jetzt aus Washington zu Wort gemeldet.Er fordert ein “kluges Vorgehen” (1) in Afghanistan. Von wem denn?
Offensichtlich vom Dompteur. Ansonsten würde der arme Mann ja mit sich selber reden.

Quellen:
(1) http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/vorlaeufig/17007.html
(2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/000/1700039.pdf
(3) http://www.bild.de/BILD/politik/2009/11/26/bomben-video-kunduz-in-afghanistan/verschwieg-minister-jung-die-wahrheit-ueber-die_20bombardierung.html
(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/979/458629/text/
(5) http://www.stern.de/politik/ausland/afghanistan-luftangriff-fordert-dutzende-zivile-opfer-592167.html
(6) http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Friedenspreise/nobel-lit-pinter.html
(7) http://www.tagesschau.de/kommentar/jung216.html
(8) http://www.hintergrund.de/20091026520/politik/inland/eine-fast-geheime-armee.html
(9) http://www.radio-utopie.de/2009/11/10/schachmatt/
(10) http://www.radio-utopie.de/2007/06/27/jasmin-affaere-jung-wichert-bartels-de-maiziere-die-fingerwedler/
(11) http://www.tagesschau.de/inland/meldung90272.html
(12) http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse/a12/mitglieder.html

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