Demonstrativer Bildungsstreik zu Gast im Bonner Winter
Studierende, Schülerschaft, Azubis, Erwerbslose und Gewerkschaftler demonstrieren heute anlässlich der Konferenz der Kultusminister aus den Bundesländern. Sie tun dies in einer ehemaligen Hauptstadt, an die sich Generationen von Westrepublik-Opfern entweder nur mit Schaudern erinnern, oder ob der Gemütlichkeit von scheinbar ewiger Hinterwäldlerei und bräsigem Mittelmass wohlig-wehmütig zurücksehnen.
So ein breites Bündnis hat man lange nicht gesehen. Aus welchem Diensthut man jetzt wohl gerne noch die „Sozialen Unruhen“ ziehen würde? Man sieht sie schon, den Unterarm im Zylinder vergraben, kräftig wühlend. Doch ach, das Volk, das Volk, das sind die Anderen. Eine epische Verwechslung fliegt auf. Schon wieder. Dabei ist das letzte Mal erst 20 Jahre her.
Es wird heute ein wenig nach Berliner Frühling schimmern, wenn im finstren Tale die Studenten einfallen, dort, wo zu Westzeiten noch Sumpfblüten zu Bimbes wurde. Mitschleifen tun sie ein paar überflüssige Organisationen wie den „DGB“ und „attac“, die jahrzehntelang dazu beitrugen, selbst die elementarsten sozialen Sicherungen und Ausgleichsmechanismen in einer Art Ramschverkauf Konzernen, Profilügnern und Dummschwätzern in den Schlund zu werfen.
Wer morgen immerhin nicht dabei ist (vielleicht weil er wieder mal der „Stimme der ökonomischen Vernunft“ INSM ein Radiointerview geben muss, 1), das ist Johann Wolfgang Schoop. Johann Wolfgang Schoop (aktuelle Lektüre: Ernst Jünger, „Auf den Marmorklippen“) ist ein ganz furchtbar verantwortungsvoller Mann und deshalb im CDU-nahen Studentenverband RCDS (bitte mal gucken: das erinnert so ein bisschen an die prima Fernsehtestbilder, früher, nach der Deutschlandhymne). Ausserdem ist Johann Wolfgang Schoop auch noch Vorsitzender vom Asta der Universität Bonn.
Schrieb nun also der Johann Wolfgang Schoop, vom Untergang der Zurückgezogenheit bedroht, schon im Juni zu Beginn des Bildungsstreiks plichtbewusst was von der „NPD“ und „jüdischen NS-Opfern“ (2). Was er eigentlich sagen wollte, war: „Nun macht doch endlich,was Euch gesagt wird, das war doch hier schon immer so“. Was braucht man da eigentlich noch eine Republik, wenn man ganze Universitäten um solche Geistes-Blitzstudenten aus feinem Hause herumbauen kann? Da lacht das Herz, da taumelt der Verstand, da macht es hua, hua, hua und will gar nicht mehr aufhören.
Nun, die Kultusminister, Verzeihung, die „Fachminister bei der heutigen Kultusministerkonferenz (KMK)“, sie liessen (erkennbar nervös geworden) schon mal der „Frankfurter Rundschau“ (3) ein „Eckpunkte-Papier“ zukommen. In diesem steht nun drin, dass es wohl nicht so dicke für Studierende kommen könnte, wenn man von denen ordentlich unter Druck gerät. Immer wenn irgendeinem verdammten Regierungsheini der Stift geht, taucht so ein „Eckpunkte-Papier“ auf, oder irgendein anderer Wisch mit Namen, und verschwindet dann wieder, wenn die Show gelaufen ist. Es rappelt auch da wieder der Konjunktiv, wie ein Diesel auf der Raststätte, den man nicht mehr ankriegt.
Es „soll“ die Studienzeit „flexibler“ werden. Der Bachelor „könnte“ zwischen sechs und acht Semestern dauern. Ob der Zugang zum Master-Studiengang, wie von den Studierenden gefordert, allen BA-Kandidaten offen stehen wird, da seien sich „die Länder“ (also die Regierungen und deren Parteien) „noch nicht einig“. Die vorgeschrieben Arbeitsleistung der Studenten, Geld oder Job hin oder her, „soll“ pro Semesterwoche zwischen 32 und 39 Stunden liegen. Doch auch dieser Punkt sei noch „umstritten.“
Und so weiter, und so fort. Seit den 80ern sagte bei uns im Westen dazu „aussitzen“. Es ist bis heute noch niemand deswegen vom Sessel gescheucht worden. Gut, in letzter Zeit vielleicht, harharhar.
Und was sagen denn jetzt die Studenten dazu?
„Was tatsächlich herauskommt bei der Politik der KultusministerInnen, das sind weitere Verschlechterungen im Bildungssystem, wie in den letzten Jahren z.B. der Abbau von demokratischer Mitbestimmung in Schule und Hochschule, die Einführung der Studiengebühren, der Lern-Terror durch zentrale Prüfungen, durch das Bachelor/Master-System und durch das Turbo-Abitur („G8“). Dazu kommt das verstärkte charakterliche und soziale Aussortieren und die Unterdrückung kritischer Meinungen durch die „Kopfnoten“.
In der Schule fehlt es an allem: Zu wenige LehrerInnen und überfüllte Klassen machen das Lernen (für beide Seiten!) unerträglich, die Gebäude bröckeln und viele SchülerInnen können sich das Schulmittagessen (falls es das überhaupt gibt) nicht leisten – genauso wie Klassenfahrten und Lehrbücher, Hefte, Stifte usw. Während der Druck in Schule und Ausbildung immer größer wird, wächst die Jugendarbeitslosigkeit, wächst der Ausbildungsplatzmangel und werden die Löhne kräftig gesenkt, werden die Arbeitsbedingungen immer unsicherer und schlechter („Prekarisierung“). Millionen Jugendliche sind zu kostenlosen „Praktika“ anstelle bezahlter Arbeit gezwungen. Nach der sehr „kulturellen“ Dröhnung der 60-Stunden-Woche in Schule und Ausbildung bleibt dann weder Geld noch Zeit für anderweitige „kulturelle“ Aktivitäten. Und im „Hartz-IV“-Regelsatz sind pro Kind ganze 0,00€ für Bildung und Kultur vorgesehen – aber immerhin 2€ täglich für eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Ein (billiges!) Schulmittagessen kostet 2,50€. Die Krönung hat das Bundessozialgericht am 29.10.09 beschlossen: Schülerfahrkarten müssen aus dem Hartz-IV-Regelsatz gekauft werden. Damit ist SchülerInnen z.B. das tägliche Frühstück entzogen“
Nun heisst es ja immer, das sei alles der Gott aus Bologna gewesen. Der hätte das so beschlossen, Amen. Sitzt doch hier jeder auf der Tatsache rum (bis sie wieder platt ist), dass der ganze verdammte „Bologna-Prozess“ eine ganz normale Verabredung von ganz normalen Regierungen aus dem Jahre 1999 war und nicht einmal rechtlich verbindlich. Nur macht man heute beim Zentralkomitee zu Brüssel aka „EU-Rat“ eben gleich 10-Jahres-Pläne und nicht mehr für fünf.
Ja, was sollen wir denn machen, der Bologna-Prozess hat gesagt…Ja, was sollen wir denn machen, wir sind doch bloss an der Bundesregierung…Ja, was sollen wir denn machen, wir sind doch bloss im Parlament…Ja, was sollen wir denn machen, wir sind doch bloss an der Landesregierung…Encore une fois, und jetzt alleeeee..
Den kleinen Rabauken vor dem Tore ist zu raten, sich gute Stöpsel für die Ohren mitzunehmen. Es wird ein Geheule und Gejammer geben, von den edlen KMK-Herrschaften, dass es zum Steinerweichen sein wird. Nichtsdestotrotz sollte man ihnen nicht die Gelegenheit geben, ihre (unterbezahlten) hochgeistigen Knüppel-Sheriffs auf die renitente neue Generation von Bildungsrepublikanern loszulassen. Die Konfrontation mit dem „Sicherheits“-Apparat hat einer geistigen Strömung noch nie genützt und das Beispiel der eleganten Revolution anno `89 könnte da ein gutes Vorbild sein. Es muss ja auch nicht gleich eine Revolution sein. Wenn man so lange auf der Streckbank lag, tut´s eine kleine geistige Übung für´s unterbelichtete Volk auch schon. Dem wird das nämlich sonst zu viel. Da kriegt es sonst Kopfschmerzen und schaltet wieder den Volksempfänger an.
Also, viel Spass und Erfolg in Bonn, heute. Und dann schnell wieder raus da und zurück in die Zukunft, ins 21.Jahrhundert.
(…)
09.12.2009 Bildungsstreik: Bundeskongress in Potsdam
03.12.2009 Studenten in Weimar: “AUSRUFUNG EINER NEUEN REPUBLIK”
28.11.2009 Studierende beginnen international zu kooperieren
25.11.2009 Freiburger Studentenschaft fordert Diskussion über das “Menschenbild”
22.11.2009 Wir bleiben hier! Ein offener Brief an Alle – Bildungsstreik Jena
19.11.2009 Bildungsstreik – Universitäten weltweit besetzt – Partei Die Guten
17.06.2009 240.000 Menschen im Bildungstreik: Republik in Bewegung
Quelle:
(1) http://www.insm-oekonomenblog.de/allgemein/bologna-master-of-disaster/
(2) http://www.asta.uni-bonn.de/nachrichten-asta-vorsitz/items/bildungsstreik-asta-geht-auf-distanz.html
(3) http://www.bildungsstreik.net/kultusministerinnen-nachsitzen/
(4) http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wissen_und_bildung/aktuell/2133211_Reform-der-Reform-Nachbessern-bei-Bologna.html