Der Liebarak

DAS GESCHÄFT ist im Namen Binyamin Netanyahus registriert. Aber die Realität sieht anders aus.

Netanyahu ist nie mehr als ein gewiefter Verkäufer von Patent Medikamenten gewesen. Das ist ein Typ, der häufig in amerikanischen Wildwestfilmen auftritt und eine Medizin verkauft, die gut für alles ist: gegen Grippe und Tuberkulose, gegen Herzinfarkt und gegen Wahnsinn. Das wichtigste Werkzeug des Verkäufers ist seine glatte Zunge: seine Wortströme bauen Luftschlösser, erzeugen glitzernde Seifenblasen und bringen jeden Zweifel zum Schweigen.

Seit seiner Wahl vor fast einem Jahr bestand seine Haupterrungenschaft darin, ein (buchstäblich) großes Kabinett aufgestellt zu haben: 30 Minister und einen Haufen von Vizeministern, die meisten von ihnen ohne wahrnehmbare Verpflichtungen, einige von ihnen haben die Verantwortung für ein Ministerium, für das sie am wenigsten geeignet sind. Seitdem hat seine Hauptaufgabe darin bestanden – worin er am geschicktesten ist – politisch zu überleben.

In seinem Regierungszoo ist die einzig bedeutsame Kreatur der Liebarak – ein zweiköpfiges Monster, vor dem alle anderen Tiere erschrecken. Dieses Wesen besteht aus 50% Liebermann, 50% Barak und 0% menschlich.

ALS LIEBERMAN zuerst auf der politischen Bühne erschien, wurde er von vielen mit Verachtung angesehen. Solch eine Person – so entschieden sie – hat in der israelischen Politik keine Chance.

Seit zehn Jahren wird er von der Polizei wegen Korruptionsverdachts untersucht: er bekommt aus mysteriösen ausländischen Quellen Geld und anderes.

Außerdem ist er in den Augen vieler Israelis die am wenigsten israelische Figur, die man sich vorstellen kann. Er wird permanent als „neuer Immigrant“ bezeichnet, obwohl er seit mehr als 30 Jahren hier ist. Man betrachtet seine äußere Erscheinung, seine Körpersprache und Aussprache schlicht und einfach als „un-israelisch“, die zu jemandem gehört, der „keiner von uns“ ist. Wie können Israelis nur solch eine Person wählen?

Lieberman ist ein Siedler, der in Nokdim lebt, einer Siedlung nahe bei Bethlehem; und die Siedler sind in Israel gar nicht beliebt. Er ist ganz offen ein Rassist, ein Araberhasser, der den Frieden verachtet, ein Mann, dessen erklärtes Ziel es ist, die Araber Israels los zu werden. Es gibt in Israel (wie in jedem Land) eine Menge versteckten, zum Teil unbewussten Rassismus, aber dieser Rassismus hier wird geleugnet. Die Israelis werden doch keinen ausgesprochenen Rassisten wählen – so glaubte man wenigstens.

Die letzten Wahlen setzten dieser Überzeugung ein Ende. Liebermans Partei gewann fünfzehn Knessetsitze, zwei mehr als Baraks Partei, und wurde so die drittstärkste Knessetfraktion. Nicht nur ein paar „wirkliche“ israelische Jugendliche, durch und durch Sabras, stimmten für ihn. Sie sahen ihn als eine gute Adresse für ihre Protestwahl.

Das Establishment hat sich nicht zu sehr aufgeregt. OK, das war eine Protestwahl. Bei jeder israelischen Wahlkampagne erscheint irgendwo aus dem Nichts eine Wahlliste, die am nächsten Tag wieder verschwindet, wie die Kürbispflanze des Propheten Jonas. Wo ist sie jetzt?

Aber Lieberman ist nicht General Yigael Yadin, der die Dash-Partei gründete oder Tommy Lapid, der Führer von Shinui. Er ist ein Mann von brutaler Gewalt, der keine Skrupel kennt, ein Mann, der – wie Joseph Goebbels es ausdrückte – die primitivsten Instinkte der Massen ansprach.

Es könnte jetzt in Israel eine Koalition aller Unzufriedenen und Verbitterten zustande kommen – wie es die Bibel über David sagt, als er vor König Saul floh: „Und jeder, der verzweifelt war, und jeder, der Schulden hatte, und jeder, der unzufrieden war, sammelte sich um ihn, und so wurde er ihr Anführer“ (1.Sam.22,2). Liebermans hauseigenes Publikum ist die Immigrantengemeinde aus der früheren Sowjetunion, die nicht von der israelischen Gesellschaft absorbiert worden ist und die in einem geistigen und sozialen Ghetto lebt. Andere Gruppen können sich anschließen: die Siedler, orientalische Juden, die das Gefühl haben, der Likud habe sie betrogen, und junge Leute, die ihn als einen Mann ansehen, der offen ausdrückt, was sie im Geheimen denken: dass die Araber aus dem Staat und dem ganzen Land vertrieben werden sollten.

Liebermans un-israelische Erscheinung könnte jetzt für ihn in einen Vorteil verwandelt werden. Eine Person, die so un-israelisch ist, könnte ein idealer Führer für ein Lager werden, das durch Hass gegen die „Eliten“, den Obersten Gerichtshof, die Polizei, die Medien und die anderen Pfeiler der israelischen Demokratie, verbunden ist.

Die polizeilichen Ermittlungen könnten ihn auch in den Augen dieses Publikums erhöhen. Sie sind davon überzeugt, dass er von den heuchlerischen Eliten verfolgt wird. Die dunkle Wolke des Verdachtes schreckte Netanyahu nicht ab, ihm die Kontrolle über die beiden Ministerien der Polizei und der Justiz zu geben, die beiden Ministerien, die die Verantwortung über die Rechtsstaatlichkeit haben, die nun unter der Führung seiner Lakaien stehen.

Diese Gefahr soll nicht unterschätzt werden. Andere Führer seiner Sorte wurden zunächst als Clowns betrachtet und lächerlich gemacht, bevor sie zur Macht kamen und Unheil anrichteten.

ABER DER zweite Kopf von Liebarak ist noch gefährlicher als der erste. Die Gefahr Liebermans liegt in der Zukunft. Die Gefahr von Ehud Barak ist unmittelbar und real.

In dieser Woche tat Barak etwas, das noch ein rotes Licht aufleuchten lassen sollte. Auf Liebermans Forderung hin bestimmte Barak, dem Siedler-College in Ariel den Status einer Universität zu geben.

Barak kommt – anders als der „fremde“ Lieberman – aus der Mitte des alten Israel. Er wuchs in einem Kibbuz auf, war ein Kommandeur in der Eliteeinheit des „Generalstabskommandos“ und spricht ein perfektes Hebräisch mit dem richtigen Akzent. Als früherer Stabschef und gegenwärtiger Verteidigungsminister repräsentiert er die Macht des gewaltigsten Sektors in Israel: der Armee.

Lieberman ist es bis jetzt noch nicht gelungen, die Chancen des Frieden zu beschädigen, außer durch Reden. Barak hat gehandelt. Ich nannte ihn einmal einen „Friedensverbrecher“ im Gegensatz zu einem „Kriegsverbrecher“ – obwohl heute viele kaum mehr diesen Unterschied machen würden.

Der fatale Schlag Baraks in Bezug auf Friedenschancen kam 2000 nach der Camp David-Konferenz. Eine kurze Erinnerung: als er 1999 mit überwältigender Mehrheit gewählt worden war, von den Begeisterungswellen des Friedenslagers getragen und mit Hilfe klarer Friedensslogans („Bildung anstelle von Siedlungen“) veranlasste er die Präsidenten Bill Clinton und Yasser Arafat, sich zu einer Gipfelkonferenz zu treffen. Mit einer typischen Mischung von Arroganz und Ignoranz glaubte er, dass, wenn er den Palästinensern die Chance anbiete, einen palästinensischen Staat zu gründen, würden sie alle anderen Forderungen aufgeben. Seine Angebote waren tatsächlich weitreichender als die seiner Vorgänger, doch weit entfernt vom annehmbaren Minimum der Palästinenser. Die Konferenz war ein Fehlschlag.

Als er von Camp David nach Hause kam, machte er nicht die üblichen Ankündigungen („Große Fortschritte sind erreicht worden, und die Verhandlungen gehen weiter …“) noch eine ungewöhnliche („Tut mir leid, ich habe mich geirrt, ich hatte kein Ahnung“), sondern prägte ein Mantra, das seitdem zum Mittelpunkt des nationalen Konsens wurde: „Ich habe auf dem Weg zum Frieden jeden Stein umgedreht / ich habe den Palästinensern alles angeboten, was sie sich wünschten / sie haben alles zurückgewiesen / wir haben keinen Partner für den Frieden.“

Diese Erklärung durch den Führer der Arbeitspartei, der sich selbst oft als „das Haupt des Friedenslagers“ bezeichnete, teilte einen tödlichen Schlag gegen die israelischen Friedenskräfte aus, die sich so viel von ihm erhofft hatten. Die große Mehrheit der Israelis glaubt jetzt von ganzem Herzen, dass „wir keinen Partner für den Frieden haben.“ Auf diese Weise öffnete er den Weg für den Aufstieg zur Macht für Ariel Sharon und Benyamin Netanyahu.

Während seiner Amtszeit errichtete und vergrößerte Barak die Siedlungen. Auf seinen Befehl hin stellte der Kommandeur des Kommandos Mitte eine Genehmigung für eine Radiostation für die Siedler aus (die schließlich nach einem langen verzögernden Kampf mit Gush Shalom auch auf Sendung ging). Auch in dieser Hinsicht übertrumpfte er Lieberman. Seine Entscheidung hinsichtlich der Ariel-Universität passt in dieses Muster.

„MOMENT MAL!“ würde eine vernünftige Person fragen. „Was hat das mit Barak zu tun? Er ist Verteidigungsminister und nicht Bildungsminister!“

Ariel ist besetztes Gebiet. In den besetzten Gebieten ist die Armee souverän. Barak hat die Verantwortung für die Armee. Die Weisung, das Ariel-College zu befördern, wurde dem kommandierenden Offizier von Barak gegeben. Yossi Sarid, ein früherer Bildungsminister, machte darauf aufmerksam, dass das „Ariel-Universitätszentrum“ die einzige zivile Universität in der demokratischen Welt ist, die von der Armee gegründet wurde.

Eine israelische akademische Institution muss einen weiten Weg gehen, bevor sie von kompetenten Behörden den Universitätsstatus verliehen bekommt. Es gibt viele Colleges in Israel viel hervorragendere als das Ariel-College, die nach diesem Status streben. In den besetzten Gebieten genügt die Anerkennung eines Generals.

Diese Tatsache wirft Licht auf eine beispiellose israelische Erfindung: die ewige Besatzung. Ein Besatzungsregime ist seiner Natur nach eine vorübergehende Situation. Sie kommt dadurch zustande, dass die eine Seite in einem Krieg Gebiete der anderen Seite erobert. Die Besatzungsmacht wird sie mutmaßlich nach detaillierten internationalen Gesetzen bis zum Kriegsende beherrschen, bis ein Friedensabkommen über die Zukunft des Gebietes entscheiden muss.

Ein Krieg kann höchstens einige Jahre dauern, und deshalb ist die Besatzung eine vorübergehende Angelegenheit. Auf einander folgende israelische Regierungen haben dies zu einem permanenten Zustand gemacht.

Warum? Zu Anfang der Besatzung entdeckte der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan, dass die Besatzung wirklich eine ideale Situation sei. Sie gibt dem Besatzer absolute Herrschaft ohne irgendeine Verpflichtung, ohne den Bewohnern irgendwelche Staatsbürgerrechte zuzugestehen. Wenn Israel die Gebiete annektieren würde, würde es entscheiden müssen, was es mit der Bevölkerung macht.

Das würde eine unangenehme Situation hervorrufen. Die Bewohner von Ost-Jerusalem, das offiziell 1967 von Israel annektiert wurde, erhielten nicht die Staatsbürgerschaft, sondern nur den Status des Bewohners. Die aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen befürchteten, dass die Welt einen demokratischen Staat nicht akzeptieren würde, in dem ein Drittel seiner Bevölkerung keine Rechte hat.

Ein Besatzungsstatus löst all diese Probleme. Die Bewohner der besetzten Gebiete haben de facto überhaupt keine Rechte – weder national, noch als Bürger oder als Mensch. Die israelische Regierung baut überall, wo es ihr gefällt, Siedlungen hin – entgegen dem Völkerrecht und nun errichtet sie auch noch eine Universität dort.

(Vor ein paar Tagen wurde von Sari Nusseibeh, dem Präsidenten der palästinensischen Al-Quds-Universität im besetzten Ost-Jerusalem ein origineller Vorschlag gemacht: Die Palästinenser sollten fordern, dass Israel die besetzten Gebiete annektiert, ohne die Staatsbürgerschaft zu verlangen. Nusseibeh hofft anscheinend, dass Israel nicht auf Dauer in der Lage sein würde, dem internationalen Druck zu widerstehen und gezwungen sein würde, ihnen die Staatsbürgerschaft zu geben. Dann würden die Palästinenser schon die Mehrheit im Staat sein und sie würden dann in der Lage sein, das zu tun, was sie wollten. Ich schätze Nusseibeh sehr, aber ich habe das Gefühl, das Risiko würde zu groß sein.)

DIE SPANISCHE Regierung hat schon einen Boykott des Ariel-Colleges erklärt und seine Teilnahme an einem internationalen von Spanien geleiteten architektonischen Wettbewerb gestrichen.

Ich hoffe, dass mehr Regierungen und akademische Institutionen diesem Beispiel folgen und dieser „Universität“ einen Boykott erklären.

Der Liebarak wird sich zwar wenig darum kümmern. Dieses zweiköpfige Monster ist gegenüber Boykotts gleichgültig. Aber eine akademische Institution kann gegenüber einem Boykott von Ihresgleichen in der Welt nicht gleichgültig sein. Und wenn die israelische akademische Gemeinschaft sich durch das Errichten einer Universität durch Siedler unter militärischer Aufsicht nicht gegen diese Prostitution seiner Ideale erhebt – lädt sie zum Boykott aller israelischen Universitäten ein.

23.01.2010

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.

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