Eidunbewussheit in niedersächsischem Verfassungsschutz – CDU am Abgrund?

Laut einem Artikel der Zeitung taz vom 24.02.2010 ist über den Antrag von Frau Jannine Menger-Hamilton, der Pressesprecherin der Linksfraktion im schleswig-holsteinischen Landtag, auf die deutsche Staatsbürgerschaft seit zweieinhalb Jahren noch keine Entscheidung gefallen. Die Antragstellerin war noch 2007 in der SPD gewesen. Ihre Eltern haben die britische bzw. die italienische Staatsbürgerschaft.

Der Grund für die Dauer des Einbürgerungsverfahrens ist laut dem taz-Artikel eine Bewertung des niedersächsischen Verfassungsschutzes bzgl. der Linkspartei gewesen. Demnach sehe der nieder- sächsische Verfassungsschutz den von der Linkspartei vertretenen “demokratischen Sozialismus” als nur scheinbar mit dem GG vereinbar an. Und die “Wirtschaftsdemokratie” bedeute nichts anderes als die Entprivatisierung ganzer Wirtschaftsbereiche. Ausserdem hätten einige in der Linkspartei mangelnde Distanz zu Kuba. Schließlich wurden Texte der “kommunistischen Plattform” innerhalb der Linkspartei zitiert, ohne dass geltend gemacht worden wäre, dass die Antragstellerin dieser Strömung innerhalb der Linkspartei überhaupt angehören würde – was bei einer ehemaligen Sozialdemokratin auch eher unwahrscheinlich wäre.

Vom cdu-geführten niedersächsischen Innenministerium hat Frau Menger-Hamilton die Aufforderung erhalten, sich zu den Vorwürfen zu äussern.

Dabei ist die Antragstellerin damals von der SPD zur Linkspartei gewechselt wegen ihrer Kritik am Afghanistan-Krieg, an Hartz IV und an der rot-grünen Steuerpolitik.

Das macht eher einen sehr grundgesetztreuen Eindruck. Denn die Ablehnung eines Krieges ist im Sinne des Friedensgebotes (Art. 1 Abs. 2 GG) und der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG). Kritik an Hartz IV schliesslich ist förderlich für die unantastbare Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG).

Obendrein hat sie eine Loyalitätserklärung zum GG unterschrieben. Es müsste doch gerade im Interesse des niedersächsischen Verfassungsschutzes sein, möglichst viele Menschen wie Frau Menger-Hamilton in der Linkspartei zu haben, um eine möglicherweise befürchtete Radikalisierung zu verhindern.

Dabei haben sowohl die niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten als auch sämtliche nieder-sächsischen Regierungsmitglieder ein Eid geleistet, der sie sowohl auf die Landesverfassung Niedersachsens als auch auf das Grundgesetz verpflichtet. Und zum Grundgesetz gehört auch der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), welcher dazu verpflichtet, wesentlich gleiches gleich und wesentlich ungleiches ungleich zu behandeln.

Einer besonders grundgesetztreuen EU-Bürgerin gegenüber die Entscheidung über einen Einbürgerungsantrag aufzuschieben, weil es in ihrer Partei vom niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtete Strömungen gibt, welchen sie überhaupt nicht angehört, verstösst nach meiner Rechtsauffassung klar gegen den Gleichheitsgrundsatz. Bei einer Partei mit Tausenden von Mitgliedern kann man nicht einfach alle Strömungen über einen Kamm scheren.

Nach Art. 73 Nr. 10 GG sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und auch der Länder berufen zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, deren Inhalt erstmals vom Bundesverfassungsgericht in Leitsatz 2 des Urteils vom 23.10.1952 (Az. 1 BvB 1/51, veröffentlicht unter BVerfGE 2,1) definiert und später so in §4 Abs. 2 BVerfSchG übernommen worden ist.

Und während der niedersächsische Verfassungsschutz seine aus Steuermitteln bezahlte Arbeitszeit einer demokratischen EU-Bürgerin widmet, die einen positiven Einfluss auf die Linkspartei hat, scheint er dadurch dermassen abgelenkt zu sein, dass er die größten gegenwärtigen Gefährdungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung völlig übersieht.

Gerade die CDU, welche Niedersachsen regiert und dort auch das Innenministerium leitet, steht laut Randnummern 584-591 des schwarz-gelben Koalitionsvertrags auf Bundesebene dafür, grundsätzlich alle staatlichen Aufgaben, welche Privatfirmen wesentlich billiger erledigen können als der Staat selbst, an privat zu vergeben. Das verstößt in höchstem Maße gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, weil sich bei Vergabe des hoheitlichen an privat insbesondere die demokratische Legitimationskette und das Willkürverbot nicht mehr sicherstellen lassen (§4 Abs. 2 lit. a + f BVerfSchG).

Bei Vergabe der Wahlämter, der Sicherheitsorgane und der Gerichte an privat wären alle 7 Merkmale der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verletzt. Hinzu kommt, dass der Koalitionsvertrag ein aktives Handeln betreibt, welches staatliche Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit durch die Vergabe an Private mit privaten Interessen erheblich beeinträchtigen würde (§4 Abs. 1 lit. b BVerfSchG).

Die Vergabe hoheitlicher Aufgaben an private Konzerne verstösst darüber hinaus gegen den Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG), die Rechtsstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 2+3 GG, Art. 20 Abs. 2+3 GG) und die Demokratie (Art. 20 Abs. 1 GG). Der Kontrollverlust des Staates würde bis an den Rand der Auflösung des Staates und der bereits vorverfassungsrechtlichen Demokratie gehen. Und das, obwohl Prof. Dr. Andreas Vosskuhle, heute immerhin Vorsitzender des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts, bereits in These 12 seiner Rede vor der VVDStRL im Oktober 2002 in St. Gallen angesichts des Kontrollverlustes des Staates (“Verlust an Direktionskraft”) bereits die Verfassungswidrigkeit der Vermischung von Staat und privat (“Mixtum zwischen Staat und Gesellschaft”) bereits vom Ansatz (also von der durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Verfassungsidentität her) des GG her erkannt hat.

Das wiegt weit schwerer als die Frage, ob Teile der Linkspartei bei Verstaatlichungen möglicherweise weniger entschädigen wollen, als es Art. 14 GG vorschreibt.

Und wird nicht im ebenfalls schwarz-gelben Niedersachsen sogar über ein teilprivatisiertes Gefängnis nachgedacht?

Darüber hinaus sprechen sich einflussreiche CDU-Politiker für die Überprüfung der sicherheitspolitischen Vorschriften des Grundgesetzes aus, während Politiker der Linken in grossen Scharen die Friedensbewegung unterstützen. Wer hat das Friedensgebot des Art. 1 Abs. 2 GG besser verinnerlicht?

Die im Hinblick auf §4 Abs. 1 lit. b + Abs. 2 BVerfSchG kaum nachvollziehbare Bevorzugung der CDU vor der Linkspartei durch den niedersächsischen Verfassungsschutz, obwohl die CDU auf den verfassungsrechtlichen Abgrund zusteuert, scheint mir mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar.

Kommentar zum taz-Artikel vom 24.02.2010 “zu links, um deutsch zu sein”
(von Sarah Luzia Hassel-Reusing, BRD-Bürgerrechtlerin, 25.02.2010)

Links:

in Bezug genommener taz-Artikel

Amtseid gem. Art. 31 niedersächsische Verfassung

Kommentar von “Unser Politikblog” zur Militarisierung von CDU+CSU

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