INTERVIEW MIT EINEM EX-AGENTEN: „Wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben“
Zweiter Teil des Interviews mit Wilhelm Dietl, ehemals Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), über sein Buch „Schattenarmeen“.
1.Teil: Wilhelm Dietl über “Schattenarmeen”
Das Interview führten die Redakteure ter und Daniel Neun. Zum Zeitpunkt des Gespräches, welches im Februar in Berlin-Mitte stattfand, war die Affäre um den Dubai-Mord noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen.
Radio Utopie: Bleiben wir bei Syrien. Ist die von Ihnen beschriebene Rolle des Schwagers von Präsident Assad, Assef Shaukat, als Spionagechef ähnlich zu bewerten wie z.B. die Rolle von Omar Suleiman in Ägypten, dem dortigen Chef des allgemeinen Nachrichtendienstes? Ist Shaukat der starke Mann hinter Assad?
Wilhelm Dietl: Ich denke, es ist anders zu bewerten. Assef Shaukat war der starke Mann, für eine Weile, und hat dann überzogen als er sagte, er könne auch ohne weiteres auch Präsident sein in diesem Land. Das war natürlich ein Affront gegenüber seinem Schwager und das konnte der nicht dulden. Also hat Assad ihn entmachtet und ihm einen einflusslosen anderen Posten gegeben, den er jetzt bekleidet. Also er wurde nicht unter den Kiel gejagt, oder sonst was, man hat ihn einfach wegbefördert.
Radio Utopie: Also Shaukat ist keine machtvolle Figur in Syrien mehr.
Wilhelm Dietl: Nicht mehr. Er war ja ein Emporkömmling. Er hat von der Seite her rein geheiratet in die Familie Assad. Und das ist in dem dortigen System ein ganz großer Unterschied zu den eigentlichen Familienmitgliedern.
Radio Utopie: Sie haben die Rolle Shaukats in Syrien als „anders“ bewertet bezüglich der Rolle Suleimans in Ägypten. Ist Omar Suleiman, der Chef des „Allgemeinen Nachrichtendienstes“, tatsächlich ein möglicher Nachfolger des seit fast 30 Jahren unter Kriegsrecht amtierenden Diktators Hosni Mubarak? Immerhin ist Mubarak Co-Präsident der 2008 blitzartig geschaffenen Mittelmeerunion, in der auch Deutschland Mitglied ist.
Wilhelm Dietl: Omar Suleiman hat bisher keine Fehler gemacht. Er ist ein sehr smarter Mensch, der im richtigen Moment eingestiegen ist in den Geheimdienstapparat, der Ägypten komplett beherrscht und der dieselbe Machtfülle hat wie der Präsident und dessen Apparat. Suleiman hat seit seinem Einstieg jeden Schachzug richtig gesetzt. Deswegen wird er als engster Vertrauter von Hosni Mubarak eingeschätzt. Er wird eingesetzt, wenn es irgendwelche Dinge zu lösen gibt, z.B. Probleme mit den Palästinensern, den Zwist zwischen der Hamas und den säkularen, nationalistischen Kräften um die Fatah; deswegen wird er mangels anderer vielversprechender Kandidaten als Nachfolger von Mubarak gesehen.
Der andere mögliche Nachfolger heisst Jamal Mubarak, sein Sohn. Aber da zweifeln viele dran. Er soll ein guter Wirtschaftsfachmann sein, er soll Ahnung von Geschäften haben, aber recht wenig von Politik. Und er soll auch keine Ausstrahlung besitzen, sagt man in Ägypten.
Radio Utopie: Ist Suleiman – der, wie Sie geschildert haben, als Vermittler tätig ist zwischen Fatah und Hamas – ist er wirklich daran interessiert, die Streitigkeiten dieser beiden Fraktionen innerhalb der Palästinenser zu schlichten oder ist er eher ein Mann der Israelis? Bedient er im Zweifel eher die israelischen Interessen?
Wilhelm Dietl: Das ist ganz schwierig zu sagen. Auf alle Fälle wird er sehr gerne gesehen in Israel. Er ist häufig dort und spricht sich mit den Israelis ab, trifft seine Kollegen beim Mossad, beim Schin Bet, beim Aman, reist nach Israel und wieder zurück. Ob er nun die israelischen Interessen vertritt weiß ich nicht, aber er berücksichtigt sie sehr stark.
Radio Utopie: Wo wir schon beim Thema sind: wie schätzen Sie die Rolle vom Aman ein, mit seinem Chef Amos Yadlin? Was für ein Spiel spielt der Militärgeheimdienst Aman in Israel?
Wilhelm Dietl: Der Militärgeheimdienst ist sehr, sehr zurückhaltend im Vergleich zu den anderen beiden, hatte auch wesentlich weniger Skandale am Hals.
Schwierig zu sagen.
Es ist so: was man gemeinhin nicht weiss – es kümmert sich nicht der Mossad um die arabischen und iranischen Geheimdienste – das ist der Aman. Und darüber spricht keiner. Die Medien sind sehr undifferenziert. Wenn es um irgendwelche Geheimdienst-Affären geht, dann war es immer der Mossad. Und die lachen sich dann tot in Israel und sagen, `was haben wir damit zu tun?`.
Radio Utopie: Das heisst, der Militärgeheimdienst ist aktiv an Auslandseinsätzen und Operationen beteiligt?
Wilhelm Dietl: Ja. Der Militärgeheimdienst ist zehnmal grösser als der Mossad und zehnmal wichtiger. Der Mossad ist eine kleine „Prätorianergarde“, eine Elite, aber besteht in erster Linie aus Analytikern. Natürlich haben die auch einen Flügel, der zuschlagen kann, der einen Terroristen in Paris erschiessen kann. Logisch, haben sie auch immer gemacht. Die Rache für München wurde vom Mossad durchgeführt. Aber es ist nicht so, dass jetzt der Mossad Krieg in Europa führt. Der Aman ist genauso fähig dazu und der Aman macht das noch viel lautloser. Und ich denke mir, wenn jetzt ein iranischer Atomtechniker verschwindet, dann war das der Aman und nicht der Mossad.
Radio Utopie: Das ist jetzt aber Spekulation.
Wilhelm Dietl: Das ist jetzt Spekulation, natürlich.
Mein Urteil kommt einfach aus gewissen Gesprächen und Erfahrungen heraus, was man hört, was man sieht, was man liest – mehr nicht. Aber der Aman ist wichtiger, als die meisten Leute denken. Und er fällt eben viel weniger auf. Weil dann, wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben.
Das ist so wie in Afghanistan. Das heisst dann immer, ´das waren die Taliban`. Es kann aber auch jemand ganz anderes gewesen sein, der halt auch fundamentalistisch-islamisch ist.
Radio Utopie: Kommen wir mal zu einem Thema, was ja auch die Republik direkt angeht – das Thema Iran. Gehen Sie den Ihnen vorliegenden Informationen zufolge tatsächlich davon aus, dass der Iran Atomwaffen anstrebt und entwickelt?
Wilhelm Dietl: Ich bin kein Techniker. Ich kann das nicht aufgrund dessen beurteilen, was da an Anlagen gebaut und gekauft wurde. Ich gehe davon aus – schon aus dem Selbstverständnis der Iraner heraus, aus der Demütigung, die der Iran während des Krieges mit dem Irak in den 80er Jahren erfahren hat; als man gesagt hat, `nie mehr wieder wollen wir in so etwas hinein geraten, wir wollen Abschreckung gegen die Anderen`. Auch aus dem Großmachtstreben im Golfraum heraus, der Iran möchte ja gern die Region dominieren.
Ich denke, dass man sich inzwischen an den Gedanken gewöhnt hat, dass sich die eigene schiitische Ideologie in der Region nicht durchsetzen wird. Das war mal der Gedanke von Chomeini, aber das hat sich verbraucht und hat nie die großen Erfolge gebracht. Da hat man dann Aufstände angezettelt in Saudi-Arabien, in der Ölprovinz, oder in Bahrain. Aber das hat sich nicht durchgesetzt.
Radio Utopie: Sehen Sie wirklich den Iran hinter Aufständen in Saudi-Arabien und Bahrain?
Wilhelm Dietl: Ja. In den schiitischen Kerngebieten.
Aber nun – ich gehe davon aus, dass der Iran die Bombe anstrebt, aber möglicherweise ganz knapp vor der Fertigstellung stoppt. Das ist auch die Analyse von Leuten, die sich wirklich sehr gut auskennen dort – dass das ein „Schraubenzieher“-Geschäft wird, also noch eine Umdrehung, dann ist die Bombe einsatzbereit, aber dass man damit nur Druck ausüben und ein Bedrohungsszenario schaffen will, aber die Bombe selbst nicht einsetzen will. Genauso wie die Israelis drohen, aber – so wie´s aussieht, oder wie mir meine Leute in Israel sagen – nicht wirklich konkret an einen Angriff auf den Iran denken.
Radio Utopie: Wären die Israelis militärisch dazu überhaupt in der Lage, momentan? Also ich habe da meine Zweifel.
Wilhelm Dietl: Es sieht danach aus. Es ist eine Frage des Auftankens in der Luft. Sie müssten dazu entweder illegal über Saudi-Arabien fliegen oder halblegal über den Irak fliegen. Denn, so wie sich mir das zeigt, wollten sie ja über Georgien fliegen; zwischenlanden und tanken in Georgien. Und da sind die Einrichtungen zerstört seit dem Krieg zwischen Georgien und Russland.
Es gibt natürlich israelische U-Boote – und da sind wir natürlich wieder sehr nahe dran – die ohne Weiteres in den Golf fahren und ihre Raketen abschiessen könnten. Die wären dann sehr nahe dran.
Radio Utopie: Ein Raketenangriff nichtatomarer Art..von 80 Anlagen wird geredet..haben die Israelis eine Chance?
Wilhelm Dietl: Ich glaube, es ist unrealistisch. Man kann nicht alle Anlagen zugleich zerstören. Und man zerstört vermutlich auch nicht die richtigen Anlagen. Die sensibelsten sind dermaßen geschützt und soweit unter der Erde…
Radio Utopie: Die Frage ist doch – was würde dem Iran eine Atombombe nützen? Was nützen einem Land zwei, drei, vier Atombomben? Spätestens dann macht die internationale Gemeinschaft dicht. Ein neues Pakistan werden wir uns nicht leisten.
Wilhelm Dietl: Ich denke, strategisch nützt das gar nichts, sondern einfach von der Abschreckung her.
Radio Utopie: Aber eine Menge von zwei, drei oder vier Atombomben ist eigentlich ein Selbstverteidigungs- und kein Aggressionsmaterial. Das Echo aus Israel oder den USA bei dem Einsatz einer Atombombe wäre für den Iran vernichtend.
Wilhelm Dietl: Das sehe ich genauso. Ich meine, Peres redet, auch hier in Berlin vor ein paar Tagen, vom „Wettrüsten“ und sagt, die Iraner hätten das Wettrüsten eröffnet; die Israelis haben das Wettrüsten eröffnet im Nahen Osten und zwar bereits in den 50er Jahren – unter Peres. Peres war damals zuständig für das Atomprogramm, Dimona und so weiter. Er war damals Vize-Verteidigungsminister und war zuständig die richtigen Komponenten für Dimona und die ersten Atomwaffen zu beschaffen. Ist bei Seymour Hersh nachzulesen.
Radio Utopie: In den letzten Tagen (Anm.d.Red.: Stand Februar) hat sich etwas sehr Interessantes ereignet; Ali Rafsanjani ist seit 1989 der Vorsitzende des mächtigen Schlichtungsrates, der im Zweifel sogar den Wächterrat überstimmen kann. Ebenso ist Rafsanjani Vorsitzender des jährlich tagenden Expertenrates, der die Macht hat, sogar den Obersten Rechtsgelehrten bzw. Revolutionsführer abzusetzen. Rafsanjani war ab 1989 bereits zweimal für vier Jahre Präsident des Iran und durfte danach laut Verfassung nicht mehr antreten. Als er 2005 erneut antrat, verlor er die Präsidentschaftswahlen gegen den jetzigen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad, unter anderen auch deswegen, weil sein Sohn, ein Milliardär, ausplauderte, dass Rafsanjani plane die Verfassung zu ändern und die Position des Obersten Rechtsgelehrten auf repräsentative Macht zu beschränken, ähnlich wie, Zitat: „der König von England“.
Jetzt zu den aktuellen Geschehnissen. Am 2.Februar erklärt Rafsanjani vor dem iranischen Schlichtungsrat, dem u.a. auch der im Westen als Oppositionsführer gehandelte Hussein Mussawi angehört, das iranische Atomprogramm sei „unumkehrbar“ und ein „Symbol der nationalen Entschlossenheit“, was auch durch keine noch so scharfen Sanktionen des Westens aufzuhalten sei. Einen Tag später erklärt dann Rafsanjanis alter Rivale, der jetzige Präsident Mahmud Ahmadinejad, dass seine Regierung bereit sei, mit den westlichen Atommächten über einen Tausch von nicht angereichertem und angereichertem Uran zu verhandeln.
Wer arbeitet da jetzt eigentlich im Iran derzeit an einer Eskalation und internationalen Krise und wer nicht?
Wilhelm Dietl: Ich denke, dass sind alles Spielchen. Die machen heute auf „good guy“ und morgen auf „bad guy“ um Zeit zu gewinnen.
Radio Utopie: Also Sie sehen keinen Interessenkonflikt zwischen Rafsanjani und Ajatollah Chamenei?
Wilhelm Dietl: Nein. Die iranische Führung erkennt, dass das die westlichen Analytiker unheimlich beschäftigt, dass sie dann ellenlange Berichte darüber schreiben müssen, dass der Eine das so und der Andere das so sagt und es da vielleicht einen Widerspruch gibt, usw. Aber im Prinzip ist das alles eine Richtung. Das ist so wie der „moderate Taliban“. Das gibt´s einfach nicht. Die arbeiten alle in dieselbe Richtung, mit wechselnden Rollen. Im Prinzip wollen sie das Atomprogramm zu Ende bringen und ihre Ziele ungestört erreichen.
Radio Utopie: Also z.B. auch der Oppositonsführer Mussawi.
Wilhelm Dietl: Ja, und auch ein Chatami. Das ist Takiye, die Kunst der Verstellung, ein Grundprinzip des Schiismus.
Radio Utopie: Sie berichten in „Schattenarmeen“ über die Rolle von Mohammed Reyshahri, den Chef des 1984 neu geschaffenen iranischen Staatssicherheitsministeriums. Spielt dieser heute tatsächlich immer noch eine bedeutende Rolle im Iran?
Wilhelm Dietl: Wer, Reyshahri oder das Ministerium?
Radio Utopie: Reyshahri selbst.
Wilhelm Dietl: Er spielt noch eine Rolle als „senior adviser“ für Chamenei. Aber das sind zum Teil auch symbolische Posten, damit man die Leute bei der Stange hält, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen und möglicherweise gar zur Opposition überlaufen, zur Reformbewegung, aus „Unterbeschäftigung“ heraus. Deswegen gibt man ihnen solche Posten.
Radio Utopie: Darf ich da nochmal nachhaken – also auch die Reformbewegung, die iranische Opposition, ist sich in der Frage des Atomprogramms mit der Regierung einig?
Wilhelm Dietl: Ja. Mussawi hat immer gesagt, dass er da voll dahinter steht. Das ist das Problem, ich denke sogar die iranischen Oppositionellen in aller Herren Länder würden im Zweifelsfall bei einem Angriff auf den Iran hinter der Regierung stehen. Da kommt dann ungeheuer der Nationalismus durch.
Radio Utopie: D.h. also, ein militärischer Angriff auf den Iran hätte eher eine Stabilisierung der Regierung Mahmud Ahmadinejads zur Folge.
Wilhelm Dietl: Ja. Die würden zusammenrücken, von heute auf morgen ihre Demonstrationen gegen das Regime vergessen und zur Regierung stehen.