INTERVIEW MIT EINEM EX-AGENTEN: „Wir sehen hier eine falsch verstandene Bündnistreue“
Wilhelm Dietl mit Mahmud el-Zahar, einem Mitbegründer der Hamas, in Gaza-Stadt. (Foto: © Wilhelm Dietl)
Vierter Teil des Interviews mit Wilhelm Dietl, ehemals Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), über sein Buch „Schattenarmeen“.
1.Teil: Wilhelm Dietl über “Schattenarmeen”
2.Teil: “Wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben”
3.Teil: “Ich habe mich bemüht Bin Laden zu treffen”
Radio Utopie: Kommen wir mal zu einem Gebiet, was anderthalb mal so groß ist wie Deutschland und von derzeit maximal 4500 deutschen Soldaten kontrolliert werden soll: die deutsche Besatzungszone in Zentralasien. Diese wurde am 1.Juli 2006 – mehr oder weniger still und leise, also ohne viel Fahrwasser – durch die große Koalition eingerichtet. Man „übernahm die Verantwortung“, wie es so schön heisst, über das „Regional Command North“. Wie sehen Sie das, zuerst einmal aus einer historischen Perspektive: Deutschland hat eine Besatzungszone in Zentralasien, die anderthalb mal so gross ist, wie der eigene Staat?!
Wilhelm Dietl: Ich denke, wir sehen hier eine falsch verstandene Bündnistreue. Die Amerikaner stehen dort, weil sie sich rächen wollen für die Anschläge am 11.9. Ich glaube nicht an die Verschwörungstheorien, dass es nun um Pipelines geht und Ölquellen oder sonstige Rohstoffe. Denn Afghanistan hat da nicht viel zu bieten. Ich glaube auch nicht, dass das Pentagon nach den Minen im Norden strebt. Das könnte man alles wesentlich billiger kaufen, als dieser Krieg kostet. Es ist eine Racheaktion, es ist eine Vergeltungsaktion.
Radio Utopie: Also sie sehen den Besatzungskrieg, ich möchte ihn mal so nennen, in Afghanistan eher als eine Rache- und Vergeltungsaktion als eine strategische Handlung?
Wilhelm Dietl: Richtig. Denn so wichtig ist Afghanistan strategisch nicht. Sie können sagen, das ist wichtig gegenüber China, das ist wichtig gegenüber Russland, das mag schon sein; aber das könnte man auch in Pakistan abwickeln. Pakistan ist genauso strategisch günstig gelegen wie Afghanistan.
Radio Utopie: Glauben Sie dass Pakistan ähnlich unter Kontrolle der USA oder der EU-Staaten oder beiden ist wie Afghanistan?
Wilhelm Dietl: Mindestens unter Musharraf war das der Fall.
Radio Utopie: Musharraf halten Sie eher für einen Mann Washingtons?
Wilhelm Dietl: Ja.
Radio Utopie: Warum wurde dann auf seinen Rücktritt gedrängt? Warum holte man die Sharif-Brüder zurück aus Saudi-Arabien?
Wilhelm Dietl: Weil er unberechenbar geworden war, so ähnlich wie jetzt Karzai. Weil man ihn nicht mehr im Griff hatte. Und weil er auch dort immer unpopulärer wurde. Die Amerikaner spüren das, wenn sie sich auf einen Alliierten nicht mehr verlassen und ihn selbst auch nicht ausreichend kontrollieren können. Dann drängen sie auf Ablösung und einen Machtwechsel.
Radio Utopie: Und wie sehen sie die Lage im Augenblick? Präsident Zardari hat ja die Kontrolle über die Atomwaffen abgegeben an den Premierminister Gilani. Halten sie Zaradri für den Vertreter eines eigenständigen Pakistans oder für einen Mann Washingtons, der unter der Kontrolle der derzeitigen US-Regierung steht?
Wilhelm Dietl: Zardari ist ein erstrangiger Kleptokrat, der ganz sicher unter Kontrolle Washingtons steht, aber nicht stark genug ist irgendetwas Eigenständiges zu entwickeln. Pakistan ist derzeit am Rande der Anarchie. Man weiss nicht, wie´s weiter geht. Da gibt´s keine Option im Moment. Da ist keiner, mit dem die Amerikaner oder die Engländer, oder wer auch immer, länger rechnen können. Zardari kann morgen weg sein. Zardari kann morgen tot sein, so wie seine Frau.
Radio Utopie: Sie sehen das nicht im Kontext einer Strategie aus Washington?
Wilhelm Dietl: Zardari ist zu schwach. Mit dem kann man keine Strategie entfalten.
Radio Utopie: Und Gilani?
Wilhelm Dietl: Auswechselbar.
Radio Utopie: Es wurde ja sogar vor einem Militärputsch gewarnt, aus Washington, also vor einem Putsch des pakistanischen Militärs. Wie sehen Sie das?
Wilhelm Dietl: Die Gefahr ist immer da. Das hatten Sie doch schon unter Zia ul-Haq gegen Bhutto.
Radio Utopie: Also Sie sehen schon das pakistanische Militär als einen real existierenden..
Wilhelm Dietl: Das pakistanische Militär ist der stärkste Faktor, den das Land hat. Das Land beruht auf dem Militär.
Radio Utopie: Wieso marschiert das Militär, mit seiner ganzen Macht und seinem ganzen Apparat, nicht in die westlichen Provinzen ein? Warum marschiert es nicht einfach auf dem eigenen Staatsgebiet in die ganzen Provinzen ein, die seit acht Jahren angeblich als Hort von Bin Laden und terroristischen Gruppen dienen?
Wilhelm Dietl: Weil sich das Land dann in einem Bürgerkrieg erster Klasse befindet. Das will man noch vermeiden. Die haben ja diverse „Kriege“, in Anführungszeichen, schon durchgezogen, in Waziristan, in Balutschistan, dort ist es latent. Man will es nicht so stark ausweiten, dass es zum Flächenbrand wird für das ganze Land. Es gibt ja auch jede Menge Belutschen, oder Leute aus Waziristan, die in Karachi leben und die dann in den grossen Städten des Landes diesen Krieg fortführen. Und dann haben Sie einen Krieg hinter dem Rücken des Militärs.
Radio Utopie: Gibt es eigentlich „die Taliban“? Oder sind das Allianzen konservativer Kräfte, Miliz-Armeen von Stammesfürsten?
Wilhelm Dietl: Beides. Es gibt die Taliban. Es gibt aber eine Vielfalt von Gruppen, die alle möglichen Interessen vertreten. Aber alle vereint die konservative islamische Ausrichtung, die wahabitische Ausrichtung. Sie können auch al-Khamis heissen. Sie können, mit Einschränkungen, Hizb-i-Islami und Hekmatyar heissen. Das Land ist voll davon, man müsste ein Dutzend verschiedener Gruppen aufschlüsseln, die man eigentlich alle unter „Taliban“ laufen lassen könnte.
Radio Utopie: Hekmatyar hat ja immer mal wieder mit der Regierung in Kabul verhandelt.
Wilhelm Dietl: Und auch seine Bereitschaft bekundet, weil Hekmatyar natürlich sehr an der Macht hängt, seine Bereitschaft bekundet, `lasst mich doch wieder mitmachen, lasst mich doch wieder mitspielen`. Aber jedesmal wenn er an der Macht war, hat er sehr viel Schaden angerichtet.
Radio Utopie: Er ist, soweit das öffentlich bekannt ist, nach dem 11.September wieder aus Teheran hinaus komplimentiert worden, wo er festgesetzt und kaltgestellt worden war, sogar sein Telefon war abgestellt worden..
Wilhelm Dietl: ..weil er gegen die Absprache mit den Iranern verstossen hat, sich nicht öffentlich zu Wort zu melden. Er sollte keine Pressekonferenzen geben und keine westlichen Journalisten in Teheran empfangen und keine neue eigenständige Rolle dadurch erhalten.
Wilhelm Dietl mit Monzer al-Kassar in den 80er Jahren. Al-Kassar war als Waffenhändler während des Krieges zwischen Irak und Iran (1980-1988) in die Iran-Contra-Affäre der USA verstrickt. (Foto: © Wilhelm Dietl)
Radio Utopie: Angenommen, Washington hat aus geostrategischen Gründen ein Interesse daran, weitere Truppen nach Afghanistan zu versenden. Sie haben da vorhin eine andere Ansicht geäussert, aber nehmen wir mal an, es gäbe wirklich geostrategische Gründe – wäre es dann im Sinne derjenigen die das versuchen und auch vor der eigenen Öffentlichkeit vertreten, dass in Afghanistan plötzlich der Frieden ausbricht?
Anders ausgedrückt: haben die USA und die Besatzungsmächte überhaupt ein Interesse daran, Afghanistan zu befrieden? Oder lässt es sich nicht gut leben mit einem ständigen Spannungsfall?
Wilhelm Dietl: Sie werden irgendwann ein Interesse daran haben müssen, wenn es nicht mehr weitergeht. Wenn sie militärisch auch nach – es sind jetzt acht Jahre – wenn sie auch nach fünfzehn Jahren Krieg nichts erreicht haben, dann müssen sie ein Interesse daran haben, das zu befrieden, da werden sie keine andere Wahl haben. Und diese Situation wird unweigerlich irgendwann eintreten, denn die Afghanen kann man nicht besiegen. Afghanen können nur von Afghanen besiegt werden, aber nicht durch Ausländer. Das hat die Geschichte der letzten 500 Jahre gezeigt. Und der Einzige, der eine wirklich tragfähige Afghanistan-Politik hatte, hiess Alexander und war aus Griechenland. Seitdem kam keiner mehr auf eine Idee, wie man das Problem lösen konnte.
5.Teil: „Ich würde mir ein öffentliches Gespräch mit Uhrlau und Hanning wünschen“