INTERVIEW MIT EINEM EX-AGENTEN: „Ich würde mir ein öffentliches Gespräch mit Uhrlau und Hanning wünschen“

Fünfter und letzter Teil des Interviews mit Wilhelm Dietl, ehemals Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND), über sein Buch „Schattenarmeen“.

1.Teil: Wilhelm Dietl über “Schattenarmeen”
2.Teil: “Wenn etwas auffällt, wird es immer dem Mossad in die Schuhe geschoben”
3.Teil: “Ich habe mich bemüht Bin Laden zu treffen”
4.Teil: “Wir sehen hier eine falsch verstandene Bündnistreue”

Radio Utopie: Gegen Ende des Interviews – beschreiben Sie doch mal den Arbeitsalltag eines Agenten. Wie stehen Sie morgens auf, was erwarten Sie von einem Tag? Umschreiben Sie das mal für Menschen, die überhaupt keine Ahnung haben vom Alltag in einem Nachrichtendienst.

Wilhelm Dietl: Ach, das kommt ganz auf die Verwendung an, was der Einzelne macht. Ein Agentenführer z.B. muss sich Gedanken machen, wann er wen trifft und was er von dem zu erwarten hat, was er dafür zu zahlen hat, was er an Gegenleistungen bringt. Der muss sehr viele logistische Überlegungen anstellen; dass er z.B. den Partner problemlos trifft, also ohne Gefahren, oder wie er dann das Material nach Hause übermittelt. Das ist seit meiner Zeit völlig anders geworden, wir haben uns immer noch persönlich mitgebracht. Heutzutage kann man das, öh, per email schicken, kann man das im USB-Stick befördern, man muss da nicht einen Koffer voller Papier transportieren. Die Zeiten ändern sich. Noch etwas früher hat man ja Funkgeräte und Morsen benutzt. Die Technik schafft völlig neue Möglichkeiten. Ansonsten, wenn es darum geht selbst etwas in Erfahrung zu bringen, hat das sehr viel Ähnlichkeit mit Journalismus. Man trifft Leute, man befragt sie, man notiert das, man bringt das zu Papier.

Radio Utopie: Würden Sie sich wünschen, dass die Öffentlichkeit der Berliner Republik, im 20.Jahr der Existenz im wiedervereinigten Deutschland, etwas mehr versteht vom Alltag im Nachrichtendienst?

Wilhelm Dietl: Würd´ ich mir durchaus wünschen – mehr Transparenz im Nachrichtendienst und auch mehr Erklärungen, warum man etwas Bestimmtes macht, also auf den Einzelfall bezogen. Es gibt ja die alte Frage: `was würden Sie sich wünschen, wenn Sie drei Wünsche frei hätten?`. Ich persönlich würde mir z.B. ein öffentliches Gespräch mit Herrn Uhrlau und Herrn Hanning wünschen. Wenn der Herr Markwort auch noch mit am Tisch sitzen würde, wäre das auch kein Problem. Das würde der Sache bestimmt helfen.

Radio Utopie: Sagen Sie doch mal spontan die erste Frage, die sie August Hanning – dessen Abgang aus dem Innenministerium ja vor kurzem erfolgt ist – stellen würden?

Wilhelm Dietl: Warum er zu seiner Zeit als Präsident des Bundesnachrichtendienstes Leute, die er nicht mehr zu benötigen glaubte, öffentlich entsorgt hat.

Radio Utopie: Herr Dietl, wie lange gedenken Sie Ihr Buch „Schattenarmeen“ zu überleben?

Wilhelm Dietl: Solange es biologisch möglich ist. Ich verbinde damit keine Ängste und Befürchtungen. Es gibt einen ehemaligen Botschafter, mit dem ich sehr eng befreundet bin, der hat das Exposé gelesen von dem Buch und gesagt, `besuch uns noch so oft wie es geht, weil Du das Buch vielleicht nicht überleben wirst`.

Radio Utopie: Jahaa, der Meinung war ich auch.

Wilhelm Dietl: Aber ich habe ihm gesagt, ich teile diesen Pessimismus nicht.

Radio Utopie: Ich habe noch eine Frage zu Afghanistan; ist dieser Krieg überhaupt zu gewinnen?

Wilhelm Dietl: Unter den jetzigen Bedingungen, Vorzeichen und Umständen – nein.

Radio Utopie: Ist dieser Krieg nicht schon längst verloren?

Wilhelm Dietl: Der ist schon lange verloren.

Radio Utopie: Der sogenannte „Taliban“ spricht Recht, erhebt Steuern, führt Wahlen durch..

Wilhelm Dietl:..der Krieg ist schon lange verloren und vor allem ist er auch dadurch verloren, dass man bereits ankündigt wann man abgezogen ist, sowohl die Amerikaner, als auch die Deutschen. Die Taliban werden sich darauf einstellen. Die haben kein Problem damit, diesen Krieg fünfzig oder hundert Jahre zu führen.

Radio Utopie: Also Sie wären gegen die Nennung eines Abzugstermins?

Wilhelm Dietl: Nein, ich bin für den sofortigen Abzug; was aber nicht sehr einfach sein wird, weil die Abzugsstrategie – die bei der Bundeswehr auch vorliegt, schriftlich – sehr schwer umzusetzen ist. Das hat man ja bei der Sowjetarmee gesehen. Sie wollten im Herbst raus, kamen bis zum Salangpass, wurden sehr schwer angegriffen, gingen zurück nach Kabul und gingen dann im Frühjahr raus. Die Schlüsselszene war: General Kromow, an der Spitze dieses Zuges, auf der Brücke von Termes. Sie haben ein halbes Jahr gebraucht um das Land zu verlassen, weil sie unter großen Verlusten wieder zurück mussten nach Kabul. Und so ähnlich wird es da auch sein. In dem Abzugsszenario ist drin, dass sie zum Beispiel das gesamte Material zurück lassen.

Radio Utopie: Diese Abzugsstrategien und konkreten operativen Pläne liegen vor?

Wilhelm Dietl: Die liegen vor. Fragen Sie im Bendlerblock nach.

Radio Utopie: Herr Dietl, abschließend fällt mir ein Zitat ein, von einem Überlebenden des KZ Dachau, Max Reimann. Max Reimann war Kommunist und hat 1949 bei der Inkraftsetzung des Grundgesetzes gesagt: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“
Was würden Sie alternativen, was würden Sie linken, was würden Sie sozialistischen Menschen, Persönlichkeiten, Charakteren in der Republik empfehlen? Würden Sie auf diesen alten Schwur dieses Zeitzeugen verweisen? Würden Sie ihnen empfehlen, sich mehr einzubringen, sich vom Rand auf das Spielfeld zu begeben?

Wilhelm Dietl: Ich würde ihnen empfehlen, sich auf das Spielfeld zu begeben und die Initiative zu ergreifen, die Dinge zu verändern, so dass sie nicht nur einigen wenigen helfen können.

Radio Utopie: Glauben Sie an die Zukunft der Berliner Republik? Glauben Sie, dass die Berliner Republik in 20 Jahren noch existieren wird?

Wilhelm Dietl: Das ist eine gute Frage. Wenn ich die Macht hätte, dann würde ich die Bonner Republik wieder zurückholen..

Radio Utopie: ..welch vernichtendes Statement..

Wilhelm Dietl: ..sie war einfacher, besser zu handhaben und noch etwas fairer und humaner als die Berliner Republik. Die Leute in der Bonner Republik waren berechenbarer. Ich weiß nicht, ob sie sich halten wird, aber was soll denn danach kommen? Die Weimarer?

Radio Utopie: Herr Dietl – vielen Dank für das Interview.

„Schattenarmeen“
Autor: Wilhelm Dietl
ISBN: 9783701731671
erschienen Februar 2010 im Residenz Verlag