Tusk und Putin: Die Zweite Trauer von Katyn
Es ist an Tragik nicht mehr zu überbieten. In unmittelbarer Nähe des Mahnmals, wo beide noch vor wenigen Tagen den Opfern des Massakers von Katyn vor 70 Jahren gedachten, trafen sich gestern Donald Tusk und Wladimir Putin zum zweiten Mal. Diesmal trauerten die Ministerpräsidenten von Polen und Rußland um die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolenks, bei dem zusammen mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski Dutzende hochrangige Vertreter der polnischen Republik starben.
Am 7.April überraschte die Welt folgendes Bild: die Ministerpräsidenten von Polen und Russland gedachten gemeinsam am Denkmal der Toten von Katyn des Massakers an über 4000 polnischen Offizieren im Jahre 1940. Diese waren, nach dem Einmarsch der zu diesem Zeitpunkt mit dem faschistischen Deutschland verbündeten Sowjetunion in Ostpolen, durch Verbände des sowjetischen Geheimdienstes NKWD umgebracht worden. Bis in das 21.Jahrhundert hinein leugnete man in Russland die durch das sowjetische Regime nach dem Einmarsch in Polen begangenen Verbrechen. Doch an diesem Tage, dem 7.April 2010, war Schluss damit.
Bei der Gedenkveranstaltung ergriff schliesslich auch der russische Ministerpräsident Wladimir Putin das Wort. Russland und Polen, so Putin, sollten von der gegenseitigen Abrechnung absehen und gemeinsam den tragischen Ereignissen der Vergangenheit begegnen. Wie schwer es auch sein möge, sollten die beiden Völker aufeinander zugehen und – ohne die Vergangenheit zu vergessen – sich der Zukunft zuwenden. (1)
„Russland und Polen seien wie keine anderen europäischen Länder von allen Tragödien des 20. Jahrhunderts heimgesucht worden: die beiden Weltkriege, blutige Bürgerkonflikte und Grausamkeiten des Totalitarismus..
„Unser Volk, das die Schrecken des Bürgerkrieges, die gewaltsame Kollektivierung und Massenrepressalien der 1930er Jahren erlebt hat, versteht besser als jemand, was Katyn, Mednoje und Pjatichatka für jede polnische Familie bedeuten“
Er warnte, das russische Volk für das Massaker von Katyn verantwortlich zu machen. Man habe jahrzehntelang versucht, „die Erschießungen von Katyn mit zynischen Lügen zu verschleiern“, sagte Putin. Doch wäre es auch eine Lüge, die Schuld auf das russische Volk abzuwälzen. „Eine Geschichte, die von Wut und Hass geschrieben wird, ist ebenso falsch wie eine lackierte und retuschierte Geschichte“.“
Die Ministerpräsidenten von Polen und Russland ehrten an diesem Tage gemeinsam am Mahnmal von Katyn die Toten.
Gestern Abend nun standen sie wieder Seite an Seite, um polnischen Toten zu gedenken. Fast genau am gleichen Ort, beim kleinen Flughafen von Smolensk, standen sie bei der Absturzstelle der polnischen Regierungsmaschine, die am 10.April um 10.50 Uhr Vormittags die halbe Führungsriege Polens in den Tod gerissen hatte. Die Passagiere hatten sich auf dem Weg zu einer Gedenkfeier bei Katyn befunden.
Abermals gedachten Tusk und Putin nun der Toten. Die Bilder sprachen schweigend. Polen und Russland standen still.
Alle Anzeichen sprechen für einen Unglücksfall. Offensichtlich hatte der Pilot Warnungen von Fluglotsen im russischen Smolenks in den Wind geschlagen und trotz starken Nebels viermal versucht mit der Maschine auf dem kleinen Militärflughafen zu landen. Wie die „Welt“ (2) bereits am 10.April berichtet hatte, waren die russischen Fluglotsen vor Ort nicht ermächtigt, der polnischen Regierungsmaschine die Landung zu verweigern. Eine andere Maschine hatte bereits den Anflug auf Smolensk wegen Nebels abgebrochen. Ein Angebot der Fluglotsen, auf den Flughafen der weissrussischen Stadt Minsk auszuweichen, wurde durch den Piloten ausgeschlagen. Auch hatte dieser wohl Bedenken, sich dem Willen der prominenten Passagiere zu widersetzen. Während eines ähnlichen Vorfalls im Jahre 2008 hatte Präsident Lech Kaczynski einem Piloten „Befehlsverweigerung“ vorgeworfen, als dieser – zur eigenen Sicherheit des Präsidenten – eine Landung im georgischen Tiflis verweigert hatte und auf einen sicheren Flughafen ausgewichen war. Man war spät dran, an jenem 10.April. Wäre man auf einen anderen Flughafen ausgewichen, hätten die Fluggäste aller Wahrscheinlichkeit nach die Trauerfeier in Katyn verpasst.
Noch am Unfallort identifizierte gestern der herbei geeilte Jaroslaw Kaczynski seinen Zwillingsbruder, den toten Präsidenten Lech. Dessen Sarg wird nun jede Minute in Warschau erwartet.
In Warschau übernahm gestern, entsprechend der Verfassung der Republik, der Präsident des polnischen Parlamentes Bronislaw Komorowski vorläufig das Amt des Staatspräsidenten und damit u.a. auch den Oberbefehl über die polnischen Streitkräfte. Komorowski kündigte an, einen Termin für Neuwahlen des Präsidentenamtes demnächst bekannt zu geben. Nach der polnischen Verfassung muss die Neuwahl des Präsidenten innerhalb von zwei Wochen ausgerufen und in den nächsten sechzig Tagen durchgeführt werden. (Polnischer Parlamentspräsident gibt bald Datum der Wahl des neuen Präsidenten bekannt)
Das Leid, das Polen jetzt erfährt, wird in den nächsten Wochen zu einer großen Suche werden. Am Ende dieser Suche wird man Freunde finden – im Westen, wie im Osten.
(…)
11.04.2010 Polnischer Parlamentspräsident gibt bald Datum der Wahl des neuen Präsidenten bekannt
11.04.2010 Polens Armee-Führung ist bei Flugzeugabsturz ums Leben gekommen
10.04.2010 Absturz in Smolensk: Mit Kaczynski stirbt halbe Führungsriege Polens
Quellen:
(1) http://de.rian.ru/world/20100407/125803859.html
(2) http://www.welt.de/vermischtes/article7126682/Kaczynski-Pilot-ignorierte-Warnung-des-Lotsen.html