Generalinspekteur der Bundeswehr a.D. Harald Kujat und Hans-Christian Ströbele fordern neue Anti-Kriegsbewegung
Die Bundeskanzlerin am Sarg deutscher Soldaten. Wieviel junge Männer schickt sie eigentlich noch in den Krieg und wofür sterben diese Soldaten?
Diskussionsrunde mit Harald Kujat, Viersterne-General, Generalinspekteur der Bundeswehr a.D. und Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Sendung „Was erlauben Strunz“ von n24 vom 27.4.2010, moderiert von Claus Strunz
n24: Wofür sterben unsere Soldaten da unten?
Ströbele: Ja, das fragen sich die Soldaten auch, ich frage mich das auch und sie sterben mit Sicherheit nicht für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und für die deutsche Bevölkerung. Solange der Krieg andauert wird die Sicherheitslage in Deutschland nicht besser sondern schlechter.
n24: Aber ich denke, wir sind dort damit die Sicherheitslage gut bleibt oder sicher bleibt?
Ströbele: Nein. Die Taliban haben ja noch nie Deutschland oder sonst ein anderes Land bedroht. Sie haben jetzt das gemacht früher nie. Aber nur, um die NATO-Soldaten dort wegzubekommen. Ich glaube, wenn Deutschland sich zurückzieht aus dem Krieg, den Krieg beendet, dafür bin ich, dann kommt von da keine Gefährdung der Sicherheit in Deutschland, das heisst, wir verteidigen unsere Freiheit oder unsere Sicherheit nicht am Hindukusch. Das war Unsinn, was Herr Struck da mal erzählt hat.
n24: Herr Kujat, aus der Sicht eines Militärs, aber auch eines Mannes der viel Verantwortung getragen hat und immer noch trägt, ist es naiv zu glauben es wird bei uns sicherer wenn wir dort weg sind oder gibts diesen Zusammenhang wirklich?
Kujat: Nein es gibt weder für die eine noch für die andere Argumentation eine schlüssige Begründung. Niemand ist in der Lage zu sagen, es wird sicherer wenn wir dort kämpfen und niemand ist in der Lage es wird sicherer wenn wir dort nicht kämpfen. Das ist ja die Problematik, das wir nicht dort hingegangen sind um Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, oder die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen sondern wir sind dort hingegangen, weil der damalige Bundeskanzler uneingeschränkte Loyalität, Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika erklärt hat und wir diese Solidarität auch demonstrieren wollten, das war der eigentliche Grund.
Ströbele: Aber dafür führt man doch keinen Krieg.
Kujat: Na gut. Ich rekapituliere ja nur.
n24: Wie ist eigentlich ihr Eindruck, wir haben die Bilder gesehen. Die Bundeskanzlerin zwischen den Särgen oder vor Särgen mit schwarz-rot-goldenen Flaggen. Ändert das etwas in der Wahrnehmung in der Bevölkerung ihrer Meinung nach? Ändert es die Einstellung zum Krieg hier?
Kujat: Nein. Ich glaube das Gegenteil ist der Fall. Ich denke eher das es das Unbehagen und die Ablehnung in der Bevölkerung verstärken wird. Was wirklich die Unterstützung der Bundesregierung fördern könnte, wäre eine offene und schonungslose Analyse der Lage, eine Erklärung welche Ziele wir dort verfolgen.
n24: Warum findet das nicht statt. Was ist Ihre Interpretation. Sie haben so viele Lagebesprechungen, so viele Ministerielle denken, so viele…
Kujat: Das ist relativ einfach. Die Regierung möchte natürlich diese Tendenz nicht verstärken. Sie glaubt jedenfalls, dass sie die Zustimmung der Bevölkerung eher gewinnen kann, wenn sie nicht die volle Wahrheit sagt.
Ströbele: Ich war vor drei Wochen in Afghanistan in dem Lager in Kunduz. Ich hab mit sehr viel Soldaten gesprochen tagsüber mit den höheren und abends in der „slumberland“, das ist dort so ne Kneipe die die sich eingerichtet haben. Ich bin von Tisch zu Tisch gegangen und habe mit ihnen geredet. Das Schreckliche auch für die Soldaten ist doch, dass sie dort kämpfen, ihr Leben riskieren, immer mehr riskieren und wissen, die deutsche Bevölkerung will das nicht in ihrer ganz grossen Mehrheit. Der deutsche Bundestag will das, schickt sie dort hin aber die Bevölkerung will das nicht. Man kann doch hier nicht sagen, Deutschland und das deutsche Volk steht hinter ihnen. das ist nicht der Fall.
Kujat: Wir waren immer, ich persönlich immer der Meinung, es ist ganz wichtig für die Soldaten, dass das Mandat durch den Deutschen Bundestag beschlossen wird und das der Bundestag die deutsche Bevölkerung repräsentiert. In diesem Fall ist es aber nicht so sondern hier gehen die Dinge wirklich auseinander. Wir haben hier eine konstant hohe Zustimmung im Deutschen Bundestag und gleichzeitig wächst die Abneigung in der Bevölkerung. Also der Deutsche Bundestag repräsentiert zumindest in dieser Entscheidung nicht die deutsche Bevölkerung.
Ströbele: Richtig.
n24: Ok. Ich glaube, da gibts viel Zuspruch zu diesem Punkt. Aber was tun. Also dieses ganze Missverhältnis muss aufgelöst werden, denn ehrlich gesagt, sind schon ein bisschen viel deutsche Soldaten dort tot oder wird es noch schlimmer?
Kujat: Ja natürlich wird es noch schlimmer. Denn wenn das umgesetzt wird was die Bundesregierung als Strategie verkauft – was ja keine Strategie ist sondern das ist eine neue Form der Operationsführung dort – wird die Gefährdung der Soldaten noch höher. Sie werden in der Fläche ja exponiert und während der Gegner Krieg führt, bilden wir die afghanische Armee aus, das kann nicht funktionieren und das passt auch nicht zusammen. Also bei grösseren Risiken ist die Gefahr natürlich da – ich will das hier nicht heraufbeschwören – aber die Gefahr ist natürlich da, dass wir höhere Verluste haben.
Ströbele: Ja wir haben ja gehört, ich habe auch an der Ausschusssitzung teilgenommen, wo der kommandierende General da, der Oberbefehlshaber Herr McChrystal bei uns im Ausschuss berichtet hat, und der hat ganz klar gesagt, das Jahr 2010 wird ein Jahr der Grossoffensive. Die nennen das Compaigne und das machen sie im Osten und das machen im Süden und das wird im kleinerer Form im Norden, da wo die Bundeswehr die Verantwortung hat jetzt sein. Das heisst sie machen Grossoffensive. Und zwar nicht für eins zwei Tage und dann ist das vorbei in Helmand sondern das dauert Monate. In dieser Zeit werden unzählige Menschen getötet und verletzt und zwar auf beiden Seiten und natürlich auch bei den Soldaten aber auch immer wieder, wie man dass in Helmand sehen kann – auch immer wieder erhebliche Mengen von Zivilisten. Und was genau so schlimm ist, es werden Tausende vertrieben. Die kündigen ja die Offensive vorher an und die Leute fliehen natürlich vor dem Krieg.
n24: Was mich jetzt gerade interessiert – in Ihre Richtung. Wenn dieses Missverhältnis existiert. Also, der Bundestag glaubt ja der Repräsentanten der Meinung der Bevölkerung. ist in einem krassen Missverhältnis, was die Leute wirklich denken, wann kommt von ihnen sozusagen der grosse Auftritt auf der Strasse, das Aussenparlamentarische, die Grossdemos „Raus dort, schützt unsere Soldaten!“ Meine These lautet, solange das nicht stattfindet, ist die Empörung auch nicht gross genug. Also ist wiederum auch die umgekehrte Formulierung „Alle mögen es nicht und nur der Bundestag ist dafür“ falsch. sonst würden doch die Leute protestieren „Holt unsere Jungs heim“
Ströbele: Das ist eine völlig berechtigte Frage. Ich glaube, das ein Grossteil der Bevölkerung erwartet, dass ihre Auffassung, die sie ihren Wahlabgeordneten in ihren Wahlkreisen ständig mitteilen, dass das auch irgendwann durchschlägt.
n24: Politik gestalten.
Ströbele: Ich sage ja den Kollegen im Bundestag. Ich stehe auf wie letzte Woche bei der Bundestagsdebatte und sage „Die Bevölkerung will was anderes als was ihr hier macht.“ Und dann sage ich den CSU-Abgeordneten „In eueren Wahlkreisen sind es noch viel mehr als in den Wahlkreisen der Grünen“ und dass die Leute dagegen sind. Das muss sich durchschlagen. Warum die Leute nicht auf die Strasse gehen grosse Demonstrationen – Widerstandshandlung machen – das rätsle ich auch.
Kujat: nun, die Gründe sind einfach. Die deutsche Bevölkerung geht dann auf die Strasse wenn sie glaubt, dass sie persönlich betroffen ist – so wie in der Nachrüstungsdebatte. Hier ist es so es ist eine kleine Gruppe in der Bevölkerung betroffen. Das löst zwar Widerstand und Empörung aus – verbal. Aber niemand geht dafür auf die Strasse weil er nicht persönlich betroffen ist.
n24: ich brauch jetzt mal von Ihnen als Bürger strategischen Rat. Ok. Jetzt habe ich gelernt, wir sind jetzt dort. Wir sind in sehr sehr niedlich ausgedrückt in einem Schlamassel. Wir sind in einem schrecklichen Krieg und es sterben deutsche Staatsbürger in Uniform. Jetzt könnte man doch sagen „richtig rein oder ganz raus“ beides wäre eine strategisch eindeutige Lösung. Der Bundesaussenminister aber hat erklärt, „Ende 2011 wollen wir uns langsam da mal zurückziehen.“ Gehts denn eigentlich noch dussliger also ein Datum zu benennen so dass der Taliban sich dahin setzt und sagt: So ich kann abwarten und Tee trinken, die gehen auf jeden Fall.
Kujat: Eigentlich geht es nicht dussliger. Das muss man wirklich sagen
n24: Also wenns nicht so traurig wär…
Kujat: So ist es. Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist völlig konfus. Ich habe den Eindruck, dass sie selbst nicht weiss was sie macht. es ist wie die Amerikaner sagen eine Matt links show. Man wurschtelt sich irgendwie durch. Vor zwei Jahren wurde eine neue Strategie verkündet weil man die zivile Hilfe um einige Millionen erhöht hatte. Dann hörten wir ständig die eigentliche Strategie ist comprehance for proud. Nun kommt eine neue Strategie
n24: Was glauben Sie, was fehlt: Mut, Verantwortungsgefühl (Zwischeneinwurf Kujat: natürlich),
Kujat: Lassen Sie mich Ihre These einfach umkehren. ich bin ja gar nicht so weit von Herrn Ströbele entfernt. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir dort eine gute Sache vertreten. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass wenn wir rausgehen.
n24: Ich glaub dass sieht er schon anders (zeigt auf Ströbele)
Kujat: Ja gut, aber wir nähern uns an, wir nähern uns gleich an. Und ich bin auch der Überzeugung dass wenn wir rausgehen, und unsere Position im Bündnis, auf das wir ja angewiesen sind, wir dem Bündnis einen Stoss versetzen werden, der unsere Stellung erheblich beeinträchtigen wird. Deshalb sage ich, wir sollten das tun. Aber wir sollten es auch so tun, dass wir die Aufgabe, die wir unseren Soldaten gestellt haben, das diese Aufgabe erfüllt werden kann bei einem Höchstmass an Sicherheit für diese Soldaten. Das ist nicht der Fall. Also sage ich wenn wir nicht dazu bereit sind, wenn wir also das Leben unserer Soldaten bereit sind für eine Sache zu opfern, die es nicht wert ist, dann sollten wir lieber raus gehen.
n24: Wir kommen dann noch mal darauf zurück. Mich interessiert nur, ist es eine gute Sache für die wir da kämpfen?
Ströbele: Nein.
n24: Na, so Demokratie, Frauenrechte…
Ströbele: Das sagt inzwischen keiner mehr. Das war die moralische Begründung, auch Menschenrechte, Frauenrechte, weil die moralische Begründung, mit der man allen Widerspruch versucht hat beiseite zu drücken, da redet keiner mehr von. Haben Sie von der Kanzlerin schon mal was noch gehört oder Westerwelle… das erzählt keiner, auch Demokratie. good gouvernance, gute Regierung sagt auch keiner mehr. Ich sage aber zu Ihnen Herr General: Das hört sich so an, dass wir in Afghanistan sind, weil wir das unseren verbündeten nicht antun könnten da raus zu gehen. Da kann ich Ihnen nur sagen: es ist schon mal ein Weltkrieg geführt worden, nämlich der Erste, nur aus Bündnistreue heraus zu den damaligen verbündeten Mächten. Das kann doch nicht wieder sein, dass wir in einen Krieg, der jetzt neun Jahre andauert, dass wir einen Krieg führen nur aus Bündnistreue anderen gegenüber (Kujat nickt bestätigend: völlig richtig) wo wir mit den Zielen überhaupt, Sie haben ja kein einziges Ziel genannt, (Kujat: Sie brauchen mir nicht…natürlich. Sie haben völlig recht) warum .nicht ein… und ich will ihnen noch was zweites sagen. Was sagt denn eigentlich der General, wenn alle sagen der Krieg ist nicht zu gewinnen. Gehen Sie in einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist, nur um ihn noch zwei, drei, vier, fünf, zehn Jahre fortzuführen? Das kann doch kein General wollen.
Kujat: Ich sage nicht, der Krieg ist nicht zu gewinnen. Ich sage, (Ströbele: dass sagen aber alle Experten…) Nein, Moment, Moment. Wir müssen präzise sein. Ich sage, der Krieg…die NATO kann den Krieg militärisch nicht verlieren. Das kann sie nicht. Aber sie kann ihn nur auf der zivilen Seite gewinnen.
Ströbele: Aber dafür braucht man keine Truppen.
Kujat: ja natürlich, aber das muss man deutlich sagen. Das ist ja das Problem in dieser Hängepartie, in der wir uns im Augenblick befinden. Wir kommen militärisch nicht voran, wir kommen auch zivil nicht voran.
Ströbele: es wird militärisch jedes Jahr dramatisch schlechter.
Kujat: Ich weiss, wem sagen Sie das.
Ströbele: Was sagt denn ein Militär, was sagt ein General, wenn es jedes Jahr dramatisch schlechter wird, da muss er doch irgendwann mal sagen, also damit muss Schluss sein, wir können doch nicht die Leute dort verheizen.
Kujat: Es ist nun mal, nein, das sage ich ja auch. Ich kritisiere das was wir tun seit vier Jahren und in der Öffentlichkeit auch. Und was ich höre ist, ja es wird dann gesagt, die ehemaligen Soldaten sollen sich nicht zu Wort melden. Es wird gesagt, die wissen ja gar nicht worum es geht. Ich habe recht. Der Verteidigungsminister hat vor einiger Zeit gesagt, als um diese sogenannte neue Strategie ging „Natürlich gehen unsere Soldaten dort Risiken ein, aber dadurch, durch diese neue Strategie, so werden es nicht mehr. Jetzt sagt er es werden tatsächlich mehr. weil der General McChrystal das sagt. Also, es wird auch argumentiert, wie es gerade so passt. Ja?!
Ströbele: Deshalb gibt es nur eine Lösung: den Krieg beenden.
n24: Nur das kann man allein nicht, ne – nur aufgeben.
Ströbele: Nein. Diese Argumentation, man kann den Verbündeten das nicht antun…(Kujat: Na nee, nee ne, das…) die stimmt nicht, die stimmt ja auch nicht. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen (kujat: Moment…) , die Holländer gehen jetzt raus, die haben das jetzt angekündigt, die Kanadier gehen raus und trotzdem müssen wir im Bündnis bleiben.
Kujat: Natürlich können wir das den verbündeten antun. selbstverständlich. Wir sind… ein Einsatz ist nur dann gerechtfertigt, unsere eigene Soldaten, wenn unsere eigene Sicherheit auf dem Spiel steht. Wenn das nicht der Fall ist, können wir selbstverständlich dort herausgehen. Wenn ich sage, wir sollten das nicht tun, weil das unsere Stellung im Bündnis schwächt und weil es…
Ströbele: Also nur wegen des Bündnisses…
Kujat: und weil, weil es langfristig – Moment – weil es langfristig durch unsere schwache Stellung, wenn‘s Einfluss auf unsere Sicherheit hat, nicht auf..,
n24: Ich versteh das strategisch. Aber gleichsam ist mir wohl schon bemerkt darauf hinzuweisen: die Hauptaufgabe einer Regierung ist doch, Schaden von eigenen Volk, vom einzelnen abzuwenden. Tod ist ein Schaden. (Kujat: so ist das) Es ist in Deutschland noch kein Terroranschlag passiert – zum Glück. da haben wir sicher ein bischen Glück.
Kujat: Aber in Spanien und in England
n24: Vielleicht legen Sie es mir gleich als Nationalismus aus oder so. In Deutschland aber noch nicht. Aber, es sind schon mehr als vierzig Soldaten tot. Das ist schon ein verdammt hoher Preis und wieviele müssen eigentlich noch sterben? Das ist ja Ihr Gedanke.
Kujat: Das ist ja mein Punkt, das ist ja mein Punkt. Ich muss klar sagen: vor allen Dingen, wenn ich der Meinung bin, dass unsere Soldaten noch mehr Risiken als bisher in Kauf nehmen müssen, dann muss ich auch sagen: „Was ist das Ziel? Wofür nehmen sie diese Risiken in Kauf? Ist es das wert?“ Und da habe ich grosse Zweifel.
n24: Wenn man dies mal weiter denkt. Wenn man sagt, wir schicken die da hin, dann sind wir ja schnell bei dem Punkt – Sie haben es angedeutet – um nur Schaden von ihnen abzuwenden muss ich doch alles tun, Ausrüstung, Taktik, wenn man sagt uns fehlt das Geld, dann sterben die eben leider oder so. Das ist ja das Zynischste was man überhaupt vorbringen kann.
Kujat: Ich habe es skrupellos genannt. Ich halte es für skrupellos, wenn man so etwas macht. Und das ist in der Tat der Fall. Wir müssen, wenn wir wirklich überzeugt sind, dort bleiben zu müssen, dann müssen wir klar sagen, warum wir dort sind. Was wir erreichen wollen und wir müssen alles tun, damit die Soldaten auch den Auftrag erfüllen können, der ihnen gestellt wird. Und es muss ein Höchstmass an Sicherheit herrschen. Nehmen Sie ein Beispiel: im Mandat des Bundestages steht, sie sollen die afghanische Bevölkerung schützen. Das ist kompletter Unsinn. Jeder weiss, es ist völlig ausgeschlossen, in diesem Land, bei dieser Grösse, bei diesem Gelände und bei der Zahl der Truppen. Da müssten wir die Zahl verzehnfachen und würden es nicht schaffen.
n24: …skrupellos. Ist es nicht eher grob fahrlässig?
Kujat: Naja, gut. Das ist die Frage, was ist eigentlich schwerwiegender: grob fahrlässig oder skrupellos.
n24: Bei grob fahrlässig würde ich sagen ist die Gefahr dass jemand zu Schaden kommt noch schlimmer.
Kujat: Das mag sein. Also, ich will jetzt nicht um, wir müssen jetzt nicht um Worte streiten.
n24: Herr Stöbele, ich hab mir jetzt mal überlegt: ist es denn wirklich vollkommen unmöglich sich vorzustellen, dass die Kanzlerin zum Telefonhörer greift, Obama anruft und sagt: Äh, Barack – oder wie auch immer die miteinander reden, äh, ich halt es jetzt hier nicht mehr durch. In meiner Bevölkerung wächst der Druck, ich halt es jetzt hier nicht mehr durch. Da hat der Mann doch Verständnis, ich meine, er ist doch auch Mehrheits, äh Mehrheitendenker und wir gehen da jetzt raus. Was passiert Ihrer Meinung nach dann?
Ströbele: Ja. Ganz genau. Vor allen Dingen, die US-Regierung und auch die früheren waren das ja von den Deutschen so gewohnt. Und ich bin nun wirklich kein Fan von Helmut Kohl. Aber Helmut Kohl hat das zum Beispiel beim ersten Golfkrieg gegen den immensen Druck der US-Amerikaner, damals Bush senior, durchgehalten hat. Er hat gesagt: nein. In meiner Bevölkerung setze ich das nicht durch, kann ich das nicht durchsetzen.
n24: Allerdings ist dann ein bischen blöd, wenn der Bundestag dauernd die alle die Hand hebt und sagt, ja wir machen mit.
Ströbele: Ja. Aber bei Obama ist die Situation noch völlig anders als bei den beiden Bushs, weil er viel eher weiss was es bedeutet, wenn man in einer Bevölkerung, wenn man davon abhängig ist, wenn die Bevölkerung den Krieg nicht will. Er ist ja unter anderem auch an die Regierung gekommen, weil die bevölkerung in den USA den Krieg im Irak loswerden wollte, weil er sich als Kandidat des Friedens dargestellt hat. Und genauso könnte die Kanzlerin kommen…
n24: Er sagt ja, es geht. Was ist ihre Befürchtung, was dann passiert. Also wenn wir jetzt einfach… Also ich komm mir manchmal so vor, als wären wir ein Minipopel-Land voller Idioten und machen was andere sagen.
Kujat: Die Kanzlerin muss doch nicht Obama anrufen. Die Kanzlerin kann auf der nächsten Sitzung in der NATO, denn wir operiren ja dort, innerhalb der NATO, da sagt sie: Wir sind ein souvärener Staat – ich meine,wir sind ein souvärener Staat. Wenn die Kanzlerin sagt, Leute am Ersten ist Schluss für uns, dann ist schluss für uns! Ich sage nur.., ach.
n24: ich finde es wichtig, weil immer der Eindruck entsteht, ich kann leider nicht anders, da sind die Amerikaner (Kujat: ach was), das Bündnis (Kujat: ach was) und dies (Kujat: ach was)
Kujat: ich akzeptiere das wenn jemand sagt, ich bin nicht bereit, die Konsequenzen zu tragen.
n24: Gut. Das akzeptiere ich.
Kujat: Aber zu sagen, wir können nicht, ist Unsinn. Selbstverständlich können wir das.
ströbele: Und vor allem, wir müssen erwähnen, auch wie sich das entwickelt hat. Noch vor zwei Jahren, noch vor einem Jahr, noch vor gut einem halben Jahr – wenn man da von Abzug geredet hat, von Exitstrategie – dann wendeten sich im Bundestag alle von einem ab, mit dem Ausdruck des Ekels und des Unverständnisses. Heute ist das in jeder Regierungserklärung. Warum? weil Obama dieses Wort aufgenommen hat, das heisst, die reden ihm nur immer nach, da stimmt sogar die Wortwahl dazu. Also er bestimmt die Diskussion, das ist doch absurd. Warum konnte man nicht vor einem halben Jahr, vor einem Jahr genauso darüber reden, und wir sagen…
n24: Ok. Kein schlechter Punkt. Anders gedacht, wir gehen mal kurz in den Gedankengang rein, und man würde jetzt rausgehen. Also man würde Ihrer These folgen – Ihrer auch irgendwie wenn ich mich nicht ganz verhört hab und würde sich jetzt geordnet und schnell zurückziehen. Dann war doch alles für die Katz. Ich meine, dann sind die – dann muss man sagen dann sind die echt – also umsonst kann man nicht sagen – dann sind die gestorben für nix. Dann haben wir nix erreicht, tote Leute und gehen zurück und dr taliban sitzt da und macht (Strunz klatscht in die Hände)
Kujat: Ich halte es mit Matthias Claudius, der gesagt hat: der eine fragt was kommt danach. der andere fragt, ist es so recht. Und so unterscheidet sich der Freie von dem Knecht. Wir sind frei. Wir müssen… haben aber auch die Verpflichtung zu überlegen, was bedeutet das für unser Land langfristig. Was bedeutet das für die Lage in diesem Raum. Pakistan sage ich nur. Was bedeutet das für unsere eigene Sicherheit. Das muss man bedenken. Aber auch das wird ja nicht getan. Es wird weder gesagt, was wir dort erreichen wollen noch wird gesagt, was die Konsequenz wird, wenn wir rausgingen. Sondern, wir befinden uns in einem Schwebezustand, durchwurtscheln im Grunde genommen. Und das ist…Es wird ja nicht Politik gemacht, sondern man lässt sich treiben. Obama sagt „A“, dann sagen wir auch das „A“. Wir sind ein souvärenes Land, wir haben eigene Interessen. Und nur dann, wenn unsere eigenen Sicherheitsinteressen betroffen sind, sind wir verpflichtet, dort einzugreifen. Und das muss man klären. (Kujat zu Ströbele) Im Bundestag findet doch keine Diskussion zu diesen Fragen statt.
n24: der Bundesinnenminister sagt an der einen oder anderen Stelle, es gibt diesen Zusammenhang seiner Meinung nach nicht: Also deutsche Soldaten töten Taliban, also steigt das Risiko hier. Das deht man auch schnell mal um. Also es bedeutet, es ist gar keine Sicherheitsgefährdung durch Afghanistan und die Taliban in Deutschland. dann ist es ja mehr als nur Durchwurschteln, dann ist es grotesk, vorsätzlicher Unfug.
Ströbele: Aber lassen Sie mich zu Ihrer Argumentation noch etwas sagen. Wir können nicht sagen, weil jetzt dreiundvierzig Soldaten jetzt dort gestorben sind, müssen wir den Krieg jetzt weiterführen, weil, es darf doch nicht sein – ich sag mal, umsonst – gestorben sind. Wir können doch nicht weitere Leute dort sterben lassen, genauso sinnlos, nur um zu rechtfertigen, (beide, Ströbele und Kujat unisono: das kann nicht sein) kann kein Argument sein, sondern da ist lang was schiefgelaufen und ich sag von Anfang an was schiefgelaufen, man hat ja ganz am Anfang, wenn Sie sich die Reden im Bundestag 2001 angucken, hat man mit einem halben Jahr Krieg gerechnet. Inzwischen sind wir im neunten Jahr und Herr McChrystal, er ist ausdrücklich danach gefragt worden, hat gesagt, vier bis fünf Jahre schätzt er ab 2011, das heisst, bis 2016, wenn alles positiv verläuft, dass man da raus geht. Das kann doch nicht wahr sein. Das kann doch nicht wahr sein, deshalb sage ich, man muss sinnvoller und verantwortungsvoller Weise rausgehen, d.h., man muss sofort anfangen zu deeskalieren, man muss sofort alle Offensiv-Kriegführung einstellen. Das kann man von Heute auf Morgen machen, zu mindest, wo wir es können und wo wir zuständig sind – im Norden (Kujat nickt zustimmend) rund um Kunduz und muss mit den Leuten dort, mit den Taliban, mit den Dorfältesten und so weiter verhandeln. Und ich geh davon aus, dass solche Verhandlungen schwierig sind, dass man versucht dort was umzusetzen. Was überhaupt nicht geht, was im Augenblick praktiziert wird, nicht nur die Grossoffensive, sondern das die USA und ich fürchte auch die Deutschen, die, mit denen verhandeln wollen mit den Taliban, mit Todeskommandos jagen, mit extra-legalen Hinrichtungen, aus, mit Raketen, aus Flugzeugen, mit Spezialkräften, die dann entweder gefangen nehmen oder killen oder töten – das ist beständig an der Tagesordnung und mach doch Verhandlungen unmöglich. Es kann sich doch keiner outen als Verhandlungsbereiter, weil er in den Augenblick eigentlich um sein Leben sorgen muss.
n24: Muss man einmal noch ganz grundsätzlicher denken und sagen: Wenn man ein Ziel definieren würde und drin bleiben – braucht man da nicht andere Soldaten, also richtig gut ausgebildete Berufssoldaten, die sich von vorn herein klar sind, wenn sie sich für solche Einsätze melden und nicht irgendwie…nette Jungs
Kujat: Unsere Soldaten, also ich sage das nicht, weil ich mich immer noch als einer von ihnen fühle, unsere Soldaten sind hervorragend ausgebildet, soweit, das Gerät das sie beim Einsatz nutzen hier auch in Deutschland vorhanden ist – das ist ja in Regel gar nicht der Fall. Aber grundsätzlich sind sie gut ausgebildet. Was wichtig wäre, das man versteht, wie die Taliban dort operieren, sich in ihre Situation versetzt und dass man bereit ist, ohne jetzt auf den Euro zu schauen, Soldaten mit den neuesten und modernsten Geräten auszurüsten, dass sie wirklich in der Lage sind, sich selbst zu schützen wenn sie ihren Auftrag durchführen. Aber wir reden ja nur. Sehen Sie, da kommt der General McChrystal hier her. Der General McChrystal ist Durchführender. Er ist nicht für die Strategie verantwortlich. Das ist der Strategische Oberbefehlshaber Operations in Belgien und der für die Operation eigentlich Zuständige in der NATO ist ein deutscher General – mit dem spricht kein Mensch. Wir sprechen hier mit Schmidtchen und nicht mit Schmidt, ja?! Unddas sind alles so Dinge, ich habe den Eindruck, man verschliesst sich auch eigentlichen strategischen operativen Diskussion, der Überlegung dazu. Weil das einfacher ist, einfach das nachzureden was die Amerikaner, was Obama sagt, was der General McChrystal sagt. Das sind ganz andere Situationen. Wenn die Amerikaner dort operieren, dann operieren sie unter völlig anderen Bedingungen als wir. Die gehen mit fünftausend Mann dort rein, mit Kampfhubschrauber, sind hervorragend ausgerüstet. Eine völlig andere Situation.
Ströbele: Aber ich versteh Sie jetzt nicht ganz. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie sehen da gar keinen Sinn drin. Sie wissen auch nicht, was da ein Ziel sein soll. Auf der anderen Seite fordern Sie, dass unsere, die deutschen Soldaten besser ausgerüstet werden. Da sage ich Ihnen warum die Amerikaner… die Amerikaner, wie Sie das sagen, haen alles, haben genug, haben gnug Hubschrauber, haben genug Panzer, haben genug Soldaten, über einhundertdreissigtausend Mann inzwischen dort, also mehr – allein die Amerikaner –
als die Russen zu ihrer Höchstzeit dort hatten. Und trotzdem gelingt es den Amerikanern nichtmal in den Provinzen, also Kandahar und Umgebung, einigermassen…
n24: Also, ich muss eins sagen. Vor dieser Diskussion war mir mulmig. Jetzt habe ich echt Angst. Also, so planlos, wie wir es jetzt herausgearbeitet haben, und so ausweglos beinahe, habe ich die Situation so bisher noch nicht gesehen. Wir bleiben in der Debatte. Danke fürs Zuschauen.
08.05.2010 Kurzer Prozess: NATO ändert ihre Sprache in Afghanistan
01.03.2010 Holen wir unsere Soldaten aus dem Krieg nach Hause! Zeigen wir den Mächten die Weisse Flagge!
Quelle:
http://mediencenter.n24.de/
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