Marshall Auerback und Robert Parenteau beschreiben, wie „Ausgabeneinschränkungen” Banker und wohlhabende, sehr gut miteinander verbundene Politik-Insider begünstigen, wohingegen der ganze Rest dem Schlamassel anheim gegeben wird.
Das Communiqué des G20-Treffens vom vorvergangenen Wochenende (siehe hier) illustriert, dass die Defizit-Falken die Vormachtstellung in den Politikerzirkeln rund um den Globus erlangt haben. Grosse Depression 2.0, wir kommen.
„Die Länder mit ernsthaften fiskalischen Herausforderungen müssen die Geschwindigkeit der Konsolidierung beschleunigen“
hielt das Communiqué fest.
„Wir begrüßen die kürzlich gemachten Ankündigungen einiger Länder, ihre Defizite für 2010 zu reduzieren und ihre fiskalischen Rahmenbedingungen und Institutionen zu stärken.“
Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, sagte, dass die Straffung der Ausgaben in den „alten Industriewirtschaftsräumen“ der globalen wirtschaftlichen „Expansion“ durch mehr Investorenvertrauen helfen würde. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sagte, dass Deutschland “entscheidende” Kürzungen seines Haushaltsbudgets vornehmen wolle, die die Regierungspolitik der kommenden Jahre bestimmen solle.
Obwohl sich die globale Wirtschaft durchaus von ihrem Post-Lehman-Kollaps erholt hat, verdient sie in Anbetracht einer Arbeitslosigkeit, die im zweistelligen Bereich verharrt, nicht Trichets Charakterisierung der „Expansion“. Und die globale Erholung wird schwer gehemmt werden, falls die aktive ausgabenpolitische Unterstützung – jene Art des staatlichen Stimulus, der erforderlich ist, um höhere Wachstums- und Beschäftigungsraten beizubehalten – komplett abgeschafft wird, wie es die G20-Diskussionen vermuten lassen. Das neue Heilmittel für den Nachfragekollaps lautet „Haushaltskonsolidierung“ – ein täuschender Ausdruck, der erfunden wurde, um mehr Ausgabenkürzungen bei wichtigen sozialen Dienstleistungen zu maskieren.
Trotz der Bemühungen des US-Finanzministeriums, den Aufstieg des Büßerhemds-Wirtschaftens abzumildern, hat die Obama-Administration durch ihre eigene politische Inkohärenz zum Aufstieg dieses Defizitreduzierungsfanatismus beigetragen. Die hauptsächlichen Wirtschaftsberater des Präsidenten – Timothy Geithner and Lawrence Summers – akzeptieren weiterhin das Paradigma der Defizit-Falken, insofern sie übereinstimmen, dass Defizite langfristig „schlecht“ sind. Allerdings argumentieren sie für die Notwendigkeit von Steuerkürzungen und einer Erhöhung der staatlichen Ausgaben auf kurzfristiger Basis, die Defizitreduzierung folgt später. Auch befürworten sie das Prinzip der „soliden Finanzierung“ – jene Sorte, von der Sie jeden Tag in der Zeitung lesen. Dabei ignorieren sie die weit wichtigere Überlegung: nämlich dass der Staat jederzeit ein vernünftiges Maß der Nachfrage instand halten sollte und dass die Prinzipien der „soliden Finanzierung“ nicht vom wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang getrennt werden dürfen.
In Europa ist’s noch schlimmer bestellt. In Großbritannien sieht sich die neue konservativliberaldemokratische Koalition dem Druck ausgesetzt, das Staatsdefizit trotz der Tatsache zu eliminieren, dass es die vorherige Labour-Regierung durch das aggressive Einsetzen der Fiskalpolitik schaffte, die Aussichten auf ein wirtschaftliches Unheil im Stile von Island zu verhindern. Gleichwohl besaß Englands Premier David Cameron mit unbeabsichtigter Ironie dieses Erkenntnisprachtstück:
„Nichts veranschaulicht die totale Unverantwortlichkeit des Vorgehens der Vorgängerregierung besser, als die Tatsache, dass sie unbezahlbare Staatsausgaben selbst dann noch steigerte, als die Wirtschaftsleistung schrumpfte.“
Sollen wir also staatliche Ausgaben steigern, wenn die Wirtschaftsleistung wächst? Wenn sie ernsthafte Gefahren der Inflation heraufbeschwören kann? Sollte diese politische Inkohärenz zu erwarten stehen, dann helfe Gott dem Vereinigten Königreich. Diese Erklärung wäre lustig, würde sie nicht unbeabsichtigt destruktiv sein. Mit einem Wirtschaftsdenken dieser Qualität wird der Staat sein Versprechen „jahrzehntelanger Einschränkungen“ gewiss durchziehen.
In der Zwischenzeit hat die so genannte „PIIGS“-Krise im Rest Europas die Ansicht verstärkt, dass Defizite schlecht seien und destabilisierend wirkten, weshalb heftigen Dosen fiskalischer Einschränkung notwendig sein würden, selbst wenn das bedeutete, kurzfristig mehr Schmerzen zu bewirken.
Sie alle liegen tragisch falsch. Es liegt in dem Wort „großes Defizit“ überhaupt kein Sinn. Wie Bill Mitchell (siehe hier) argumentiert:
“The budget deficit is the difference between what the government spends and what it receives in revenue (mostly from taxation collections). We call the extra spending above taxation revenue – net public spending. It is an accounting statement only (that is, records information about the flows of spending and revenue collections) but movements in the deficit do provide information about the state of the economy… the budget balance will move toward or into deficit when the economy is weak because tax revenue is falling and welfare payments are rising.”
Unter diesen Umständen muss der Staat seine Ausgaben erhöhen (entweder direkt oder durch Steuerkürzungen), um die Abwärtsspirale privater Ausgaben anzuhalten. Staatliche Defizitausgaben sind das Gegenstück des Sparens im Privatbereich. Es sind staatliche Defizitausgaben, die es dem Privatbereich ermöglichen, die gewünschten Sparraten zu erzielen.
Das Beschäftigungsniveau ist der offensichtlichste Faktor, der die Neigung des Privatbereichs zum Sparen beeinflusst. Höhere Arbeitslosigkeit bewirkt eine größeres Verlangen (bzw. eine größere Notwendigkeit) zu mehr vorbeugendem Sparen im Privatbereich.
Wenn der Staat für mehrere Jahre Haushaltsüberschüsse aufweist, wird der Privatbereich für die gleiche Zeitspanne Defizite unterhalten – das heißt, sich im Umfang von Billionen von Dollar zu verschulden, um es den Staat zu erlauben, seine Schulden zu tilgen. Es ist schwierig zu sehen, warum private Haushalte mit mehr Schulden besser dran sein sollten, nur damit ihnen der Staat weniger schuldet.
Unsere Position ist die Version von Abba Lerners “funktionale Finanzierung” fürs 21. Jahrhundert in Gegnerschaft zu der irreführenden und destruktiven Theorie von der „soliden Finanzierung“. Lerner erklärte die Art und Weise, wie wir uns bezüglich der Ausgabenpolitik entscheiden sollten, folgendermaßen:
“The central idea is that government fiscal policy…shall all be undertaken with an eye only to the results of these actions on the economy and not to any established traditional doctrine about what is sound or unsound.”
Lerners Ziel war es, eine wirtschaftspolitische Debatte zu begünstigen, die jenseits dessen stattfinden sollte, was er “solide Finanzierung” nannte (was der Vorläufer des zeitgenössischen, destruktiven neoliberalen Denkens war.)
Im Rahmen von Lerner gedacht, schlagen wir vor, dass das Hauptziel der Fiskalpolitik darin bestehen muss, Ausgaben für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu tätigen. Sie sollte nicht durch Vetternwirtschaft bestimmt sein, die große finanzielle Begünstigungen an einige wenige wohlhabende, sehr gut miteinander verbundene Insider weiterleitet. Die Besitzer von Wertpapieren erhalten nach wie vor Nettorückzahlungen, während das schiere Ausmaß dieser Zahlungen als Entschuldigung für das Zusammenstreichen wichtiger öffentlicher Dienstleistungen, Renten und anderer Staatsausgaben herhalten muss.
So wie sich die privaten Ausgaben im Laufe der Zeit erholen, sinkt das Haushaltsdefizit automatisch mit (kraft der automatischen Stabilisatoren). Zur gleichen Zeit muss der Staat eventuell seine Nettoausgaben kürzen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (das heißt die Gesamtausgaben in der Wirtschaft) daran zu hindern, in Relation zur Produktionsfähigkeit der Wirtschaft exzessiv zu werden. Übersteigt die Nachfrage diese Fähigkeit, bekommen wir eine Inflation. Selbstverständlich kann der Staat auf eine Inflation mit Steuererhöhungen reagieren, um die privaten Ausgaben einzudämmen. Es hängt alles vom wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang ab, in dem diese Entscheidungen getroffen werden.
Mit Lerners Ideen im Sinn, wäre hier, was wir als ideale Verlautbarung der G20 erachten würden:
“A prosperous and sound economy is indeed one of the foundations of national security, if not the central pillar (or even the ground, for that matter) of any such foundation. Therefore, we demand that all G20 nations launch a new comprehensive employment security measure which entails a minimum or living wage job guarantee for all takers.
In Europe, we urge suspension of the self-imposed fiscal rules embodied in the Treaty of Maastricht. Furthermore, we recommend the expansion of the European Investment Bank to become the funding mechanism through which the current account surplus nations, such as Germany, can recycle their surpluses in demand deficient deficit countries within the EU, so as to generate additional employment and thereby better facilitate debt service across the euro zone.
In the US, pilot projects will be immediately authorized and put into action in Detroit and along the Gulf, preferably before a long hot summer gets too far underway. Gulf hiring will be devoted primarily to environmental restoration, including the largest scale roll out of Army Core engineers ever contemplated in civilian history to mitigate the emerging ecological disaster approaching our shores. Troop recalls and a significant slimming of the public trough upon which defense contractors have been engorging themselves since even before Eisenhower’s famous “military industrial complex” confession will be completed to ensure budget “neutrality”, which is an arbitrary and utterly useless thing, since the only sustainable fiscal balance is the one that ensures full employment with product price stability. The time for a new national security directive has indeed arrived, and we urge all national governments to reconsider what the true basis of national security really is – a sustainable and thriving economy, and not one picked over by global speculative capital or its sock puppets politicians within the Predator State.”
Je mehr die Interessen der Banker bedient werden, desto schlimmer wird es für die Wirtschaft kommen. Ihre Zuwächse wurden zum Preis einheimischer Einschränkungen erkauft. Das G-20-Communiqué unterschreibt auf unverantwortliche und amoralische Weise die derzeitige schändliche Handhabung und wir werden, wenn es so weiter geht, einen ernsthaften Preis dafür zahlen müssen.
Die G20-Politiker und ihre Verbündeten des Finanzkapitals sind Aasgeier, die an einem sterbenden Körper herumpicken. Und der Rest von uns ist hilflos, weil die Institutionen, die zum Dienste des größeren Allgemeinwohls geschaffen wurden, zerrüttet dastehen. Wir lassen Wertpapierbesitzer und große Banker auf Kosten der Verarmung der gesamten Gesellschaft gedeihen.
Es fällt schwer, keine dunklen Schlüsse daraus zu ziehen. Unsere die Politik bestimmenden Eliten haben entdeckt, dass die Unterklasse politisch nicht mehr zählt, warum also auf sie reagieren? Die Indifferenz überträgt sich auf den Mittelstand. Die gewöhnlichen, sich abstrampelnden Leute sind dermaßen demoralisiert, dass sie:
1. keine Gefahr als Wahlgänger darstellen, weil keine der großen Parteien in Europa und den USA aufrichtig ihre Interessen vertreten (und das schon seit Jahren nicht mehr tun). Als Resultat gibt es keinen politischen Preis für ihren schamlosen Raubtierkapitalismus zu zahlen.
2. keine Gefahr für die Macht darstellen, weil sie in den letzten 30 Jahren systematisch zerstört wurden und das, was jetzt in Europa geschieht, repräsentiert den finalen Angriff auf die Überbleibsel des Sozialstaats des 20. Jahrhunderts (das soziale Sicherungsnetz in den USA ist weit vorher bedeutungslos geworden).
Die Botschaft der G-20 scheint diese zu sein: Wir sind durch mit einheimischen Ausgaben, um die Unterklasse zu beschäftigen.
Es gibt ungefähr 20% würdevolle Arbeitsplätze für die westliche Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter. Und was gibt es für den Rest? Armut à la Südamerika. Es ist außerordentlich, dass die Wähler rund um den Globus diesen korrupte Stand der Dinge tolerieren, aber es fällt zunehmend schwer, noch einen Ausweg daraus zu finden.
von Marshall Auerback und Robert Parenteau , Übersetzung von Lars Schall