Die verfassungswidrige Mehrheit von Christian Wulff und der Parteien-Betrug an der Demokratie
Die Vertreter der FDP sollen in der morgigen Bundesversammlung mit Christian Wulff einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten wählen, dessem Amtsantritt ihr Rauswurf aus der Bundesregierung folgen würde. Offensichtlich haben das 98 % der Liberalen aber noch nicht ganz begriffen. Die SPD sabotiert, wie erwartet, den eigenen Kandidaten, in Vorbereitung einer neuen großen Koalition unter Angela Merkel. Bündnis 90/Die Grünen will nur noch Neuwahlen, wie die Partei-Linke. Derweil wird morgen in einer Bundesversammlung gewählt, deren augenscheinliche absolute Mehrheit für den Kandidaten Christian Wulff (CDU) durch 24 Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU zustande kommt, die nie gewählt worden sind.
Zeit, einen kleinen Lichtblick zu werfen.
Gestern unternahm die SPD das, was wir bereits am Tage der Nominierung von Joachim Gauck prognostiziert hatten (03.06.2010 Koch, Köhler, Wulff: Rückzug, Bauernopfer und Rochade der Nomenklatura): die SPD sabotierte ihren eigenen Kandidaten. Thomas Oppermann – Liebkind von ehedem Gerhard Schröder, Franz Müntefering und natürlich seinem in drei Minuten aus dem Wahlgrab zum SPD-Fraktionsmeister wiederauferstandenen Frank-Walter Steinmeier – trat am Dienstag vor die Presse und verkündete (1):
„Es ist eigentlich schwer, einen solchen Wahlgang zu verlieren“,
Damit meinte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion natürlich den CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff, den Kandidaten der CDU/CSU. Dieser werde, so Oppermanns Prophezeihung, gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit aller 1244 Vertreter in der 14.Bundesversammlung der Republik erhalten.
CDU, CSU und FDP hätten zusammen eine „komfortable Mehrheit“ von 21 Stimmen über der absoluten Mehrheit von 623 Stimmen, so Oppermann am Dienstag. Gauck hätte „von Beginn an“ nur eine Chance gehabt, so Oppermann, wenn die CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel die Abstimmung freigegeben hätte.
„Das hat sie bisher nicht gemacht. Deshalb sind unsere Chancen sehr überschaubar“
Eigentlich recht mutig vom Profiwahlverlierer Oppermann, wenn man bedenkt, dass mit Kurt Biedenkopf (2), dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (3) und dem ehemaligen Bundespräsidenten und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Roman Herzog (4) gleich drei nahmhafte Vertreter von CDU und CSU daraufhin hinwiesen, dass Mutti das gar nicht kann. Weil die Wahl nämlich frei ist.
Und wie sagte es der hessische FDP-Vorsitzende Jörg-Uwe Hahn über die schrecklich nette Bundesregierungsfamilie in Berlin und ihre bayrischen *räusper* Kollegen so überdeutlich?
„“Noch zwei- oder dreimal Söder und die Mehrheit für Wulff im ersten Wahlgang ist stark gefährdet“ (5)
Und das war am 9.Juni. Wie man seitdem jeden Tag mitverfolgen konnte, hat es da beinahe täglich einen Söder gegeben, vielleicht sogar mit einem bayrisch-sozialistischem Schuss Pinochet. (6)
Was mag seitdem nur geschehen, dass dem Thomas sein Oppermann abhanden kam, die Zuversicht? War es vielleicht dass hier? (7)
„Das Besondere an dieser Wahl ist, dass Joachim Gauck, der Kandidat von SPD und Grünen, eigentlich den Parteien nähersteht, die seinen Gegenkandidaten unterstützen sollen, also Union und FDP. Gauck zur Nominierung zu bewegen war geschickt von Trittin, Gabriel und Co. Die Kanzlerin, derzeit in politischer Bedrängnis, hat aber fast im Alleingang Christian Wulff durchgesetzt. Nun ist die Sorge groß, die zweifellos große Sympathie für Gauck in Union und FDP (die ja auch die Freiheitsliebenden vom Schlag eines Biedenkopf antreibt) und der Unmut über die Kanzlerin könnten ihn zum Sieg führen und der taumelnden Koalition den K.-o.-Schlag versetzen.“
Diese mehr als deutliche Andeutung von Siegeschancen für den Kandidaten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen durch die konservative „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (7) wird Thomas Oppermann wahrscheinlich erst richtig den Angstschweiss auf die davon fliegende Stirn getrieben haben, so dass er gestern alle Siegeschancen des SPD-Bündnis 90/Die Grünen-Kandidaten weit von sich weisen musste – wo doch auch bedenklicherweise seit Anfang Juni ausnahmslos alle Umfragen für Gauck entschieden wurden.
Wenn man es nun genau nimmt – natürlich ist das auch vernachlässigbar, es geht doch nur um den Präsidenten – aber wenn man es denn nun genau nimmt, dann hat sich Oppermann gestern sogar ernsthaft verrechnet. Die „komfortable Mehrheit“ von CDU, CSU und FDP für den „Missionar“ (8) Christian Wulff beträgt keine 21 Stimmen, sondern höchstens 18 Stimmen, seit die FDP bei der Aufstellung der Landesvertreter von Sachsen und Bremen mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmten und dem Kandidaten Gauck zugeneigte Vertreter entsandten. Und das war vor zwei Wochen.
Also was hat er denn nun, der Thomas? Was versucht er denn so verzweifelt wieder einmal die SPD verlieren zu lassen und „Reuters“ (9), der „Welt“ (10) (und wie sie alle heissen, die Seppls und Krokodile des gleichen Puppenspielers) endlich die lang ersehnte Steilvorlage zu geben?
Nun, wer dies alles noch für Zufall hält, die Selbstsabotage der eigenen Partei SPD und ihres Kandidaten durch Oppermann, das laute Schweigen aller anderen SPD-Vertreter, die Tatsache dass Radio Utopie genau das prognostiziert hat, so sei hier als letztes Argument noch folgendes aufgeführt:
Wer sagt eigentlich, dass eine Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten das Ende der schwarz-gelben Bundesregierung bedeutet? Es würde wahrscheinlich das Ende der Kanzlerin Angela Merkel bedeuten, das ist richtig. Aber deswegen würde ja nicht gleich das ganze Parlament aufgelöst. Das geht nämlich nicht so einfach.
Wie wir bereits umschrieben, kann laut Verfassung nur die Kanzlerin / der Kanzler selbst zum Präsidenten gehen und ihn nach einer (fingiert) verlorenen Vertrauensfrage um Auflösung des Parlamentes bitten. Dies könnte – gesetzt den Fall, wir liegen richtig und es gibt eine Absprache zwischen SPD und CDU/CSU Merkel durch eine Wahl von Wulff zum Präsidenten in Sicherheit zu bringen – Merkel nach einer weiteren Zuspitzung der Verhältnisse in der Koalitionsfamilie tun. (Biedenkopfs Intervention: Sieg der Verfassung und Beginn einer neuen großen Koalition, 17.Juni)
Wahlgewinner wären die SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Doch CDU und CSU könnten zum letzten Mal vom verfassungswidrigen Wahlbetrug der Überhangmandate profitieren, die das Bundesverfassungsgericht großzügig noch bis Ende 2010 erlaubt hat.
Übrigens: mit genau diesen 24 Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU – die nie gewählt worden sind und CDU/CSU am 3.Juli 2009 durch den damaligen Koalitionspartner SPD geschenkt wurden – wird morgen möglicherweise im ersten Wahlgang der Bundespräsident Christian Wulff gewählt.
Wie beschädigt wäre wohl dieser Präsident? Wie glaubwürdig wäre dieses Amt, wenn dessen Besetzung durch Abgeordnete entschieden würde, die nicht nur gewissensbefreit, sondern auch noch verfassungswidrig in Parlament und Bundesversammlung sitzen?
Ein letztes: die Partei-Linke hat bisher alles getan, um die Intrigen der SPD zugunsten der CDU/CSU zu unterstützen und Merkel als Kanzlerin in Sicherheit zu bringen. Bereits am 10.Juni tat Oskar Lafontaine alles, um Christian Wulff zum Bundespräsidenten zu machen (11). Wie die SPD (namentlich Frank-Walter Steinmeier) und Bündnis 90/Die Grünen (namentlich Renate Künast, Steinmeiers alte Regierungskollegin) hat die Partei-Linke Neuwahlen gefordert. (Ein innerer Republikparteitag)
Neuwahlen, von denen sie weiss, dass sie nur durch eine verfassungswidrige fingierte Vertrauensfrage inszeniert und durch einen Bundespräsidenten abgewunken werden kann; einem Bundespräsidenten, der wiederum selbst (im Falle einer Wahl von Wulff im ersten Wahlgang) durch eine absolute Mehrheit in der Bundesversammlung gewählt würde, die mit verfassungswidrigen, nie gewählten 24 Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag zustande kam.
Die Linksfraktion sollte sich in Ruhe alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen und genau überlegen, was ihr nützt und was nicht. Dann sollte sie genau überlegen, ob das eventuell auch mit ihren Wählern (und Nichtwählern) zu tun haben könnte und ob denen ein Präsident Wulff nützen würde. (Von weitergehenden moralischen, politischen oder verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist hier bei Appellen an diese Partei sowieso abzusehen.)
Den Vertretern der FDP in der Bundesversammlung ist zu empfehlen, einmal darüber nachzudenken, wer eigentlich Neuwahlen möglich machen kann (s.o.) und wer dabei verlieren würde. Dass sich ihre schwarz-gelbe Bundesregierung sowieso destabilisieren wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Mehrheit im Bundesrat nach der Wahl von Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen hinfort sein wird und auch nicht mehr wieder kommen wird. Das war vor Monaten bereits offensichtlich. (18.März, NRW-Wahl wird zu neuer Bundesregierung führen)
Wenn man sich schon mit einem Gang in die Opposition abfinden muss, sollte man wenigstens versuchen Neuwahlen zu vermeiden. Von der SPD und ihren vorgetragenen Anwerbeversuchen für eine Ampelkoalition (nach den geforderten Neuwahlen, selbstverständlich) sollte die FDP sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die SPD steuert, wieder einmal, Richtung große Koalition.
Um die Qualität des Kandidaten für das Bundespräsidentenamt geht es bei diesem Spiel um die Macht in Berlin sowieso schon nicht mehr, bei niemandem in den Parteien.
Man kann nur noch die Wähler daran erinnern, welche Beschädigung die Demokratie im Falle einer Wahl von Christian Wulff erleiden würde.
(…)
Quellen:
(1) http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/keine-wahlchance-spd-brueskiert-ihren-praesidentenkandidaten-gauck;2609914
(2) http://www.faz.net/s/Rub9F8AFB0E023642BAAB29EA1AEF2A9296/Doc~E4EFB0B1EB9BC46E49DF2E4E2BDA8B4E3~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(3) http://www.bild.de/BILD/politik/2010/06/26/richard-von-weizsaecker/bundespraesidentenwahl-mischt-sich-ein.html
(4) http://www.swr.de/contra/programm/-/id=1285138/nid=1285138/did=6251318/1u6scdt/index.html
(5) http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/fdp-drohung-noch-zwei-mal-soeder-und-wulffs-mehrheit-ist-gefaehrdet;2597597
(6) http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/seehofer-auf-distanz-bayerns-familienministerin-vergleicht-fdp-mit-pinochet;2608275;0
(7) http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E03311AB25D7646CB8404A33B2CF5A626~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(8) http://www.n-tv.de/politik/Wulff-verliert-Stimmen-article925570.html
(9) http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE65S0CS20100629
(10) http://www.welt.de/politik/deutschland/article8222762/Die-SPD-hat-Joachim-Gauck-schon-aufgegeben.html
(11) http://www.welt.de/politik/deutschland/article7981868/Lafontaine-attackiert-Rot-Gruen-Kandidaten-Gauck.html