Rochade mit Ach und Krach: Wulff wird Surrogat-König

Kurz nach 21 Uhr: Christian Wulff (CDU) ist im dritten Wahlgang mit 625 Stimmen zum Bundespräsidenten gewählt worden. 494 Delegierte der Bundesversammlung stimmten für Joachim Gauck, zwei stimmten ungültig, drei für Frank Rennicke (NPD) und 121 stimmten für nichts.

Man könnte vieles im Nachhinein über diese Veranstaltung schreiben. Nachher ist „man“ ja immer schlauer. Sie gestatten, dass wir auch da wieder einmal durch den Rost der ehrenwerten Gesellschafter der Gesellschaft fallen. Wir schreiben über sowas lieber vorher. (In Berlin bricht gerade eine Bonner Welt zusammen, 29.Juni)

Man fühlte sich heute beim Beobachten dieser ganzen Lumpen irgendwie wie ein müder Theaterbesucher, der zum hundersten Male Oliver Twist sieht, nur leider ohne Oliver Twist, dafür mit noch mehr Dieben. Fassen wir also nur kurz zusammen, was alle schon wissen. (Die verfassungswidrige Mehrheit von Christian Wulff und der Parteien-Betrug an der Demokratie, 29.06.10)

Nicht nur die Mehrheitsverhältnisse, sogar die Größe und Zusammensetzung der Bundesversammlung wurden durch die verfassungswidrigen 24 Überhangmandate von CDU und CSU massiv verfälscht. Denn laut Artikel 54 der Verfassung müssen in der Bundesversammlung genauso viele Abgesandte der Länder wie Bundestagsabgeordnete sitzen.

Durch die 24 Abgeordneten der „Union“ aus CDU und CSU – welche diese Überhangmandate zugesprochen bekamen, obwohl sie nie gewählt wurden – erhöhte sich die Anzahl der Abgeordneten des Bundestages von 598 auf 622. Dadurch wiederum erhöhte sich die Anzahl der Teilnehmer der Bundesversammlung um insgesamt 48 Personen (die Bundestagsabgeordneten und 24 Ländervertreter) auf 1244.

Um 48 Personen.

Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim nannte dies einen „schweren demokratischen Makel“, den nicht etwa nur CDU und CSU, sondern auch die SPD und das Bundesverfassungsgericht zu verantworten haben. (1)

Niemand beachtete das. Niemand tut das bis heute.

Es gäbe so viel Schlechtes über dieses heutige Schauspiel noch zu sagen, es würde kein Ende finden. Nur kurz: die SPD sabotierte erfolgreich, bis zum Schluss, einen Erfolg ihres eigenen Kandidaten Joachim Gauck, der nie gewinnen sollte, sondern nur als Placeco gedacht war, um Angela Merkel als geopolitisch unersetzliche Brüsseler Räteregierungschefin und Wissensträgerin weiter auf Kurs Richtung Heiliges (Abend)Land zu halten.

Als Gregor Gysi nach der internen Sitzung seiner Fraktion vor dem 3.Wahlgang vor die Kamera trat und Christian Wulff zum Präsidenten machte, war Joachim Poß (SPD-Inventar und Berufsreaktionär ohne derzeitige Regierungs-Fortbildungsmöglichkeit) anschliessend so erleichtert, dass er Gerd-Joachim von Fallois (Phönix TV, Garderobenständer) fast um den Hals fiel und ihm in das Mikro brüllte, als gäbe irgendeinen Kursanstieg zu feiern. Fallois, von jeher von jeglichen Emotionen irritiert, verwechselte dies mit Empörung. Er wäre, so ist anzunehmen, nicht in drei Leben darauf gekommen, dass es simple Erleichtung war. Weil endlich einmal alles lief wie besprochen, kam Poß kam so in Fahrt, dass durch die Maske fast die roten Bäckchen schimmerten.

Welten trennten dies von einem Anblick, bei dem man fast Angst bekam: Burkhard Hirsch (Liberal und trotzdem noch FDP) beim Lächeln. Als ob sich eine alte Burg verbiegt. Oben auf der Empore sass er, neben Gauck und Familie.

Während Gysi nun im Namen seiner sich enthaltenden Fraktion den elegant wegverabschiedeten potentiellen Muttimörder Christian Wulff zum Surrogat-König ernannte, pöbelte ihn sein Duzfreund Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) auf die ganz dumme Tour an. Die Linke, sie hätte sich doch vom SED-Schatten befreien können, rief er, wenn sie Gauck unterstützt hätte.

Dumm nur für Schulz, dass es Gysi daraufhin entfuhr, SPD und Bündnis 90/Die Grünen hätten ja wenigstens ein einziges Mal anrufen können deswegen.

Aber dafür reichte es dann offenbar wohl doch nicht. Schliesslich ging es hier ja bloß um den Bundespräsidenten. Dafür dann auch noch bei der Wowereit-sei-bei-uns-Regierungspartei der Hauptstadt anzurufen, also wissen´se – nä. Ich sach nur: nä, sach ich. Ich Werner, Du böse, ich grün, Du Stasi, komm Gregor, lass uns einen saufen gehn.

Da fällt mir noch ein: Michael Sommer. Sie wissen schon, der dicke Bruder von Dieter Hundt, der ihm immer die Klamotten klaut, bevor er mit Mutti und Schwester beten geht. Wenn der Michael nicht grade mit dem Dieter bei Mutti betteln müßte, dass die endlich verfassungswidrig versuchen soll das Streikrecht einzuschränken, damit nur ja keine echten Gewerkschaften entstehen (2), vielleicht hätte der Vorsitzende des „Deutschen Gewerkschaftsbundes“ nach dem 2.Wahlgang nicht ganz so dämlich aus der Wäsche geschaut.

Ständig schien Sommer sich irgendwie nach dem Typen mit der großen Klappe umzugucken, der immer „action“ sagt, wenn die Szene noch mal gedreht werden muss, weil die ersten Takes total daneben gingen. Dabei ist er der Typ mit der großen Klappe, der immer „action“ sagt, weil alles daneben geht. Und deshalb darf der Michael auch von (immer noch) 6 Millionen Hirntoten bis 2014 weiter Eintrittsgeld für die Filmkulisse DGB kassieren, während er selbst sie in aller Ruhe abreisst (3). Action.

Und so gehen die Jahre ins Land. Es herrscht immer noch Kaderstimmung in den Parteizentralen. Alle haben immer gesagt, was erst heute bekannt wurde.

Das Schachspiel geht weiter.

(…)

03.06.2010 Koch, Köhler, Wulff: Rückzug, Bauernopfer und Rochade der Nomenklatura
14.05.2010 Neues vom Hexer

Quellen:
(1) http://www.neue-oz.de/_archiv/noz_print/interviews/2010/06/20100618-Hans-Herbert-von-Arnim.html
(2) http://www.tagesschau.de/wirtschaft/tarifeinheit100.html
(3) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/michael-sommer-geht-in-die-abschiedsrunde/1839504.html

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