Saudi-arabische Vuvuzelas tröten heute beim Finale für Spaniens Fussball-WM-Sieg 2010

Arab News interviewte einige prominente Fans für die spanischen Mannschaft, die erklärten, warum das so ist. Die Redaktion der Zeitung scheint auch ein ausgesprochener spanischer Freund zu sein, was unschwer an der Auswahl der abgedruckten Aussagen zu erkennen ist. Einer der genannten gewichtigsten Gründe liegt viele Jahrhunderte zurück in der Vergangenheit, die für sie nicht dunkel ist sondern immer noch hell bis zum heutigen Tag leuchtet:

Al-Andalus


(Abbildung: Ibn Ruschd, Kommentar zu De anima des Aristoteles, 13. Jh., Wikipedia)

Wenn heute im Soccer City Stadion von Johannesburg der Anpfiff des Finales zwischen Spanien und den Niederlanden ertönt, werden Spaniens Fans von den Tröten saudi-arabischer Fussballanhänger lautstark unterstützt werden, um die spanische Nationalmannschaft anzufeuern.

Der Grund dafür liegt ein paar Jahrhunderte zurück in der Geschichte des südlichen europäischen Landes und verkörpert für die Saudi-Araber mit dem damaligen Al-Andalus goldene Zeiten, in denen Christen, Moslems und Juden einigermassen friedlich fast tausend Jahre – von 711 bis 1492 – in den Städten und Gemeinden zusammenlebten im Vergleich zu nachfolgenden kriegerischen Jahrhunderten, als nach der vollständigen Eroberung der iberischen Halbinsel durch christliche Königshäuser die Inquisition ab 1492 mörderlich zuschlug und Spanien in finstere Zeiten stürzte. Die Sepharden – Juden und ihre Nachfahren wurden 1492 und 1531 in Portugal und Spanien (Andalusien) gnadenlos verfolgt, ermordet und vertrieben.

Unter der moslemischen Herrschaft – den durch Machtkämpfe wechselnden Kalifaten – gab es keine derartigen Pogrome, ebenso wenig gab es Zensur und Verfolgung der freien Wissenschaften, die von der katholischen Kirche als ketzerisch unterdrückt wurden. In den Universitäten der Städte von Al-Andalus wurden von Gelehrten und Studierenden aus der ganzen Welt die antiken und damals gegenwärtigen Schriften berühmter Philosophen und Naturwissenschaftler zusammengetragen, übersetzt, in Bibliotheken archiviert, ständig kopiert und ohne Zwang diskutiert. Philosophie, Geografie, Himmelskunde, Architektur, Mathematik, Medizin, Chemie, Kunst, Musik – Okzident und Orient befruchteten einander und trugen das Wissen in die Welt hinaus. Sehr viele Schriften antiker Philosophen wären ohne diese Zeit mit Sicherheit nicht überliefert worden.

Cordoba hatte eine herausragende Stellung als geistiges Zentrum. Berühmte Gelehrte dieser Stadt waren Averroes (Ibn Rushd), ein maurischer Philosoph, Arzt und Mystiker (1126–1198), der eine medizinische Enzyklopädie und fast zu jedem Werk des Aristoteles einen Kommentar verfasst hat. In der christlichen Scholastik des Mittelalters, auf die er großen Einfluss ausübte, wurde er deshalb schlicht als „der Kommentator“ bezeichnet, so wie Aristoteles nur „der Philosoph“ genannt wurde.

Moses Maimonides, ein jüdischer Religionsphilosoph, Arzt, Astronom und Rechtsgelehrter (1138–1204) aus Cordoba, gilt als der bedeutendste jüdische Gelehrte des Mittelalters.

Die Stadt führte ihr geistiges Erbe seit der Antike fort, in der schon Seneca der Ältere (ca. 54 v. Chr.–ca. 39 n. Chr.), Rhetoriker und Schriftsteller und sein Sohn, Seneca der Jüngere (ca. 1–65), lateinischer Stoiker und Philosoph, wirkten.

Saudi-Arabien sieht Spanien noch immer unter diesem historischen Gesichtspunkt als Teil dieser ehemaligen Gemeinsamkeiten unter den arabischen Kalifaten.

Die saudi-arabische Zeitung Arab News lässt heute in einem Artikel einige Personen zu Wort kommen, warum eine überwältigende Mehrheit der Fussballfans des arabischen Landes die spanische Nationalelf in ihren roten Trikots unterstützt. Besonders die Frauen sind von den Spaniern begeistert.

Jasim M. Al-Yaqout, Generalmanager des Ministeriums für Kultur und Information für die Eastern Province meinte, dass es die glücklichen Erinnerungen an Spanien und die Spanier sind, die sich auf das spanische Team übertragen.

„Sie sind sehr freundliche Menschen. Ich weiss das aus erster Hand, denn ich habe Spanien viermal besucht. Einmal habe ich fast sechs Monate in Sevilla im Zusammenhang mit der Expo verbracht. Ich war auch dort während der Eröffnung des Islamischen Zentrums in Madrid. Sie sind sehr nette Leute. Heute Nacht sind meine Gebete mit ihnen.“

Die in Riyadh ansässige Kolumnistin Suraya Al-Shehry ist so von Spanien begeistert, dass sie denkt, dass es mit 3:1 gegen die Niederlande gewinnen wird.

„Ich kann sogar sagen, wer ein Tor bei diesen drei Toren für Spanien schiessen wird: David Villa, Sergio Ramos und Fernando Torres.“

sagte Suraya und beschrieb die spanischen Fussballer als Musiker.

„Es gibt so viel Sinfonie und Rhythmus in der Art, wie sie spielen. Sie sind nicht nur Musiker – sie sind Zauberer. Ihre Zauberei mit dem Ball in ihrem Halbfinale gegen die Deutschen war grossartig. In dem Moment, wo sie den Ball haben … whirrrrrrr, they go.“

In ihrer Leidenschaft für Spanien hat Al-Shehry ihre TV-Lounge mit der Farbe des spanischen Teams in Rot bemalt.

„Auch das Essen, dass wir heute Abend servieren wird ein spanisches Thema haben und es wird dazu Erdbeersaft geben, um die Farbe unseres Teams zu feiern.“

Und weil das alles nicht genug ist, hat Al-Shehry auch eine Vuvuzela.

„Wir werden mit diesem Plastehorn jedes Mal hupen, wenn die spanischen Spieler die Kontrolle über den Ball übernehmen.“

hätte sie lachend und gesellig im Telefoninterview mit der Zeitung gesagt.

Abdul Aziz Arrubkan, der Sondergesandte für humanitäre Angelegenheiten des UN-Generalsekretär sagte zu Arab News aus New York, dass er auch für Spanien sei:

„Fußballfans in Saudi-Arabien verfolgen sehr genau die spanischen Ligen. Barcelona, Real Madrid, um nur zwei Namen spanischer Clubs zu nennen, sind bekannte Namen in Riyadh, Jeddah und Dammam. Deshalb gibt es ein Gefühl der Vertrautheit in Richtung Spanien.“

erklärte Arrubkan und dass ihm die Form der Spieler während der WM 2010 gefallen hat, die sie in den letzten vier Spielen gezeigt hatten.

„Spanien war noch nie im Finale gewesen. Die Niederlande waren es schon, aber sie haben noch nie den Pokal gewonnen. All dies ist gut für das Spiel. Niemand mag es sehen, wenn die gleichen Länder alle vier Jahre wieder gewinnen. Das ist eine willkommene Erleichterung.“

Mohammed Al-Adel, ein in Jeddah ansässiger Geschäftsmann ist kein Fussballfanatiker, dennoch wird er vor seinem grossen Flachbild-Fernseher zu Hause heute abend das Spiel in der Gesellschaft seiner Freunde beobachten und für Spanien sein. Als Grund nennt Al-Adel folgenden:

„Ein besonderer Vorfall hat meine Wahrnehmung des niederländischen Volkes für immer verändert. Als ich einmal nach Amsterdam reiste, hatte die niederländische Frau auf dem Flughafen eine Art hysterischen Ausbruch, als sie in meinen Saudi-Pass sah. Das war lange vor dem 11. September 2001. Sie schnitt Gesichter und war sehr herablassend. Seitdem bin ich mit all denen, die gegen dieses Land gewesen sind.“

sagte Al-Adel laut Arab News und hätte hinzugefügt

„Heute Abend werde ich hoffentlich meine Revanche haben.“

Der ehemalige Geschäftsführer von Saudi Aramco, Bidah Mejdal Al-Gahtani wird heute Abend in Barcelona sein, um das alles entscheidende Spiel zu sehen. Wen wird er unterstützen?

„Spanien“

kommt die schnelle Antwort.

„Weil sie das ergriffen haben, was wir sportlichen Geist nennen und diesen auf ein neues Niveau angehoben haben. Das ist das Team, das die geringste Anzahl von Karten bekommen hat. Sie spielen ein faires Spiel. Sie geniessen ihr Spiel, und sie gewährleisten dass diejenigen, die ihnen gerade zusehen sich ebenso daran erfreuen. Es macht so viel Spass, sie in Aktion zu beobachten.“

Al-Gahtani sagte, dass ein grosser Vorteil für Spanien der Mangel an überbewerteten und überschätzten Spielern ist.

„Dieses Turnier hat gezeigt, dass Menschen keine Rolle spielen. Schau, wie die Top-Spieler auf der Strecke geblieben sind. Es ist alles Teamarbeit. Spanien ist das beste Beispiel dafür. Heute Nacht wird ihre Nacht werden.“

„Spain, Spain, Spain.“ sagte Lina Almaeena, Geschäftsführende Direktorin von Jeddah United und Kapitän der Basketball-Mannschaft der Frauen.

„Einer der Gründe ist die kulturelle Affinität, die wir mit Spanien teilen. Dies ist das Land, das 800 Jahre unter muslimischer Herrschaft war. Und dann gibt es noch den Grund, dass es so viele Dinge, die zwischen uns und den Spaniern gemeinsam sind, gibt. Sie haben ähnliche Werte in der Familie wie wir sie haben. Sie beschützen ihre Familien sehr stark so wie wir das auch tun. Wir haben Spanien als Al-Andalus bezeichnet. Das Wort schafft eine Art von Aura in unseren Köpfen… Ich weiss, es ist ein bisschen philosophisch, aber das ist der primäre Grund, warum ich für Spanien jubele.“

„Es ist natürlich für die Saudis, Spanien zu unterstützen.“

erklärte die in Riyadh wohnende Historikerin Hatoon Al-Fassi, die selbst kein Fan des Spiels ist.

„Es gibt diese Nostalgie über Spanien, und warum sollte es nicht so sein? Wir hatten 800 Jahre Beziehungen mit diesem Land. Wir sind historisch und geographisch näher an Spanien als an anderen europäischen Ländern. Kein Wunder, wir haben Strassen, Bezirke und Gemeinden nach Al-Andalus benannt.“

Wenn es um die Begünstigung des einen oder anderen Landes in solchen hochkarätigen Turnieren geht, kann der Sinn für Geschichte und Zeitgeschehen eine Rolle bei der Wahl der Menschen spielen, meinte laut Arab News die Historikerin.

„Araber und Muslime sind politisch bewusste Menschen. Sie werden immer versuchen herauszufinden, wer in der politischen Arena auf ihrer Seite ist und wer nicht. Dann gibt es das palästinensische Problem. Die Menschen hier sind sich bewusst, dass die meisten europäischen Länder Pro-Israel sind und dass sie der Förderung der Islamophobie frönen. Für Spanien gibt es irgendeine Art von Mitgefühl, weil seine jetzige Regierung als rational, ausgewogen und arabisch-freundlich gesehen wird.“

Unter der winzigen Minderheit, die angeblich nur die Niederlande unterstützen würde, ist der Chemie-Ingenieur Dhafir Al-Shehri Jubail

„Ja, ich unterstütze die Niederlande, weil sie sehr engagiert sind und alles in ihrem Streben nach dem Cup gegeben haben. Sie sind bisher sehr weit gekommen trotz der Tatsache, dass sie nicht sehr viele Stars auf ihre Seite bekommen haben.“

Laut der Argumentation von Al-Shehri hiess es, viele Saudis unterstützen Spanien, weil Spanien Deutschland im Halbfinale „demolished“ hat.

„Seit Deutschland Saudi-Arabien mit 8 : 0 in der WM 2002 besiegte, waren viele Saudis für Deutschlands Niederlage. Die Saudis waren auch sehr über Deutschland wegen der Beseitigung ihres ursprünglichen Favoriten Argentinien aus diesem Turnier verärgert. Als Spanien Deutschland im Halbfinale besiegte, gab es einen kollektiven Seufzer der Erleichterung.“

Während einige politische Gründe haben, einige kulturelle, einige historische und einige die sportlichen Fähigkeiten zur Unterstützung von Spanien im Auge haben, hat der in Jeddah ansässige Arzt Zeid Alsharif nur folgendes zu sagen:

„Ich unterstütze Spanien, weil sich Paul die Krake dieses Land als Favoriten in der letzten Nacht so ausgesucht hat. Ich bin deshalb mit dem vierjährigen Tentakel-Informant der gleichen Meinung!“

Am besten ist es, wenn man nicht alles so tierisch ernst nimmt – es ist doch nur ein Ballspiel…das industriell verwertet und von sämtlichen Branchen profitabel ausgequetscht wird.


(Foto: Kraken-Orakel Paul im Oberhausener Großaquarium, Tilla/Wikipedia)

Quelle: http://arabnews.com/saudiarabia/article82371.ece

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