Schadensbegrenzung

EINE HOLLÄNDISCHE Journalistin bat mich am letzten Mittwoch, die Gedanken Binyamin Netanjahus auf seinem Weg nach Washington zu erraten.

Anscheinend war sie mit dem Ergebnis zufrieden, weil sie mich dann darum bat, auch die Gedanken von Mamoud Abbas zu erraten.

Es muss ihr gefallen haben, weil sie mich dann auch noch darum bat, dasselbe mit Barack Obama zu tun.

Hier folgt, was ich zu ihr sagte:

NETANYAHUS GEDANKEN auf dem Weg nach Washington.

Die Hauptsache ist, den Schaden zu begrenzen.

Gerade jetzt fragte mich jemand, wie ich unsere Situation in vier Jahren sehen würde. Vier Jahre!? Ich versuche zu denken, was in vier Wochen sein wird, wenn der Baustopp zu Ende ist!

Ich fühle mich wie ein Offizier, der auf der Brücke der Titanic steht und sieht, wie der schreckliche Eisberg bedrohlich näher rückt.

Diese Siedler (ja, ja ich weiß, ich sollte sie „Bewohner von Judäa und Samaria“ nennen,)* mit denen ist nicht zu spielen. Unmöglich, sie zur Vernunft zu bringen und sie davon zu überzeugen, sich still zu verhalten, während wir nach Wegen schauen, wie man das Einfrieren des Siedlungsbaus umgehen kann.

Arik ((Sharon))* versuchte es. Als er die Trennung vom Gazastreifen versuchte, sagte er zu den Siedlern: lasst uns ein Dutzend kleiner Siedlungen opfern, um die hundert anderen zu retten. Amputieren wir einen kleinen Finger, um den ganzen Körper zu retten. Es half nichts. Die Siedler entschieden sich, für jede einzelne Siedlung zu kämpfen.

Als wir letztes Jahr anfingen, über das Einfrieren des Siedlungsplans zu diskutieren, kämpfte ich wie ein Löwe, um dieses statt auf ein Jahr – wie Obama es verlangte – auf zehn Monate zu begrenzen. Wir beide verstanden den Unterschied: die zehn Monate gehen auf der Höhe der amerikanischen Wahlkampagne zu Ende. Ein Jahr würde nach den Wahlen sein. Ich dachte, wenn das Einfrieren im September zu Ende geht, dann würde Obama nicht wagen, mich zu zwingen, das Moratorium zu verlängern. Die jüdischen Stimmen und das jüdische Geld wird die Sache völlig verändern.

Ich bin in den Staaten aufgewachsen. Ich weiß, wie die Dinge hier laufen. AIPAC beherrscht den Kongress. Die Politiker fürchten uns die ganze Zeit und besonders in Wahlzeiten. Sie wissen sehr wohl, wenn sie Israel nicht unterstützen, werden sie rausgeschmissen.

Aber jetzt herrscht ein Durcheinander. Obama will unter allen Umständen etwas erreichen, das er den Wählern als großen Erfolg präsentieren kann. Aber Abu-Mazen ((Mahmoud Abbas)) weigert sich, zu verhandeln, wenn wir in den Siedlungen weiterbauen. Also will mich Obama zwingen, mit dem Moratorium weiter zu machen. Wenn ich zustimme, bricht meine Koalition aus einander. Ich habe das letzte Mal -1999 – nicht vergessen. Nicht die Linke stürzte damals meine Regierung, sondern meine rechten Partner.

Sicher werden Obama und seine Leute mit allen möglichen Kompromisslösungen kommen. Ein „symbolisches“ Einfrieren, das uns nicht wirklich am Bauen hindert. Oder ein „symbolisches“ Aufheben des Moratoriums, das das Bauen wirklich behindert. Oder etwas in der Art von Meridors Vorschlag. Das ist ein Versuchsballon, um den ich Dan bat, ihn in seinem Namen fliegen zu lassen ((Minister ohne Portefeuille Dan Meridor schlug vor, nur in den großen Siedlungsblöcken zu bauen, die die Regierung sowieso annektieren will.)) Aber die Siedler sind auch damit nicht einverstanden.

Also was tun? Ich weiß es nicht. Ich muss mich auf mein Talent der Improvisation verlassen und dieses Hindernis umgehen. Aber selbst, wenn es mir gelingt, diese Sache bis nach dem 26. September hinauszuschieben, wird es dann explodieren. Hauptsache ist, abzusichern, dass die Schuld auf Abu Mazen fällt.

Und Frieden? Dass ich nicht lache! Ich habe keine Zeit für solch einen Blödsinn. Das Maximum, das ich anbieten kann, kommt nicht an das Minimum heran, das sie akzeptieren können. Was, ich soll Jerusalem teilen? Ich soll die Hunderte von Siedlungen und Außenposten auflösen? Ich soll das Jordantal aufgeben? Ich soll mit der Rückkehr nur eines Flüchtlings einverstanden sein? Selbst wenn ich es wünschte – ich bin entschieden dagegen – ich wäre gar nicht fähig, es zu tun. Was, ich sollte die gute Koalition, die ich jetzt habe, aufbrechen und von dieser unausstehlichen Frau abhängig sein?

Natürlich sollte ich nicht so reden. Im Gegenteil, ich sollte sie mit hoch gestochenen Worten überschütten. Ich werde Abu-Mazen sagen, er sei mein Partner. Ich werde über schmerzliche Konzessionen reden. Ich werde mich als der neue Netanyahu verkaufen. (Mein Gott, wie oft muss ich denn ein neuer Netanyahu werden?)

Die Hauptsache ist, sicher aus diesem Durcheinander herauszukommen und den Status quo zu halten. Der Status Quo ist die beste aller Welten.

ABBAS GEDANKEN auf dem Weg nach Washington.

Die Hauptsache ist, den Schaden zu begrenzen.

Aus diesem Treffen kann nichts Gutes kommen. Das ist klar. Aber wir müssen dafür sorgen, dass man uns nicht die Schuld in die Schuhe schiebt.

Ich bin sicher, dass Abu Amar ((Yasser Arafat)) auch so dachte, als er 2000 gegen seinen Willen nach Camp David gezerrt wurde. Er wusste, dass Ehud Barak und Bill Clinton wie ein Nussknacker wirken werden, um damit die Nuss – nämlich mich – zu knacken.

OK, Obama ist nicht Clinton. Ich vertraue ihm. Er will wirklich Frieden machen. Aber kann er es denn? Jedes Mal, wenn er es bis jetzt versuchte, gab er schließlich Netanyahu nach. Jetzt muss er Netanyahu zwingen, den Siedlungsstop zu verlängern. Kann er das?

Ich kann von dieser Forderung nicht zurücktreten. Die Hamas – Gott möge sie strafen – macht mir die Hölle heiß. Sie verfluchen mich schon, nur weil ich nach Washington gehe – als ob ich eine andere Wahl hätte. Das Verhandeln würde lächerlich sein, während die Siedlungen vergrößert werden. Wie jener junge Bursche Michael Tarasy so passend sagte: „Es ist, als ob man über eine Pizza verhandelt, während sie ((die Israelis)) die Pizza schon aufessen.“

Die Hamas versucht, mich in jeder möglichen Weise zu untergraben. Der Mord an den vier Siedlern nahe Al-Khalil ((Hebron)) war dafür bestimmt, die Verhandlungen zu zerstören. Es ist wirklich erstaunlich, wie die Hamas und die Siedler praktisch mit einander kooperieren. Aber der Vorfall hat auch eine gute Seite: die ganze Welt hat nun gesehen, was erwartet werden kann, wenn ich versage.

Die Hamas sagt, ich würde den Amerikanern dienen. Was schlagen sie für eine Alternative vor? Den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen? Sie haben sogar Angst, ihre Qassams wieder abzuschießen. Die Angriffe haben nichts erreicht. Auf die internationale öffentliche Meinung kann man sich auch nicht verlassen. Unsere einzige Option ist Obama. Wenn sie in Washington verstehen werden, dass der Konflikt ihren eigenen nationalen Interessen schadet, wie dieser General – wie heißt er doch ? ((David Petraeus)) – gesagt hat, dann werden sie den Israelis den Frieden auferlegen.

Abu Amar hat die Parameter festgelegt, und keiner von uns kann weniger akzeptieren: ein palästinensischer Staat mit Ost-Jerusalem als seiner Hauptstadt, die Grenzen vom 4. Juni 67, begrenzten 1:1 Landtausch, die Auflösung der Siedlungen in unserem Gebiet, eine mit einander abgestimmte Lösung des Flüchtlingsproblems mit einer symbolischen Rückkehr von einigen Zehntausenden. Ich bin bereit, eine internationale Truppe auf unserm Land anzunehmen, aber keine bewaffnete israelische Präsenz. Wenn ich solch ein Abkommen erhalte, wird die Hamas keine Alternative haben und mit uns gehen. Die palästinensische öffentliche Meinung wird sie dahin bringen.

Auch sie haben die Ergebnisse von Dr. Nabil Kokalis Umfrage in dieser Woche gelesen: eine eindeutige 2:1 Mehrheit der Palästinenser unterstützt die Zwei-Staatenlösung.

Kann man sich auf Obama verlassen? Man sagt, dass er nach den Wahlen im November frei sei vom jüdischen Druck. Aber dann wird er schon anfangen, über die Präsidentenwahlen in zwei Jahren nachzudenken. Nur wenn er wiedergewählt wird – und ich bin überhaupt nicht sicher, dass dies geschehen wird – wird er in der Lage sein, ohne Angst vor der AIPAC zu handeln.

In der Zwischenzeit müssen wir durchhalten. Das ist die Hauptsache: durchzuhalten und auf bessere Zeiten zu warten.

OBAMAS GEDANKEN am Vorabend der Konferenz:

Die Hauptsache ist, den Schaden zu begrenzen.

Vor meiner Wahl glaubte ich, dass man Menschen durch Logik überzeugen kann. Schließlich ist der Frieden für die Israelis genau so wichtig wie für die Palästinenser. Welche Chance hat Israel, wenn innerhalb einiger Jahre die ganze arabische Welt in die Hände von extremen Islamisten fällt? Und welche Chance werden dann moderate Palästinenser haben? Begreifen sie das denn nicht? Sie machen mich wahnsinnig.

((Henry)) Kissinger sagte, dass Israel keine Außenpolitik hat, nur Innenpolitik. Das trifft auch auf die Palästinenser zu und – leider – auch auf uns Amerikaner. Innenpolitik herrscht überall vor.

Die Wirtschaft ist katastrophal. Die Situation in Afghanistan ist so schlecht wie nie . (Verdammt noch mal, was ist in mich gefahren, als ich während der Wahlkampagne versprach, mit diesem Krieg fortzufahren?) Die Irren der Teeparty** kommen in Fahrt. Ich habe den Verdacht, dass die jüdische Lobby ihnen hilft. Wer führt die Kampagne gegen mich, ich wäre nicht in den USA geboren ? Eine israelische Frau. Und die Kampagne, ich sei ein Muslim? Eine andere jüdische Frau. Sie wollen mich fertig machen. Und warum? Weil ich Frieden machen will, der im größten Interesse Israels wäre!

Jetzt ist die Hauptsache, die Wahlen im November ohne große Verluste zu überstehen. Wie ich zu Rahm ((Emanuel)) sagte: Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir vor den Juden kriechen. Deshalb beschwichtige ich diesen unausstehlichen Kerl, Netanyahu. Jetzt müssen wir einen Kompromiss zum Siedlungsmoratorium finden.

Mein Gott, hier sind wir, die Führer, die für das Schicksal von Nationen verantwortlich sind, und müssen uns mit solchem Blödsinn wie dem Siedlungsbaustopp beschäftigen, statt uns mit Frieden machen befassen , der das Leben von Tausenden und Zehntausenden rettet!
Die Hauptsache ist, den 26. September zu überstehen, wenn das Moratorium zu Ende geht, und dann die Wahlen am 2. November. Danach : Weiß Gott, vielleicht gelingt es mir dann schließlich, eine Situation zu schaffen, die mir erlaubt, meinen Friedensplan darzustellen und ihnen diesen aufzuerlegen, natürlich immer ganz sanft.

Verdammt noch mal – bin ich nicht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika?

4.September 2010

*Einfache Klammer: Gedanken von Netanyahu, Abbas bzw. Obama; doppelte Klammer : erklärende Gedanken vom Verfasser
** Teeparty: jetzt Massenbewegung der extremen Rechten gegen Obama

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)