Verkehrte Netz-Welt, würde manch einer jetzt meinen.
Da gibt es im Netz Aktivisten, die ein komplettes Archiv eines öffentlich-rechtlichen Senders leaken, die in Toronto/Kanada die Domain registrieren liessen, der Verfasser anonym ist, die es speichern und der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich machen und der Sender sich darüber auch noch diebisch freut, siehe Presseerklärung vom 17.September 2010 von der Vorsitzenden des NDR Rundfunkrates Dagmar Gräfin Kerssenbrock zu depub.org (1):
„Depub.org ist ein Beispiel für die kreative Anarchie im Internet, das zeigt, wie unsinnig kleinteilige Regulierungsversuche im Netz sind. Es besteht offenkundig großes Interesse an den Inhalten informativer Webseiten wie tagesschau.de. Solange das so ist, wird es immer Menschen geben, die einen Weg finden, diese Inhalte auch verfügbar zu machen. Webseiten wie depub.org sind ein Beleg für die Fragwürdigkeit des Drei-Stufen-Tests.“
Der Tagesschau wurde das Schicksal, wie es Peter Fox hier beschreibt, mit der Kaperung des Archivs erspart:
Normalerweisse werden Geheimnisse geleakt und nicht längst verflossene alte Kamellen des Mainstreams ausgebuddelt. Das WWW hält halt überall Überraschungen bereit, zumal dann, wenn staatliche blindwütige Regulierungsbehörden meinen, dass freie Netz behüten, kontrollieren und reglementieren zu müssen.
In Diktaturen war es schon mal verboten, alte Zeitungsartikel als „Beweisstücke“ zu bestimmten Ereignissen und Vorkommnissen aufzuheben, die der herrschenden Partei später nicht mehr ins Konzept passten.
Auch in unserer Freien-Meinungsäusserungs-Gesellschaft werden einige Zeitgenossen tief aufgeatmet haben, dass ihre Statements oder Reportagen über sie aus dem Netz verschwinden sollten, ganz besonders die vor den Wahlen abgegebenen. Schwupps, die sind nun wieder da, dank depub.org.
„Wie die Betreiber der Website an die Inhalte von tagesschau.de gekommen sind, entzieht sich der Kenntnis der Redaktion. Da es sich um bereits veröffentlichte Inhalte handelte und es technisch ohne größeren Aufwand zu bewerkstelligen ist, Webseiten zu speichern, geht tagesschau.de davon aus, dass dies geschehen ist, als die Inhalte noch öffentlich waren.“
hiess es recht gelassen in der Presseerklärung des NDR.
Warum sollten sie sich auch aufregen, haben sie doch seit zwei Monaten auf ihrer Startseite rechts auf den staatlich verordneten Unfug fleissig aufmerksam gemacht. Der Beitrag hat ja regelrecht danach geschrieen, dass sich jemand ihrer jahrelangen Arbeit erbarme und die Inhalte doch bitte, bitte endlich „raubkopieren“ möge, weil man selber nicht darf. (2)
So ist es dann geschehen, wer lässt sich schon lang so nett bitten (3):
Depubliziertes – Informationen zum tagesschau.de Archiv
Ab sofort steht unter http://depub.org/tagesschau/ das vor kurzem „geleakte“ Archiv von tagesschau.de als Online-Version zur Verfügung. Enthalten sind rund 200.000 Meldungen aus den letzten 10 Jahren tagesschau.de.
Durch die Veröffentlichung versuchen wir die Artikel vor dem Verschwinden aus dem Netz zu bewahren. Weitere Informationen, warum die Artikel von tagesschau.de gelöscht werden mussten finden sich hier und hier.
Im geleakten Archiv befanden sich rund 270.000 Dateien. Einige enthielten allerdings nur Verweise auf Klickstrecken oder Videos. Wir haben versucht diese Artikel auszufiltern aber dennoch sind noch einige Artikel ohne Inhalt vorhanden. Außerdem bestehen ältere Meldungen häufig nur aus einem Satz. Leider waren im Archiv auch keine Bilder enthalten, so dass diese derzeit noch nicht mit angeboten werden können. Die Inhalte der Mediathek waren natürlich auch nicht im Archiv.
Das Archiv wird von nun an regelmäßig und halbwegs automatisch aktualisiert und für neue Artikel werden auch die Bilder mit eingebunden. In den nächsten Tagen werden außerdem noch folgende Funktionen hinzukommen:
* Offline-Version und Datenbankdump zum herunterladen
* Suchfunktion (wahrscheinlich über Google, Indizierung läuft)
* Durchsuchen nach Tags, Kategorien und Themen
* Statistiken
* Permanent-Link (Weiterleitung zu tagesschau.de falls Artikel noch nicht depubliziert wurde, sonst ins Archiv)
* Verknüpfung mit anderen Daten (Geodaten, Warlogs [falls sinnvoll], etc.)Wenn wir mit diesen Funktionen fertig sind, werden wir uns darum bemühen auch an die bereits gelöschten Inhalte anderer öffentlich-rechtlicher Medien zu kommen. Wir sind zuversichtlich, dass auch in den anderen Redaktionen Leute sitzen die nicht wollen, dass die Artikel aus dem Netz verschwinden.
Wir planen außerdem Teile der Mediatheken zu sichern. Eine dezentrale Lösung über verschiedene Videohoster wäre hierfür vermutlich optimal. Da das allerdings etwas mehr Aufwand ist, wird es noch einige Zeit dauern. Wir haben aber schon begonnen die aktuellen Inhalte der tagesschau.de Mediathek automatisiert zu sichern, damit sie später zur Verfügung stehen. Für weitere Ideen, wie die Mediatheken am bestehen erhalten werden können, sind wir dankbar.
Zum Schluss noch ein kleiner Hinweis: Wir sind uns bewusst, dass die Urheber- und Nutzungsrechte für die Artikel und für die Mediatheken beim jeweiligen Autor bzw. bei tagesschau.de liegen. Für uns ist die freie Verfügbarkeit gebührenfinanzierter Inhalte allerdings wichtiger. So einfach ist das manchmal. 🙂
Quellen:
(1) http://www.presseportal.de/pm/6561/1683767/ndr_norddeutscher_rundfunk
(2) http://www.tagesschau.de/inland/rundfunkaenderungsstaatsvertrag108.html
(3) http://depub.org/