Die Gegner von Programm „Stuttgart 21“ in Berlin. Ein Kommentar.
Ein wenig unecht sah es ja schon aus, wie sich 800 Menschen auf dem Bürgersteig vor der Zentrale der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz um 17 Uhr tummelten – dank der Weigerung der Berliner Polizei für die Veranstaltung auch nur eine Richtung der Potsdamer Straße zu sperren. So purzelten einige Leute immer wieder aus der Masse auf die Straße und veranlassten die 23. Berliner Einsatzhundertschaft dazu in Ampelmannpose die Leute immer wieder auf den Bürgersteig zu scheuchen.
Ich gönnte mir erstmal eine Flasche K21-Limo zum Solipreis, was immer noch günstiger war als in den umliegenden Geschäften. Zum Glück ist der Kastanienhype bei Ebay jetzt vorbei – wir erinnern uns: In den ersten Wochen nach dem schwarzen Donnerstag tauchten bei Ebay Kastanien (schwäbische Pflastersteine) auf, die als Variante „Berufsdemonstrant“ für 60€ versteigert wurden. Kastanien für den heißen Herbst gab es heute im Dutzend kostenlos und in schicken Tüten.
Einige Flaschen K21-Wein waren auch noch zu ergattern. Vor dem DB-Tower waren auf dem Boden 40 plakatgroße Fotos der Proteste der letzten Wochen und Monate zu bewundern – das Fotographenkollektiv Gegenlicht21 zeigt seine Bilder auch hier (1) .
Man brauchte sich nicht wundern, dass bei den Ticketpreisen des Schwabenzuges nicht unbedingt der prekarisierte Teil der Stuttgarter nach Berlin fand – auch wenn einige Tickets an jene Präkarisierten verschenkt wurden.
Dennoch kam die Beteiligung, abgesehen von den weniger verdächtigen Exilschwaben, in Berlin fast ausschließlich aus dem Linken Spektrum, die Linke und die SAV mit jeweils größeren Infoständen, einige Versprengte von Arbeitermacht, die etwas fehl am Platz wirkten, fleißg am Flyer verteilen waren natürlich die Aktivisten für die Grundeinkommensdemo am 06.11.2010. Auch erstaunlich viele Protestplakate gegen den Flughafen Berlin Schönefeld tauchten unter dem Slogan „BBI 21 – Nein danke!“ auf.
Die Bühne war durch die vielen Transparente kaum zu sehen, gerade als ich mich zum angekündigten Auftritt von Christine Prayon kämpfen wollte, ging ein Raunen durch die Menge, alle reckten ihre Hälse zum Himmel. Wo denn? Ach da! Wie sind die denn da rauf gekommen?
Das Schwabenland hatte wohl ein Direkt-Action-Team versteckt im Koffer mitgebracht. Von der obersten Dachterrasse des 103 Meter hohen Kollhoff-Wolkenkratzers hing ein winziges, aber 3 Stockwerke großes Protesttransparent – quasi vor der Nase von Herrn Grube, dem König der Deutschen Bahn – wenn er denn in seiner Kirschholz-Leder-Suite war. Wer hat den eigentlich nochmal gewählt?
Da die Staatsmacht jetzt irgendwas zum Dampf ablassen brauchte, als das Teil nach einer halbe Stunde immernoch hing, wurden kurzer Hand einige Rentner vergrault, welche es sich auf dem Mittelstreifen der Straße mit Transparenten gemütlich gemacht hatten und das steigen lassen von Kinderdrachen wurde auch verboten.
Erleuchtend die Projektionen bekannter Slogans an den Hauswänden mittels Speziallampe, was nach einigen Diskussionen erlaubt wurde.
Dann kam endlich Christine Prayon, schlüpfte in ihre Rolle als Edmund Stoiber und erklärte warum S21 durch Welt21 ersetzt wird, warum die Verbindung des zukünftigen Stuttgarter Günther-Öttinger-Tiefbahnhofs durch den Mappus-Transrapid zum Guttenberg-Sackbahnhof in Kabul 10 Minuten Zeit einspart – und warum dies den auswärtigen Interessen der Deutschen Wirtschaft diene.
19 Uhr. Das Getöse hat sogar die Hundertschaften in ihren Wagen hinter dem Ritz Carlton aufgeweckt, die anscheinend die Steuergelder nur verschlafen wollten. Apropos Schlafen: Es bleibt bei der Beteiligung der Beigeschmack, dass gerade in Berlin der Anteil von Schlafschafen an der Bevölkerung besonders hoch ist und Proteste weiter zusammenwachsen müssen – was zumindest in Gang gesetzt wurde und von jedem selbst denkendem Individuum unterstützt werden sollte.
Fotos gibt es bald in den Kommentaren, zum Trost aber von der 50. Montagsdemo noch das Inferno von Georg Schramm und Urban Priol. Ersterer konnte sich kaum in seiner Rolle halten und überlegt laut Twitter selbst in die Politik zu gehen. Aus seinem Auftritt (2):
Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht. Der Zorn steht an der Wiege der abendländischen Kultur. (…) Das Duo infernale Merkel-Westerwelle ist nicht das Böse, sie sind das Furunkel am Gesäß des Bösen, Handlanger des Bösen.
(1) http://www.gegenlicht21.de/
(2) http://www.youtube.com/watch?v=S9hQ-fnYfCo