Putsch der Atomlobby
Was sich heute im deutschen Parlament abspielte, war nicht nur ein neuer Atommeilenstein der Regierung. Ein kleiner Hauch von Weimar zog durch den Reichstag.
Mit ihrer absoluten Mehrheit im Bundestag beschlossen heute die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP den Ausstieg aus dem Atomausstieg und eine massive Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, die teilweise aus den 60er Jahren stammen. Sie brachen dafür nicht nur die Geschäftsordnung des deutschen Bundestages, sondern auch die Verfassung, indem sie am Dienstag im Umweltausschuss Anhörungsbegehren der Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen, SPD und Linke zu wesentlichen Fragen der Gesetzgebung ablehnten, Geschäftsordnungsanträge ablehnten und Sachanträge der Oppositionsfraktionen ablehnten – gegen geltendes Recht, gegen das Grundgesetz.
Um inhaltlichen Umschreibungen dieses Vorgangs nicht nachträglich zuvor zu kommen, und angesichts der Tatsache, dass die Blödel-Industrie der Medienbranche, Informationsindustrie und Staatssender, bereits jetzt alles tun um diesen weiteren Akt im schleichenden Staatsstreich der Regierung Angela Merkels unter den Teppich zu reden, hier im Gegenzug die Reden von Abgeordneten des deutschen Bundestages im Wortlaut.
Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion beantragt, die Beratung des Energiekonzepts der Bundesregierung und der Atomrechtsnovellen heute von der Tagesordnung abzusetzen, damit ein geordnetes parlamentarisches Verfahren zu diesen Gegenständen möglich wird.
(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Lächerlich!)
Wenn Sie das heute ablehnen, ist das nicht nur ein schwarzer Tag für die Energiepolitik in diesem Lande, sondern ein schwarzer Tag für die parlamentarische Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Ihr Verhalten ist ein schwarzer Tag für den Parlamentarismus!)
Großartig wurde dieses Energiekonzept von den Kollegen der Koalition und der Bundesregierung angepriesen. Von „Revolution“ sprach Frau Merkel, von „epochaler Bedeutung“ redete Herr Westerwelle. „Das anspruchsvollste seiner Art“, meinte der Bundesumweltminister leicht süffisant. Und es hieß: Ein neues Zeitalter bei der Energieversorgung.
In der Tat sind diese Gesetzesnovellen womöglich das einschneidendste Gesetzgebungsprojekt von Schwarz-Gelb, das in dieser Wahlperiode zur Diskussion steht. Wie aber behandeln Sie dies parlamentarisch? Das Beratungsverfahren spricht allen Regeln des Parlamentes Hohn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Was wir am Dienstag im Umweltausschuss erlebt haben, war ein Putsch gegen die Rechte der Opposition. Es war ein Bruch von Verfassung und Geschäftsordnung des Hohen Hauses.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unter Anführung von Peter Altmaier! – Zuruf von der LINKEN: Pfui!)
Sie haben weitere Anhörungsbegehren der Oppositionsfraktionen zu wesentlichen Fragen der Gesetzgebung abgelehnt. Diese wurden damit nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratungen. Sie haben sich sogar gegen alle Möglichkeiten, die die Geschäftsordnung bietet, erdreistet, Geschäftsordnungsanträge und Sachanträge der Oppositionsfraktionen durch Mehrheitsbeschluss nicht zuzulassen. Das sieht unsere Geschäftsordnung nicht vor.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Sie haben damit ein geordnetes parlamentarisches Verfahren zu diesem Gesetzgebungsverfahren unmöglich gemacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Wesentliche Punkte, die uns alle in Karlsruhe beschäftigen werden, konnten im parlamentarischen Verfahren nicht erörtert werden, weil die Oppositionsfraktionen gerade einmal je einen Sachverständigen benennen konnten. Zu der Frage: ?Ist diese Gesetzgebung zustimmungspflichtig, muss der Bundesrat zustimmen??, der Frage, die in Karlsruhe entscheidend sein wird, stand allein Rupert Scholz als Auskunftsperson zur Verfügung,
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder (CDU/CSU), an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Er hat auf jeden Fall rechtlich mehr drauf als Sie!)
über den die Welt schreibt, dass die rechtliche Stellungnahme, die er vorgelegt hat, von Eon, also einem der Begünstigten, finanziert worden ist. Das passt zur Lobbypolitik Ihrer Koalition. Das passt nicht zur parlamentarischen Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Der Geschäftsführer der Unionsfraktion hat behauptet, das, was unsere Fraktion im Umweltausschuss mit den 25 Änderungsanträgen aufgeführt habe, die sie vorlegen wollte, sei Klamauk.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Exakt richtig! Genau so sieht es aus!)
Die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande kennen unsere üblichen Verfahren nicht. Um 18 Uhr, zeitgleich mit der Sitzung im Umweltausschuss, berieten die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss das Finanzmarkt-Restrukturierungsgesetz. Dort hat die Koalition in einer Beratung, die erst um 18 Uhr begonnen hat, 33 Änderungsanträge vorgelegt.
(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha! Das ist kein Klamauk?)
Unsere Fraktion, eine Oppositionsfraktion, war in der Lage, dazu sachlich Stellung zu nehmen und jeden einzelnen Antrag zu bescheiden. Warum ist es kein Klamauk, wenn die Koalition 33 Anträge vorlegt? Wir haben uns nur erlaubt, 21 Anträge zu stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Es geht aber nicht nur um die formale Frage, ob unsere Bedenken in Form von Änderungsanträgen artikuliert werden konnten. Zentrale Fragen wurden im Verfahren nicht erörtert. Wir haben Ihnen schon in der letzten Sitzungswoche, als die Gesetzgebung gerade auf den Weg kam, einen Fragenkatalog zu der zentralen Frage vorgelegt: Besteht bei einer Änderung Ihres Geheimvertrages bei der vorgesehenen Gesetzgebung eine Pflicht, mit den Betreibern Verhandlungen aufzunehmen, wenn später die Gesetzgebung geändert wird? Sie haben zwar geantwortet, aber nicht auf die Frage. Sie haben gesagt: Wenn wir das heute beschließen, entsteht kein Änderungsbedarf, und es besteht auch kein Nachverhandlungsbedarf.
Was ist aber, wenn eine künftige Mehrheit des Deutschen Bundestages diese Gesetzgebung ändern will? Dazu verweigern Sie die Antwort. Das heißt, Sie sagen auch Ihren Kolleginnen und Kollegen nicht, welche Folgen diese Gesetzgebung möglicherweise für die Finanzen des Bundes hat…
Gregor Gysi (DIE LINKE):
…glaube ich, dass die Bundesregierung mit dieser Änderung des Atomgesetzes einen wirklich schwerwiegenden Fehler begeht, weil sie die Gesellschaft spaltet, und zwar so offenkundig durch eine Klientelpolitik, wie es das nur selten gegeben hat. Vier Konzerne werden gewinnen, und Millionen und Abermillionen Menschen werden verlieren. Das ist die Spaltung, die Sie organisieren und ganz bewusst in Kauf nehmen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie entscheiden sich für eine längere Laufzeit der Atomkraftwerke und haben kein Endlager. Sie werden in Deutschland mit Sicherheit auch keines finden, das internationalen Standards genügt. Dieses Problem ist weltweit ungelöst.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Denken Sie einmal an den Osten!)
– Ich kann Ihnen einmal etwas zum Osten sagen: Wir sind Vorbild und haben kein Atomkraftwerk mehr – davon können Sie einmal ausgehen -, warum auch immer.
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Natürlich haben Sie eines gehabt! Denken Sie an Greifswald! Schauen Sie auch einmal nach Wismut, was da los war!)
– Ja, aber jetzt sind sie doch dicht, während Sie die ältesten Atomkraftwerke am Leben erhalten und Ihnen die Sicherheitsstandards dabei ziemlich gleichgültig sind. Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Was den rot-grünen Kompromiss betrifft, so ist er hier auch kritisiert worden. Das kann man machen, das haben auch wir gemacht. Aber das ist kein Grund, ihn jetzt aufzukündigen. Das ist eine wirkliche Katastrophe. Jetzt gab es eine Verständigung, jetzt gab es in dieser Frage endlich einen inneren Frieden, und Sie stellen absichtsvoll Unfrieden her. Und dann beschweren Sie sich über die Ergebnisse dieses Unfriedens; das sehe ich jetzt schon kommen. Aber Sie sind dafür verantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Denn es wird eine schwere gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geben. Was können Sie denn den Leuten sagen? Was passiert denn, wenn uns jemals ein AKW um die Ohren fliegt? Was sagen Sie ihnen dann? Dann gibt es dieses Land überhaupt nicht mehr, dann lebt hier keiner mehr. Das alles nehmen Sie für die Profitinteressen von vier Konzernen in Kauf. Es ist nicht nachvollziehbar, was Sie hier machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie sagen, Sie hätten viel gesprochen und viel geredet. Das stimmt: mit den Konzernleitungen. Aber den Bundestag haben Sie so gut wie ausgeschlossen. Das verletzt schwerwiegend das Grundgesetz und die Demokratie in unserem Lande.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Eon, RWE, EnBW und Vattenfall sind die Nutznießer Ihrer Politik. Sie gehen so weit – Sie müssen sich das einmal überlegen -, mit denen Verträge zu machen. Sie handeln alles aus. Nachdem die Bundesregierung alles ausgehandelt hat, kommt sie zu ihren beiden Fraktionen, weil sie die Mehrheit haben, und sagt: Ihr dürft kein Komma mehr ändern; denn wenn ihr noch ein Komma ändert, dann stimmt unsere ganze Vereinbarung nicht mehr. – Sie sind entmachtet worden. Das ist der eigentliche Skandal, der hier im Bundestag passiert ist, und Sie finden das auch noch gut.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dann wird das Ganze durchgezockt und die Geschäftsordnung verletzt.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Nicht von uns, Herr Dr. Gysi!)
Herr van Essen, eines geht auch nicht. Sie sagen hier: Am Dienstag früh hätten Sie ja noch tagen können, aber das habe die faule Opposition abgelehnt.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): So sieht es aus! Die Wahrheit!)
– Ja, passen Sie auf, immer schön bei der Wahrheit bleiben. – Bevor der Antrag auf eine neue Sitzung Dienstag früh entschieden und verhandelt wurde, hat Ihr Abgeordneter beantragt, die Sitzung zu beenden, und das ist beschlossen worden. Das ist die Wahrheit. Deshalb ist es ein Skandal, wenn Sie das hier so vortragen.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Profite von vier Konzernen gefährden Sie so viel, machen Sie so viel kaputt. Keiner von uns weiß, wie die Auseinandersetzung endet. Keiner von uns weiß, wie sie laufen wird. Aber Sie tragen dafür die Verantwortung. Das will ich Ihnen vorher gesagt haben, weil Sie eine so leichtfertige Politik im Interesse der Konzerne machen.
Sie haben gerade gesagt, das Ganze nutze den erneuerbaren Energien. Ich komme kurz auf die entsprechenden Zahlen zu sprechen. Ihnen sind eben Zahlen vorgehalten worden. Auf längere Frist gesehen stellt sich Folgendes heraus: Durch die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wird der Zuwachs bei Photovoltaik bis 2020 um 72 Prozent sinken, bei Windkraft um 65 Prozent und bei Biomasse um 85 Prozent gesenkt werden. Nichts tun Sie für erneuerbare Energien. Im Gegenteil: Sie zerstören die Unternehmen, die jetzt gegen die vier Großen noch standhalten konnten, und Sie bauen dort Arbeitsplätze ab. Das, was Sie machen, ist nicht nur ökologisch eine Katastrophe, sondern auch sozial- und arbeitsmarktpolitisch.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Unsinn, was Sie erzählen!)
Zu den Stadtwerken. Die Stadtwerke haben heute eine schöne ganzseitige Anzeige geschaltet: „Vier gewinnen, Millionen verlieren“. Recht haben die Stadtwerke. Sie haben nämlich fehlinvestiert, weil sie von dem alten Kompromiss ausgegangen sind. Selbst die Stadtwerke ruinieren Sie. Auch das macht Ihnen nichts aus.
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Sie sollen ihr Geld besser einsetzen!)
Sie kommen damit, dass ja so viel Geld flösse. Also machen wir es doch einmal konkret: Sie haben 2,3 Milliarden Euro pro Jahr an Brennelementesteuer gefordert. Dann kam die Atomlobby und hat Ihnen gesagt, dass sie nicht so viel bezahlen will. Daraufhin haben Sie gesagt: Na gut, dann nur 1,5 Milliarden Euro und auch nur sechs Jahre lang. Sie haben sich auf insgesamt 9 Milliarden Euro herunterhandeln lassen. Sie setzen das genauso um, wie es Ihnen die Atomlobby diktiert hat, keinen Deut anders.
Jetzt haben Sie gesagt: Aber sie müssen ja in die Förderung erneuerbarer Energien einzahlen. Von 15 Milliarden Euro reden Sie. Sagen Sie doch einmal ehrlicherweise: Gefördert werden sollen nur jene erneuerbaren Energien, die die vier Konzerne auch selbst herstellen. Sie investieren für sich selbst. Das ist die Wahrheit.
(Michael Kauch (FDP): Lüge!)
– Nein, das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Nächste ist, dass Sie so viele Sonderklauseln in den Verträgen geschaffen haben, dass von dem Geld fast nichts übrig bleibt.
Sie haben gesagt: Wenn die neuen Sicherheitsvorkehrungen mehr als 500 Millionen Euro kosten, dann müssen das die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen. – Das heißt, dass dieser Betrag von den 15 Milliarden Euro abgezogen werden kann. Außerdem sehen Sie für die Sicherheitsvorkehrungen ewig lange Umsetzungszeiten vor.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Weil man Kosten nicht besteuern kann, Herr Gysi!)
Ihr Bundesministerium hat errechnet, dass die Kosten mindestens bei 1,2 Milliarden Euro pro Atomkraftwerk liegen. Wenn ich nur von Ihrer Zahl ausgehe, dann reduzieren sich die 15 Milliarden Euro schon auf 3 Milliarden Euro. Das ist alles, was dabei herauskommt. Wenn man die erwähnten 9 Milliarden Euro und die 3 Milliarden Euro, die ich eben genannt habe, zusammennimmt, dann kommt man auf 12 Milliarden Euro.
Der Mindestgewinn der vier Konzerne liegt nicht bei 40 Milliarden Euro, Herr Gabriel, sondern bei den heutigen Preisen bei 67 Milliarden Euro. Wenn es zu Preissteigerungen kommt, womit zu rechnen ist, dann liegt der Gewinn bei 127 Milliarden Euro. Der Einnahme von 12 Milliarden Euro aus der Laufzeitverlängerung stehen also mindestens 67 Milliarden bzw. wahrscheinlich 127 Milliarden Euro gegenüber. Das ist Ihre Politik, und darauf sind Sie auch noch stolz. Hinterher können Sie sagen: Wir haben vier Konzerne reich und Millionen Menschen arm gemacht. Daran arbeiten Sie, und das bezeichnen wir als nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich noch eines sagen: Die Atompläne der Bundesregierung gefährden, wie ich versucht habe nachzuweisen, die Demokratie. Sie sind alles andere als eine Revolution, wie Frau Merkel meinte. Sie sind ein deutlicher Rückschritt weg von Demokratie und einer modernen Energieversorgung hin zu einer klaren Lobbyisten- und Klientelpolitik.
Deshalb hoffe ich sehr, dass unser Bundesverfassungsgericht sagen wird, so geht das alles nicht. Denn Sie planen ganz bewusst einen Verfassungsbruch ein, indem Sie den Bundesrat nicht beteiligen wollen. Sie planen den Verfassungsbruch nur deshalb ein, weil Sie wissen, dass Sie im Bundesrat keine Mehrheit haben. Das kann ein Bundesverfassungsgericht Ihnen nicht durchgehen lassen. Dann wird Ihre ganze Gesetzgebung wieder platzen. Das hoffe ich zumindest.
Sigmar Gabriel (SPD):
…Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben ein paar Lastwagen mit Geld in Bewegung gesetzt. Das kann man wirklich nicht anders sagen. Die Richtung ist eindeutig. Die Lkw fahren nacheinander vier Adressen ab. Die vier großen Dinosaurier der Energiewirtschaft bekommen, je nachdem, wie sich die Strompreise entwickeln, zwischen 40 und 100 Milliarden Euro zugeschustert. Herr Brüderle hat von 100 Milliarden Euro gesprochen und gesagt, dass die Aufteilung fifty-fifty erfolgt. Jetzt sind es nur 30 Milliarden Euro. Angesichts Ihrer Rechnung – fifty-fifty – frage ich mich, wie der PISA-Test bei Ihnen ausgegangen wäre.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich kann Ihnen sagen: Die setzen das von der Steuer ab. Und dann machen Sie auch noch Geheimabsprachen. – Entschuldigung, Herr Brüderle, ich muss Sie in Schutz nehmen. Das war die Bundeskanzlerin persönlich. Sie hat nebenbei auch noch Geheimabsprachen getroffen, sodass, wenn sich die Situation ändert und die Nachrüstung im Bereich der Sicherheitstechnik zu teuer wird, das dafür notwendige Geld nicht von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden muss. All das lassen Sie zu. Sie schaffen Wettbewerbsvorteile für die vier Dinosaurier der Energiewirtschaft, und damit schädigen Sie die mittelständische Energiewirtschaft. Wenn Sie wissen wollen, was uns droht, dann lesen Sie heute die ganzseitigen Anzeigen der Stadtwerke in Deutschland, die sich gegen Sie zur Wehr zu setzen versuchen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben vorhin Hermann Scheer gedacht, und ich danke dem Präsidenten für seine Würdigung von Hermann Scheer. Ich sage Ihnen allerdings eines dazu – das ist eines unserer Versprechen, die wir im Rahmen einer solchen Würdigung abgeben -: Wir werden dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen, und alles, was Sie hier noch zustande bringen, werden wir nach der nächsten Bundestagswahl zurückschrauben. Damit werden wir dem Vermächtnis von Hermann Scheer gerecht…
Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben von einer energiepolitischen Revolution gesprochen, Frau Merkel. Ablauf, Beratung und Inhalt dieses Gesetzentwurfs zeigen, dass das, was Sie hier inszenieren, keine Revolution, sondern schlicht und ergreifend ein Putsch ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was ist eigentlich daran Blockiererpolitik, sehr geehrter Kollege Altmaier, wenn eine Fraktion von ihrem selbstverständlichen Recht Gebrauch macht, Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf vorzulegen? Was gibt es Urparlamentarischeres und Konstruktiveres, als Änderungsanträge vorzulegen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was aber haben Sie gemacht? Sie haben im Umweltausschuss das Recht der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Änderungsanträge einzubringen, entgegen der Geschäftsordnung mit Mehrheit unterbunden. Wer ist denn hier eine Blockiererpartei? Wer bewegt sich hier denn jenseits von Recht und Gesetz? Sie sind es.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie treten die Rechte von Minderheiten mit Füßen. Sie versuchen, den Bundesrat zu umgehen. Kurz: Sie brechen die Verfassung, und Sie spalten die Gesellschaft. Dies alles begleiten Sie mit absurden Behauptungen. Da wird behauptet, Deutschland habe die sichersten Atomkraftwerke der Welt.
(Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Haben Sie unterschrieben!)
Die Wahrheit ist: Deutschland hat den drittältesten Kraftwerkspark. Den wollen Sie jetzt bis 2040 verlängern. Am Ende sollen 55 Jahre alte Kraftwerke in einem wechselnden Lastbetrieb hier Versorgungssicherheit garantieren.
Was da auf die Atomaufsicht der Länder zukommt, ist eine völlig neue Aufgabe. Das ist keine Petitesse.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Die Übertragung von neuen Aufgaben im Rahmen der Bundesaufsicht und der Bundesauftragsverwaltung ist zwingend zustimmungsbedürftig. Wenn Sie diese Zustimmungsbedürftigkeit missachten, dann ist Ihr Gesetz, Ihr energiepolitischer Putsch, schlicht und ergreifend nichtig. Das werden Sie erleben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie wissen, dass die bestehenden Atomanlagen den Sicherheitsanforderungen nicht genügen; denn sonst wären Sie mit den neuen Regelungen nicht von der bestmöglichen Vorsorge nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik weggegangen und zu Maßnahmen übergegangen, die nur noch geeignet und angemessen sein müssen. „Geeignet und angemessen“ heißt, sie dürfen nicht mehr als 500 Millionen Euro kosten. Das ist Ihr neuer Sicherheitsstandard.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Kauch (FDP): Volksverdummung!)
Ich höre immer wieder gerne zu, wenn gerade Christdemokraten über Sicherheit reden und der Regierung von SPD und Grünen einen laxen Umgang mit Sicherheitsbestimmungen vorwerfen. Ich frage Sie: Warum musste ich denn regelmäßig Herrn Müller und seinen Staatssekretär Mappus zum bundesaufsichtlichen Gespräch bestellen, um sie zu zwingen, Philippsburg stillzulegen, weil es nicht nach Stand von Wissenschaft und Technik betrieben wurde?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Warum musste ich Herrn Koch zwingen, Biblis vom Netz zu nehmen, als die Dübel aus der Decke fielen? Nehmen Sie die Sicherheit ernst? Nein, Sie wollen nun diese laxe Form der Atomaufsicht, die Ihnen jahrelang von einem grünen Bundesumweltminister verboten bzw. untersagt worden ist, zum Bundesgesetz erheben. Sie übernehmen schlicht und ergreifend die Sicherheitsvorstellungen der Atomkraftwerksbetreiber. Das ist der einzige Grund, warum Sie Herrn Hennenhöfer von Eon zurückgeholt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Das ist nicht wahr!)
Das gilt im Übrigen auch für die Endlagerfrage. Wie kann man auf die Idee kommen, einen wegen Unfähigkeit in den Fällen Brunsbüttel und Krümmel von Vattenfall gefeuerten Atommanager zu beauftragen, die Sicherheit von Gorleben zu beurteilen?
(Volker Kauder (CDU/CSU): Geht es noch etwas lauter? Ich höre nichts!)
Das zeigt doch den ganzen Abgrund von Lobby- und Klientelpolitik. Das ist unerträglich, wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung in diesem Land geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Trittin, reden Sie ein bisschen lauter! Ich höre nichts!)
Sie reden davon, Sie bauten eine Brücke zu den Erneuerbaren.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Lauter! Ich höre nichts! Schreier!)
Warum verringern Sie dann die Ausbauziele? Sie behaupten, Sie stellten den Erneuerbaren mehr Geld zur Verfügung. Das ist nicht wahr. Tatsächlich kommt in 30 Jahren gerade so viel Geld zusammen, wie die Branche der erneuerbaren Energien allein in diesem Jahr investiert hat. Wie passt es dazu, dass Sie noch in der gestrigen Haushaltsausschusssitzung die Steuerbegünstigung der Fernwärme einkassiert haben, was die Stadtwerke noch einmal Millionen kostet? Wollen Sie mehr Klimaschutz, oder wollen Sie die Marktmacht von Eon, RWE und den anderen Konzernen stärken? Sie wollen die vier großen Energiekonzerne stärken und gleichzeitig die Stadtwerke, die Erneuerbaren und neue Anbieter auf dem Markt schwächen. Das ist Kern und Gegenstand Ihrer Energiepolitik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Ich weiß – auch von Grünen -, dass der Konsens in der Energiepolitik nicht von allen geliebt war. Aber eines konnte man ihm nicht absprechen: Die Kombination aus der Begrenzung von Laufzeiten, dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Einführung des Emissionshandels hat klare, kalkulierbare Rahmenbedingungen für alle Markteilnehmer geschaffen. Jeder Investor, der etwa in ein Gaskraftwerk oder einen Windpark investiert hatte, wusste, wie lange noch diese Anlagen mit alten, abgeschriebenen Atomkraftwerken konkurrieren mussten.
Jeder wusste, was er in den nächsten Jahren an Einspeisevergütung bekommt, wenn er etwas im Bereich der erneuerbaren Energien in das Netz einbringt. Jeder Investor wusste als Betreiber eines Kohlekraftwerks auch, dass CO2 einen Preis hat und dass dieser Preis künftig steigen wird. In diesem Rahmen sind in den vergangenen Jahren Milliarden Euro in Deutschland investiert worden – übrigens überwiegend nicht von den vier großen Energiekonzernen, sondern von vielen Bürgerwindparks, von Mittelständlern und von anderen Investoren aus dem europäischen Ausland.
Und was passiert heute? Was macht die angeblich bürgerliche Koalition mit dem bürgerlichen Stilempfinden eines Herrn van Essen?
(Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber hallo, genau!)
Sie enteignen diese Unternehmen, Sie enteignen sie zugunsten von Eon, RWE und Co.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Das ist Ihre Vorstellung bürgerlicher Politik.
Nein, meine Damen und Herren, der heutige Tag ist das Ende der Investitionssicherheit in der Energiebranche in Deutschland. Diese Investitionen brauchen Sicherheit über mehrere Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte.
Sie wissen sehr genau, dass das, was Sie heute hier beschließen, ein sehr kurzfristiges Geschenk für vier Unternehmen ist. Es wird keine vier Jahre Bestand haben.
Quelle: http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/vorlaeufig/17068.html