Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Bernd Senf zählt zu den prominentesten deutschen Kritikern des bestehenden Finanzsystems. In dem ausführlichen Interview, das er chaostheorien.de gab, zeigt er auf, wo ein aus dem Nichts und durch Schulden geschöpftes Geld hin treibt: in eine stets beschleunigte Zerstörung. „Exponentielles Wachstum kennen wir in anderen Zusammenhängen als Krebs. Da ist es das Wachstum eines Tumors in einem nicht mehr entsprechend wachsenden Organismus. Auf einer solchen Grundlage beruht das bestehende Geldsystem.“
Prof. em. Dr. Bernd Senf, geboren 1944 in Bad Elster/Vogtland, ist Wirtschaftswissenschaftler und Buchautor. Er hat 1963 bis 1967 an der Universität Bonn Volkswirtschaftslehre studiert, war von 1967 bis 1972 Assistent an der TU Berlin und hat 1972 an der FU Berlin zum Thema „Wirtschaftliche Rationalität – gesellschaftliche Irrationalität“ promoviert. Von 1973 bis 2009 lehrte er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft (heute Hochschule für Wirtschaft und Recht) in Berlin. Seit April 2009 ist er frei schaffend tätig – mit Vorträgen, Seminaren, Workshops, Veröffentlichungen und der Begleitung zukunftsweisender Projekte.
Bernd Senf ist Autor zahlreicher Bücher, darunter:
Der Nebel um das Geld. Zinsproblematik – Währungssysteme – Wirtschaftskrisen. Ein Aufklärungsbuch. Gauke Verlag, Lütjenburg 1996, ISBN 3-87998-435-2; 5. überarbeitete Auflage ebd. 1998, ISBN 3-87998-435-2;
Die blinden Flecken der Ökonomie. Wirtschaftstheorien in der Krise. dtv, München 2001, ISBN 3-423-36240-5; ab der 4. Auflage im Verlag für Sozialökonomie, Kiel 2007, ISBN 978-3-87998-452-7;
Der Tanz um den Gewinn. Von der Besinnungslosigkeit zur Besinnung der Ökonomie. Verlag für Sozialökonomie, Lütjenburg 2004, ISBN 3-87998-448-4.
Für mehr Informationen steht seine eigene Website zur Verfügung: www.berndsenf.de, auf der sich unter: http://www.berndsenf.de/MenuVortraegeSeminare.htm auch etliche Video-Vorträge und -Interviews von/mit ihm finden lassen. Neben seiner Tätigkeit als Ökonom und Streiter für eine grundlegende Reform des Geldsystems, die unter dem Begriff der „Monetative“ steht, setzt er sich insbesondere für eine Verbreitung der Ideen von Wilhelm Reich und anderer Lebensenergie-Forscher ein.
Das nachfolgende – für die schriftliche Fassung leicht überarbeitete – Interview kann in Kürze an dieser Stelle auch vollständig im Originalton abgerufen werden.
Als Ergänzungen zum nachstehenden Themenkomplex möchten wir u. a. ferner auf diese Veröffentlichungen von Professor Senf verweisen:
“Wer sind die Herren der Geldschöpfung?”
http://www.berndsenf.de/pdf/Die%20Herren%20der%20(Geld-)Schoepfung%20(deutsch).pdf
http://www.berndsenf.de/pdf/WerSindDieHerrenDesGeldes.pdf
“Das Ende der Dollar-Herrschaft?” (3 Teile)
“Bankgeheimnis Geldschöpfung”
http://www.berndsenf.de/pdf/Bankgeheimnis%20Geldschoepfung%204.pdf
“Geldschöpfung in öffentliche Hand!”
http://www.berndsenf.de/pdf/NEWMOTIONTORESTORETHEMONEY.pdf
Professor Senf, womit hängt es zusammen, dass nur äußerst wenige von den Ökonomen, die wir in den Medien und bei öffentlichen Veranstaltungen bestaunen dürfen, die Finanzkrise, in der wir stecken, haben kommen sehen?
Das hängt wesentlich damit zusammen, dass die Theorien, die in der Wirtschaftswissenschaft gelehrt werden, zum großen Teil auf sehr fragwürdigen Grundannahmen beruhen. Insbesondere, was die Problematik des Geldsystems anlangt, haben etliche dieser Theorien einen blinden Fleck.
Das ist einmal der Fall beim Neoliberalismus, der ja in den letzten 30 Jahren zur weltweit „herrschenden Lehre“ wurde. Der Neoliberalismus kommt in seinen theoretischen Grundlagen zu dem Ergebnis, dass die Märkte alles zum Besten aller regulieren, und zwar unterschiedslos alle Märkte. Damit verbunden waren die Forderungen nach Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung im Zuge der Globalisierung.
Der Begriff „herrschende Lehre“ ist übrigens gar nicht so falsch, denn es ist bei genauerer Betrachtung eine Lehre im Herrschaftsinteresse einer Minderheit. Zutreffend wäre auch, wenn man „Lehre“ mit zwei E schreiben würde („Leere“), weil diese Theorie bezüglich ihres Realitätsgehalts eine gähnende Leere und einen erschreckenden Realitätsverlust aufweist, und zwar von Grund auf, bei den Grundannahmen angefangen. Sie trägt auf diese Weise nicht zur Erklärung oder sinnvollen Gestaltung der wirtschaftlichen und sozialen Realität bei, sondern zur Legitimierung und Verschleierung von Herrschaftsinteressen.
Dieses Weltbild ist im Grunde ein Glaubenssystem, wird aber als Wissenschaft ausgegeben, und Generationen von Studierenden der Wirtschaftswissenschaft wurden und werden von dieser Herrschaftsideologie indoktriniert, ohne sich dessen oftmals bewusst zu sein. Sie kommt im Gewand von scheinbar exakten mathematischen Modellen daher – wie zum Beispiel in den Pflichtkursen der „Mikroökonomie“ – und erscheint insofern als unangreifbar, als Inbegriff „wirtschaftlicher Rationalität“, die es mit dem Kreuzzug von Angebot und Nachfrage in die ganze Welt zu tragen gilt. Davon geprägt sind dann auch die Experten, die bis hin in die höchsten Gremien und in den Medien das Sagen haben. In Deutschland haben wir zum Beispiel den Sachverständigenrat, die „Fünf Weisen“ (aus dem Abendland), und die meisten davon waren in den letzten Jahrzehnten Neoliberale. Mit diesem Weltbild konnten sie im Grunde die sich zuspitzende und immer destruktiver werdende Dynamik des Weltfinanzsystems überhaupt nicht begreifen.
Eine andere an den Universitäten gelehrte Sichtweise, die von Ende der 60er Jahre bis Anfang der 80er Jahre auch in der Bundesrepublik eine große Rolle gespielt hat, ist der sogenannte Keynesianismus, zurückgehend auf John Maynard Keynes. Auch diese Theorie, die sich in Vielem vom Neoliberalismus unterscheidet, hat ihre blinden Flecken, allemal in Bezug auf die grundlegende Problematik des Geldsystems. In meinem Buch „Die blinden Flecken der Ökonomie“ habe ich diese These ausführlich begründet.
Dann gibt es (oder gab es) noch eine andere Richtung, die mindestens zeitweise im Gefolge der Studentenbewegung an einigen Universitäten und Fachhochschulen gelehrt wurde: die Marx‘sche Theorie. Sie hat durchaus tiefe Einsichten gewonnen in die destruktive Dynamik des Kapitalismus und die Folgen, die der Zwang zur Kapitalverwertung hervor treibt. Aber das bezog sich auf das Verwertungsinteresse des Kapitals in Form von Produktionsmitteln, wir würden heute sagen: im Bereich der Realwirtschaft. Wozu die Marx‘sche Theorie aber nichts Erhellendes beigetragen hat, ist ein tieferes Verständnis des Interesses des Finanzkapitals an Wertabschöpfung – der auch einen wachsenden Druck auf die Realwirtschaft hervor treibt. Diese Verselbstständigung der Finanzmärkte gegenüber der Realwirtschaft ist mit der Marx‘schen Theorie nicht wirklich systematisch zu begreifen.
Also haben verschiedene dieser markanten Theorien – bei allen Unterschieden oder Gegensätzen – auf ganz merkwürdige Art diesen gemeinsamen blinden Fleck in Bezug auf die Problematik des Geldsystems. Ich nenne das den „monetären blinden Fleck“. Entsprechend waren die Vertreter dieser unterschiedlichen Theorien und Ideologien gleichermaßen überrascht, als im Herbst 2008 die Weltfinanzkrise mit solcher Vehemenz an die Oberfläche durchbrach.
Bei einer Rede auf der jährlich stattfindenden „International Banking Conference“ in Chicago, kam der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve und jetzige Finanzberater von US-Präsident Barack Obama, Paul Volcker, im September zu dem Schluss, dass das Finanzsystem kaputt sei.[1] Stimmen Sie dem zu, und wenn ja, was bedeutet das denn: das Finanzsystem ist kaputt?
Ich würde erst einmal sagen: das Finanzsystem macht kaputt. Es treibt auf die Dauer von mehreren Jahrzehnten, sagen wir einmal fünfzig, sechzig, siebzig Jahre nach dem Neustart eines Geldsystems, in immer stärkerem Maße destruktive Tendenzen hervor, die sich dann krisenhaft entladen müssen. Das ist eine These, die ich nicht erst nach Zuspitzung der Weltfinanzkrise so formuliert habe, sondern schon lange Zeit vorher. Ich habe die Weltfinanzkrise in groben Zügen vorausgesehen, schon in meinem Buch „Der Nebel um das Geld“ von 1996 und auch in anderen Veröffentlichungen.
Insofern ist da etwas dran: das Weltfinanzsystem macht immer mehr kaputt, in dem Sinn, dass es Wirtschaftskrisen hervor treibt, dass es die Umweltkrise verschärft, die Krise der Gesellschaft (im Sinne wachsender Polarisierung zwischen Arm und Reich) verschärft – mit der Folge wachsender sozialer Spannungen, die sich mehr und mehr gewaltsam entladen werden. Es macht auch den Gestaltungsspielraum von Politik kaputt, indem die Krise des Staatshaushalts sich immer weiter zuspitzt – bis hin zum Staatsbankrott. Und es macht schließlich durch die Schuldenkrise auch große Teile der Dritten Welt kaputt, und mittlerweile auch der Zweiten Welt, also der früheren sozialistischen Systeme, die nach 1989 in Marktwirtschaft und Kapitalismus transformiert wurden.
Das sind fünf Krisensymptome, die ich hier nur mal kurz angedeutet habe und die nach meiner Erkenntnis alle in wesentlichem Zusammenhang zum Geld- und Zinssystem stehen. Von daher hat dieses Geldsystem langfristig in vieler Hinsicht zerstörerische Tendenzen. Es bringt langfristig solche sich verschärfenden Krisen hervor, dass es daran schließlich selbst auseinander- oder zusammenbrechen kann. Dann kann man tatsächlich sagen: das Finanzsystem ist kaputt. Aber ehe es selbst kaputt geht, hat es erst einmal ganz viel kaputt gemacht.
Sehen Sie eine gewisse Signifikanz darin, dass ausgerechnet ein früherer Vorsitzender der Fed zu diesem Urteil gelangt, dass das Finanzsystem kaputt sei?
Ja, das ist eigentlich eine späte Einsicht. Die hätte ihm mal früher kommen sollen, und die hätte er dann auch einmal früher öffentlich äußern sollen, um nämlich weitere Zuspitzungen möglicherweise abzuwenden. Übrigens hat sich auch der langjährige Chef der Fed, Alan Greenspan, also der Nachfolger von Volcker, in einer ungewöhnlich klaren Äußerung ähnlich geäußert und gesagt: dieses Geldsystem bringt innerhalb eines Jahrhunderts zwei bis drei heftige Erschütterungen mit sich. Da hätte man dann eigentlich erwarten können, dass er die Frage stellt: wie lässt sich das denn künftig vermeiden? Aber die Frage kam nicht mehr, geschweige denn eine Antwort darauf. Sodass man ja vielleicht fast annehmen kann, dass einige, die um die Problematik dieses Systems wissen und an entscheidenden Stellen sitzen, vielleicht gar kein Interesse daran haben, diese Dynamik wirklich grundlegend zu überwinden. Aber ob dem so ist oder ob sie selber sozusagen gefangen sind in ihrer verengten Sichtweise, das vermag ich nicht zu beurteilen.
Ist bei der Analyse der Finanzkrise die Eigentümerstruktur des Federal Reserve Systems zu beachten, insbesondere auch die Eigentumsverhältnisse der New Yorker Fed?
Wenn ein Weltfinanzsystem in eine solche Krise hinein gerät, sollte allemal und spätestens dann die Frage dringlich gestellt werden: wer sind eigentlich die Herren der Schöpfung, der Geldschöpfung? Das sind ja auf jeden Fall schon mal die Zentralbanken – und was den US-Dollar anlangt, ist es eben die US-Notenbank, das Federal Reserve System oder abgekürzt „die Fed“. Dann sollte doch eigentlich auch die Frage angebracht sein: wer ist das eigentlich – und wie ist die Fed zu ihrem Privileg gekommen, den US-Dollar zu kreieren, zu schöpfen und in den Wirtschaftskreislauf hinein zu bringen, also dieses Geld zu emittieren?
Merkwürdigerweise wird diese Frage selten gestellt. In den letzten zwei Jahren schon mehr und mehr, vor allem im Internet läuft da eine breite Diskussion. Aber in den sonstigen etablierten Medien findet man bis heute kaum einmal auch nur die Frage: wer ist eigentlich die Fed – und wer hat Einfluß auf sie? Wir kennen alle nur den Satz: Geld regiert die Welt. Aber kaum jemand fragt: Und wer regiert das Geld? Diese Frage sollte doch aber besonders dringlich gestellt werden, wenn es sich um ein Geld handelt, das nicht nur Zahlungsmittel innerhalb eines Landes ist – das wäre der US-Dollar für die USA -, sondern auch noch Weltgeld, wodurch es eine ganz besondere Rolle im Weltfinanzsystem spielt. Genau das ist beim US-Dollar der Fall. Wer regiert also dieses Weltgeld?
Wenn man einmal beginnt, dieser Frage konsequent nachzugehen, und mittlerweile gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen darüber, dann kommt man aus dem Staunen nicht mehr raus. Jedenfalls ist es mir selber so gegangen. Ich bin lange Zeit wie selbstverständlich davon ausgegangen, Zentralbanken müssten so etwas wie öffentliche Institutionen sein, wenn auch nicht in der Hand von Regierungen. Das ist ja immer wieder betont worden: Zentralbanken müssten unabhängig sein von Regierung und Parlament. Aber ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich mehr und mehr Hinweise darauf fand, dass gerade eben die Fed zwar einen äußeren Anschein erweckt, etwas Öffentliches zu sein – schon im Namen: Federal Reserve. „Federal“ heißt ja: bundesstaatlich. Und Reserven, ja das hört sich ja immer gut an, Reserven für irgendwelche problematischen Zeiten zu halten. Aber wenn man mal ein Stückchen genauer hinsieht, stellt sich heraus, dass die zentrale Fed auf den Säulen von 12 regionalen Feds ruht (eine davon ist die von New York, und das ist auch die bedeutendste). Und alle diese 12 regionalen Feds sind ausnahmslos in der Hand von privaten Großbanken und die wiederum sind in der Hand einer kleinen, aber sehr reichen und einflussreichen Finanz-Oligarchie. Diese Tatsache ist ja mindestens fragwürdig.
Und wenn dann auch noch in der Geschichte zurückgeht und mal guckt, wie dieses Privileg der Institution der Fed überhaupt geschaffen wurde, dann sind da auch etliche Fragwürdigkeiten. Ich sehe das mittlerweile als eine arglistige Täuschung des amerikanischen Kongresses und der Öffentlichkeit von Seiten derjenigen an, die damals die Fed aus der Taufe gehoben haben. 1913 wurde der Federal Reserve Act, die gesetzliche Grundlage der Fed, beschlossen. Und kaum jemand hat mitbekommen, dass dahinter von Anfang an eine private Finanz-Oligarchie gesteckt hat.
Es wird gerne von der „Geldschöpfung aus dem Nichts“ (“out of thin air“) gesprochen.[2] Des Weiteren wird davon gesprochen, dass unser ganzes Geldsystem auf Schulden basiert. Was muss man sich darunter vorstellen?
„Geldschöpfung aus dem Nichts“ – im Grunde wird da noch viel zu wenig drüber gesprochen, aber die Diskussion greift jetzt – mindestens im Internet – mehr und mehr um sich. Es wird ja selten gefragt: wo kommt das Geld eigentlich her, was so tagtäglich von Hand zu Hand läuft, also erst einmal in Form von Geldscheinen? Viele haben so eine diffuse Ahnung: Ja, die Zentralbanken, die sind vielleicht die Quelle davon. Aber dann hört es oft auch schon auf. Wie bringt denn die Zentralbank dieses Geld (nehmen wir einmal das Papiergeld) in Umlauf?
Sie wirft es ja nicht aus dem Flugzeug oder Hubschrauber ab, und sie lässt es den Haushalten auch nicht über Postwurfsendungen zukommen, sondern sie bringt dieses Geld in den Wirtschaftskreislauf von Anbeginn an durch Kredite, und Kredit heißt immer auch: Schulden. Das heißt, dieses Geld, das wir jetzt haben, ist Schuldgeld, und zwar im Prinzip schon seit ein paar Jahrhunderten. Von seiner Zeugung an ist dieses Geld scheinbar untrennbar mit Schuld verknüpft. Das erinnert ja an die religiös geprägte Auffassung von einer angeblichen Urschuld oder Ursünde des Menschen. Solchen blinden Glauben haben viele Menschen in unserer Gesellschaft inzwischen überwunden. Aber was das Geld angeht, sind die meisten – allen voran die Wirtschaftsexperten – noch gefangen in der Vorstellung, es ginge gar nicht anders: Geld kann nur Geld sein, wenn es als Schuld, als Kredit in Umlauf kommt.
Das läuft dann so, dass die Zentralbank das Geld tatsächlich aus dem Nichts schöpft. Natürlich muss sie sich Papier beschaffen und bedrucken lassen, aber das sind vernachlässigbare Kosten, und in den Wirtschaftskreislauf kommt dieses Geld zum Beispiel als Kredit an private Geschäftsbanken. Die müssen für diesen Kredit während der Laufzeit Zinsen an den Geldschöpfer Zentralbank zahlen. Nun können die Geschäftsbanken dieses Geld wiederum in Form von Krediten weiterleiten, und zwar zu einem höheren Zins als sie selber an die Zentralbanken zahlen müssen, das ist ihr Geschäft. Die Geschäftsbanken können auf diese Weise Kredite an private Unternehmen geben oder an private oder öffentliche Haushalte, oder ganz allgemein ans Ausland.
Jedenfalls müssen alle diese Schuldner den Kredit während der Laufzeit mit Zinsen bedienen, müssen ihn schließlich irgendwann mal auch mal zurückzahlen, und auf diese Weise fließt ein Teil der Zinsen zu den Geschäftsbanken, und die Geschäftsbanken müssen einen Teil davon an die Zentralbank weiterreichen, so dass auch die Zentralbank Zinserträge erzielt, die – abzüglich ihrer Kosten – einen Zentralbank-Gewinn entstehen lassen: den Geldschöpfungs-Gewinn für aus dem Nichts geschöpftes Geld. Es könnte jetzt weiter gefragt werden: Wer bekommt denn diesen Gewinn? Manchmal wird er ganz oder zum Teil an den Staatshaushalt abgeführt, manchmal aber auch an die privaten Anteilseigner – sofern es solche gibt.
Auch hier wäre die Frage angebracht: Ist das eigentlich zwingend so oder könnte es auch anders sein, und liegt darin nicht vielleicht auch eine Problematik? Warum muss das Geld von Anbeginn an als Schuld in den Kreislauf kommen? Darüber ist kaum nachgedacht worden. Es ist scheinbar so selbstverständlich, dass über Alternativen kaum diskutiert worden ist. Aber es sind durchaus Alternativen denkbar, auf die ich später noch näher eingehen kann.
Wie Sie sagten, wird das aus dem Nichts geschöpfte Geld per Kredit mit einem Zins verknüpft. Wo kommt der eigentlich her?
Das ist eine sehr gute Frage, die auch kaum gestellt wird. Es muss ja letztendlich eine größere Summe an die Geldschöpfer zurück fließen, als sie selbst in der ersten Runde in den Kreislauf hinein gegeben haben. Wo kann denn dieses zusätzliche Geld herkommen? Das ist ja gar nicht vorhanden.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Wenn zum Beispiel zehn Unternehmen einen Kredit in Höhe von jeweils 100 Euro aufnehmen und ihn zu 10 Prozent verzinsen müssen, dann wären das insgesamt 1000 Euro plus 10 Prozent. Insgesamt müssten also 1100 Euro zurück fließen, es sind aber nur 1000 rein geflossen. Zehn Unternehmen können bei dieser begrenzt rein gegebenen Geldmenge von 1000 nicht eine größere Summe zurück fließen lassen. Das können nur neun Unternehmen, wenn das zehnte Unternehmen sozusagen raus fällt. Das heißt, es ist immer zu wenig Geld da, um die Kredite von allen Schuldnern zurückzahlen zu können. In diesem Beispiel muss ein Schuldner auf der Strecke bleiben, damit die anderen Schuldner 9 mal 100 Euro (Tilgung) plus 9 mal 10 Euro (Zinsen) zurückzahlen können.
Das erinnert mich an das Kinderspiel „Die Reise nach Jerusalem“ – da ist immer ein Stuhl zu wenig, und deswegen muss bei diesem Spiel im entscheidenden Moment, wenn die Musik aussetzt, immer einer der Mitspieler raus fallen. Das ist im Zinssystem angelegt. Es werden sozusagen die Schuldner ins Feld geschickt und gelockt (denn wenn sie keinen Kreditbedarf haben, wird oftmals geradezu verführerisch versucht ihnen den Kredit schmackhaft zu machen, sie zu ködern). Also werden sie ins Feld geschickt, um sich gegenseitig aus dem Feld zu schlagen, und da müssen immer welche auf der Strecke bleiben. Nun kann man sagen, derjenige, der es nicht schafft, diese Schulden zurückzuzahlen, der kann ja dann einen neuen Kredit aufnehmen. Und dann sind wir in der nächsten Runde drin.
Es müsste in der nächsten Runde die Zentralbank eine größere Menge an Geld und damit auch an Schulden – aus ihrer Sicht sind das Forderungen – in den Kreislauf geben, um die Summe aus der vorherigen Runde rückzahlbar zu machen. Es ist schwierig, das mit Worten anschaulich zu erklären, ich mache das häufig mit Bildern und Graphiken, aber vielleicht ist es auch so schon erkennbar: es ist in diesem System der Zwang zu einer wachsenden Geldmenge angelegt. Nun könnte man sagen: Die Geldmenge müsste auf Dauer zwar exponentiell wachsen, aber das muss nicht unbedingt zum Problem werden, wenn auch das Sozialprodukt entsprechend wächst, dann kann das ja auch alles erwirtschaftet werden, und die Schulden können dann auch bedient werden. Die Kredite werden dann sogar zum Motor des Wirtschaftswachstums.
Aber genau da liegt das große Problem: während ein Geldsystem, das von Grund auf mit Zins verknüpft ist, ein exponentielles Wachstum der Schulden und damit auch der Forderungen mit sich bringt, kann es in der Realwirtschaft auf Dauer nicht zu einem exponentiellen Wachstum des Sozialprodukts kommen, denn das treibt im Laufe mehrerer Jahrzehnte in Dimensionen hinein, die jeden Rahmen begrenzter Absatzmärkte und auch zunehmend begrenzter Ressourcen sprengen müssen. Das exponentielle Wachstum bringt eine so ungeheure Beschleunigung mit sich, dass zwar versucht werden kann, über gewisse Phasen die Wirtschaft auf einen solchen Wachstumspfad zu bringen, aber auf Dauer ist das unmöglich. Das sind Wachstumsverläufe, die der folgenden Zahlenreihe entsprechen:
Aus 1 Euro werden zum Beispiel bei 5 Prozent Zinseszins in knapp 15 Jahren 2 Euro, in den nächsten 15 Jahren verdoppelt es sich wieder. Dann sind das 4 Euro. In den nächsten 15 Jahren 8, dann 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024, 2048, 4096. Das ist eine unglaubliche Beschleunigung: jeweils Verdoppelung alle (knapp) 15 Jahre. Keine Real-Wirtschaft kann auf Dauer in ihrem Wachstum mit dem mithalten, was die Dynamik des Zinseszinses fordert.
Darin ist angelegt, dass die exponentiell wachsenden Zinslasten aufgrund der exponentiell wachsenden Schulden einen immer größeren Teil des Sozialprodukts sozusagen auffressen, das heißt: die Gläubiger beanspruchen einen wachsenden Teil für sich. Das sind zum einen die Geldschöpfer und zum anderen die Geldvermögenden. Exponentielles Wachstum kennen wir in anderen Zusammenhängen als Krebs. Da ist es das Wachstum eines Tumors in einem nicht mehr entsprechend wachsenden Organismus. Auf einer solchen Grundlage beruht das bestehende Geldsystem. Das sollte eigentlich sehr nachdenklich machen und alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren, um nach Alternativen Ausschau zu halten, um dieses zerstörerische System zu überwinden.
Aufgrund dessen, was Sie ausführten, ist es so, dass das Finanzsystem vor allem den Banken zugute kommt, da es im Grunde so ausgelegt ist, dass das Geld am Ende zu denen zurück fließt, die es in den Kreislauf bringen – und zwar nicht unbedingt in Form des selbst erzeugten Zahlungsmittels, aber dafür in Form von z. B. harten, sprich: richtigen Vermögenswerten? Und wenn man das zu Ende denkt: wo führt das hin?
Die Gelder fließen zu den Banken zurück, aber da kann man fragen: wenn sie selber – die Zentralbanken zum Beispiel – Geld schöpfen, was haben die denn davon, wenn dieses Geld zu ihnen zurück fließt? Problematisch wird es vor allen Dingen, wenn die Schuldner nicht mehr in der Lage sind, die Schulden zu bedienen. Sei es, dass sie die Zinsen nicht mehr aufbringen können, sei es, dass sie die Tilgung nicht im vereinbarten Maße schaffen, dann greift etwas Drittes, das mit dem bestehenden Geld und Kredit verbunden ist, nämlich die dingliche Sicherheit. Zum Beispiel bei Immobilienkrediten ist es die Immobilie, die im Ernstfall von der Bank zwangsversteigert wird.
Das heißt also, auch dann, wenn die Schuldner säumig werden und es Kreditausfälle gibt, wenn die Kredite bzw. Forderungen faul werden, kann das durchaus im Interesse der Gläubiger liegen, denn dadurch haben sie einen legalen Zugriff auf das verpfändete Eigentum der Schuldner, in dem Fall auf die Immobilien. Das kann sich auch auf ganze Länder beziehen. Wenn die Staatshaushalte ganzer Länder überschuldet sind, dann können die internationalen Gläubiger sagen: Wir erlassen Euch einen gewissen Teil der Schuld, aber um den Preis, dass wir den Zugriff auf Eure Ressourcen haben. Das ist etwas, das im großen Maßstab in den letzten Jahrzehnten gelaufen ist und immer noch weiter läuft.
Wir haben hier einen Zusammenhang, wo es in letzter Konsequenz zu Eigentumsverlusten auf Seiten der Schuldner kommt. Das kann man auch als Enteignung bezeichnen – nur wird das nicht so genannt. Über dieses Geld und dieses System der Verschuldung können Gläubiger und Gläubiger-Institutionen (bis hin zu den Geldschöpfern) selber in großem Maßstab – ich drücke es mal krass aus – globale Plünderungen organisieren. Auf diese Weise können ganze Völker ausgehungert werden – sogar ohne militärische Gewalt. Das ist schon etwas in höchstem Maße Problematisches.
Es scheint ferner so zu sein, dass die globale Finanzindustrie sich verselbständigt hat und nur noch marginal Dienstleistungen für die Realwirtschaft betreibt. Wie ist das gekommen und was folgt daraus?
Das ist ein anderer wesentlicher Problempunkt. Er hängt damit zusammen, dass nicht nur die Zentralbanken Geldschöpfer sind, sondern – was die Wenigsten wissen – auch die privaten Geschäftsbanken. Zu einem erheblichen Teil schöpfen sie noch einmal zusätzlich zum Zentralbank-Geld Geld aus dem Nichts, allerdings nicht in Form von Papiergeld, sondern in Form von sogenanntem Giralgeld. Das sind Sichtguthaben auf Girokonten. Die Geschäftsbanken sind nicht unbegrenzt, aber in erheblichem Maße in der Lage, solche Sichtguthaben aus dem Nichts zu schöpfen, sie den Kreditnehmern als Guthaben auf deren Konten zu buchen, und die können darüber im Großen und Ganzen bargeldlos verfügen – durch Überweisungen, Kreditkarten und dergleichen. Sie können damit also Umsätze tätigen und Teile des Sozialprodukts in der Real-Wirtschaft nachfragen. Sie können aber auch etwas ganz anderes nachfragen, nämlich irgendwelche Wertpapiere an den Finanzmärkten.
Das heißt also, die Geschäftsbanken erhöhen das Volumen der Nachfrage nach realem Sozialprodukt oder nach Finanzprodukten an den spekulativen Finanzmärkten in erheblichem Maße durch Schöpfung von Giralgeld aus dem Nichts. Das sind natürlich große Verlockungen, derart geschöpftes Geld, wenn es sich schon in der Real-Wirtschaft nicht mehr zu attraktiven Renditen anlegen lässt, dann verstärkt an die Finanzmärkte fließen zu lassen.
Nehmen wir mal die Aktienbörsen. Ein Teil des Geschehens an den Aktienbörsen hat schon noch einen Bezug zur Real-Wirtschaft. Nämlich wenn eine Aktiengesellschaft Aktien neu emittiert, dann bekommt sie ja vom Ersterwerber der Aktien Geld. Dieses wird Eigenkapital und damit kann sie zum Beispiel in der Real-Wirtschaft investieren. Der Ersterwerber könnte nun diese Aktien als Anteil, als Beteiligung, auch als Grundlage für mögliche Dividenden für sich behalten. Aber die Regel ist, dass diese Aktien vom Ersterwerber weiter verkauft werden an einen Zweiten, der verkauft sie an einen Dritten usw. Und dann kommt der Hundertste und der Tausendste. Das heißt, das größte Volumen der tagtäglichen Umsätze an den Aktienbörsen hat inzwischen mit der anfänglichen Neu-Emission überhaupt nichts mehr zu tun, sondern man spricht vom Sekundärmarkt. Es ist nur noch Besitzwechsel.
Wenn das Bankensystem immer mehr Geld aus dem Nichts schöpft und in die spekulativen Finanzmärkte fließen lässt, dann trägt das natürlich dazu bei, dass Leute Kredite aufnehmen, um jetzt Aktien in der Erwartung steigender Kurse zu kaufen, und dass sie dann einen Reibach machen, wenn die Kurssteigerungen viel größer sind als das, was sie an Kreditzinsen zahlen müssen. So kann also eine Stimmung geschürt werden (in dem Fall an den Aktienbörsen), wo viele erwarten, dass die Kurse steigen. Deswegen kaufen sie Aktien, und deswegen steigen die Kurse. Man spricht hier vom „Prinzip der sich selbst realisierenden Erwartung“. Damit führt diese Schöpfung des Geldes aus dem Nichts und dieses Hineinpumpen von sogenannter Liquidität in die Finanzmärkte dazu, die Kurse in die Höhe zu treiben, und diese Kurse haben immer weniger mit den realen Ertragserwartungen der Aktiengesellschaften zu tun, deren Aktien da gehandelt werden.
Das heißt, dieser früher so genannte innere Wert der Aktien oder diese sogenannten Fundamentaldaten, die einen Hinweis auf das geben, was eine Aktiengesellschaft an künftigen Erträgen erwarten lässt, spielen eine immer geringere Rolle. Es wird die Aktienbörse einfach mit immer mehr Liquidität überflutet, und dadurch werden die Kurse spekulativ in die Höhe getrieben und entfernen sich immer mehr von der real-wirtschaftlichen Grundlage. Wenn das bei einem einzelnen Menschen geschieht, dass er sich hinein steigert in etwas, das mit der Realität immer weniger zu tun hat, spricht man von Wahnsinn. Deswegen spreche ich bezüglich des Börsengeschehens mittlerweile von „Börsenfieber und kollektivem Wahn“.
Wie wir erlebten, haben etliche Großbanken nur dank staatlicher Eingriffe überlebt, wofür wiederum die Steuerzahler zu haften haben. Woher hat der Staat dieses Geld, mit dem er die Banken rettete?
Auch diese Frage sollte viel öfter gestellt werden, zumal die Staaten, die Regierungen oder allgemein die Politik über Jahre hinweg immer wieder argumentiert haben: es ist kein Geld da. Also: sparen, sparen, sparen, oder besser gesagt: kürzen, kürzen, kürzen. Das hat man ja immer und immer wieder gehört, wenn es um Sozialprogramme ging, um Gesundheitsprogramme, um Bildungsprogramme, um Infrastruktur usw.: Alle müssten „den Gürtel enger schnallen.“ Und das übrigens schon in einer Phase, wo das Sozialprodukt von Jahr zu Jahr noch wuchs. Selbst da war schon immer wieder die Äußerung: es ist kein Geld da. Und dann auf einmal gab es diese Situation mit der zugespitzten Weltfinanzkrise, mit den drohenden Bankzusammenbrüchen und den befürchteten Kettenreaktionen – und dann hieß es auf einmal: wir müssen die Banken retten, es gibt dazu „keine Alternative“.
Das Letztere ist schon ein großes Problem, weil eine Demokratie von Alternativen lebt, also dass verschiedene Vorschläge in die öffentliche politische Diskussion kommen und dann darüber abgestimmt wird. Wenn es keine Alternativen mehr gibt, wenn es alternativ los ist, und zwar in Bezug auf wesentliche Grundentscheidungen, dann ist das eine große Gefahr für die Demokratie. Im Grunde werden dadurch demokratische Strukturen ausgehebelt. Der Gestaltungsspielraum für Politik wird immer mehr eingeengt. Und in dem Fall der Rettungsschirme wurde das ja innerhalb von wenigen Tagen über die politische Bühne gezogen und durch die Parlamente gepeitscht, sowohl in den USA wie auch in der Bundesrepublik. Dabei handelte es sich um ein Volumen von Geldbeträgen, das man sich bis dahin überhaupt nicht einmal hat vorstellen können. Da sind auf einmal Hunderte von Milliarden im Spiel gewesen – in den USA sogar bis hinein in die Billionen Dollar -, mit denen jetzt der Staat scheinbar alternativlos ausgerechnet die Banken vor dem Bankrott retten sollte, die besonders groß waren und besonders große Verluste gemacht hatten. Da hieß es: sie sind too big to fail, zu groß, um zu scheitern, sie sind „systemrelevant“. Wenn sie zusammenbrechen, sei das wie ein Dominoeffekt mit verheerenden Folgen, und also schien es alternativlos zu sein, sie mit diesen Unsummen von staatlichen Geldern zu retten. Aber woher sind diese Gelder gekommen, wo vorher doch überall das Geld fehlte?
Da sind wir wieder bei den Geldschöpfern. Die Geldschöpfer – die Zentralbanken und das Geschäftsbankensystem – haben noch einmal schubartig die Geldhähne aufgedreht, die Fed übrigens derart drastisch, dass es ihr schon peinlich wurde, und sie hat von da an die Zahlen über die Entwicklung der Geldmenge nicht mehr veröffentlicht. Das ist übrigens auch noch ein Problem: die Fed ist noch nicht einmal rechenschaftspflichtig gegenüber der Öffentlichkeit. Es gibt für sie auch keine Wirtschafts- oder Steuerprüfer, die mal ihre Bücher kontrollieren würden. Selbst hier in der Bundesrepublik ist im Grunde überhaupt keinerlei Transparenz in die Frage gekommen, wo denn diese Summen für die Rettungsschirme hergekommen sind.
Die sind alle wieder auf dem Wege über Kredit und über noch einmal sprunghaft gewachsene Staatsverschuldung in den Kreislauf gekommen, und diese Staatsverschuldung ist eine Last, die auf die Steuer zahlenden Steuerzahler abgewälzt wird. Deswegen sage ich seit einiger Zeit: die Staatsbürger haben ihren Namen zurecht, denn sie sind es, die letztlich für die Staatsschuld bürgen. Sie werden letztendlich zur Kasse gebeten bzw. haben die Lasten zu tragen in höheren Steuern bzw. in sinkenden öffentlichen Leistungen. Den Letzten beißen die Hunde. Und das sind die Staatsbürger – nicht alle, aber doch ein großer Teil.
Ein kleiner Teil profitiert demgegenüber von diesem ganzen System. Er profitiert zum Beispiel dann davon, wenn er große Vermögensbestände hält (auch große Pakete von Staatsanleihen) und den Zins, den der Staat zahlen muss, als Zinserträge einstreicht und damit sein Geldvermögen wachsen lässt. Ein großer anderer Teil wird durch dieses System unter dem Strich belastet. Das bräuchte auch noch einmal eine ausführlichere Ableitung, warum nur ungefähr 15 Prozent in unserer Gesellschaft von diesem Zinssystem profitieren, während 85 Prozent letztendlich drauf zahlen und die Leidtragenden davon sind.
Professor Berger, mit dem ich ein Interview machte, sagte, dass sind sogar noch weniger.[3]
Ja, das sind jetzt Schätzungen, und Schätzungen haben immer nur einen ungefähren Charakter. Ich will mich jetzt auch nicht auf eine exakte Zahl festlegen. (Man sollte sich dafür einsetzen, dass darüber mal aussagefähige offizielle Statistiken erstellt werden, was bis heute nicht der Fall ist). Aber in diesen Größenordnungen bewegt sich das. Das heißt, viele auch aus den Mittelschichten und den unteren Oberschichten unterliegen der Illusion, sie würden vom Zinssystem profitieren, weil sie jährlich Zinserträge auf ihre Geldanlagen bekommen. Was sie dabei aber normalerweise überhaupt nicht mit im Blick haben, sind die unsichtbaren Zinslasten, die jeder auch dann trägt, wenn er sich nie verschuldet hat. Allein dadurch, dass man Konsumgüter kauft. In all den Konsumgüterpreisen steckt nämlich ein bestimmter Teil an unsichtbaren Zinslasten drin. Der wird im Durchschnitt zwischen 33 und 40 Prozent geschätzt. All die Zinslasten, die auch schon die vorgelagerten Produktionsstufen in ihren Preisen haben und die man aufsummieren oder kumulieren müsste, finden sich unsichtbar und verdeckt in den Konsumgüterpreisen.
Ähnlich ist es auch bei den Steuern, wenn überhaupt Steuern gezahlt werden. Gerade die Oberschichten haben ja eine ganze Menge an Möglichkeiten, um sich der Gewinnsteuer bzw. Einkommensteuer mehr oder weniger zu entziehen. Aber ein Großteil der Bevölkerung kommt nicht drumherum, Steuern zu zahlen. Auch in den Steuern steckt zunächst einmal ein bestimmter Prozentsatz an Zinslasten des Staats drin, die der Staat an seine Gläubiger zahlen und abführen muss. Darüber hinaus gibt es auch noch unsichtbare Zinslasten in den Staatsausgaben, zum Beispiel dadurch, dass der Staat Infrastruktur-Investionen und Bauaufträge nachfragt. Denn dabei bezahlt er ja auch die Zinslasten der Baufirmen mit. Auch das müsste kumuliert und aufsummiert werden, und dann wird man auch beim Staat auf Prozentsätze um die 40 Prozent Zinslasten kommen.
In den Konsumgütern und in den Steuern ist also ein erheblicher Anteil an unsichtbaren Zinslasten enthalten – von den sichtbaren Zinslasten für die, die Kredite aufgenommen und sich verschuldet haben, mal ganz abgesehen. Wenn man nun gegenüberstellt: Wie viel fließt bei dem einzelnen privaten Haushalt in die eine Tasche in Form von Zinserträgen, und wie viel fließt aus der anderen Tasche wieder heraus in Form von unsichtbaren Zinslasten, dann sind es nur diese ungefähr 15 Prozent der sehr Vermögenden, die solch große Vermögen und Zinserträge (oder auch Renditen) haben, dass sie die unsichtbaren Zinslasten übersteigen.
Das heißt, es findet in diesem Zinssystem unverstanden, unsichtbar und unbewusst eine ständige Umverteilung von unten nach oben statt – und dies aufgrund der Zinseszinsdynamik auch noch in sich beschleunigendem Maße. Denn das, was diese 15 Prozent immer wieder dazu gewinnen, muss ja irgend woher kommen, und das kommt von den 85 Prozent, die in dem Zinssystem permanent drauf zahlen.
Führen diese Umverteilung und die stets höher schnellende Staatsverschuldung notwendig in eine Plutokratie und macht Demokratie zu einer Farce?
Wie gesagt, wenn es mit dem Hinweis auf die vermeintlichen Sachzwänge in der Politik heißt: Das ist ja alles schön und gut, wir würden auch gerne da noch mehr Gelder rein geben, und dort ist noch etwas dringend erforderlich und da, aber es lässt sich nicht finanzieren, es muss gekürzt werden, dann heißt das: der Gestaltungsspielraum von Politik wird immer mehr eingeengt. Letztlich kann man dann durch das, was das Finanzsystem an Vorgaben macht, was es sozusagen diktiert, als einen Weg in die Finanzdiktatur sehen.
Was sagt uns eigentlich die Tatsache, dass in den Kapitalmärkten Derivate herumschwirren, die vom Wert her circa dem zwölffachen dessen entsprechen, was die Weltwirtschaft maximal jährlich zu leisten imstande ist?
Das zeigt eigentlich den ganzen Wahnsinn, dass dort Forderungen entstanden sind aufgrund von Wetten. Ich spreche ja von einem globalen „Wetten, dass…?“ Da geht es ja gar nicht mehr darum, mit konkreten Aktienkursen oder mit Aktien zu spekulieren, sondern es werden Wetten abgeschlossen auf Kursentwicklung von Aktien, auf Kursentwicklung von Staatsanleihen, auf die Kursentwicklung von Devisen usw. Nun kann man sagen: Ja, Glücksspiele hat es immer gegeben, obwohl die ja zum Teil auch gesetzlich verboten sind, allemal solche Ketten- und Pyramidenspiele.
Im Weltfinanzsystem haben wir aber ein Pyramiden- oder Kettenspiel vor uns, und das ist bislang legal, da sind keine hinreichenden gesetzlichen Schranken errichtet worden. Wo es sie mal gab, sind sie durch den Neoliberalismus niedergerissen worden. Durch dieses Hineinfluten von aus dem Nichts geschöpftem Geld in die Finanzmärkte, konnte eine längst fällige Kurskorrektur – also von überhöhten Kursen, damit sie sich mal wieder dem realwirtschaftlich begründeten Niveau annähern – immer wieder heraus geschoben werden. Nur wird dadurch das Problem natürlich nicht gelöst, sondern es wird in die Zukunft verlagert und verschärft.
Und deswegen – ich habe die Tendenzen, wie gesagt, schon längst vor der Weltfinanzkrise gesehen – war es absehbar, dass es schließlich kippen musste. Man kann da kein Datum angeben. Es braucht manchmal nur relativ belanglose Auslöser, die dann oftmals als die eigentlichen Ursachen hingestellt werden. Nein, die Ursachen liegen in der Dynamik des Geld- und Zinssystems und in dieser Art der Geldschöpfung, über die ich schon in Andeutungen einiges gesagt habe.
Als Lehre aus der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre gab es in den USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt übrigens ein Gesetz, das für eine strikte Trennung zwischen Kreditbanken und spekulativen Investmentbanken gesorgt hat – der sogenannte „Glass-Steagall-Act“. Unter dem Einfluss des Neoliberalismus wurde dieses Gesetz 1999 unter Präsident Clinton wieder aufgehoben, und damit kam es zu einer neuerlichen Vermengung von realwirtschaftlichen Kreditgeschäften und spekulativen Finanzgeschäften. Damit gab es grünes Licht für die unglaublichen Spekulationsblasen einschließlich der Derivate an den internationalen Finanzmärkten. Eine Rückkehr zum sogenannten „Trennbankensystem“ wäre übrigens einer der notwendigen Schritte, um künftigen ähnlichen Krisen vorzubeugen – und um all die Forderungen aus spekulativen Finanzgeschäften zu entwerten, anstatt sie mit aller Gewalt von den Schuldnern einzutreiben.
Ist es zutreffend, dass im Finanzsystem ein ganz wesentlicher, aber kaum beachteter Grund dafür begraben liegt, dass wir viel mehr Ressourcen und Energieträger wie Öl verbrauchen müssen als eigentlich rational notwendig wäre, da das Finanzsystem ewiges Wachstum von der Real-Wirtschaft verlangt, um überdauern zu können – und zwar deswegen:
“Our current money system requires constant growth so as to enable repayment of the interest on the debts that created the money to begin with.”[4]
Ja, ich meine, da war schon die Antwort auf die Frage drin (lacht). Es ist in der Tat so. Das bestehende Geldsystem erfordert ein exponentielles Wachstum der Produktion, was aber auf Dauer nicht möglich ist. Deswegen sinken ja auch mit begrenzten Absatzmärkten und begrenzten Ressourcen (und dadurch steigenden Kosten und tendenziell sinkenden Erlösen) die Durchschnittsrenditen in der Realwirtschaft, und dann wird es uninteressanter in die Realwirtschaft weiter zu investieren. Das ist auch der Grund, warum diejenigen, die Geld übrig haben oder die sich noch Geld über Kredite beschaffen können, verstärkt ihr Glück woanders suchen – in Glücksspielen, also an den spekulativen Finanzmärkten. Und darin ist die Tendenz zur Blasenbildung angelegt. Sowohl dieses Auf-Deubel-komm-raus-Wachstum (was aber auf Dauer gar nicht realisiert werden kann) als auch das Ausweichen auf die spekulativen Finanzmärkte und die Blasenbildung, beides sind verheerende Tendenzen, die sich schließlich krisenhaft entladen müssen.
Und um noch einmal auf die Rohstoffe zurückzukommen, das ist ja ein Teilaspekt eben dieses Wachstumszwangs: wachsende Produktion braucht im Großen und Ganzen ein wachsendes Maß an Ressourcen, trotz Recycling usw. Und die Ressourcen sind im Großen und Ganzen nicht unbegrenzt verfügbar, und es treibt in die Rohstoffkrise. Dann werden übrigens auch die Rohstoffe an den Rohstoffmärkten zusätzlich noch zum Objekt der Spekulation. Nicht nur, dass in der Real-Wirtschaft mehr und mehr Rohstoffe verarbeitet werden müssen, sondern es stürzt sich die Spekulation auch noch auf die Rohstoffe, um über den Preisentwicklung Wetten abzuschließen.
Wenn sich die Spekulation dann gar auf Lebensmittel und auf die Entwicklung der Agrarpreise stürzt, treibt das die Lebensmittelpreise spekulativ in die Höhe mit der Folge, dass in vielen Teilen der Welt Menschen verhungern, weil sie sich diese Lebensmittel nicht mehr leisten können. Es sind so viele höchst problematische Aspekte im Kern mit dieser Struktur und Dynamik des Geldsystems verbunden.
Wenn das Energieangebot, dass die Wirtschaft „befeuert“, zurückgeht, stößt dann das Finanzsystem unheilbar an seine Grenzen – und ist das ein Grund dafür, dass dieses Phänomen des Peak Oil und Peak Gas so wenig erörtert wird?[5]
Dieses Geld- und Zinssystem und diese Art von Geldschöpfung erzwingen immer mehr Wachstum, was aber gar nicht realisiert werden kann, und dadurch führt es in immer stärkere Beanspruchung der Rohstoffe. Insofern ist das ein Faktor von der Ressourcenseite, der das an sich vom Zinssystem geforderte Wachstum begrenzt. Und wenn es nicht mehr so wächst, kommt es zu der Problematik, die ich zu Anfang schon dargestellt habe: dann fressen allein die Zinslasten der Gläubiger immer mehr auf und es treibt in Finanzkrisen, und die Finanzkrisen müssen Rückwirkungen haben auf die jeweiligen Real-Wirtschaften und Staatshaushalte.
Es ist ja auch erkennbar, dass die Verschuldung nicht beschränkt geblieben ist auf die privaten Haushalte oder Unternehmen, sondern zunehmend auch die Staaten tief in die Verschuldung geraten sind, bis an den Rand von Staatsbankrott. Da ist der Anteil der knapp werdenden Rohstoffe ein Teil davon, die nicht beliebig ausweitbaren Absatzmärkte sind ein anderer Begrenzungsfaktor. Aber selbst wenn diese Engpässe nicht da wären, wäre es der komplette Wahnsinn, eine reale Produktion auf diesem Wachstumspfad exponentiellen Wachstums anzustreben, weil das in Dimensionen hineingeht, die vollkommen jeden Rahmen in einer Welt begrenzter Ressourcen und Absatzmärkte, und überhaupt in einer Welt mit Raum und Zeit sprengen müssen
Kann es sein, dass es immer wieder neue Kriege gibt, weil sie vor allem eines sind: rentabel?
Kriege kann man durchaus in diesen Zusammenhang mit einbeziehen. Ich will nicht sagen, dass alle Kriege diesen Hintergrund haben und gehabt haben müssen. Aber wenn etwa die Verschuldungsbereitschaft und Verschuldungsfähigkeit von privaten Haushalten, privaten Unternehmen und von Staatshaushalten auf Grenzen stößt – und das hatten wir ja in der politischen Diskussion, dass es hieß: der Staat muss seine Verschuldung begrenzen und zurückfahren – dann ist das aus der Sicht der Geldvermögenden (die ja darauf aus sind, dass ihr Geldvermögen exponentiell weiter wächst) etwas zutiefst Unerfreuliches und Unerwünschtes. Wenn sich schon die privaten Haushalte und Unternehmen nicht weiter zu noch mehr Verschuldung verführen lassen und der Staat sich in der Politik auch schon einer weiter wachsenden Verschuldung entgegen stellt, dann gibt es ein wirksames Mittel, das schlagartig jede Diskussion um die Staatsverschuldung in den Hintergrund treten lässt, und das ist immer wieder der Krieg gewesen – bis in die jüngste Vergangenheit. Und die nötigen Anlässe zum Kriegsbeginn oder zum Kriegseintritt haben sich immer wieder ergeben – oder wurden geschaffen.
Der Krieg kostet sehr viel Geld, das mit einfacher Steuererhöhung nicht aufzubringen ist. Eine Regierung würde sich mit Steuererhöhungen auch sehr unbeliebt machen und nicht gerade Begeisterung für den Krieg bei der Bevölkerung hervorrufen. Deshalb muss er irgendwie anders finanziert werden, und also wird der Staat noch einmal schubartig in eine tiefere Staatsverschuldung hinein getrieben mit einem Geld, das im bestehenden Geldsystem von Anfang an mit Zinsen verknüpft und belastet ist. Also hat jeder Krieg auch den Aspekt, die bis dahin schon erkennbaren Grenzen weiterer Staatsverschuldung noch einmal schubartig weiter hinauszuschieben, und damit die Geldvermögen weiter anwachsen zu lassen.
Für eine notwendige Neugestaltung des real-existierenden Geldsystems fordern Sie, dass die Geldschöpfung in öffentliche Hand gehört, quasi als „4. Säule der Gewalt.“ Könnten Sie das genauer ausführen?
Das ist ein Teil dessen, was ich an Reformen des Geldsystems für notwendig halte. Ich will mal kurz darauf eingehen. Es ist die Frage: warum eigentlich muss sich der Staat, der doch öffentliche Aufgaben erfüllen soll, mit einem Geld finanzieren, das mit Zinsen belastet ist und das er, wenn es Staatsschuld ist, auch zurückzahlen muss? Wäre nicht mindestens denkbar, dass eine geldschöpfende Instanz, die ja ohnehin Geld aus dem Nichts schöpfen kann, dieses Geld ohne Zinslast direkt dem Staat zufließen lässt? Nicht etwa auf Deubel komm raus in unbegrenztem Maße, denn das wäre die Gefahr einer Hyperinflation, sondern in wohl dosiertem Maße, so dass eine Inflation vermieden wird. Dieses Geld würde dann der Staat verwenden und damit Nachfrage entfalten können. In dem Fall wäre die Geldemission eine ganz andere, denn das Geld käme insoweit nicht über Kredit in den Wirtschaftskreislauf, sondern auf dem Weg über Staatsausgaben – und ohne Zinsen.
Es wäre sogar dran zu denken, wenn der Staat mit einem solchen Geld wichtige öffentliche Aufgaben wie Infrastruktur-Investionen finanziert, dass er nun dieses Geld nicht wieder aus dem Kreislauf herausziehen muss, um es zurückzuzahlen, sondern tilgungsloses Geld von der geldschöpfende Instanz zur Verfügung gestellt bekommt. Wenn allerdings die Geldschöpfung in privaten Händen liegt, ist die Realisierung eines solchen Modells praktisch undenkbar, denn das liegt nun alles andere als im Interesse privater Geldschöpfer.
Also ist die nächste Forderung, die ohnehin zu formulieren wäre: Geldschöpfung gehört in öffentliche Hand, nicht in die Hand privater oder im Wesentlichen von privaten Anteilseignern getragener Zentralbanken wie der Fed, auch nicht (was die Giralgeldschöpfung angeht) in die Hand privater Geschäftsbanken. Geldschöpfung, und zwar Bargeld und Giralgeld, gehören in die Hand einer öffentlichen Institution. Allerdings nicht in die Hand von Regierungen, denn Regierungen können diese Geldschöpfung für ihre Interessen mißbrauchen, und das kann dann tatsächlich in Hyperinflation treiben. Deshalb braucht es eine gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber der privaten Finanzwelt unabhängige monetäre Instanz oder Institution. Da ist mir irgendwann mal der Begriff „Monetative“ eingefallen: Neben der Legislative (dem Parlament), der Exekutive (der Regierung) und der Judikative (dem Rechtssystem) sollte noch eine vierte Säule des Staatsgebildes geschaffen werden, eben die Monetative. Deren Aufgabe wäre es dann, Geld in wohl dosiertem Maße zu schöpfen und die Geldmenge zu steuern, und zwar nach gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kriterien und nicht, wie das bisher bei einem großen Teil der Geldschöpfung der Fall ist, nach privatwirtschaftlichem Gewinninteresse.
Damit könnte die derzeit im bestehenden Geldsystem überschießende Kreditvergabe des Bankensystems in Boom-Zeiten und dann das Umkippen ins Gegenteil, in die Kreditklemme in Zeiten der Krise, vermieden werden, und es könnte eine Stetigkeit in die Geldversorgung gebracht werden. Diese Idee einer Monetative ist mittlerweile auch von einigen anderen aufgegriffen worden. Im Internet ist das nachzulesen unter:
In diese Initiative hat Joseph Huber, Professor an der Universität Halle, auch seine Idee eines sogenannten „Vollgeldes“ oder eines „100-Prozent-Geldes“ eingebracht. Das Geld soll nicht nur zum Teil aus Bargeld und einem darüber aufgebauten großen Teil an Giralgeld der Geschäftsbanken bestehen, sondern es soll zu 100 Prozent von der Zentralbank oder Monetative geschöpft werden und in vollem Maße auch gesetzliches Zahlungsmittel sein, sowohl das Bargeld wie das von der Monetative geschaffene Giralgeld.
Das sind Reformvorschläge, die an diesem Punkt ansetzen, und die die Möglichkeit beinhalten, dass die Staaten und die Staatshaushalte sich wirklich aus ihrer immer gigantischer gewachsenen Verschuldung hinaus bewegen können – also nicht nur die Neuverschuldung zurückfahren, sondern auch den Schuldenberg abtragen und frühere aufgenommene Kredite tilgen können, mit einem neu aufgenommenen Geld von Seiten der Monetative. Damit könnte der Berg der Staatsschulden allmählich abgeschmolzen werden, ohne dass es solch drastischer Spar- und Kürzungsprogramme bedarf, wie es im bestehenden Geldsystem jetzt immer mehr um sich greift.
Wenn wir dann eine solche monetative Institution haben, wie fügt die sich denn in den demokratischen Prozess insgesamt ein? Wer hat da eigentlich Einfluss zu bestimmen, wer darin sitzt in dieser Institution?
Auf jeden Fall sollte sie transparent sein, im großen Gegensatz zur Fed. Die Fed lässt sich bis heute nicht in die Karten gucken. Für die Fed trifft der Satz zu: „Doch wie‘s da drin aussieht, geht niemanden was an“. Das darf so nicht aufrecht erhalten bleiben. Es ist Transparenz in der Rechnungslegung und in der Geldpolitik zu fordern, und natürlich auch Verantwortung gegenüber den Parlamenten und der Öffentlichkeit. Auch in der Besetzung ist darauf zu achten, dass dort nicht nur Leute aus der Bankenwelt das Sagen haben und in die Entscheidungsgremien berufen werden. Und es wäre sicherzustellen, dass sachlich begründete Kriterien für die Entwicklung der Geldmenge und der Geldmengensteuerung formuliert werden, sodass dort der Willkür deutlich Schranken gesetzt werden.
Die einzelnen Ausgestaltungen sind noch nicht ausformuliert. Die ganze Idee ist ja gerade mal am Beginn, in eine gewisse Öffentlichkeit hinein getragen zu werden, und es wird erst einmal überhaupt darauf ankommen aufzuzeigen: es gibt denkbare Alternativen, und die sind dann auch in vieler Hinsicht funktionsgerechter. Das bestehende Geldsystem ist in so vieler Hinsicht in seinen Konsequenzen verheerend, dass es dringender Anstrengungen bedarf, und ich würde auch sagen, eines gesellschaftlich kreativen Prozesses, um nach trag- und zukunftsfähigen Alternativen zu suchen bzw. Ideen, die dazu schon entwickelt wurden sind, überhaupt einmal aufzugreifen und zu diskutieren.
Als letztes hätte ich eine eher persönliche Frage, und zwar: Wie gehen Sie denn mit dem, worüber wir gesprochen haben, nämlich dem Wahnsinn um, der tagtäglich zu beobachten ist?
Ja, man könnte ja meinen, dass man fast verzweifeln müsste an diesen Zusammenhängen, die sich da mehr und mehr offenbaren. Mir selber ist es immer wieder so gegangen, wenn ich etwas überhaupt nicht verstanden und sozusagen im Dunkeln getappt oder wie im Nebel herum gestochert habe, war das verbunden mit großem Unbehagen und einer großen Desorientierung. In dem Maße, wie mir Zusammenhänge mehr und mehr klar geworden sind, wie ich sie verstanden habe, ging das zunächst mal einher mit einer Art Erfolgserlebnis, selbst dann, wenn die Erkenntnisse schmerzhaft und erschütternd waren. Mir scheint es besser zu sein, die Augen zu öffnen und Verdrängungen aufzulösen. Das scheint mir auch für ganze Gesellschaften zu gelten.
Die ganze Problematik des Geld- und Zinssystems in der Geldschöpfung unterliegt seit mehreren Jahrhunderten einer kollektiven Verdrängung. Und wenn die Gesellschaft in dieser Verdrängung gefangen bleibt, werden die Probleme dadurch nicht etwa gelöst, sondern sie brechen über die Gesellschaft unverstanden und unkontrollierbar herein und führen immer wieder zu Katastrophen. Das heißt, die Bewusstmachung, die Aufhebung und Überwindung der Verdrängung beinhaltet überhaupt erst die Chance, aus diesen destruktiven Dynamiken sich heraus zu bewegen. Das geht dann auch einher mit einer großen Hoffnung.
Was ich beobachte in den letzten zwei Jahren seit Zuspitzung der Weltfinanzkrise ist, dass viele Menschen, die sich vorher überhaupt nie für solche Themen interessiert haben, die auch dachten, das verstehen sie sowieso nie, und das ist alles so trocken, oder das widert sie vielleicht sogar irgendwie an, sich mehr und mehr mit diesen Fragen beschäftigen. Ich habe eine Flut von begeisterten E-mails und auch Telefonanrufen bekommen oder Rückmeldungen auf Veranstaltungen, wo ich über diese Zusammenhänge gesprochen habe, fast überwiegend in der Richtung großer Dankbarkeit der betreffenden Menschen dafür, dass sie Zusammenhänge mehr und mehr begreifen konnten, die sie vorher überhaupt nicht begriffen haben. Und ich habe ein Vertrauen darauf, dass sich auf dieser Grundlage mehr und mehr Kreativität entfaltet, die dazu beiträgt, dass sich die Verhältnisse auf vielen Ebenen zum Besseren wenden.
Es machen sich viele Menschen, viel mehr als noch vor zwei Jahren, ernsthafte Gedanken darüber, an welchen Stellen die grundlegenden Probleme verankert sind und wie alternative Wege eingeschlagen werden können. Sei es erst mal im kleinen Maßstab, das sind ja zum Beispiel diese Modelle von Regiogeld, von Regionalwährungen ergänzend zu dem bestehenden Geldsystem (man spricht auch von „Komplementärwährungen“), oder auch, dass auf der Ebene der nationalen, ja sogar der internationalen Währungssysteme grundlegende Änderungen eingefordert werden sollten. Es hat immer wieder in der Geschichte erst mal nur kleine Gruppen gegeben, die neue Ideen in die Gesellschaft hinein getragen haben. Und wenn die Zeit reif dafür ist, dass solche Ideen aufgegriffen werden und sich ausbreiten, dann sind sie immer schwerer aufzuhalten.
Damit verbinde große Hoffnungen. Übrigens auch, dass sich Menschen, die sich jetzt noch in den höheren Etagen der Gesellschaft befinden und die zum Teil noch sehr geblendet sind von der herrschenden Ideologie, mehr und mehr dazu kommen, über die Struktur und Dynamik des bestehenden Systems zutiefst zu erschrecken. Ich kenne etliche Beispiele konkreter Personen, bei denen das in den letzten Jahren geschehen ist, und die sich auf neue Wege begeben haben und mit dazu beizutragen, zukunftsweisende Ideen zu verbreiten und ihre Umsetzung einzufordern.
Vielen Dank dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Professor Senf!
Ich bedanke mich auch.
Origanaltext erschienen bei chaostheorien.de
Quellen:
[1] Vgl. Andrew Ross Sorkin: “Volcker says the ‚Financial System Is Broken“, veröffentlicht auf Deal Book-Blog/New York Times am 24. September 2010 unter: http://dealbook.blogs.nytimes.com/2010/09/24/volcker-financial-system-is-broken/
[2] Vgl. George Washington: “German Central Bank Admits that Credit is Created Out of Thin Air”, veröffentlicht auf Business Insider am 20. März 2010 unter: http://www.businessinsider.com/german-central-bank-says-credit-is-created-out-of-thin-air-2010-3
[3] Vgl. Lars Schall: „Von den Nebenwirkungen des Geldparadigma“, Interview mit Prof. Wolfgang Berger, veröffentlicht auf chaostheorien.de am 23. Juli 2010 unter: http://www.chaostheorien.de/dossier/-/asset_publisher/Udr2/content/peak-oil-und-die-finanzsystemkrise?redirect=%2Fdossier
[4] Vgl. Lars Schall: “How much oil is left?“, Interview mit Richard Heinberg, veröffentlicht auf chaostheorien.de am 7. April 2010 unter: http://www.chaostheorien.de/interviews/-/asset_publisher/rAD9/content/how-much-oil-is-left?redirect=%2Finterviews
[5] Vgl. Lars Schall: „Peak Oil und die Finanzkrise“, Interview mit Thomas Seltmann, veröffentlicht auf chaostheorien.de am 12. April 2009 unter: http://www.chaostheorien.de/dossier/-/asset_publisher/Udr2/content/peak-oil-und-die-finanzsystemkrise?redirect=%2Fdossier
Nachtrag
Audiomitschnitt zum Nachhören: