Thüringer Bauern Opfer der Bahnmodernisierung – Justiz und Gesetz lässt Gönnataler Agrar eG im Regen stehen
Im Zuge der Modernisierung der Deutschen Bahn und der damit einhergehenden Umrüstung auf immer mehr Automatisierung fallen viele Arbeitsplätze weg, die zuvor in kleineren regionalen Stellwerken und inzwischen schon recht nostalgisch anmutenden Schrankenwärterhäuschen vorhanden waren. Abgebildetes Foto aus dem Jahr 2003: Posten 50 in Zeutsch an der Saalebahn. Der Posten 50 wurde im Jahr 2004 ausser Betrieb gesetzt und ist heute abgerissen. Dieser Streckenabschnitt wird seit 2004 von Leipzig aus elektronisch fernbedient. (Foto und copyright by Steffen Tautz, Jena)
Unter anderem wird der Bahnverkehr der „Saalebahnstrecke“ zwischen Jena-Göschwitz und Grossheringen von dem ESTW Leipzig, einem elektronischen Stellwerk der Bauart Alcatel geregelt, dass im Jahr 2004 in Betrieb genommen wurde und als Schaltzentrum der Bahn in Mitteldeutschland fungiert. Täglich werden über 750 Zügen elektronisch gesteuert. Die historischen Bahnanlagen, die Streckenführungen, Signalanlagen und Weichen wurden und werden noch entsprechend modernisiert. Dreiundzwanzig Stellwerke wurden durch das ESTW Leipzig ersetzt. Die Relationen des Fernverkehrs untereinander sollen mit einem optimierten Nahverkehr etappenweise besser verknüpft werden. (1)
Hans-Jürgen Lücking, der Bevollmächtigte der Deutschen Bahn für den Freistaat Sachsen sagte im September des Jahres 2004 auf einer Pressekonferenz:
“Die Modernisierung des bedeutendsten mitteldeutschen Verkehrskreuzes erreicht in wenigen Tagen eine neue Phase. Die Hightech-Stellwerke sind die Voraussetzung für weitere Infrastrukturprojekte in der Region wie die Einbindung der S-Bahn Halle –Leipzig und den Bau des Citytunnel.“
Sechs Jahre nach Inbetriebnahme des ESTW Leipzig wurde dem Thüringer Landwirtschaftsbetrieb Gönnataler Agrar eG durch die Erneuerungen der Strecke der Saalebahn der einzige Zugang über einen beschrankten Bahnübergang auf sein dreissig Hektar grosses, bewirtschaftetes Feld bei Kilometer 16,3 zwischen Jena und Dornburg in Thüringen durch die Deutsche Bahn AG in völliger Kenntnis der Umstände bewusst und ohne Rücksicht abgeschnitten.
Vor ein paar Tagen rückten ohne vorherige Benachrichtigung des Pächters des Feldes schwere Baumaschinen an und schafften vollendete Tatsachen, indem sie den beschrankten Bahnübergang abrissen und sogar den Asphalt zwischen den Schienen wegpickerten und das Schotterbett der Gleise freilegten.
Die Landwirte können mit ihren Mähdreschern und Traktoren mit Anhängern so nicht mehr auf ihr Feld fahren, was ohne die Schranke auch verboten und nicht möglich gewesen wäre ohne ein Unglück auszulösen.
Zusätzlich wurde der ohnehin unpassierbar gemachte Bahnübergang noch demonstrativ mit – ausgerechnet – Eisenbahnschwellen verbarrikadiert.
„Ende im Gelände“ schrieb dazu die Ostthüringer Landeszeitung am 17.November 2010, die den Chef der Gönnataler Agrar eG, Klaus Sammer in einem Artikel zu diesen Vorgängen interviewt hatte. (2)
Klaus Sammer berichtete, dass er mit seinem PKW auf der Fernverkehrstrasse von Dornburg Richtung Jena fuhr und die Bagger und Bauarbeiter bei ihrem Werk gesehen hatte. Die Baufirma arbeitete im Auftrag der Deutschen Bahn, die gegen das Interesse des Landwirtschaftsbetriebes angesichts der Tatsache, dass es sich hier um den einzig möglichen Weg auf das Feld handelte, den Auftrag dazu vergeben hatte.
„Die Bahn hat jetzt in einer Sache vollendete Tatsachen geschaffen, über die wir seit drei Jahren streiten“, sagte Sammer und erläuterte weiter „Wir haben oder hatten wahrscheinlich die einzige noch funktionierende Rufschrankenanlage Deutschlands“ Auch wenn die Fahrzeuge manchmal eine Stunde warten mussten, bis sie die Gleise passieren konnten, so habe man das hingenommen. „Anders kamen wir eben nicht aufs Feld.“
Früher sei dies noch an zwei, drei anderen Bahnüberwegen zwischen Dornburg und Porstendorf möglich gewesen, doch seien die in den 60er bis 80er Jahren eliminiert worden. „Es gab ja immer noch diesen Überweg hier“, zitierte die Zeitung Sammer.
Im Planfeststellungsverfahren wurde dieser „Bahnübergang 16,3“ gestrichen und als alternative Zufahrt auf das Feld, dass am gegenüberliegenden Ende der Bahnstrecke von dem Fluss Saale begrenzt wird, einfach ein imaginärer Weg über ein privates Gelände eines anderen Eigentümers eingezeichnet, der in Wirklichkeit nicht existiert.
„Die Planer haben in die alten Katasterkarten geschaut und eine gestrichelte Linie als Weg definiert. De facto ist an dieser Stelle ein Graben im Feld.
Wir haben diese Einwände im Planungsverfahren geltend gemacht, vom Landesverwaltungsamt Recht bekommen, doch die Bahn hat den Widerspruch nicht akzeptiert.“ Auch das Oberverwaltungsgericht als nächste Instanz hat die Begründungen als „nicht ausreichend“ befunden und die Klage zurückgewiesen.
Der Thüringer Landwirtschaftsbetrieb hat ein Notwegerecht bei der Bahn geltend gemacht „Das war im Frühjahr, darauf haben wir bis heute keine Reaktion der Bahn, ausser dieser“, sagt Sammer und zeigt auf den verbarrikadierten Bahnübergang.
Nur über einen Weg können die Bauern jetzt noch auf ihr Feld kommen: die Grundstückseigentümer müssen vor einem Zivilgericht das „Notwegerecht“ einklagen, so die OTZ.
Quellen:
(1) http://www.bahn-aktuell.net/Archiv2004/ESTWL/
(2) http://jena.otz.de/web/jena/startseite/detail/-/specific/Barrikade-vorm-Acker-in-Dornburg-1588297519