Was, wenn der Staat Straftaten anklagt, an denen er selbst mitgewirkt hat?
Perfide Methoden, sich unliebsamer Aktivisten des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) zu entledigen, die sich gegen die grausame Massentierhaltung einsetzten – dickes Lob dagegen für die „kriminelle Organisation“ vom österreichischen Gesundheitsminister
Robert Misik in dem Videobeitrag „Der Tierschützerprozess muss sofort eingestellt werden“ im Standard vom 28.November 2010 über den Einsatz einer verdeckten, aber in der Gruppe der Aktivisten ausserordentlich aktiven Polizeibeamtin in Österreich.
„Der Tierschützerprozess war von Beginn an eine schiefe, wackelige Angelegenheit – beginnend mit der Anklage nach Paragraph 278a, dem Anti-Mafia-Paragraphen. Trotz eines Monsterverfahrens hat man der derart konstruierten „kriminellen Organisation“ bisher nicht viel nachweisen können – nicht einmal ihre Existenz. Aber jetzt ist die ganze Anklage mit einem großen Knall noch fragwürdiger geworden.“
Was, wenn der Staat Straftaten anklagt, an denen er selbst mitgewirkt hat?
Am 13. Dezember 2010 soll die verdeckte Ermittlerin im Wiener Neustädter Tierschützer-Prozess auf Antrag der Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeugin aussagen. Monatelang hatte sie der Gruppe angehört, nachdem sie der Organisation im April 2007 mit fingierten Dokumenten beigetreten war. Seit Mai 2007 begleitete der weibliche Polizeispitzel die Aktivisten auf Veranstaltungen, war bei Blockaden dabei, bei Jagdstörungen sowie bei nächtlichen Plakatierungen – bis zum 10. September 2008. „Sie hat behauptet, sie geht nach Frankreich.“ (2)
Der Verein beauftragte einen Detektiv, der herausfand, dass eine Person unter diesen Namen nie existiert hatte.
In einem den Tierschützern zugespieltem Beschattungsprotokoll wurde offenbar, dass die Frau als „verdeckte Ermittlerin“ bezeichnet wird. In einem Aktenvermerk der Kriminalpolizei stand, dass die Informantin dazu angewiesen wurde, Flaschen der Aktivisten zur DNA-Analyse mitzunehmen.
Besonders brisant wird der Fall für Staatsanwalt Wolfgang Handler und den damaligen Soko-Leiter Erich Zwettler, der am 28. Juli als Zeuge aussagte, es habe keine verdeckte Ermittlung im Ausland gegeben. Der Tierschutzverein könne beweisen, dass die eingeschleuste Beamtin zu einem mehrtägigen Tierschutztreffen verdeckt im behördlichen Auftrag mit nach Holland gereist war. (3)
Gesundheitsminister Alois Stöger hatte zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs in diesem Jahr einen bundesweiten Tierschutzpreis ausgelobt und am 16.November in der Orangerie in Wien an vier Tierschutzorganisationen und sechs Einzelpersonen, die sich rund um den Tierschutz besonders verdient gemacht haben, verliehen. (4)
„Leider werden Tiere noch immer oft nur als Ware gesehen und vor allem von der Massenindustrie im Lebensmittelbereich ausgebeutet und gequält. Unsere Preisträger sind das leuchtende Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Sie sind Vorbilder, die uns zeigen, wie man respektvoll mit Tieren umgeht“,
sagte Nina Prehofer, die im Auftrag des Ministers die Vorauswahl für die Jury mit durchführte.
Nominiert wurde auch die angebliche „kriminelle Organisation“ Verein gegen Tierfabriken (VgT). Der Gesundheitsminister würdigte seine Arbeit für die Abschaffung von Legebatterien in der Eierproduktion und den Ausstieg aus dem Pelzhandel von Peek&Cloppenburg.
Bemerkenswert dabei ist, dass genau diese beiden Kampagnen auf Weisung des ÖVP-Justizministeriums im Strafantrag der Wr. Neustädter Staatsanwaltschaft als zentrale Kampagnen einer kriminellen Organisation im Tierschutz gesehen werden, hiess es in einer Pressemeldung vom 17.November, in der auch der VGT-Obmann Dr. Martin Balluch mit den Worten zitiert wurde (5):
„Alle Menschen, denen Tierschutz am Herzen liegt, und allen voran der mit den Tierschutzagenden befasste SPÖ-Minister Alois Stöger, haben nicht nur längst erkannt, dass es keine kriminelle Organisation im Tierschutz gibt, sondern auch, dass unsere Erfolge, wie das Legebatterieverbot und der Pelzausstieg vieler Firmen, als großer Fortschritt im Sinne der Tiere zu begrüßen sind. Gestern wurden wir dafür sogar von staatlicher Seite belobigt.
Die von der ÖVP geleiteten Ministerien für Justiz und Polizei haben dagegen offenbar eine andere Agenda. Sie sehen dieselben Erfolge als Bedrohung der Wirtschaft und versuchen unsere legitimen Kampagnen zu kriminalisieren.“
Artikel zum Thema
19.09.2010 Nerze “wertvolles ökologisch nachwachsendes Naturprodukt” – Präsident des Pelztierzüchterverbands
Alfons Grosser bezeichnete Tierschützer als Terroristen und Polizei als ihre Komplizen – scheinbar sind jetzt alle Terroristen, die sich für Normalität im Umgang mit der Natur, ihren Pflanzen und Tieren einsetzen: Atom-Terroristen, Gentechnik-Terroristen, Überwachungskamera-Terroristen und so weiter und so fort.
Quellen:
(1) http://derstandard.at/1289608980946/Videocast-von-Robert-Misik—Folge-157-Der-Tierschuetzerprozess-muss-sofort-eingestellt-werden
(2) http://derstandard.at/1289608196001/Polizeispitzel-bei-Verein-gegen-Tierfabriken
(3) http://derstandard.at/1289608752437/Verdeckte-Ermittlerin-am-13-Dezember-Zeugin
(4) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20101117_OTS0024/stoeger-erster-bundesweiter-tierschutzpreis-verliehen
(5) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20101117_OTS0151/gesundheitsminister-verleiht-tierschutzpreis-an-angebliche-kriminelle-organisation