Galileo: Militaristenprojekt als Milliardengrab
Die Ursprünge des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo reichen zurück bis ins Jahr 1998, in dem eine Machbarkeitsstudie der EU-Kommission und der Europäischen Raumfahrtagentur angefertigt wurde.
Offiziell eingetütet wurde das Projekt schließlich durch eine Entschließung des EU-Rates am 5. April 2001. Angekündigt als rein ziviles – und wirtschaftlich vernünftiges – Vorhaben, sollten die ersten drei Galileo-Satelliten ursprünglichen Planungen zufolge bereits 2006 in Betrieb genommen werden.
Vordergründig hieß es, man wolle sich eine Scheibe vom profitablen Navigations-Kuchen abschneiden, den sich bislang allein das amerikanische GPS-System einverleibt. Wie ein Mitte Oktober 2010 der Presse zugespielter Bericht des Bundesfinanzministeriums zum „aktuellen Sachstand bei Galileo“ nun jedoch einräumt, werden nicht nur die Kosten für den Aufbau des Systems erheblich höher sein als bislang angenommen, vielmehr scheint man die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass Galileo je kostendeckend arbeiten wird: das jährliche Defizit wird im Bericht auf horrende 750 Mio. Euro beziffert!
Dementsprechend deutlich titelte denn die Presse mit Sätzen wie „Fass ohne Boden“ (Frankfurter Rundschau), „Milliardengrab im All“ (Abendzeitung) oder „Dauerhafter Zuschussbetrieb statt Goldesel“ (Heise Online). Allerdings war dies alles absehbar, wie auch denjenigen, die das Projekt verantwortlich auf den Weg gebracht haben, mehr als bewusst gewesen sein dürfte. Das einfachste wäre nun, Galileo einfach abzuschalten und sich so wenigstens die Defizite von jährlich 750 Mio. zu sparen – weshalb dies nicht geschieht, hat jedoch einen einfachen Grund. Bei Galileo geht und ging es nie um ein rein ziviles, kommerzielles Projekt, sondern stets lag der vorrangige „Nutzen“ aus Sicht seiner Befürworter in seinen militärischen Anwendungsbereichen. Geradezu zynisch ist aber, dass inzwischen teils offen eingeräumt wird, dass die von Anfang an geplante militärische Verwendung sogar verhindert hat, ein kommerziell tragfähiges System aufzubauen.
Explodierende Kosten
Für die Galileo-Entwicklungsphase veranschlagte die EU-Kommission 1,8 Mrd. Euro, für die Aufbauphase weitere 3,4 Mrd. Euro. Ursprünglich zielte die Europäische Union darauf ab, von diesen 3,4 Mrd. lediglich ein Drittel selbst aufbringen zu müssen, den Rest sollten private Investoren beisteuern. Nachdem diese Investoren aber – wen wundert‘s – ausblieben, wurde das Geld aus verschiedenen Töpfen mühsam zusammengeklaubt: 1 Mrd. aus dem Budget für die Transeuropäischen Energie- und Verkehrsnetze (TEN), 1,6 Mrd. aus dem EU-Landwirtschaftsfonds sowie 800 Mio. aus dem Forschungsetat. Brisant ist dies u.a. auch deshalb, weil es sich bei Galileo auch um ein militärisches Projekt handelt (siehe unten), der seinerzeit gültige Vertrag von Nizza jedoch die Finanzierung von „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt verbot (Art. 28 Abs. 3).
Der nun an die Presse gelangte Bericht des Finanzministeriums offenbart zudem, dass die Kostenschätzungen – vorsichtig formuliert – extrem optimistisch waren. Allein für die Aufbauphase würden Angaben der EU-Kommission zufolge „zusätzliche Kosten von 1,5 bis 1,7 Milliarden Euro“ anfallen, die Fertigstellung verschiebe sich auf 2017 oder 2018. Brisant ist der Bericht aber insbesondere deshalb, weil man von den ursprünglich angepriesenen wirtschaftlichen Profiten, die das Projekt abwerfen sollte, heute nichts mehr wissen will: „Die Einnahmemöglichkeiten werden deutlich niedriger eingeschätzt als ursprünglich erwartet, weil eine kommerzielle Verwertung der Galileo-Dienste angesichts eines sich erst noch entwickelnden Marktes und der kostenlos verfügbaren Dienstleistungen der anderen Satellitennavigationssysteme schwierig ist.“ Was sich hier anbahnt, nämlich dass Galileo ein gigantisches Zuschussprojekt wird, erhärtet der Bericht schließlich auch mit konkreten Zahlen. Erwarteten Einnahmen von 100 Mio. Euro stehen Betriebskosten in Höhe von 850 Mio. gegenüber, ergo ergebe sich laut Finanzministerium künftig „ein durchschnittlicher jährlicher Mittelbedarf aus dem EU-Haushalt in Höhe von 750 Millionen Euro für den Betrieb.“
Nach der Veröffentlichung des Berichtes war die Empörung groß: Laut dem SPD-Politiker Klaus Hageman, Vorsitzender des EU-Unterausschusses im Haushaltsausschuss des Bundestages, sei es „ein Hammer, dass erst jetzt – nachdem die ersten Teilaufträge für die Satelliten vergeben sind – ans Tageslicht kommt, dass Galileo kein Goldesel, sondern ein dauerhafter Zuschussbetrieb werden wird.“ Tatsächlich sind diese und andere Aussagen verantwortlicher Politiker jedoch mehr als lachhaft, seit Jahren ist es mehr als klar, dass die Gesamtrechnung des Projektes in Richtung der nun präsentierten Zahlen gehen wird. So berichtete der Spiegel bereits am 12. Januar 2008 unter dem Titel „Europäischem ‚Galileo‘-Projekt droht Kostenexplosion“ davon, die Kosten der Aufbauphase würden auf mindestens 5 Mrd. Euro steigen. Auch dass Galileo keinesfalls der angepriesene Goldesel sein würde, war lange bekannt, sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik. So benannte eine Mitteilung der EU-Kommission (Galileo am Scheideweg: Die Umsetzung der europäischen GNSS-Programme) bereits 2007 die Ursache, weshalb sich die Begeisterung von Privatunternehmen in das Galileo-Projekt zu investieren, in engen Grenzen hielt: „Zu den Gründen zählen die Unsicherheiten der kommerziellen Nutzung Galileos aufgrund der Kostenfreiheit des GPS-Signals.“
Nun ist es zwar schwer vorstellbar – aber immerhin möglich –, dass diese und andere Quellen, die schon vor Jahren das nun auch offiziell vom Finanzministerium eingeräumte Finanzdebakel prognostizierten, aus vollkommener Unfähigkeit nicht bekannt waren oder nicht zur Kenntnis genommen wurden. Damit erklärt sich jedoch nicht, weshalb es derzeit keinerlei Stimmen gibt, die sich dafür aussprechen, ein derartig defizitäres Projekt, das jährlich mit einer Dreiviertelmilliarde zu Buche schlägt, einfach stillschweigend zu beerdigen. Selbst ggf. anfallende Konventionalstrafen dürften angesichts der horrenden jährlichen Betriebskosten eher vernachlässigenswert sein. Die Antwort ist relativ simpel: it‘s the military, stupid!
Kostspieliges Militärprojekt
Obwohl stets der zivile Charakter des Galileo-Systems hervorgehoben wird, Galileo ermöglicht explizit auch eine militärische Nutzung und durch dieses System werden künftig autonome – d.h. unabhängig von GPS und damit von den USA erfolgende – EU-Militäreinsätze überhaupt erst durchführbar: ein wesentlicher Schritt hin zu einer Militärmacht EUropa. Insofern wundert es nicht, dass bereits der „Bericht über die Europäische Sicherheitsstrategie und die ESVP“ im Jahr 2008 angab, die Europäische Union „erachtet es als notwendig, die Nutzung von Galileo […] für Sicherheits- und Verteidigungszwecke zu ermöglichen.“ Auch der am 10. Juli 2008 vom Europäischen Parlament verabschiedete Bericht „Weltraum und Sicherheit“ (2008/2030(INI) „betont, dass Galileo für eigenständige ESVP-Operationen, für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und für Europas eigene Sicherheit notwendig ist.“
Im Endstadium soll Galileo fünf verschiedene Dienste anbieten können, von einem frei zugänglichen Service bis hin zu einem streng kontrollierten Öffentlich Regulierten Dienst („Public Regulated Service“ – PRS). Für diesen PRS gelten strenge Sicherheitsauflagen und wer eines letzten Beweises bedurfte, dass Galileo explizit militärisch verwendet werden soll, der bekam diesen kürzlich. Im Oktober 2010 veröffentlichte die EU-Kommission ihren „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Regelung des Zugangs zum öffentlich-staatlichen Dienst“ (KOM(2010) 550 endgültig), aus der eindeutig hervorgeht, dass nahezu jedes EU-Land gedenkt, den PRS für militärische Anwendungen einzusetzen. Weiter geht aus dem Kommissionsdokument hervor, dass der PRS zu etwa 50% militärisch genutzt werden wird (plus weitere 20% für Bereiche der „inneren Sicherheit“). Angesichts dessen ist es geradezu unverschämt, mit welcher Ausdauer der Mythos gepflegt wird, bei Galileo handele es sich um ein „ziviles System unter ziviler Kontrolle“, zuletzt etwa von der EU-Pressemitteilung „Galileo: Sichere Satellitennavigation für Notfall- und Sicherheitsdienste“ (IP/10/1301, 8. Oktober 2010).
Ein regelrechter Hammer ist aber, was die Zeitschrift Technology Review (7/2009) unter Berufung auf Aussagen von Hubert Reile, Programmdirektor Weltraum beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), offenbart. Ein Grund, weshalb Galileo derartig teuer wird, sind die horrenden Baukosten, der andere ist, dass der kommerzielle Markt aufgrund von mehr und mehr Anbietern immer unlukrativer wird. Beide Probleme hätten durch einen Einstieg Chinas erheblich abgemildert werden können, wenn, ja wenn man nicht unbedingt ein Militärsystem hätte haben wollen. „Das Reich der Mitte war 2003 mit einem Beitrag von 280 Millionen Euro bei Galileo eingestiegen – in der Hoffnung, ein gleichberechtigter Partner zu sein. Als sich abzeichnete, dass Galileo nicht nur zivil, sondern auch militärisch genutzt werden sollte, hätten die Europäer aber nicht mehr mit den Chinesen auf allen Ebenen zusammenarbeiten wollen, sagt DLR-Mann Hubert Reile. Die Reaktion: Die noch junge Raumfahrtnation beschloss, ein eigenes System aufzubauen.“
Kritiker wie Frank Slijper, die angaben, für Galileo sei von Anfang an eine primär militärische Nutzung vorgesehen gewesen, lagen also richtig. In seiner Studie „From Venus to Mars“, die vom Transnational Institute veröffentlicht wurde, trifft Slijper zudem folgende düsterere, aber wohl zutreffende Prognose: „Europas eigenem Satellitennavigationssystem soll selbstverständlich eine zentrale Rolle bei jeglichen künftigen Militärinterventionen zukommen, die ein EU-Land involvieren. Es wird demzufolge nicht die Frage sein, ob, sondern wann Galileo eingesetzt wird, um Bomben und Raketen auf ‚Terroristen‘ und andere als solche wahrgenommene Feinde weit außerhalb Europas zu lenken.“
Teils werden geradezu groteske argumentative Klimmzüge unternommen, um dem Projekt dennoch irgendwie einen zivilen Charakter anzudichten. So antwortete die EU-Kommission im November 2009 auf eine parlamentarische Anfrage (E-4479/2009), inwieweit eine militärische Nutzung Galileos sich angesichts des zivilen Charakters ausschließe folgendermaßen: „Der Rat hat bereits mehrfach erklärt, dass es sich bei dem im Rahmen des Galileo-Programms errichteten System um ein ziviles System handelt, das unter ziviler Kontrolle steht. […] Diese im Wesentlichen zivile Bestimmung des Systems schließt jedoch nicht aus, dass es auch zu militärischen Zwecken genutzt werden könnte.“ Unangefochtener Champion ist hier aber ein Beitrag in der der Zeitschrift wehrtechnik (IV/2004), der postulierte, Galileo sei ein ziviles System, denn „die Quelle der Finanzierung ist dabei der Indikator.“ Dies quittierte die IMI-Studie „Aus dem All in alle Welt: Weltraumpolitik für die Militärmacht Europa“ bereits vor über zwei Jahren mit einer Bewertung, die heute aktueller ist denn je: „Für all jene, die dieser Logik nicht folgen wollen, ist Galileo eben kein ziviles Projekt und auch nicht nur ein militärisch-genutztes. Tatsächlich handelt es sich um eine Mischung aus einem Rüstungsprojekt, das mit einem zivilen Infrastrukturvorhaben verschmolzen wurde, um die anfallenden Kosten für die militärische Nutzung auf zivile Budgets abzuwälzen. Es stellt als solches einen wichtigen Beitrag dar, auf dem Weg zur Schaffung einer unabhängigen europäischen Militärmacht, die ohne Rücksicht auf internationale Partner ihre Interessen durchsetzen kann.“
Malte Lühmann und Jürgen Wagner