Die Bundeswehr soll reformiert, ihre Truppen sollen erheblich verkleinert werden. In der Folge dieser sogenannten Reform werden auch eine Reihe bisheriger Bundeswehrstandorte geschlossen werden.
Deshalb hat in den potentiell betroffenen Regionen längst ein Wettkampf um den Erhalt der „eigenen“ Standorte eingesetzt. So mühen sich dann Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker aus den jeweiligen Land- und Wahlkreisen, um deutlich zu machen, dass überall sonst Bundeswehrstandorte geschlossen werden können, nur nicht die im eigenen Wirkungskreis. Etwas salopp gesagt erinnert das ein wenig an Süchtige, die ohne ihre Droge nicht auskommen.
Statt die Chance auf eine Entmilitarisierung und zivile Entwicklung wahrzunehmen, wird voll aufs Militär gesetzt. Statt zu einer Politik des Gewaltverzichts und der zivilen Konfliktbearbeitung beitragen zu wollen wird eine Politik unterstützt, die gemäß ihrer Maxime verfährt: Frieden schaffen mit aller Gewalt.
Wie das dann aussieht, zeigt zum Beispiel unsere Region Sigmaringen. Da hat dieser Tage der Kreistag des Landkreises Sigmaringen über alle Parteigrenzen hinweg einstimmig eine Resolution verabschiedet, in welcher er sich nachdrücklich für den Erhalt der vier innerhalb seiner Kreisgrenzen liegenden Bundeswehrstandorte ausspricht. 1
Resolution des Kreistags Sigmaringen für Erhalt von Standorten
Eine Hauptrolle spielt dabei offensichtlich die Bundeswehr als Wirtschaftsfaktor. „Die Bundeswehr ist mit ca. 5.000 zivilen und militärischen Mitarbeitern der größte Arbeitgeber im Landkreis und damit ein unverzichtbarer Wirtschaftsfaktor bei uns im ländlichen Raum“, heißt es in der Resolution. Und um diese tatsächlichen oder vermeintlichen wirtschaftlichen Vorteile im Kreis Sigmaringen zu erhalten, werden dann weitere Gründe angeführt.
So etwa: „Die Bundeswehr ist im Landkreis Sigmaringen seit über 50 Jahren tief in der Bevölkerung verwurzelt. Der Landkreis ist Soldatenheimat und die Menschen stehen hinter der Bundeswehr und ihrem Auftrag – gerade auch in Zeiten von Auslandseinsätzen, die anderswo kritisch gesehen werden.“
Auch die Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr wird ins Feld geführt. Angesichts der Aussetzung der Wehrpflicht sei eine starke Verbundenheit von Bevölkerung und Bundeswehr enorm wichtig: „Die Bundeswehr wird für die Nachwuchsgewinnung noch mehr als bisher auf den starken Rückhalt und ein hohes Ansehen in der Bevölkerung angewiesen sein. Das ist bei uns in der Region Oberschwaben und insbesondere im Landkreis Sigmaringen gegeben.“
Und es wird betont: „Das enge Verhältnis zwischen Politik und Bundeswehr kommt in den lebendigen Patenschaften zum Ausdruck“.
Einige Anmerkungen dazu.
Reform der Bundeswehr zur weltweit agierenden Interventionsarmee
Zunächst fällt auf, dass sich der Sigmaringer Kreistag für den Erhalt der Bundeswehrstandorte einsetzt, ohne den Zusammenhang zu berücksichtigen, warum die Bundeswehr reformiert und verkleinert wird. Nun ist es ja nicht Aufgabe der Bundeswehr, die Menschen auf dem Land wirtschaftlich zu versorgen. Früher wurde als Aufgabe der Bundeswehr die Landesverteidigung unseres Landes ausgegeben. Doch das hat sich in den vergangenen 20 Jahren ja gewandelt. Und hinter der geplanten Bundeswehrreform steht der weitere Umbau der Truppe zu einer jederzeit und an jedem Ort dieser Erde einsetzbaren Armee. Sie soll gemeinsam mit der NATO die Interessen der westlich-kapitalistischen Staaten absichern und durchsetzen. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat vor Kurzem noch einmal unter Bezug auf das Weißbuch der Bundeswehr von 2006 betont, dass Ziele wie die Sicherung von Energie und Rohstoffen zu den strategischen Interessen des Bündnisses gehörten. Wir werden folglich immer tiefer hinein „in die neue Weltkriegsordnung geführt, die zugunsten der reichen Länder das Ungleichgewicht auf dem Globus aufrechterhalten soll.“ (Peter Bürger2)
Es ist also falsch, sich nur für den Erhalt von bestehenden Standorten einzusetzen, ohne zu fragen, warum denn Standorte geschlossen werden. Standorte werden geschlossen, weil sie für eine weltweit agierende Interventionsarmee nicht erforderlich sind.
Zustimmung zu Auslandseinsätzen
Nun wird in der Resolution des Sigmaringer Kreistags zudem betont, dass die Menschen in unserem Landkreis gerade auch „in Zeiten von Auslandseinsätzen“ hinter der Bundeswehr und ihrem Auftrag stünden – im Gegensatz zu andern Orten, wo diese Einsätze kritisch gesehen würden. Meint der Kreistag wirklich, dass die Menschen in unserer Region hinter einer Bundeswehr stehen, die zu einer global einsatzfähigen, offensiven Kampftruppe umgebaut wird? Und dass sie weltweite Angriffskriege unterstützt?
In diesen Zusammenhang gehört, dass ein realistisches Bild von solchen befürworteten „Auslandseinsätzen“ gezeichnet wird. Dazu gehört, dass inzwischen 45 Bundeswehrsoldaten im Afghanistan-Krieg ihr Leben verloren haben – zumeist sind sie jämmerlich krepiert. Doch Soldaten sind immer beides zugleich: Opfer und Täter. Das macht einen entscheidenden Unterschied zu den am Kriege unbeteiligten Menschen aus. Bundeswehrsoldaten sind eben auch daran beteiligt, dass am Hindukusch Unbeteiligte zu Hunderten im Bomben-, Raketen- und Artilleriegranatenhagel der Besatzungstruppen umkommen. Unterschiedslos – Männer, Frauen, Kinder. Und ihre Zahl übersteigt die der getöteten Soldaten um ein Mehrfaches. Mindestens 2.412 zivile Kriegsopfer zählte die „United Nations Assistance Mission in Afghanistan“ (UNAMA) letztes Jahr auf dem afghanischen Kriegsschauplatz. Tausende an Körper und Seele Verletzter und Verstümmelter leiden noch heute an den Folgen des Luftterrors.
Wer also so argumentiert wie der Kreistag des Landkreises Sigmaringen und „Auslandseinsätze“ ausdrücklich befürwortet, sollte sich um ein möglichst realistisches Bild von solchen Kriegseinsätzen bemühen. Und jedenfalls sollte er sich tunlichst nicht darüber empören, wenn ihm von Kritikern vorgehalten wird, er würde Kriege wie zum Beispiel den in Afghanistan mit all seinen brutalen Folgen unterstützen.
Enges Verhältnis von Politik und Bundeswehr: „Patenschaften“
Nun brauchen diese „Auslandseinsätze“ Soldaten, die zum Töten bereit sind und auch zum Sterben. Deshalb muss, wie Kurt Tucholsky einst trefflich feststellte, „diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt werden“. Erst dann nämlich sind die uniformierten Handwerker des Krieges, wie wiederum Tucholsky schreibt, „bereit, ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie es die nationalistischen Interessen eines Staates sind, aufs Spiel zu setzen“.
Der Kreistag des Landkreises Sigmaringen preist seine angeblich sehr günstigen Bedingungen für diese Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr an. Und auch sonst sieht er günstige Bedingungen für die Unterstützung einer Gewaltpolitik mit der Bundeswehr.
In unserer stark von der CDU dominierten Region ist das zu spüren, was diese Partei gerade auf ihrem Bundesparteitag in einem Beschluss mit dem Titel „Zukunft der Bundeswehr“ unterstrichen hat. CDU und CSU seien die Parteien der Bundeswehr, die Union verstehe sich als Anwalt der Soldatinnen und Soldaten, wird dabei betont. Verstärkt sollen nun Mittel wie „Jugendoffiziere, Patenschaften und beispielsweise öffentliche Vereidigungen und öffentliche Rückkehrerappelle“ genutzt werden, um die Aufgaben und die Arbeit der „Bundeswehr im Einsatz“ in der Öffentlichkeit zu „erläutern“, heißt es in diesem Beschluss der CDU.3 Und unser Gammertinger Bürgermeister Holger Jerg liegt mit seiner Bundeswehrunterstützung ganz auf der Linie seiner Partei. Wir dürfen gespannt sein, wie die eingegangene „Bundeswehrpatenschaft“ und wie öffentliche Appelle weiter genutzt werden, um der Bevölkerung die Notwendigkeit der Bundeswehreinsätze zu vermitteln.4
Darüber hinaus bestätigt sich unsere Vermutung, dass mit der „Patenschaft“ ein Beitrag gegen drohende Standortschließungen im Landkreis Sigmaringen geleistet werden soll. Landkreis und Stadt Sigmaringen haben bereits vor Jahren solche „Bundeswehrpatenschaften“ übernommen. Zudem sind im zurückliegenden Jahr Gammertingen und drei weitere Gemeinden des Landkreises solche Bündnisse eingegangen. In der Kreistagsresolution für den Erhalt der Standorte werden diese „Patenschaften“ nun als Ausdruck für das „enge Verhältnis zwischen Politik und Bundeswehr“ ins Feld geführt. Wohl wahr, dieses offensichtlich enge Verhältnis lässt sich nicht bestreiten!
Bundeswehr als Wirtschaftsfaktor
Natürlich kann es nicht darum gehen, die von Standortschließungen betroffenen Menschen im Regen stehen zu lassen. Gibt es also keine Alternativen, als sich für den Erhalt der Standorte einzusetzen? Doch die gibt es. Das macht zum Beispiel das Bundesland Rheinland-Pfalz deutlich, wo die Konversion, also die Umwandlung von Standorten zur regelrechten Erfolgsgeschichte wurde. 5
Vor 20 Jahren verkündete der damalige US-Verteidigungsminister Cheney die Schließung des US-Flugplatzes Zweibrücken. Dies war der Auftakt zum massiven Abbau der mehr als vier Jahrzehnte umfassenden starken Militärpräsenz aus NATO-Staaten in Rheinland-Pfalz. Ihr folgten weitere Standortschließungen und Truppenreduzierungen im Zuge der letzten Strukturreform der Bundeswehr. Dabei wurden mehr als 26.000 zivile Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz abgebaut.
Konversion wurde als Chance verstanden. Durch sinnvolle Konzepte wurde den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen eine neue Perspektive geboten und die Regionen durch die Schaffung einer innovativen und wirtschaftsnahen Infrastruktur unterstützt.
Heute kann festgestellt werden, dass die Ziele nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen worden sind. Mehr als 50.000, teilweise deutlich besser qualifizierte Arbeitsplätze sind bis heute geschaffen worden. Aus verschiedenen Förderprogrammen sind von 1992 bis 2009 insgesamt zwei Milliarden Euro in die Konversionsgebiete geflossen. Frühere militärische Wohnsiedlungen sind zu familienfreundlichem Wohnraum umgewandelt worden, Forschung und Lehre haben neue Standorte erhalten. Die Konversion hat das Gesicht von Rheinland-Pfalz in mehrfacher Hinsicht verändert.
Standortkonversion ist also machbar. Natürlich stellt eine hohe Zahl von wegbrechenden Arbeitsplätzen gerade in strukturschwachen Regionen ein großes Problem dar. Dieses Problem darf nicht kleingeredet werden. Doch je früher die Weichen für einen Wandel gestellt werden, umso größer die Chancen, dass dieser gelingen kann.
Fazit
Die Frage von Standortschließungen steht spätestens seit 1990 immer wieder auf der Tagesordnung. Deshalb hätten Politiker längst ihre Hausaufgaben machen und sich für eine Umwandlung von Standorten in zukunftsfähige zivile Wirtschaftszweige und Arbeitsplätze einsetzen müssen. Auch wenn es sich aufgrund der gesamtpolitischen Entscheidungen für eine schlagkräftigere Bundeswehr nicht um Abrüstung handelt, so ist es mit Blick auf Gewaltverzicht und zivile Konfliktbearbeitung ein Jammerspiel, wie in unserer Region die Chance auf Standortkonversion erneut droht, verspielt zu werden. Es sei denn, dass der Bundesverteidigungsminister auch Standorte im Kreis Sigmaringen auf seine Streichliste nimmt. Dann wird das Erwachen groß sein aber nichts anderes übrig bleiben, als sich notgedrungen diesem Problem zu stellen. Bis dahin gilt für die verantwortlichen Politiker offensichtlich der Stoßseufzer: „Oh heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd andere an.“