Protestresolution wegen neuen Mediengesetz an das Tor des Parlamentes angeschlagen – Zusammenspiel: Österreicher und Ungarn solidarisieren sich – Ungarns Botschafter spricht von einer „verlogenen Kampagne und dreisten Lüge“
Am Abend des 14.Januar 2011 versammelten sich ca. zehn- bis fünfzehntausend Bürger in Budapest auf dem Kossuth-Platz vor dem ungarischen Parlamentsgebäude. (Foto: Cliffscherer Wikipedia)
Die Menschen protestierten friedlich gegen das vor drei Wochen verabschiedete Mediengesetz und gegen Demokratieabbau. Die Organisation der grossen Kundgebung wurde kurzfristig vor allem über das Internet mit Hilfe von Facebook ermöglicht, wobei die Initiatoren sich definitiv eine parteipolitische Vereinnahmung der Veranstaltung von vornherein verbaten. Die Facebook-Seite der Organisatoren des Protestes
Egymillióan a magyar sajtószabadságért (eine Million für die ungarische Pressefreiheit)
hat in nur drei Wochen bis zum aktuellen Zeitpunkt 72279 Anhänger gewonnen.
Unter den Rednern waren der prominente Journalist Tibor Bakács, die Schauspielerin Dorka Gryllus sowie der Liedermacher János Bródy (er sang Lieder, die er aus ähnlichem Anlass schon vor 40 Jahren gesungen hatte…) und forderten vor allem die Rücknahme der Möglichkeiten von „willkürlichen und unverhältnismässigen Strafen“, die vom politisch einseitig besetzten Medienrat nach eigenem Urteil verhängt werden können, die „Unabhängigkeit der Redaktionen“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Sicherung des Quellenschutzes, so der Pester Lloyd. (1) Das Gesetz stellt alle Fernseh- und Rundfunksender, Printerzeugnisse und Internetportale unter Aufsicht der von der rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz-MPSZ kontrollierten Medienbehörde NMHH. Die Medienbehörde kann auf der Grundlage des Gesetzes Medien mit hohen Geldstrafen bis zu umgerechnet 730000 Euro belegen. Auch müssen Journalisten dem Gesetz zufolge ihre Quellen offen legen, wenn es „um Fragen der nationalen Sicherheit geht“. (2)
Bródy János – Földvár felé félúton im Jahr 1994:
Auf der Demonstration wurde dazu aufgerufen, Premierminister Orbán massenhaft Emails zu senden und ihn zur Einhaltung der Grundrechte und zur Rücknahme dieses Mediengesetzes aufzufordern und man solidarisierte sich mit einem wegen „ungehörigen Protestes“ vom Dienst suspendierten Mitarbeiter des staatlichen Rundfunks.
Für den 27.Januar 2011 ist eine neue Kundgebung angekündigt, da die Medienbehörde NMHH die Anmerkungen und Forderungen der Bürger in der ihr zugesandten Resolution zwar ernst nehmen würde, aber das Ansinnen inhaltlich als unbegründet zurückgewiesen hatte.
In Pécs forderten auf einer Demonstration zweihundert Menschen zeitgleich die Rücknahme des neuen Zensurgesetzes.
Der Österreichische Journalistenclub hatte ebenfalls gemeinsam mit acht Medienorganisationen zu Protesten aufgerufen. Die Budapester applaudierten auf dem Kossuth-Platz für die gezeigte Solidarität. In Wien übergaben am 14.Januar zweihundertundfünfzig Bürger dem ungarischen Botschafter, Vince Szalay-Bobrovniczky, in der Bankgasse eine Unterschriftenliste für „PressefrAIheit“ (Anm.: AI/Amnesty International – in Anspielung auf die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte), der ihnen erklärte, dass er keinen Widerspruch zwischen dem Mediengesetz und der Presse- und Meinungsfreiheit sieht.
Gegenüber der Nachrichtenagentur APA äusserte Szalay-Bobrovniczky, dass es sich bei den Protesten um eine gesteuerte „verlogene“ Kampagne“, angestiftet von den politisch unterlegenen Gegnern handelt, die es „einfach nicht wahrhaben wollen, dass sie die Macht verloren haben.“ Die Vorwürfe der Abschaffung der Pressefreiheit in Ungarn sei eine „dreiste Lüge“, das Gesetz bezeichnete er als „ausgewogen“ und „EU-konform“. Niemand zensuriere die ungarische Presse, auch die im August geschaffene Medienbehörde (NMHH) sei keine „politische Einrichtung“ und von der Regierung „völlig unabhängig“, so der Botschafter laut Der Standard vom 15.Januar 2011. (2)
Die Kundgebung in Wien wurde von einer Gegendemonstration – die von Peter Karsay angemeldet worden war und an der sechs Personen teilnahmen – beantwortet mit dem Ziel, sich gegen die „Feindlichkeit gegenüber Ungarn“ und der „zu Unrecht negativen Kritik“ zu wehren.
Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (RoG/RSF) sagte:
„Ich finde es erschütternd, dass das neue Mediengesetz am selben Tag in Kraft getreten ist, als Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat (Anm.: am 1. Januar 2011). Die Zensurmassnahmen sind ein „Rückfall in Methoden nichtdemokratischer Regierungen“, denn „Zensur ist Mord an der Pressefreiheit und am Recht aller Bürger auf Information.“
Am 1.Januar 2011 berichtete der Spiegel, dass die ungarische Medienbehörde NMHH ein Verfahren gegen den Budapester Privatsender Tilos Radio eingeleitet hatten.
Im Radio lief der Song „It‘ s On“ aus dem Jahre 1993 des US-Rappers Ice-T, was ein angeblicher Verstoss gegen den Jugendschutz gewesen war. Die sozialistische Oppositionspartei MSZP nahm den Sender in Schutz. Tilos Radio argumentierte, dass die Ungarn den amerikanischen Slang im Song ohnehin nicht verstünden, so dass eine jugendgefährdende Wirkung nicht zu befürchten gewesen war.
Die Oppositionspartei MSZP fragte in einem offenen Brief, ob die Behörde die von ihr veröffentlichte Übersetzung des Rap-Textes ins Ungarische selbst finanziert habe und ob die ungarische Textversion als „amtliche“ Übersetzung zu betrachten sei. Sollte NMHH eine fremde Übersetzung veröffentlicht haben, würde dies urheberrechtliche Probleme aufwerfen, schrieb MSZP laut Spiegelbericht vom Neujahrstag und dass alle ungarischen Oppositionsparteien eine Klage gegen das Gesetz beim Verfassungsgericht angekündigt haben. (3)
Nicht verwunderlich ist, dass es die neue ungarische Regierung bei der von ihr nicht zugegebenen politischen Zensur nicht zu stören scheint, dass es seit Jahrzehnten in den billigen Ausstrahlungen der Unterhaltungsindustrie täglich nur so von Ermordeten a lá „Verrückter versteckt im Eisschrank zerstückelte Leichen“ in perversen, Aufmerksamkeit heischenden Spielfilmen, Reality-Shows, Tagesnachrichten und Dokumentationen wimmelt, denn das ist zum aufgezwungenen, angeblich vom Zuschauer erwünschtem und „akzeptiertem“ Kulturgut einer echten Unkultur der Informationsbranche geworden, die die „zart besaiteten Nerven“ der Kids durchaus ohne Schaden zu nehmen aushalten (müssen).
Quellen:
(1) http://www.pesterlloyd.net/2011_02/02DemoBudapest/02demobudapest.html
(2) http://derstandard.at/1293370750504/Ungarisches-Mediengesetz-Demos-in-Wien-und-Budapest-gegen-Mediengesetz
(3) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,737338,00.html