Eine Spinne sich zu wickeln

Über die Gefahren der Zentralisierung durch die EU und den Umgang mit der Opposition

Heute morgen, noch im Halbschlaf, stellte ich mir Folgendes vor: bei meinem nächsten und ersten Klassentreffen, abends im Foyer der Schule sitzend, würde ich zu meiner ehemaligen Lehrerin für Wirtschaft sagen, daß ich sie darum bitte, den Schülern in Zukunft nicht so einen Stuss über das, was die Europäische Union sei, zu erzählen, wie sie das bei uns gemacht hat. Ich würde sie darum bitten, uns nicht zu verblenden.

Völlig fiktiv hieran ist schon der Umstand, daß ich nicht zu „meinen“ Klassentreffen gehen werde, folglich dieser Lehrerin diese Forderung auch nie vortragen werde. Fiktiv aber auch, daß sie der Sache nachkommen könnte oder wollte.

Stalin soll in seinen Schulen gelehrt haben lassen, daß die der Verbrennungsmotor eine Sowjetische Erfindung sei. Nicole Sinclaire, Mitglied des Europäischen Parlaments (MEP), mahnte vor nicht allzulanger Zeit, nachdem sie dieses Beispiel vortrug, im Europäischen Parlament an, heute erzähle man den Schülern, die EU sei die Verteidigerin der Menschenrechte – und implizierte dabei, dass das nicht sehr verschieden sei von der Sache Stains und dessen Geschichte des Verbrennungsmotors. Dass es möglicherweise nicht sehr viel weniger erlogen ist zu Zwecken einer vielleicht viel weniger ersichtlichen Täuschungsstrategie.

Diesen Halbschlafttraum hatte ich nicht von ungefähr. Ich hatte mir gestern viel Zeit des Tages dafür genommen, mir einige Reden von EU-Parlamentariern anzuschauen und ich will nicht darüber lügen, dass ich mir nicht deren Befürworter angehört habe. Sondern ich hörte die jenigen an, die sich selbst als die EU-Skeptischen bezeichnen. Wer hat schonmal davon gehört, dass es soetwas in diesem Parlament als wirkliche Gruppierung gibt? Ich wette: nicht viele. Bis gestern wusste ich es selbst nicht. Dieser Begriff der EU-Skeptischen taucht aber auch so gut wie nie in einer Zeitung auf, selbst dann nicht, wenn es um diese Gruppierung geht. Dann heißt es eher, dass jemand im Paralament gepöbelt hätte. Der Begriff eines möglichen EU-Skeptizismus als Skepsis gegen die Institutionen der Europäischen Union wird so ziemlich totgeschwiegen.

Aber was meint dieser Begriff? Von meinem jetzigen Informationsstand aus gesehen, würde ich sagen: er bedeutet „Opposition“. Wer hätte schon mal was von der Opposition im Europäischen Parlament gehört? Man hört eher von „Wahnsinnigen“ (Daniel Cohen-Bendit) oder von „dem Faschismus die Türen öffnenden“ Menschen (Martin Schulz), aber sicher nichts davon, dass eine von der „Mehrheit“ abweichende Meinung ganz einfach in der Gruppe von Oppositionellen liegen könnte. Das ist nämlich ein merkwürdiger Umstand, daß die EU anscheinend keine Opposition kennt. Sie kennt nur Befürworter und Wahnsinnige, Mitmacher und Nestbeschmutzer, Redliche und Häretiker. Es gibt nur jene, die wissen, dass es nur eine alternativlose Lösung gibt und jene, die andere Lösungen wollen, also das Arbeitsprinzip „Alternativlos“ in Frage stellen und deswegen die ganze organisierte Institution gleich mit. Und also müssen sie wahnsinnig, folles, sein.

Es gibt auch eine recht verwirrende Weise den Begriff „Demokratie“ zu gebrauchen. Die jenigen, deren alternativlose Lösungen wie immer die einzig möglichen sind, wollen mit ihrer Demokratie-Begrifflichkeit meistens die Demokratie der EU stärken, womit sie nicht Europa als eine Mannigfaltigkeit von verschiedenen Kulturen meinen, sondern eben diejenige Bürokratie-Institution, in der sie arbeiten. Sie wollen mehr machen dürfen und weniger fragen müssen. Ja, sie wollen auch mehr machen dürfen und gleichzeitig seltener von ihren Wählern mit E-Mails genervt werden. Da kann man sich dann, wie Frau Sinlcaire das auch tat, schonmal fragen, was das eigentlich für Wähler-Repräsentanten sind, denen die Kommunikation mit ihren eigenen Wählern auf die Ketten geht. Man muß sich dann wirklich fragen, was diese Leute recht eigentlich mit diesem Repräsentations-Beruf anfangen wollen, wenn sie die Repräsentation nervig finden. Diese Repräsentation, für die sie ihr Bezüge erhalten.

Die andere Gruppierung, die „Wahnsinnigen“, benutzen den Begriff Demokratie in anderer Weise. Für sie ist es (kein Wunder!) die Umkehrung dessen, was die Alternativlosen machen. Sie sagen, Demokratien und Europa (sie meine: die mannigfaltigen Kulturen Europas) müsse gegen die EU (die Bürokratie) geschützt werden, da sonst völlig unvereinbare Völker dazu gezwungen würden, ein und dieselbe Norm zu erfüllen, ein und demselben Wesen zu folgen. „Bürokratie vs. Demokratie“, wie Nigel Farrage das Prinzip EU zusammenfasste. Demokratie heißt hier, bei den Wahnsinnigen, Eindämmung der Institution „Europäische Union“. Die EU ist hier das anti-demokratische Element und bisweilen sogar das Element und Werkzeug, vor dem gewarnt werden muss: gewarnt als vor dem Heraufziehen einer Europäischen Sowjetunion. Und in der Tat, man kann selbst auf Google einiges finden, gibt man „EUdSSR“ oder „EUSSR“ ein. Man könnte sagen, jedesmal, wenn diese Gruppe der „Oppositionellen“ den Begriff Demokratie verwendet (im positiven wie im negativen Sinn), sie irgendwie grundsätzlich vor einer Art gewaltiger Spinne warnen wollen, die sich anzuschauen kaum jemand den Arsch in der Hose zu haben scheint.

Wie sollte man auch auf die Vermutung kommen, dass eine europaweit tätige Gurken-Krümmungs-Grad-Normierungs-Institution heftig autoritäre Tendenzen zeitigen könnte? Wenn die Polizeien oder die Armeen der Mitgliedsstaaten reduziert werden, um die Polizeien und Armeen der EU zu stärken, ja dann könnte man auf die Idee kommen, dass es doch nicht nur um Gurken-Normierung ginge. Aber dass soetwas passiert müsste man dazu erstmal wahrnehmen. Allein das ist recht schwer, wenn alle Anti-Gurken-Normierungs-Parlamentarier grundsätzlich nur zum Pöbel zählen und wenn folglich nur die namentlich erwähnt werden können, die nicht zum Pöbel, das heißt nicht zur „Opposition“ zählen.

Es kann aber auch recht einfach sich gestalten. Im Zeitalter von Youtube kann man sich einige Reden der Anti-Gurken-Normierungs-Parlamentarier sogar mit deutschem Untertitel anhören. Man kann dabei gleichsam die Haltungen der Gurken-Normierungs-Parlamentarier ablesen, denn keine Anti-Gurke kann eine informativere Rede halten, ohne dass ihm eine normierte Gurke ins Wort fallen würde. Die normierten Gurken haben da so ein Problem, wenn man gegen die Normierung von 500.000.000 Menschen spricht. Sie haben auch ein Problem, wenn man anmahnt, dass 500.000.000 zu normierende Menschen nicht über ihr „JA!“ oder „NEIN!“ bezüglich der Normierung befragt wurden. Sie können es auf den Tod nicht ab, wenn man ihnen dann erzählt, ohne ein Referendum könne man nicht 500.000.000 Menschen den kollektiven Willen einer Minderheit aufzwingen, einer Minderheit namens Europäische Union. Sie können es wie die Pest nicht ausstehen, wenn man ihnen den Spiegel vorhält, in dem sie erkennen müssen, dass die Mächte, auf die sie sich berufen, nie auf legitime Weise zur Macht gekommen sind. Sie können es nicht leiden, wenn man ihnen erzählt, daß die EU-Verfassung das gleiche wie der Lissabon-Vertrag ist. Sie können es nicht hören, wenn man ihnen die Finten vorwirft, wie sie auch Angela Merkel einst propagierte, nämlich möglichst viele verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache zu benutzen, damit die Menschen nicht mitbekommen, dass in, sagen wir, 10 Treffen 10 mal über dasselbe verhandelt wurde, die Medien aber von 10 verschiedenen Dingen berichten, weil 10 verschiedene Begriffe verwendet werden.

Der oppositionelle Pöbel hat für diese Tendenzen sogar schon fleißige Philosophie betrieben und den Begriff eines „EU-Nationalismus“ erfunden, ein Begriff, der selbst für sie paradox sein muss: denn worum es ihnen grundsätzlich geht, ist darauf zu pochen, daß es keine Europäische Nation gibt, dass es daher auch keine Europäische Verfassung geben kann solange, bis alle Mitlgieder diese bestimmt haben und dadurch ihre eigene nationale Souveränität, Selbstständigkeit, Eigenmächtigkeit aufgegeben haben, um fortan von einer europäischen Institution regiert zu werden.

Es geht in dieser EU darum, einem jeden Mitgliedsstaat die eigene Bestimmungsmacht zu entziehen, damit alle 27 Mitglieder nach den Befehlen einer einzigen, zentralen Institution geführt werden können. Es ist ironisch, aber insoweit geht es sogar um Ent-Institutionalisierung in dem Sinne, dass man die Zahl der zum Regieren nötigen Institutionen reduzieren will. Doch genau das ist die Gefahr, die wahrhaft große, spinnenartige Gefahr. Denn alle diese Institutionen des Regiertwerdens wurden geschaffen, um ein übermäßiges, ein unkontrolliertes, ein unerträgliches Regiertwerden zu unterbinden. Die Mächte auf viele Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten verteilen, um zu verhindern, dass wenige Menschen viele Menschen zu stark, zu einseitig regieren können. Jede dieser nationalstaatlichen Institutionen der Regierung und des Regiertwerdens hat bei all ihren unerwünschten und unliebsamen Wirkungen auch die einer Zurückwirkung auf diejenigen Regierenden, die diese Institutionen zur Regierung der Regierten benutzen.

Wenn die Armee gegen die Ziele und Wünsche der Regierenden steht und für die Ziele eines Volkes kämpft und gleichzeitig auch gegen die Polizeien kämpft, die dieser Regierung Folge leisten, kommt genau dieses „Responsibilitäts“-Prinzip zum Ausdruck, dieses Prinzip wechselseitiger Rückwirkung zwischen Regierenden und Regierten, dieses Prinzip, das zu wechselseitiger Anpassung zwingt. Und ebenvon daher ist es ein Problem und eine große Gefahr, wenn eine zentrale Regierungsstelle nach und nach all jene Funktionen der Responsibilität zwischen Regierenden und Regierten ausschaltet. Denn dann wird die Anpassung immer mehr in nur eine Richtung erzwungen, kann von der anderen Richtung immer weniger „zurück-gezwungen“ werden. Diese einzige zentrale Institution ist, trotz ihrer Tendenz die Institutionen-Macht abzubauen, nichts anderes als eine Verstärkung dieser Institutionen des Regiertwerdens – allerdings in Richtung einer reduzierten Responsibilität auf Seiten der Regierten.

Denn wenn die „Chefs“ von 27 Mitgliedsstaaten etwas beschließen, daß den 500.000.000 anderen Menschen auf dem Kontinent vielleicht missfällt, so ist es fast utopisch anzunehmen, daß diese 500.000.000 Menschen gegen diese Chef-Minderheit allzu viel Wort erheben kann, ganz einfach weil die (lokalen) Institutionen der responsiblen Rückmeldung nicht mehr existieren oder keine Macht mehr haben. „Alles rechtens!“. Das Prinzip hierbei ist eines das global ist (auf ganz Europa wirkend und dadurch auf die ganze Welt, im Namen einer Stimme) und zugleich spezifisch (Gurken-Krümmungs-Grad-Normierung; „Was ist Marmelade und was Konfitüre?“ für 500.000.000 Menschen absolut definieren). Und eben dieses Prinzip global-spezifisch, dessen Gegner das Prinzip lokal-allgemein ist, ist das anti-demokratische Prinzip par excellence. Denn global-spezifische Macht ist eben die Macht eines Diktators, eines Tyrannen: „Für alle und zwar so und nicht anders“ statt „für hier vor Ort und verhandelbar“ (lokal-allgemein).

Aber man muss nicht mal soweit gehen bzw. kann die Sache auch anders aufzeigen. Ein global-spezifisches Denken bzw. die „Denkmethode“ global-spezifisch ist laut Immanuel Kant nämlich auch die illegitime Art und Weise einer Synthese im Denken (d.h. auch die illegitime Variante um verschiedene Interessen unter ein Interesse zu binden). Sie ist, selbstverständlich, illegitim vor dem Hintergrund der Aufklärung und in diesem Sinne dann also anti-aufklärerisch. Und in der Tat: eine solche Spinne wie die EU hat nicht unbediingt vor, uns allen klar zu machen, wie sie uns regieren will. Allein schon die erwähnte „benutze verschiedene Begriffe um zu verschleiern, über was du redest“-Taktik ist ein Ausdruck wahrlicher Anti-Aufklärung, aber auch ein wahrlich vermeidbares Begriffschaos wie „Rat der europäischen Union“ und „Europäischer Rat“ (zwei völlig verschiedene Instanzen) hätte man nicht verwirrender gestalten können; fast so, als wollte man eine Ununterscheidbarkeit, eine Grauzone politischer Beziehungen erzeugen. Es geht bei solchen Ununterscheidbarkeiten nämlich nicht darum, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten (= Prozess der Aufklärung), sondern vielmehr darum, deren Ursachen gar nicht mehr als solche zu bemerken (zb. zwei verschiedene politische Instanzen für ein und dieselbe Instanz zu nehmen und dadurch politische Verflechtungen verfälscht zu erkennen). Eine solche Spinne wie die EU hat ein großes Interesse daran, dass die Menschen sich von ihr abwenden, den Blick von ihr wenden, sodass sie nicht sehen, wie sie eingesponnen werden und in was sie eingesponnen werden. Eine Spinne wie die EU hat ein sehr großes, vitales Interesse daran, dass die Regierten nichts von ihr wissen wollen. Am besten funktioniert solch Spinne nämlich dann, wenn man gar nicht mehr bemerkt, dass sie existiert, wenn man die Existenz von Spinnen vergisst.

Ich hätte mir einfach gewünscht, daß meine Lehrerin mir klar gesagt hätte, dass die EU die Responsibilität aller demokratischen Institutionen in jeder Mitgliedsnation so senken will, dass alle oder wenigstens viele >ihrem Befehl folgen,sie aber nur selten auf die Befehle der Regierten antworten muss, keine Rechenschafft darüber ablegen muss, was Art und Weise und Natur ihres Befehls ist. Sie solle so sein, daß man ihre Befehle für Befehle der eigenen Institutionen, der eigenen Verfassung nimmt. Die Institution dieser Verfassung, diese Verfassung als Institution ist eben genau der eine Ort, an dem Ent-Institutionalisierung stattfinden soll. Die Entbindung der nationalen demokratischen Institutionen von ihren Verfassungen. Mehr hätte ich schon damals als Defiinition nicht gebraucht.

Die EU ist das Programm der fremdverschuldeten Sous-veränität, der Unter-Mächtigkeit, die ohne Frage auch immer selbstverschuldete Unmündigkeit ist. Die EU ist dieses Programm, aus der Unmündigkeit Herausgetretene, sich von der Unmündigkeit Befreit-habende wieder in eine Unmündigkeit zu zwingen, die EU, das ist die Zu-Klärung, vielleicht die Ent-Klärung, die Nicht-Er-Klärung, aber auch:das Zu-Klärende der Aktualität, wenn das bedeutet, Unmündigmachung durch entmündigende Bevormundung zu hinterfragen und dies solange, bis es sich auflöst wie eine Brausetablette in schalem Wasser. Die EU – das ist die selbstgewählte Entmündigung. Mehr hätte die Lehrerin mir nicht erzählen müßen. Stattdessen sagte sie uns: geht selbst wählen!

Weiterführende Links:
www.europarl.europa.eu/members/public/yourMep/view.do?name=SINCLAIRE&partNumber=1&language=DE&id=96960
www.youtube.com/profile?user=nikkisinclairemep
www.europarl.europa.eu/members/public/yourMep/view.do?name=FARAGE&partNumber=1&language=DE&id=4525
www.youtube.com/results?search_query=nigel+farage&aq=0
www.youtube.com/watch?v=tu5xgQz7oSg&feature=related
www.europarl.europa.eu/members/public/geoSearch/view.do?country=DE&partNumber=2&language=DE&id=1911
www.youtube.com/watch?v=uRVLbFuckaI
http://blogs.telegraph.co.uk/news/author/danielhannan/

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