Mittwoch, der 9.Februar. Tag 16 im Volksaufstand gegen den Diktator Husni Mubarak. Und er beginnt, nun ja, nicht schlecht.
Washington nennt man auch die Stadt der Telefone. Irgendwo klingelt es immer, aber nicht immer in Washington. So auch diesmal.
Am Apparat war Onkel Joe. Joe ist ein eher schlicht gestrickter Charakter, der manchmal irritiert lächelt wenn er angesprochen wird; z.B. wenn er bei der State of the Union oben auf seinem Sessel sitzt und wieder nichts mitbekommen hat.
Am anderen Ende der Leitung war Onkel Husni in Kairo. Nein, Onkel Omar, weil Onkel Husni schon im Bett war. Vielleicht war es aber auch ein Telefongespräch, was schon früh am Abend in Kairo und früh am Tage in Washington geführt, aber erst nach der täglichen Ping-Pong-Runde veröffentlicht wurde, im großen Ping-Pong um Ägypten. So läutete nun die Veröffenlichung der (ganz ohne Zweifel guten) Nachricht vom Telefonat gleich den neuen Tag an, zumindest dort wo die Musik spielt. Jeden Tag eine neue Runde.
Fazit: Onkel Joe (bürgerlich: Joe Biden, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika) telefonierte mit seinem guten Bekannten Omar (bürgerlich-militärisch: Omar Suleiman, seines Zeichens frisch ernannter Amtskollege aus Ägypten). Onkel Joe teilte Onkel Omar mit, dass nun nach schlappen 30 Jahren es langsam Zeit werde, die große Ausnahme im Zustand der Diktatur – also den Ausnahmezustand – langsam zu lüften. Er tat dies natürlich formal und den Umständen entsprechend höflich und die große weiße Hausverwaltung lies dazu erklären:
„Der Vizepräsident versicherte erneut, dass die Zukunft von Ägypten vom Volke Ägyptens entschieden wird. Der Vizepräsident nahm die Schritte der Regierung Ägyptens, die diese gegenüber der Opposition versprochen hat zu unternehmen, zur Kenntnis und drängte die Regierung sofortige Schritte zu unternehmen um seine Versprechen umzusetzen.
Beruhend auf dem fundamentalen Glauben unserer Nation an die Bedeutung von universellen Rechten und repräsentativen Regierungen, sowie an Beratungen mit Ägyptens Opposition und einem breiten Querschnitt der zivilen Gesellschaft, diskutierten Vizepräsident Biden und VizePräsident Suleiman zusätzliche Schritte,welche die Vereinigten Staaten unterstützen, eingeschlossen:
– Mäßigung des Verhaltens des Ministeriums des Inneren durch sofortige Beendigung der Festnahmen, Belästigungen, Prügel und Inhaftierungen von Journalisten, und politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivisten, und durch das Erlauben der Freiheit der Versammlung und des Ausdrucks
– sofortige Aufhebung des Ausnahmezustands
– Erweiterung der Partizipation im nationalen Dialog um ein breites Spektrum von Mitgliedern der Opposition einzubeziehen und
– Einladung der Opposition als Partner gemeinsam einen Strategieplan („roadmap“) und Zeitplan für die Übergabe zu entwickeln.“
Man stelle sich jetzt mal vor, die Ägypter wären gestern nicht auf die Straße, sondern alle nach Hause gegangen. Was hätten sie ihr Leben lang nicht alles verpasst.
Weil jeder Tag zählt.
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Ticker zu Tag 16 im Volksaufstand in Ägypten
Die Tage zuvor:
Donnerstag, 25.01., Live Bilder aus Ägypten: Einem Land platzt der Kragen
Freitag, 28.01., Volksaufstand in Ägypten: Ticker
Samstag, 29.01., Übernehmen Mubarak und Suleiman die Taktik Ben Alis in Tunesien?
Sonntag, 30.01., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 6
Montag, 31.01., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 7
Dienstag, 01.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 8
Mittwoch, 02.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 9
Donnerstag, 03.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 10
Freitag, 04.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 11
Samstag, 05.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 12
Sonntag, 06.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 13
Montag, 07.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 14
Dienstag, 08.02., Ägypten Ticker: Volksaufstand Tag 15
Öffentlich zugängliche Quellen:
Live TV Stream Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/watch_now/
Twitter Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/01/201112523026521335.html
Ticker Al Jazeera: http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/02/08/live-blog-feb-9-egypt-protests
00.00 Uhr
Kairo. Der Tahrir Platz . Ein Bericht vom Vorabend.
Proteste gestern auch vor dem Parlament.
In New York erklärt der UNO-Botschafter Vitali Tschurkin, es sei an der Zeit für die Botschafter des UNO-Sicherheitsrats einen gemeinsamen Ausflug in den Mittleren Osten zu unternehmen. Als Grund nennt Tschurkin den „Friedensprozess“ zwischen der rechtsradikalen Regierung Israels und der Administration von Mahmoud Abbas im pälästinensischen Westjordanland.
Der ägyptische Botschafter im Weltsicherheitsrat äußert sich zum arabischen Fernsehsender Al Jazeera:
„Auch als wir unsere Dispute hatten mit Al Jazeera..waren sie in der Lage zu senden, sie bekanen es hin uns auszumanövrieren und andere Quellen anzuzapfen, so ist die Welt ein kleines Dorf und jeder weiss was dort überall passiert.“
03.00 Uhr (04.00 Uhr ägyptischer Zeit)
Ein Telefoninterview mit einer Aktivistin der Proteste vor dem Kairoer Parlament.
Ein Filmbericht von Stephen Farrell, New York Times: „Eine Nacht am Tahrir Platz“.
Eine faszinierende Collage des Fotografen Andrew Burton, der es schafft, den Alltag auf dem Platz in Bildern zu erfassen.
Im Gegenzug dazu ein Bericht des Al Jazeera Reporters Gregg Carlstrom. Er berichtet von äußerst unangenehmen Szenen durch regimetreue Mubarak-Unterstützer und Kontrollen von Militäragenten in der Nähe des Tahrir Platzes in den letzten Tagen.
05.29 Uhr
Wael Ghonim berichtet via Twitter von der Aussage eines Polizei-Offiziers: dieser berichtet, er habe seinen Dienst aufgegeben, nachdem der inzwischen zurückgetretene Innenminister Hahib El Adly die Polizei angewiesen habe mit scharfer Munition wahllos auf Protestierende zu schießen.
05.40 Uhr
Berichte über schwere Auseinandersetzungen der Bevölkerung mit der Polizei in der Gouverneursprovinz Al-Wadi al-Jadid, einem weitläufig, dünnbesiedelten Gebiet mit weiten Wüstenflächen. Al-Wadi al-Jadid, auch New Valley genannt, ist mit Abstand das größte Gouvernement Ägyptens. (Die Auseinandersetzung halten auch den Tag über an. Filmberichte gibt es nicht, es sind derzeit keine internationalen Reporter oder TV Teams vor Ort. Aktueller Twitter Ticker: #newvalley)
10.00 Uhr
Drei unabhängige Gewerkschaften haben sich der Freiheits- und Demokratiebewegung angeschlossen und demonstrieren vor der Zentrale des staatlichen Gewerkschaftsbundes. Dies wird allgemein als großer Erfolg der demokratischen Kräfte angesehen.
Bereits seit Tagen haben Tausende in Ägypten getreikt. Gestern traten 6000 Arbeiter von Service Firmen der staatlichen Suez Kanal Gesellschaft in den Streik. Tausende von Fabrikarbeiter in Mahalla, Suez und Helwan haben sich angeschlossen. Auf Al Jazeera mehren sich Berichte, dass der gestrige Aufruf der Freiheitsbewegung zum Generalstreik Wirkung zeigt.
In den USA zeigt eine Studie des Pew Research Centers, dass die Berichte über die letzten 15 Tage des Volksaufstandes Tagen mehr Aufmerksamkeit erlangt haben, als die Berichte seinerzeit über den Irak-Krieg, den Afghanistan-Krieg das Erdbeben in Haiti – wohlgemerkt: in der internationalen Weltöffentlichkeit. In den USA hat die Hälfte aller Einwohner noch nie oder „ein bisschen“ etwas über den laufenden Volksaufstand in Ägypten gehört. (Radio Utopie berichtete gestern)
12.00 Uhr
Neben den Protesten und einem neuen Sit-in vor dem Parlament gibt es nun auch Proteste vor dem Tagungsort des Regierungskabinetts der Mubarak-Diktatur, der sich nur weitere Hunderte von Metern entfernt befindet. Das Kabinett muss den Tagungsort wechseln, nachdem Demonstranten den Eingang blockieren.
12.15 Uhr
Am gestrigen Abend hatte der ägyptische Popstar Tamer Hosny („Oh Du mein Augenlicht“) im Staatsfernsehen seine Unterstützung für Diktator Husni Mubarak erklärt, den er „Papa Mubarak“ nannte. In der Nacht kam er dann, mutmaßlich unter Drogeneinfluß, auf die glänzende Idee auf dem Tahrir Platz zu erscheinen und eine Rede an Menschen halten zu wollen, die vor Wochen noch unter dem Regime nichts wert waren und mittlerweile populärer sind als er.
Was folgte, ist nachvollziehbar. Der Popstar musste die Flucht antreten, das Militär soll sogar ein paar Warnschüsse abgegeben haben. Anschließend entschuldigte sich der Musiker dafür, die Freiheitsbewegung nicht von Anfang an unterstützt zu haben und betonte, er habe sich nur bei den Menschen bedanken wollen.
12.32 Uhr
Zwei bestätigte Todesopfer und Dutzende Verletzte in Al-Wadi al-Jadid. Die südwestliche Gouverneursprovinz umfasst fünf weit verstreute Cluster von Oasen.
13.00 Uhr
Auf dem Tahrir Platz, mit seiner über die Tage gewachsenen Infrastruktur und Zeltstadt, sind mittlerweile auch nachts permanent mehrere tausend Menschen. An diesem Mittag strömen wiederum weitere Tausende dazu.
Derweil am Vormittag vor dem Parlament:
13.15 Uhr
Die landesweiten Streiks weiten sich aus.
13.30 Uhr
Folgende nordamerikanische Künstler haben zum Volksaufstand in Ägypten einen Song und ein Video veröffentlicht. Musiker: Omar Offendum, The Narcicyst, Freeway, Amir Sulaiman, Ayah. Produzent: Sami Matar (Advent Media Productions). Ridwan Adhami. Download link: http://www.usershare.net/6cjtbiapu5y8
Wer einen Dank via Twitter loswerden will (tweet #25Jan #egypt ):
Omar Offendum (MC #1) – http://twitter.com/Offendum
The Narcicyst (MC #2) – http://twitter.com/TheNarcicyst
Freeway (MC #3) – http://twitter.com/PhillyFreezer
Amir Sulaiman (MC #4) http://twitter.com/AmirSulaiman
Ayah (R&B Vocalist) – http://twitter.com/AyahMusic
Sami Matar (Producer) – http://twitter.com/SamiMatar
Artwork by Ridwan Adhami http://www.ridzdesign.com
Weil jeder Song zählt.
14.30 Uhr
Zum ersten Mal in der Geschichte Ägyptens ist die Armee in das Parlament eingerückt – und dann noch, um es vor der Bevölkerung zu schützen. Den Parlaments-Angestellten ist Order erteilt worden die nächsten Tage zuhause zu bleiben.
Immer noch sind viele Agenten und Geheimpolizisten, in Verkennung der Situation, in zivil auf den Straßen Kairos unterwegs.
Aus dem Militär kommen widersprüchliche Signale, wie jetzt mit der Situation umzugehen ist.
Analyse: Der Diktator Husni Mubarak im Amt. Er muss sofort zurücktreten. Alles andere ist irrelevant.
15.25 Uhr
Mindesens 6000 Arbeiter streiken in Kairo für höhere Löhne, allerdings ohne den Rücktritt des Diktators zu verlangen. Wie Reporterin Stephanie Dekker berichtet, nutzen die Gewerkschaften den Windschatten der Freiheitsbewegung um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen.
Anmerkung: Soviel zu diesem Dreck mit der „Arbeiterklasse“.
16.22 Uhr
Reuters Meldung: die Armee „erhöht die Sicherheitsvorkehrungen“ an der Straße zum Präsidentenpalast von Diktator Mubarak.
Vize-Präsident Omar Suleimans Bemerkungen über einen möglichen „Putsch“ wurden in Ägypten allgemein dass allgemein als Drohung mit einem Militärputsch verstanden. dazu äußerte sich
Ein Sprecher der Koalition von fünf Jugendgruppen auf dem Tahrir Platz über die Drohungen Suleimans gestern zur Nachrichtenagentur ap:
„Er droht mit der Verhängung des Kriegsrechts, was bedeutet das jeder auf dem Platz zerquetscht wird. Aber was macht er mit dem Rest der 70 Millionen Ägypter, die uns nachfolgen werden? .. Wir werden streiken und wir werden protestieren und wir werden nicht verhandeln, bis Mubarak zurückgetreten ist. Wer immer uns bedrohen will, soll das mal machen.“
Analyse: Ganz ohne Zweifel ist das Militär z.Z. in Bewegung. Entscheidend wird die Rolle der Armee sein. Die Luftwaffe steht eher Mubarak und Suleiman nahe. Für den Diktator läuft die Zeit.
16.40 Uhr
Kleine Posse zwischendurch: Nicolas Sarkozy hat nach ausführlichem Gebrauch von Diktators-Flugzeugen seinem Premier und dessen Minister ab sofort Ferien in Frankreich verordnet.
16.45 Uhr
Aus der unruhigen Gouverneursprovinz Al-Wadi al-Jadid, in der gestern Nacht Kämpfe zwischen Staatspolizei und Bevölkerung ausbrachen, meldet ein Arzt, dass er vier Menschen wegen Schusswunden in die Brust behandeln musste.
17.00 Uhr
Mehr und mehr häufen sich interessante Berichte. Evan Hill über staatsdienliche Akrobaten in Kairo:
„Wenn Du auf dem Balkon im zweiten Stock des Gebäudes Deines Staatsfernsehens drei Maschinengewehre auf Stative positionieren willst, dann macht das eben Probleme.“
17.00 Uhr
Al Jazeera Reporterin Sherine Tadros berichtet, dass die drei unabhängigen Gewerkschaften, die sich der Freiheitsbewegung angeschlossen haben und den Rücktritt des Diktators fordern, mit ihrem Demonstrationszug auf den Tahrir Platz gezogen sind. Demgegenüber fordern die Streikenden in den staatlichen Gewerkschaften Kairos nicht den Rücktritt Mubaraks.
Ayman Mohyeldin berichtet von einem verfassungsrechtlichen Dilemma: sollte Mubarak zurücktreten, würde die Macht laut Artikel 84 automatisch auf den Parlamentspräsidenten übergehen. Ein neuer Präsident bräuchte die Nominierung von einem Drittel der Parlamentsmitglieder. Da die Staatspartei NDP mit ihrer überwältigenden Mehrheit aber praktisch ein Nominierungsmonopol besitze, stünde die Freiheitsbewegung vor einem Dilemma, so Mohyeldin.
Analyse: ich kann mich da nur wiederholen: Al Jazeera liegt da falsch. Aber bitte, ich quäle mich auch gern noch durch die ägyptische Verfassung, die offensichtlich auch kein Schwanz liest.
1. Artikel 84 besagt, dass im Falle eines aufgelösten Parlamentes die vorübergehende Präsidentschaft auf den Obersten Gerichtshof übergeht. So erschliesst sich auch nachvollziehbar die Forderung der Freiheitsbewegung nach Auflösung dieses Witzparlamentes. Das könnte aber nur der Diktator tun. Und Mubarak ist im Amt.
2. Nach Artikel 82 könnte der Präsident jederzeit die Macht an einen Vize-Präsidenten abgeben und dann zurücktreten. Die Bedingung für eine sofotige Neuwahl nach Artikel 84 wäre nicht gegeben, da es keine „Leere im Amte / Büro des Präsidenten“ („vacancy of the Presidential office“) gibt. Also was soll der Blödsinn?
Würde jetzt jemand Al Jazeera da unten die Verfassung rüber reichen? Die Verfassung Ägyptens? Recht herzlichen Dank.
18.00 Uhr
Lesetipp: Im Wettbewerb der Westentaschen-Faschisten in der hiesigen Informationsindustrie ist der Springer-Verlag mal wieder in Führung gegangen. In der „Welt“ darf Jaques Schuster – der 2004 in der ölreichen sudanesischen Provinz Darfur syrische Sondereinheiten beim Einsatz von Chemiewaffen ortete – heute mal wieder alles geben. Da die Verlagswelt mittlerweile dazu übergegangen ist entsprechendes Outing ihrer Hofschreiber über das Urheberrecht zu verfolgen – wie auch sonst – sei hier nur der Artikel empfohlen, aber nicht einmal die Überschrift zitiert. Einmal Geisterbahnfahren, da atmet man hinterher wieder richtig durch.
18.45 Uhr
Brisante Neuigkeiten: Gegen den ehemaligen ägyptischen Innenminister Habib el-Adly ist wegen Verwicklung in das Attentat auf koptisch-christliche Ägypter in der Neujahrsnacht Anklage durch die Generalstaatsanwaltschaft erhoben worden (hierzu: “Teile und Herrsche”: Attentate auf die Bevölkerungen von Nigeria und Ägypten).
Die Anklage kam durch britische Zeitungsmeldungen in Gang. El Adly hat demnach mit eigenen Agenten, Schwerverbrechern und kommerziellen Söldnern von „Sicherheitsfirmen“ ein verdecktes Attentats-Netzwerk betrieben. Dieses sollte unter falscher Flagge von Muslimen.. (Stille) ..von Islamisten Attentate begehen, falls der Machterhalt der Mubarak-Diktatur gefährdet sein sollte. Weiteres Ziel war, mehr Unterstützung aus dem „Westen“ zu bekommen, für den noblen Kampf gegen den islamistischen fundamentalistischen extremistischen Terrorismus. Das Attentat auf Kopten war durch entsprechende Zeitungen und „Sicherheitsbehörden“ der „Al Qaida“ zugeschrieben worden.
Nach dem Attentat in Kairo war bekannt geworden, dass sich das BKA bereits vor dem Attentat in Kairo mit koptischen Priestern in Deutschland in Verbindung gesetzt und vor Attentaten (natürlich durch islamistische fundamentalistische extremistische Terroristen der „Al Qaida“) auf die koptische Gemeinde am 6. auf 7. in Deutschland gewarnt hatte. Die koptische Gemeinde informierte daraufhin das Bundesinnenministerium von Thomas de Maiziere (CDU) – vier Stunden vor dem Attentat in Kairo. (Geheimpolizei BKA droht mit Attentaten auf Christen in Deutschland, 3.Januar)
Anmerkung: Die ganze Affäre hatte natürlich keine personellen, politischen, juristischen oder sonst irgendwelche öffentlich wahrnehmbaren Konsequenzen. Warum auch. Schliesslich ist Angela Merkel immer noch im Amt und Frank Steinmeier die Opposition. Ach, da fällt mir ein – wussten Sie, dass die ägyptische Staatspartei NDP, deren regimetreuen Schläger in den letzten Tagen bloß ein, zwei Dutzend echte Oppositionelle ermordeten, bis vor 10 Tagen noch Mitglied der „Sozialistischen Internationalen“ war, genau wie vorher die Staatspartei des Dikators in Tunesien? (18.Januar, Die feinen Antennen auf dem Müllhaufen der Geschichte)
Nein? Gut. Also hübsch artig weiter SPD wählen. Staatsparteien werden überall gebraucht. Sonst müsste sich die Staatspolizei am Ende ihre BKA-Gesetze noch selber machen.
Die Neuigkeiten der Anklage gegen Al Adly wegen des Neujahrs-Attentats sind bereits übrigens zwei Tage alt. Wir bemühen uns, allein gegen alle, dem Müllhaufen der Geschichten hinterher zu räumen.
19.50 Uhr
Die interessanten Neuigkeiten kommen in regelmäßigen und kürzer werdenden Abständen. Der Aussenminister Mubaraks, Ahmed Aboul Gheit, hat erklärt, die ägyptische Armee könne möglicherweise „intervenieren“,
„um das Land vor dem Versuch ein paar Abenteurer zu bewahren an die Macht zu kommen.“
Analyse: Eine leere Drohung. Das Mubarak-Regime steht im Gegenteil selbst kurz vor einer Entmachtung durch die Armee.
19.55 Uhr
Nachdem in der nordöstlich der Hauptstadt Kairo gelegenen Stadt Ismailiya Einwohner das Gouverneurs-Gebäude gestürmt haben, hat sich die Staatspolizei mittlerweile fast vollständig aus der Stadt zurückziehen müssen. Unter den Bewohnern der Stadt, die sich seit zwei Wochen gegen das Mubarak-Regime wehrt, sind laut der Nachrichtenagentur ap auch Bewohner eines städtischen Slums aus behelfsmäßigen Hütten, in denen sie trotz aller Versprechungen ihrer Politiker 15 Jahre lang hausen mussten.
20.30 Uhr
Feuilleton: Zwischen dem Ping-Pong-Spiel schnell ein Peng zwischendurch. Auszüge aus dem Interview von Suleiman, indem dieser vor einem Putsch gegen.. ja, gegen wen eigentlich warnte…
„Ich meine einen Putsch des Regimes gegen sich selbst, oder einen Militärputsch oder eine Abwesenheit des Systems. Eine Kraft, ob es die Armee oder die Polizei oder der Geheimdienst oder die (Muslim)Bruderschaft oder die Jugend selbst ist, könnte `kreatives Chaos` hervorrufen, um das Regime zu beenden und die Macht zu übernehmen.“
Bitte zwei Plätze im Flugzeug. Und ein Zweibettzimmer.
21.50 Uhr
Ein wichtiges Verfallsdatum wäre dabei natürlich zu beachten.
21.55 Uhr
Feuilleton: Auch Aussenminister Ahmed Aboul Gheit hielt heute weiter gut mit. In dem Interview mit PBS warnte er nicht nur vor einem Militärputsch. Auf den heute morgen erteilten höflichen Hinweis des Weissen Hauses, man könne doch mal den Ausnahmezustand aufheben, anwortet Mubaraks Aussenminister:
„Als ich das heute morgen gelesen habe, war ich wirklich erstaunt, denn im Augenblick, während wir hier sprechen, haben wir hier 17.000 Gefangene aus den Gefängnissen, die zerstört worden sind, frei in den Straßen herum laufen. Wie können Sie von mir verlangen irgendwie den Ausnahmezustand aufzuheben, während ich in Schwierigkeiten bin?
Antwort aus Washington, US-Regierungssprecher Robert Gibbs:
„Es ist klar, dass das, was die Regierung bisher vorgebracht hat, noch einer Mindestmenge für die Menschen in Ägypten entsprechen muss.“
Da hat jetzt jemand aber den Ball mit aller Macht über den Tisch gespielt. Wow. Was für ein Einsatz.
23.00 Uhr
Schalt´s von der anderen Seite durch´s kreative Chaos: „Na, na, na. Man muss doch mal ein bisschen Verständnis haben, für die arme, demokratische Regierung der Freien Welt in Washington. Man kann die guten Freunde in Ägypten ja auch nicht allzu sehr vergrätzen. Sonst packen die am Ende noch aus. Zum Beispiel über die Ausbildung der Folterer von der Staatsicherheit „Egyptian State Security and Investigative service“ (SSIS) beim FBI.“
23.10
Mittlerweile sind laut Al Jazeera 20.000 Arbeiter in Ägypten im Streik. Ihre Haltung zum Diktator ist unterschiedlich. Wie berichtet, haben sich drei unabhängige Gewerkschaften der Freiheitsbewegung angeschlossen.
Mitternacht
Die Menschen in Ägypten trauern um ihre Toten des Volksaufstandes.
„Wir hoffen, dass der Freitag der Martyrer die größte Beerdigungszeremonie der Welt wird, um 300 Ägyptern das Geleit zu geben.“
Ganz ohne Zweifel sind die Ägypter bereit, noch mehr Beerdigungen in Kauf zu nehmen, um ihre Freiheit von der Diktatur zu erreichen. Vielleicht ist es trotzdem die letzte.