Münchner Sicherheitskonferenz: „Wandel muss gestaltet werden“
Tektonische Plattenverschiebungen und westliche Reaktionen
Einmal mehr versammelten sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die dieses Jahr vom 4.-6. Februar stattfand, „Eliten“ aus Politik, Militär und Wirtschaft, um sich über Strategie und Politik der NATO zu verständigen. Sie wurden von 3400 Polizisten geschützt, die auf eine Gegendemonstration trafen, die mit etwa 5000 Menschen erfreulich rege Beteiligung fand.
Das zentrale Thema der Konferenz umriss NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mit den Worten, „alte Wahrheiten treffen nicht mehr zu, es gibt tektonische Plattenverschiebungen.“ Damit spielte der NATO-Chef einerseits auf die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern an. Andererseits beschrieb er hiermit auf den erheblichen machtpolitischen Aufstieg von Ländern wie China, der zu Lasten des Westens geht und sich mit der Wirtschafts- und Finanzkrise nochmals beschleunigt hat. Wie die eigenen Interessen im Lichte dieser Entwicklungen weiterhin durchgesetzt werden können, stand im Zentrum der Debatten auf der Sicherheitskonferenz.
Ägypten: Westlich Moderierter Machtwechsel
Anfangs fielen die westliche Position zu den Massenprotesten in Tunesien, Ägypten und anderswo eher vage und abwartend aus. Demgegenüber formulierte IMI-Vorstand Tobias Pflüger bei der Gegendemonstration:
„Wir haben die Aufgabe darauf hinzuweisen, dass diejenigen, die in den arabischen Ländern an der Macht sind, gepäppelt wurden von den westlichen Staaten, insbesondere auch Deutschland. Es wurde jahrelang Waffenhilfe, Polizeihilfe und Ausstattungshilfe gegeben. Es ist eine brutale Doppelmoral, wie die Bundesregierung mit den Protesten umgeht. Wir stehen an der Seite der Protestierenden in Ägypten, Tunesien, Jemen und so weiter.“
Zwar einigten sich auch die NATO-Vertreter auf der Münchner Sicherheitskonferenz nun erstmals öffentlich auf eine gemeinsame Strategie nebst einheitlicher Sprachregelung. Das hieß aber noch lange nicht, dass diese bereit sind, sich klar auf die Seite der Protestbewegung zu schlagen. Generell kam zwar keiner der Redner darum umhin, die Demonstrationen zu begrüßen:
„Wer wären wir denn, wenn wir nicht auf der Seite dieser Menschen stünden“, erklärte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Doch dabei handelte es sich um bestenfalls halbherzige Lippenbekenntnisse, wie etwa Spiegel Online (06.02.2011) kritisierte: „Wo blieb das eindeutige Signal der Unterstützung an die demokratischen Kräfte in Ägypten? Amerikaner und Europäer haben auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor einem überstürzten Machtwechsel am Nil gewarnt. So verspielt der Westen Vertrauen – und verpasst eine Chance.“
Vor allem die Proteste in Ägypten standen und stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit, denn der in die Defensive geratene Diktator Hosni Mubarak erwies sich über Jahrzehnte als wichtiger Partner des Westens. Hierfür wurde er wiederum auch üppig belohn, wie Spiegel Online (07.02.2011) berichtet: „Dafür zahlten die Vereinigten Staaten in den vergangenen 30 Jahren Finanzhilfen von rund 70 Milliarden Dollar an Ägypten. Washington erkaufte sich vermeintliche Stabilität.“
Und genau diese Stabilität sieht man nun gefährdet. So gab US-Admiral James G. Stavridis, Chef des Strategischen NATO-Oberkommandos für Operationen, in einem Interview am Rande der Sicherheitskonferenz an: „Wir beobachten die Situation genau und sind über die Ereignisse sehr beunruhigt.“ Auch US-Außenministerin Hillary Clinton warnte in ihrer Rede auf der Sicherheitskonferenz davor, der „Übergang zur Demokratie könnte chaotisch werden. Er könnte kurzfristig zu Instabilität führen.“
Offensichtlich hat man es – ungeachtet aller Worthülsen – nicht besonders eilig, den Forderungen nach Einführung der Demokratie ihren Lauf zu lassen, denn die Bundesregierung plädiert ebenfalls dafür, nicht allzu vorschnell Wahlen abzuhalten.
Der Grund: Sie teilt mit den USA die Sorge, ohne einen sorgfältig orchestrierte Machtübergabe könnten Kräfte an die Regierung gelangen, die den jahrzehntelangen pro-westlichen Kurs Ägyptens ins Wanken bringen könnten.
„Man muss einen geordneten Übergangsprozess hinbekommen“, so Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede. „Die ganz schnelle Wahl als Beginn eines Demokratisierungsprozesses halte ich für falsch.“ Mit lediglich einem Kernsatz gelang es Merkel, die in München unisono vorgebrachte westliche Position ebenso wie das politisches Programm der nächsten Monate zusammenzufassen: „Wandel muss gestaltet werden.“ Der „Übergang zur Demokratie“ müsse deshalb „gut geplant sein.“ Das Nachrichtenportal German-Foreign-Policy.com (07.02.2011) beschreibt präzise die eigentliche Absicht, die sich hinter dieser Aussagen verbirgt: „Gemeint ist die westliche Kontrolle über den ägyptischen Verfassungsprozess, der auf den Kairoer Straßen von der Bevölkerung beansprucht wird.“
Einen „Höhepunkt“ bildete am Abend des 5. Februar Frank Wisner, der Ägypten-Sondergesandte von US-Präsident Barack Obama, der per Video der Diskussion auf der Sicherheitskonferenz zugeschaltet wurde:
„Ich glaube, dass die Führerschaft von Mubarak weiter von Bedeutung ist“. Mubarak sei ein „alter Freund“ der USA, mit dem „respektvoll“ umgegangen werden müsse. „Präsident Mubarak hat seinem Land 60 Jahre gedient und steht jetzt vor der Aufgabe, Ägypten in die Zukunft zu führen.“ Auch wenn sich verschiedene US-Regierungsmitglieder noch auf der Sicherheitskonferenz umgehend von diesen unglaublichen Aussagen distanzierten, war die Katze damit doch endgültig aus dem Sack.
Zwar rückte man mehrheitlich von Wisners Vorschlag, den Bock zum Gärtner zu machen und den ägyptischen Diktator Hosni Mubarak den Übergangsprozess zur Demokratie leiten zu lassen, ab, da dies allein schon angesichts des zu erwartenden Widerstands im Land relativ aussichtslos wäre. Aber die Grundidee, weiterhin eine „befreundete“ Person im Sattel sitzen zu haben, um Einfluss auf den weiteren Gang der Dinge (und damit auch den künftigen Wahlsieger) zu erlangen, hat sich durchgesetzt. Dabei wird zwei Personen eine größere Bedeutung zugeschrieben. Der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed el Baradei, wird insofern zum „Statthalter des Übergangs“ (so der Islamwissenschaftler Udo Steinbach) gekürt, als er der vom Westen akzeptierte Verhandlungsführer ist, der die verschiedenen im Protest vereinigten Spektren integrieren, repräsentieren und damit auch kanalisieren kann.
Vizepräsident Omar Suleiman hingegen wird im Hintergrund als „Manager des Übergangs“ (Zeit Online, 04.02.2011) wirken und die Posten zwischen Militärs, Mitgliedern des alten Regimes und einigen pro-westlichen Reformern in enger Abstimmung mit den USA, Israel und der EU verteilen. Insofern war es etwas zynisch, dass Außenminister Guido Westerwelle bei seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz angab: „Wir entscheiden nicht, wer die Meinungsführer in Ägypten sind.“
Wahlen, gerne, aber erst, wenn der „geordnete Übergang“ im Sinne westlicher Interessen gewährleistet ist, so etwa auch die Aussage von Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union:
„Grundsätzlich ist es natürlich so, dass wir demokratische Prozesse unterstützen. Die Frage ist nur, mit welchem Ziel.“
Genauso klingt auch der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger:
„Wir brauchen eine Doppelstrategie: Das realpolitisch Notwendige machen aber nicht zu vergessen, dass wir eine Demokratie-Mission haben, einen Auftrag, die Demokratie zu fördern.“ Die politischen Stiftungen der deutschen Parteien müssten nun in Ägypten verstärkt aktiv werden, um den Übergangsprozess zu unterstützen, ähnlich es in den 1970ern in Spanien und Portugal geschehen sei:
„Gleichzeitig haben wir über unsere politischen Stiftungen den politischen Kräften in diesen Ländern das Gefühl gegeben, dass sie von uns gehört werden, dass wir auf sie aufpassen, dass wir ihnen Kurse anbieten, dass wir ihnen beistehen bei der Entwicklung einer politischen Kultur, die dann schließlich auch zum Durchbruch der Demokratie geführt hat. So geht‘s!“
Tektonische Machtverschiebungen und transatlantische Strategien
Der zweite große Themenkomplex, der auf der Sicherheitskonferenz adressiert wurde, waren die Veränderungen der internationalen Machtverhältnisse zuungunsten des Westens und die möglichen Reaktionen hierauf.
„Es hat durchaus tektonische Verschiebungen im weltpolitischen Sicherheitsgefüge gegeben“, sagte auch Wolfgang Ischinger unmittelbar vor der Sicherheitskonferenz mit Blick auf den machtpolitischen Aufstieg von Akteuren wie China. Angesichts dieser Herausforderung, so NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, müsse der Westen im Rahmen der NATO künftig weit enger kooperieren. Nur im amerikanisch-europäischen Verbund werde es künftig gelingen, die eigenen Interessen angesichts der gewachsenen Konkurrenz durchsetzen zu können, so der NATO-Chef. Um aber gemeinsam handeln zu können, sei es zwingend erforderlich, dass die Europäer mehr Geld in die Rüstung investieren, sonst drohe sich eine nicht mehr zu überwindende Kluft zu den USA auf zu tun.
„Vor zehn Jahren hat der Verteidigungshaushalt der Vereinigten Staaten etwas weniger als die Hälfte der Gesamtausgaben aller Mitglieder ausgemacht. Heute ist der US-Anteil nahe bei 75 Prozent – und er wird weiter steigen. […] Wenn Europa nicht mehr in der Lage ist, einen angemessenen Beitrag zu leisten, dann könnten sich die Vereinigten Staaten anderswo nach Partnern umsehen.“
Viel Aufhebens wurde zudem – einmal mehr – um das Verhältnis mit Russland gemacht. Gerade in Deutschland hoffen viele, das Land in einen westlichen Block, der gegen China (und ggf. andere asiatische Staaten) gerichtet ist, einbinden zu können. Allerdings ist für Moskau hier allenfalls eine Rolle als Juniorpartner mit begrenzten Mitspracherechten vorgesehen, wie auf der Sicherheitskonferenz untermauert wurde. Deutlich wurde dies besonders anhand der Frage des NATO-Raketenabwehrschildes, dessen Aufbau von der Allianz bereits letzten November beschlossen worden war.
Auf russischer Seite sorgt man sich davor, dass der Schild primär auf die Unterminierung der Zweitschlagfähigkeit abzielen könnte und besteht deshalb auf umfangreichen Mitspracherechten. So kritisierte der russische Außenminister Sergei Lawrow in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz:
„Experten wissen genau, dass die dritte und vierte Ausbaustufe des US […] und des NATO-Raketenabwehrsystems […], sollten sie implementiert werden, auf einer strategischen Ebene wirksam werden, die die Effizienz der russischen Abschreckungskräfte direkt beeinträchtigen werden.“ Damit wird sehenden Auges an der Rüstungsspirale gedreht, denn Lawrow kündigte „kompensatorische Maßnahmen“ an, sollten die russischen Vorbehalte in dieser Frage nicht adressiert werden.
Zwar hat man sich inzwischen im Grundsatz auf Konsultationen geeinigt, wie weit aber hier die russischen Mitsprachemöglichkeiten gehen sollen, darüber bestehen ganz offenkündig erhebliche Differenzen. So gab Lawrow weiter an:
„Ich bin der Ansicht, jeder versteht, dass die Einigung, eine mögliche Zusammenarbeit in Raketenabwehrfragen im NRC [NATO-Russland-Rat] zu diskutieren, in keinster Weise bedeutet, dass Russland einem NATO-Programm zustimmen wird, das ohne Russland entwickelt wird. Nach dem Prinzip ‚Friss-oder-stirb‘ kann hier nicht verfahren werden. […] Ich hoffe, dass nicht einige versuchen werden, uns einen fait accompli vorzusetzen. In diesem Fall wären Komplikationen unvermeidbar.“
US-Außenministerin Hillary Clinton gab demgegenüber jedoch an, dass die USA überhaupt nicht daran denken, sich von Russland in irgendeiner Form in der Raketenabwehrfrage substanziell hineinreden zu lassen:
„Wir haben es unmissverständlich klar gemacht, dass wir keine Einschränkungen unserer Raketenabwehrsysteme akzeptieren werden.“
Das war typisch für die Sicherheitskonferenz – und zwar nicht nur in diesem Jahr: Einerseits werden mit unglaublichem Schulterklopfen die Ratifizierungsurkunden für den – völlig unzureichenden – START III-Vertrag zwischen Russland und den USA ausgetauscht und als wegweisenden Schritt zur nuklearen Abrüstung gepriesen. Andererseits wird im gleichen Atemzug eine Machtpolitik betrieben, die den vielfach und lautstark bekundeten Abrüstungswillen aufs übelste konterkariert.
Menschenrechte vs. Geopolitik: 0:1
Ob Ägypten, Russland oder wo auch sonst, dass im Zweifelsfall die Interessen die Werte unterbuttern, zeigt auch eine letzte Episode, die sich im Rahmen der diesjährigen Sicherheitskonferenz zutrug.
Einerseits wurde der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko unter dem Beifall der „liberalen“ Presse ausgeladen. Angeblich sei der Schritt „als Reaktion auf die Unterdrückung der Opposition“ (AFP, 18.01.2011) erfolgt. Tatsächlich erwiesen sich die Versuche der Europäischen Union, Weißrussland der russischen Einflusszone zu entziehen als erfolglos, wofür Lukaschenko nun die Quittung erhielt.
Andererseits lud Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel ausgerechnet den äthiopischen Premierminister Meles Zenawi offiziell zur Teilnahme an der Sicherheitskonferenz ein. Obwohl Amnesty International und zahlreiche weitere Gruppen Äthiopien massivste Verletzungen der Menschenrechte vorwerfen, schien dies in diesem Fall offensichtlich kein Hinderungsgrund zu sein, den Diktator Meles nach München einzuladen. Ausschlaggebend ist hierfür das westliche Interesse, Äthiopien als „Ordnungsmacht in Ostafrika“ zu stützen: „Weil Äthiopien für die westliche Kontrolle am Horn von Afrika und damit an der Zufahrt zum Roten Meer erhebliche Bedeutung besitzt, verpuffen Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen gegen die äthiopische Regierung wirkungslos. Addis Abeba wird bereits seit Jahren wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen scharf kritisiert.“ (German-Foreign-Policy.com, 17.01.2011)
Während Zelawi wohl nicht zuletzt aufgrund von Protesten von Exil-Äthiopiern nicht offiziell auf der Gästeliste auftauchte, sich aber dennoch unter allen „Honoratioren“ der Sicherheitskonferenz tummeln durfte, erhöhte die Europäische Union nahezu zeitgleich die Hilfe für die weißrussische Oppositionsbewegung – um das Vierfache – auf 15.6 Millionen Euro (Deutschlandfunk, 02.02.2011).
Quelle: IMI http://www.imi-online.de/2011.php?id=2241