RINGEN UM LIBYEN (I): EU aktiviert Interventions-Mechanismus

Erster Teil einer Artikel-Reihe zum Aufstand in Libyen und den damit einhergehenden Interessenskonflikten der Industrie-Mächte.

Der Aufstand in der an Erdöl-Vorkommen reichen „Sozialistisch-Arabischen Volksrepublik“ Libyen ist der Aufstand gegen eine brutale Diktatur. Es ist der Aufstand gegen einen seit 42 Jahren amtierenden surrealen Diktator Muammar el Gaddafi, der zwölf Jahre länger Zeit hatte seine Gesellschaft zu ruinieren als der 30 Jahre über Ägypten herrschende Diktator Husni Mubarak. Der Aufstand in Libyen ist auch der Versuch eines großen Teils der Bevölkerung, die eigene Freiheit und die ihrer Landsleute zu erreichen.

Der Aufstand in Libyen ist aber auch ein Putsch. Ein Putsch, der offensichtlich von Teilen des Militärs mitgetragen wurde. Ein Putsch, der durch Exilgruppen mitiniitiert worden ist, die von britischen und amerikanischen Geheimdiensten schon vor Jahrzehnten als Attentats-Armeen und Proxy-Milizen finanziert und aufgebaut wurden. Und es ist ein Putsch, dessen Ablauf in großen Teilen mit einem Plan des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 für einen Militärputsch im März 1996 übereinstimmt, der im Zuge eines Angriffs auf Militäranlagen in Tarhuna, von orchestrierten Protesten in den Städten Benghazi, Misratah und Tripolis, einem durch Militärs unter der Flagge von „Islamisten“ durchgeführten Attentat auf Gaddafi und der Installation einer Übergangsregierung vor Verhandlungen mit den Stammesführern erfolgen sollte. (dazu in Teil II)

Während Großbritannien und den USA offensichtlich an einem raschen Sturz Gaddafis gelegen ist, deckt die Mehrheit der Mitgliedsländer der  „Europäische Union“ (EU) – darunter Deutschland, Frankreich, Österreich, Luxemburg und vor allem die ehemalige Kolonialmacht Italien – den Diktator Gaddafi und benutzt die durch dessen (zumindest teilweisen) Verbleib an der Macht entstehende regionale Krise zur Aktivierung ihres inneren und äußeren Interventions-Mechanismus. Diese Aktivierung erfolgte gestern Nachmittag, in aller Stille, neben allerlei leerem Rauschen hohler Erklärungen.

Der Präsident des Obersten EU-Regierungsrates Herman Van Rompuy, sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, aktivierten in Brüssel den 2001 zu Beginn des weltweiten Krieges „gegen den Terror“ geschaffenen „European Civil Protection Mechanism“ (Europäischen Zivilschutz-Mechanismus) und damit dessen ständige Zentrale, das „Monitoring and Information Centre“ (MIC) unter Leitung der Brüsseler Kommissare. Aufgabe: die Koordination von

Unterstützungs-Interventionen innerhalb und außerhalb der Europäischen Union“ (1)

Welchen Umfang dieser nur knapp einen Monat nach dem Attentaten des 11.Septembers 2001 aus dem Hut gezogene und angeblich dem Schutz vor Katastrophen dienende „Zivilschutz-Mechanismus“ hat, erschließt sich aus dieser Mitteilung (2) der Kommission an den Obersten Regierungsrat der Union vom 20.Oktober 2004. Unter „Abwehrbereitschaft und Folgenbewältigung bei der Terrorismusbekämpfung“ versteht man in Brüssel neben „Schulungen und Simulationsübungen“ der Dienste in den Mitgliedsstaaten selbstverständlich auch die obligatorische Datenbank – zur „Verstärkung der Zivilschutzfähigkeiten der EU“, sowie zur „besseren Planung und Abwehrbereitschaft“.

„Im Jahr 2003 wurde der Eu-Militärausschuss beauftragt, eine Datenbank der militärischen Mittel und Fähigkeiten zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Folgen von Terroranschlägen einschließlich chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Anschläge einzurichten. Im Jahr 2004 wurde der Inhalt der militärischen Datenbank für den Gemeinschaftsmechanismus verfügbar gemacht, um dessen Gesamtreaktionsfähigkeit zu steigern.“

Wie gesagt – das war vor sieben Jahren. Wenn man sich nun vor Augen hält, mit welcher Kaltschnäuzigkeit und wechselnden Ausreden seitdem die EU-Plutokratie und ihre Konstrukteure in den Regierungszentralen der Mitgliedsländer ihre Machtbefugnisse gegen die passiven und lethargischen Bevölkerungen in Europa ausgebaut hat, kann man sich vorstellen, welches Ausmaß die MIC-Datenbanken mittlerweile haben.

Natürlich umfasst der „Zivilschutz“-Mechanismus und die Kompentenzen der MIC-Zentrale auch Europol, sowie die seit Tagen wegen angeblichen „Flüchlings-Katastrophen“ auf Lampedusa herumlungernden EU-Grenztruppen von Frontex, mitsamt Luft- und Marineeinheiten und „Experten“ diverser Dienste aus den EU-Mitgliedsländern, welche laut der EU-Kommission „zur Sicherung der Grenze Italiens“ am 21. Februar entsendet wurden (3). Darunter mutmaßlich auch ein paar dienstbare Herrschaften aus Deutschland, die sich schon bestens in Libyen auskennen. (Die neue Libyen-Affäre, 20.Februar)

Dabei hatte man bei den Sittenwächtern von Rom noch am 14.Januar ganz unschuldig mit dem Finger gewedelt, als es um Hilfe gegen die (heute bereits biblischen) Flüchtlingströme von Revolutionsmigranten ging, die man aber zum damaligen Zeitpunkt noch (plötzlicherweise) aus dem postrevolutionären Tunesien vermeldete. Der Sprecher von Italiens Innenminister Roberto Maroni zeigte sich entrüstet über ein Statement der EU-Kommission; die hatte sich verwundert darüber gezeigt, dass Italien weder um Hilfe bei der Hilfe für/gegen Immigranten aus Nordafrika, noch um den Einsatz von Frontex gebeten hatte. (4)

„Es ist nicht wahr, dass Italien das Angebot der EU-Kommission ausgeschlagen hat, hinsichtlich der einströmenden Immigranten aus Tunesien zu helfen.“

Dass man offensichtlich schon zum damaligen Zeitpunkt in Rom, und wahrscheinlich auch in anderen Regierungszentralen der EU, ganz andere Überlegungen hatte als eine Krise zu lösen, sondern vielmehr mit der exekutiv-amtsbewehrten Methode des Nichtstuns und der Selbstsabotage eine vorzutäuschen, fiel sogar den Siebenschläfern der staatlichen ARD auf. Die „Tagesschau“ (5) berichtete schon am 13.Januar von Beschwerden des UN-Flüchtlingskommissariats an die Berlusconi-Regierung: man verstehe nicht, warum das gut aufgerüstete Erstaufnahmelager auf Lampedusa angesichts einer vermeintlichen Notlage nicht geöffnet werde.

„Ungeachtet der Massenflucht übers Meer bleibt das einsatzbereite Lager auf Lampedusa auf Weisung des rechtspopulistischen Innenministers Roberto Maroni weiter geschlossen – auch wenn das Personal jederzeit den Betrieb aufnehmen und bis zu 2000 Menschen anständig versorgen könnte. Stattdessen werden die Bootsflüchtlinge notdürftig auf Gemeindezentren, die Inselpfarrei und den Flughafen verteilt – und heute Morgen wurden rund 1000 von ihnen auf den Fußballplatz von Lampedusa gebracht. Sie hatten die Nacht bei kühlen Temperaturen auf der Hafenmole im Freien verbracht.“

Der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins borderline-europe, Elias Bierdel, in einem „Tagesschau“-Interview am 14.Februar, verortete die Motivation von Italiens Regierung hinter der künstlich geschaffenen Situation auf Lampedusa wie folgt (6):

Auf Lampedusa herrscht zurzeit Chaos, was auch politisch gewollt ist seitens der italienischen Regierung. Sonst hätte sie umgehend die dort bereitstehenden Einrichtungen öffnen können. Es gibt hier eine Strategie der Abschreckung. Man versucht, Menschen in eine unwürdige Situation hineinlaufen zu lassen, um andere davon abzuhalten, es ihnen gleichzutun. Das ist nur ein Teil der Abwehrstrategien Europas, aber ein besonders schauerlicher.“

Wie schauerlich nun andere Teile der Strategien nicht Europas, sondern der Brüsseler Räteunion werden, das wird sich noch herausstellen. Italiens Regierung jedenfalls forderte schließlich am 14. Februar angesichts der „Flüchtlingskrise“ auf Lampedusa Frontex an. Nebebei hielt man noch die Hand auf – 100 Millionen Euro aus Brüssel wolle man haben, quasi als Belohnung für die organisierte Einladung, die jetzt im Zuge deswegen Libyen aktivierten Interventions-Mechanismus so unerwartet verlängert wird.

In der Erklärung der EU-Kommissare zur Aktivierung des „Zivilschutzes“ wurde nicht nur die Aktivierung des Interventions-Mechanismus verkündet. Es wurde auch ein konkretes Einsatzgebiet der EU-Einheiten benannt. Die MIC-Einsatzzentrale, so die Kommissare, solle dabei helfen, Mittel bereit zu stellen für „Evakuierungen, auch über See“. Konzentrieren wolle man sich dabei auf

„Benghazi und andere Teile Libyens“

Teil II erscheint demnächst

Quellen:
(1) http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/222&format=HTML&aged=0&language=EN&guiLanguage=en
(2) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2004:0701:FIN:DE:PDF
(3) http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-12525155
(4) http://www.agi.it/english-version/italy/elenco-notizie/201102141355-cro-ren1048-immigrants_maroni_italy_did_not_turn_down_eu_s_help
(5) http://www.tagesschau.de/ausland/lampedusa192.html
(6) http://www.tagesschau.de/ausland/interviewbierdel100.html