Arme und Ausländer, zu den Waffen und an die Front!
Die Bundeswehr startet Charme-Offensive für ihre Transformation zur Armee im Einsatz
Gleich mehrere Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine vermeldeten Mitte Februar, dass die Bundeswehr laut eines vom Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Rüdiger Wolf erlassenen „Maßnahmenpakets zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ in Zukunft auch um „Ausländer“ und „Geringqualifizierte“ werben will, um ihren wachsenden Personalbedarf zu decken.[1] In der Tat grenzt dieser Vorstoß an einen Tabubruch, wie auch die Reaktionen aus der Regierungskoalition zeigten. Die Financial Times Deutschland (FTD) zitierte den FDP-Generalsekretär Christian Lindner mit den Worten, die Zulassung von Staatsbürgern anderer Nationalitäten passe nicht zur Tradition der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Und der Vize-Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, fabulierte ad hoc von „Loyalitätskonflikten“.[2] Die Ziele und der Zweck des Maßnahmenkatalogs gerieten aber ebenso durch die mediale Fokussierung auf diese Teilaspekte in den Hintergrund wie die Gründe für die Ausarbeitung des Papiers und andere bedeutende Reformvorschläge zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes an der Waffe.
Neue Soldaten für die Armee im Einsatz
Ausgangspunkt für die gegenwärtige Reform der Bundeswehr ist, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre politischen, geostrategischen und ökonomischen Interessen überall auf der Welt auch mit militärischen Mitteln wahrnehmen möchte. Dafür muss die bereits im Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr formulierte Intention realisiert werden, die Bundeswehr zu einer Armee im Auslands- und Kriegseinsatz zu transformieren.[3] Das heißt, die organisatorische Struktur des deutschen Militärs darf sich nicht mehr an der im Grundgesetz verankerten Aufgabe, die Landesgrenzen zu verteidigen – auch wenn „Verteidigung“ nie ihre einzige Aufgabe war –, sondern muss sich an den Erfordernissen von Militärinterventionen, Kriegseinsätzen und Besatzungen außerhalb und fern der nationalen Grenzen der Bundesrepublik orientieren. Diese Transformation ist bereits in den 1990er Jahren politisch initiiert und von den vier großen Parteien von FDP bis zu den Grünen in verschiedenen Koalitionen mitgetragen worden. Im letzten Jahrzehnt hat der Reformprozess Fahrt aufgenommen, ohne dass er aber bereits in absehbarer Zeit beendet sein wird.
Aktuell beabsichtigt das Bundesverteidigungsministerium im Auftrag der schwarz-gelben Regierung den nächsten Schritt auf diesem Wege zu gehen und die Vorschläge der von ihr eingesetzten Strukturkommission zur Reform der Bundeswehr umzusetzen, die diese in ihrem Bericht mit dem richtungsweisenden Titel „Vom Einsatz her denken – Konzentration, Flexibilität, Effizienz“[4] Ende des Jahres 2010 zusammengefasst haben. „Heute geht es“, so schreiben die Mitglieder der Strukturkommission, „um einen radikalen Umbau, der den Anforderungen der neuen Einsätze gerecht wird.“[5]
Zu den zentralen Reformvorhaben zählen unter anderem die Wiedereinrichtung eines militärischen Oberkommandos, das nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschafft wurde, und eines militärischen Oberbefehlshabers im Rahmen einer allgemeinen Straffung der Führungsstruktur der Bundeswehr nach dem Motto „mehr Indianer, weniger Häuptlinge“[6], die Reduktion der Truppengröße auf voraussichtlich 185.000 Mann (170.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie 15.000 Freiwilligen Wehrdienstleistende), die Einführung eines Freiwilligen Wehrdienstes mit einer Dauer von mindestens 12 und maximal 23 Monaten als Ersatz für den ausgesetzten Grundwehrdienst[7] – und damit die de facto Einführung einer deutschen Freiwilligen- und Berufsarmee – sowie eine Offensive zur Rekrutierung und Akzeptanzbeschaffung für die Bundeswehr und ihr kriegerisches Handwerk. Nur in diesem politischen und organisatorischen Zusammenhang wird die Tragweite der ausgeweiteten Personalwerbung und -bindung verständlich.
Bundeswehr ohne Nachwuchs? Die Ursachen für die Rekrutierungsoffensive
„Am Erhalt und der Steigerung der Attraktivität des Dienstes wird (…) seit Bestehen der Bundeswehr kontinuierlich gearbeitet. Attraktivitätssteigerung ist (…) nichts Neues und auch kein allein stehendes Ziel, sondern als Teil des Transformationsprozesses der Bundeswehr eine Daueraufgabe“[8], schreibt der Staatssekretär des Bundesverteidigungsministerium Rüdiger Wolf in dem Maßnahmenpapier, das insgesamt 82 Reformideen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr umfasst. Derzeit verfolgt die Bundeswehr nicht nur ihre normale Rekrutierungs-und Öffentlichkeitsarbeit, sondern eine intensivierte Ausdifferenzierung, Verfeinerung und Ergänzung der bestehenden Attraktivitätsmerkmale, die es in dieser Form in der Geschichte der Bundeswehr noch nicht gegeben hat.
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Durch die voraussichtliche Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 „fällt ein wichtiges Rekrutierungselement weg“[9], heißt es im Bericht der Strukturkommission zur Bundeswehrreform. Die Bundeswehr hat bis dato 40 Prozent ihrer Berufs- und Zeitsoldaten über den Zwangsdienst angeworben.[10] Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), schlussfolgert daher auch zurecht in seinem aktuellen Bericht: „Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Nachwuchsgewinnung und die Zusammensetzung der Bundeswehr bleiben. Alle Nationen, die die Wehrpflicht in den vergangenen Jahren abgeschafft haben, haben die Erfahrung gemacht, dass nach Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht die Gewinnung des Nachwuchses für die Streitkräfte schwieriger und teurer wird. Die Bundeswehr wird davon keine Ausnahme machen.“[11] Dies belegt auch ein Arbeitspapier des konservativen deutschen Think Tanks, der Stiftung Wissenschaft Politik (SWP), zum innereuropäischen Vergleich der Folgen einer Abschaffung der Wehrpflicht.[12]
Ein zweiter Grund für eine Attraktivitätssteigerung ist der demographische Wandel, d.h. die Veränderung in der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung. Das Verhältnis von alten zu jungen Menschen verschiebt sich zusehends zu Ungunsten der Jungen, so dass immer weniger junge Menschen für eine bestimmte Anzahl zu vergebener Arbeitsplätze vorhanden sind. Das ermöglicht vielen Jugendlichen im Vergleich zu früheren Generationen, eher einen zivilen Beruf finden zu können und verringert relativ den finanziellen Druck, bei der Bundeswehr einen Arbeitsplatz annehmen zu müssen.
Drittens tritt die Bundeswehr auch infolge der demographischen Entwicklung und des erhöhten Personalbedarfs mit anderen „Arbeitgebern“ in verstärkte Konkurrenz um, wie es im Jargon des Maßnahmenpapiers heißt, „die geschicktesten Hände und die klügsten Köpfe“ der Republik. Bereits die Autoren des Weißbuch 2006 schlussfolgerten: „Damit die Bundeswehr sich in einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs am Arbeitsmarkt behaupten kann, wird die Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften konsequent gesteigert.“[13] Das Militär will also potentiellen Bewerbern mehr bieten können als Unternehmen, die sich um dieselben Arbeitskräfte bemühen.
Dazu kommt, dass die Bundeswehr „bereits heute überaltert“ und der Personalkörper der Streitkräfte „stabslastig“[14] ist. Um aber eine Armee im Einsatz aufrechterhalten zu können – unter anderem durch einen regelmäßigen und rechtzeitigen Wechsel der Einsatzkontingente –, müssen vor allem körperlich leistungsfähige – im Durchschnitt also jüngere – Soldaten der unteren Dienstgrade zur Verfügung stehen.
Schließlich hadert die Bundeswehr momentan mit einem zivilen und militärischen Fachkräftemangel. „In bestimmten Bereichen (z.B. bei den Spezial- und spezialisierten Kräften, besonders einsatzbelasteten Verwendungen, Laufbahnen des technischen Dienstes, Informationstechnik, technische Instandsetzung, ingenieurnahe Tätigkeiten, klinisch-ärztliche und truppenärztliche Tätigkeiten) bestehen bereits heute personelle Engpässe.“ Dieser wird noch gravierender durch „starke Personalabgänge“, besonders unter den Spezialisten.
Die Bundeswehr besitzt dementsprechend ein handfestes und beständig wachsendes Nachwuchsproblem. In den Berichten der Wehrbeauftragen des Bundestags wird der gesteigerter Personalbedarf schon seit einigen Jahren wiederholt thematisiert. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, schreibt laut Spiegel in einem Brief an den Generalinspekteur der Bundeswehr zum Beispiel, dass im Übergang zur neuen Struktur große Lücken im Personalkörper hingenommen werden müssten, die die Bundeswehr langjährig begleiteten und nicht auszugleichen seien. Das führe sogar soweit, dass der Afghanistaneinsatz bereits 2012 gefährdet werde.[15] Auch wenn der Pressesprecher des Generalinspekteurs diese Aussagen des Heerinspekteurs umgehend in einer Pressemitteilung dementierte[16] und der Grad des Nachwuchsproblems nicht so hoch ist, wie letzterer behauptet, besteht das zentrale Problem für die Bundeswehr fort. Sie benötigt gemäß eigener Planungsangaben jährlich allein 71.000 Bewerber (51.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie 20.000 Freiwilligendienstleistende), um ihre im Jahresdurchschnitt 27.000 (17.000 bzw. 10.000) offenen Stellen adäquat besetzen zu können.
Das Maßnahmenpaket zur Rekrutierung
Das Bundesverteidigungsministerium legte aus den genannten Gründen nun Anfang des Jahres das 37 Seiten starke Papier mit dem Titel „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“ mit 82 Vorschlägen vor, um die Anziehungskraft der Bundeswehr als normalen Arbeitgeber – der sie freilich nicht ist[17] – über das bereits erreichte Maß hinaus zu erhöhen. Denn „in Zukunft wird vor allem die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr darüber entscheiden, ob eine genügende Anzahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber für den Dienst in den Streitkräften gewonnen werden kann. Dabei zieht sich die Frage nach der Attraktivität“, so der Wehrbeauftragte weiter, „wie ein roter Faden durch alle Bereiche des Dienstes.“[18]
Im Wesentlichen gliedern sich die 82 Empfehlungen in drei große Maßnahmenkomplexe: 1. Ansehen der Bundeswehr als Organisation und als Arbeitgeber, 2. Bundeswehr als Ausbildungsinstitution und 3. Materielle und soziale Rahmenbedingungen.
Die Bundeswehr geht davon aus, dass durch die abnehmende Präsenz der Truppe in der Fläche z.B. durch Schließung von Truppenstandorten und durch die Reduktion der Truppenstärke die mediale Repräsentation der Bundeswehr an Bedeutung gewinnt. Dementsprechend konzentriert sie ihre Anstrengungen darauf, Kenntnisse, den Sinn, die Werte und das Image – im Sinne eines „Employer Branding“ – der Bundeswehr über Massenmedien und soziale Netzwerke stärker nach Innen und Außen vermitteln zu müssen. Besonders das „kostenintensive Medium Fernsehen“ sowie das Internet sollen vermehrt zur Werbung, Darstellung und Rekrutierung – „Talentmanagement“, „E-Recruiting“ und „YouTube“ – genutzt werden. Aus einer Anfrage der Linkspartei im Bundestag geht z.B. hervor, dass die Fernsehwerbung von 5.700 Euro im Jahr 2009 auf 1,4 Millionen Euro im Jahr 2011 gesteigert werden soll. Das Volumen für „personalwerbliche Anzeigen“ in den Medien allein beträgt knapp 5,7 Millionen Euro.[19]
Neben der audio-visuellen Kommunikation will die Bundeswehr aber auch ihre nach eigener Aussage sozialwissenschaftlich abgesicherten, zielgruppenorientierten, qualitativ hochwertigen und im Vergleich konkurrenzfähigen eingesetzten Mittel und Verfahren zur Personalwerbung weiter verbessern, indem sie eine „mit entsprechenden personellen und materiellen Ressourcen ausgestattete Personalgewinnungsorganisation“ schafft. Diese soll auch die Schwächen der militärischen Personalgewinnung – lange Wartezeiten und große Entfernung zu den Büros der Wehrdienstberater – beheben, indem sie die Zahl der Büros in der Fläche vergrößert, Online-Angebote bereitstellt, um räumliche Distanz zu überwinden, und Einstellungsverfahren verkürzt. Der SPD-Bundestagsabgeordneter Lars Klingbeil forderte z.B. aus denselben Motiven, für den ländlichen Bereich südlich der Millionenstadt Hamburg bereits, ein Beratungsbüro in Stade einzurichten.[20]
Der Autor des Maßnahmenpapiers ist – ähnlich wie die Jugendoffiziere in ihren Berichten – betont darum bemüht, eine Grenze zwischen Informationsarbeit und den „Marketingmaßnahmen zum Zwecke des zivilen und militärischen Bedarfsdeckung sowie deren Kommunikation“ zu ziehen, um ihre Präsenz in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Universitäten und ihre Zulassung als Bildungsträger nicht zu gefährden. Dennoch wird diese Grenze beständig in Theorie und Praxis verwischt. Auch die Maßnahme 30 des Pakets dokumentiert, dass es de facto keinen Unterschied zwischen beidem gibt. Sie lautet: „Die Informationsarbeit nutzt alle relevanten Kommunikationskanäle, ohne die Möglichkeit der Ansprache auf persönlichem Wege aufzugeben, um das Interesse am Dienst in der Bundeswehr zu fördern.“ Die Informationsarbeit, wie sie z.B. Jugendoffiziere leisten, die angeblich nur informieren und nicht rekrutieren, ist einer dieser Kanäle.
Um neue Teile der Bevölkerung für den Dienst an der Waffen zu erschließen, sollen nicht nur leichte Aufstiegsmöglichkeiten eingerichtet, die Verpflichtungszeiten flexibilisiert und bis zu 25 Jahren verlängert, sondern auch die Höchstaltersgrenzen für den Einstieg in die militärische Laufbahn abgeschafft werden. Diese Maßnahmen ergänzen die medial bekanntesten Vorschläge des Ministeriums: die Aufnahme „gering Qualifizierter“ und von „Inländern mit Migrationshintergrund (ohne deutsche Staatsbürgerschaft)“. Ex-Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg wies zwar nach den ersten Reaktionen umgehend darauf hin, dass nur EU-Bürger gemeint seien und dass man auch keinem anderen Staat die Rekruten streitig machen wolle, da auch sie Probleme mit der Nachwuchsgewinnung haben. An der Idee wird sich aber voraussichtlich nichts mehr ändern. Bereits in anderen Staaten der europäischen Union hat die Aufgabe der Wehrpflicht zu einem höheren Anteil an Migranten in der Armee geführt. In Spanien besitzen beispielsweise mittlerweile sieben Prozent der Soldaten keine spanische Staatsangehörigkeit. Allerdings verpflichtet sich ein Großteil auch in der Hoffnung, diesen auserwählten Status als Dank für ihren Dienst zu erhalten.
Diese überwiegend der direkten Rekrutierung und Werbung zuzuordnenden Empfehlungen des Bundesverteidigungsministeriums gehören dem ersten Bereich des Attraktivitätssteigerungskonzepts (Maßnahmen 1-34) – Ansehen der Bundeswehr als Organisation und als Arbeitgeber – an. Sie werden durch die Vorschläge des zweiten Bereichs (Maßnahmen 35-50) – Bundeswehr als Ausbildungsinstitution – erweitert, der sich maßgeblich an junge Menschen mit durchschnittlichen, geringen oder gar keinen schulischen bzw. beruflichen Qualifikationen richtet.
Der Idealtyp des deutschen Soldaten im 21. Jahrhundert bleibt weiterhin derselbe. Keine Spur mehr vom deutschen Lanzer, der en masse als nutzloses unausgebildetes Material verheizt werden konnte. Der moderne Soldat ist – zumindest in der Vorstellung der Offiziere und des Verteidigungsministeriums – gut aus- und gebildet, beherrscht hochentwickelte Waffentechnik, kann mehrere Sprachen, verfügt über kulturelle Kompetenzen usw.[21]
Da sich also das Anforderungsprofil an den neuen Soldaten grundsätzlich nicht ändert, der Zugriff der Bundeswehr auf Jugendliche mit ausreichender Ausbildung aber schwerer wird, reagiert sie mit neuen Mitteln, um ihr Problem zu beheben. Anders als bisher will sie nicht nur direkt Jugendliche mit hoher Qualifikationen anwerben, sondern auch „junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung bzw. ohne Schulabschluss“ und Migranten durch vielschichtige, flexible, individuell zugeschnittene Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote die notwendigen Fähigkeiten in Eigenregie vermitteln, die die Bundeswehr benötigt.
Dazu sollen zivilberuflich nutzbare schulische und berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildungen vor allem mit Augenmerk auf Fremdsprachen, Politische Bildung und die Didaktik der Politischen Bildung, neue Aufstiegsmöglichkeiten und eigene Ausbildungen eingeführt und die Übernahme von leistungsstarken Auszubilden verbessert werden. Selbstverständlich gehört auch weiterhin die universitäre Bildung in dieses Konzept der Ausbildung nach eigenem Bedarf. Zum Zweck der besseren Reintegration ihrer unteren Ränge ins zivile Berufsleben will die Bundeswehr zudem „nachhaltige Netzwerke und Kommunikationsplattformen mit Unternehmen der Wirtschaft sowie mit Kammern, Verbänden und Arbeitsverwaltungen pflegen und ausbauen“ – gleichfalls ein weiterer Schritt zur zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland.
Die restlichen Empfehlungen (Maßnahmen 51-82) des Bundesverteidigungsministeriums zur Hebung der Attraktivität der Bundeswehr dienen zur Verbesserung der materiellen und sozialen Rahmenbedingungen der Soldaten im Dienst und ihrer Angehörigen. Für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Dienst und eine ausgewogenere „Work-Life-Balance“ beabsichtigt die Armee, Mietbeihilfen zu gewähren, ihren Mitarbeitern Wohnungen zu beschaffen, 1.000 Kinderbetreuungsplätze und Betriebskindergärten einzurichten.
Zugleich werden diverse finanzielle Verbesserungen in Aussicht gestellt, etwa durch erhöhte bzw. neu einzuführende „Stellen- und Erschwerniszulagen“, insbesondere für benötigte Fachkräfte, aber auch in Form von Prämien zur Personalgewinnung und Personalbindung und mehr Urlaub. Darüber hinaus sollen die im Krieg eingesetzten Soldaten in hervorgehobener Weise unterstützt werden, indem die Einsatzzeiten gleichmäßig auf alle Soldaten verteilt und auf ein angemessenen Zeitraum reduziert werden.
Außerdem begrüßt der Autor des Papiers ausdrücklich „die Einführung eines besonderen Gerichtsstands für die Behandlung von möglichen Straftaten durch Angehörige deutscher Auslandskontingente“. Das bedeutet, dass Militärs wie Oberst Klein, der den Bombenangriff auf zwei Tanklaster nahe Kunduz am 4. September 2009 befohlen hat, mehrere Dutzend Zivilisten wider besseren Wissens ermorden ließ und dementsprechend ein Kriegsverbrechen begangen hat, in Zukunft von einem Sondergericht für Militärs, wie in den USA, Absolution für ihr Handeln erhalten. Damit beteiligte sich Deutschland ebenfalls daran, den bürgerlichen Rechtsstaat weiter zu demontieren und Straffreiheit für Verbrecher institutionell zu garantieren.
Die Ziele des umfassenden Maßnahmenpakets zur Attraktivitätssteigerung werden von den Bundeswehrvertretern relativ klar benannt. Sie sind auch keineswegs nur eindimensional angelegt. Die deutsche Kriegsarmee will eine „quantitativ wie qualitativ hinreichende Personalbedarfsdeckung der Streitkräfte“ ebenso gewährleisten wie eine langfristige Personalbindung und die Weiterentwicklung des Personals. Damit beabsichtigt das Militär, die „erforderliche Durchhaltefähigkeit“[22] im Einsatz (mehr Mannschaften, mehr Soldaten, bessere Fähigkeiten usw.) und eine „kontinuierliche Sicherstellung der Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr, insbesondere ihrer Einsatzverpflichtungen“ herstellen zu können. Darüber hinaus möchten das Ministerium und die militärische Führung die „personelle Einsatzbereitschaft“ erhöhen. Nur durch ausreichend motivierte Mitarbeiter könne die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen. Mit anderen Worten: Die deutschen Soldaten sollen frohen Mutes und zahlreicher in den Krieg ziehen, um dort beharrlich für deutsche und westliche Interessen zu kämpfen, Menschen zu töten und gegebenenfalls sogar das eigene Leben dafür zu opfern.[23]
Zusätzlich zu internen organisatorischen Zielen dient die Charme-Offensive dazu, das Ansehen und die Akzeptanz der „Bundeswehr als Organisation und als Arbeitgeber für militärisches und ziviles“ zu steigern, und Soldaten sowie zivile Mitarbeiter „als positive Multiplikatoren zu gewinnen“. Letztlich geht es also auch darum, die Verzahnung des militärischen mit den Teilen des zivilen Lebens zu fördern und auszubauen, in denen die Bundeswehr bislang nicht oder fast nicht präsent gewesen ist, für die Bundeswehr Reklame zu machen, Einfluss auf politische Diskussionen zu nehmen und letztlich dem umfassenden Ansatz von Verteidigung und Sicherheit auch im Inland gerecht zu werden.
„Fighting Poor“
Die Bundeswehr kann sich sicher sein, dass der Zulauf an Freiwilligen ohne oder mit einer schlechten Schul- bzw. Berufsausbildung aufgrund der mangelnden finanziellen und beruflichen Perspektive einer wachsenden Zahl Jugendlicher[24] ähnlich wie in der US Army konstant hoch bleiben wird. Wie auch die Ausrichtung beispielsweise der Schulbesuche der Jugendoffiziere belegt, ist das Interesse der Militärs an im Vergleich besser ausgebildeten Jugendlichen ebenfalls sehr hoch.
Dennoch haben die Bundeswehrplaner, wie dem Maßnahmenpapier zu entnehmen ist, den Fokus der Personalgewinnung und -bindung auf die Mannschaftslaufbahnen und dem Freiwilligen Wehrdienst gelegt, d.h. auf die unteren Dienstgrade. Dementsprechend ist das Gros der Empfehlungen auf junge Menschen mit durchschnittlichen und geringen Qualifikationen zugeschnitten. Der Vorschlagkatalog enthält darüber hinaus zwar auch eine Reihe an Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lebenssituation von Soldaten dienen, die bereits im Dienst sind. Dennoch setzt die Bundeswehr offensichtlich für die weiteren Kriegseinsätze auf die „fighting poor“.
Die Personalstruktur der Bundeswehr wird – wie in anderen Armeen der westlichen Welt auch, allen voran in den USA – im Lauf der Zeit die Klassenstruktur der kapitalistischen Gesellschaft deutlicher abbilden als noch vor einigen Jahren. Die unteren Dienstgrade, die Masse der potentiellen Frontkämpfer und dementsprechend auch Opfer gegnerischer Operationen, stammen bereits heute aus der arbeitenden Klasse und dem Heer der dauerhaft Arbeitslosen, während sich die Offiziere in der Regel aus dem gehobenen Bürgertum und anderen Teilen der herrschenden Klasse rekrutieren. Diese Aufgabenteilung erinnert an die abscheuliche Praxis der US Army während des Vietnamkriegs, im Wissen um ihren nahezu sicheren Tod hauptsächlich schwarze Soldaten in den Krieg und an die Front im Kampf gegen den Vietcong zu schicken, während die weißen Befehlshaber in verhältnismäßig größerer Zahl überlebten, nur mit dem Unterschied, dass die Klassenherkunft die Abstammung in dieser Frage überlagert.
Knapp 50 Prozent der Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz kommen bereits heute aus sogenannten strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands. Insgesamt stammt ein Drittel des Bundeswehrpersonals aus dem Osten, obwohl dort nur ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung lebt.[25] Dennoch ist das Schlagwort der „Ossifizierung“[26], wie es der Professor für Neuere Geschichte der Bundeswehruniversität München, Michael Wolffsohn, in die Diskussion über die Entwicklung der Bundeswehr eingebracht hat, nur bedingt richtig. Denn nicht die geographische, sondern die soziale Herkunft ist entscheidend.
Wie ernst es der Bundeswehr mit der Nachwuchsgewinnung und -bindung gerade für Mannschaftslaufbahnen ist zeigen nicht nur die wachsende Zahl der Kooperationsabkommen – innerhalb von nur zwei Jahren sind es bereits acht – mit den Kultusministerien der entsprechenden Bundesländer, sondern auch eine zeitgleich zur Aussetzung der Wehrpflicht zu Beginn des Jahres 2011 initiierte dreistufige Werbekampagne im Fernsehen, in Radio-, Print- und Onlinemedien. Bereits jetzt steht fest, dass die Bundeswehr neben den Radiosendern Hit-Radio Antenne Niedersachsen, RPR1, Radio Hamburg, den Fernsehkanälen Kabel 1 und ProSieben auch die Zeitungen Bild und Bild am Sonntag sowie den Onlineauftritt www.bild.de nutzen wird.[27] Laut eigenen Angaben soll der Springerkonzern allein in den ersten vier Wochen bereits 600.000 Euro für die Unterstützung der Rekrutierungskampagne erhalten.
Das aktuell vorgelegte Empfehlungspaket des Bundesministeriums der Verteidigung verschärft dementsprechend den aktuellen Trend. Auch wenn alle Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes an der Waffe, so hat der Generalinspekteur der Bundeswehr nach der ersten öffentlichen Kritik an ihnen im ARD-Morgenmagazin postwendend versichert, lediglich in einem „Optionspapier“[28] zusammengefasst worden seien, ist davon auszugehen, dass das Gros der Reformvorhaben auch umgesetzt wird. Daher urteilte die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Christine Buchholz über die Vorschläge in der Aussprache im Bundestag folgerichtig: „Die Armen werden zum Kanonenfutter!“
ANMERKUNGEN
[1] Es berichteten unter anderem Der Spiegel und Spiegel Online, die Financial Times Deutschland, der Focus, die Süddeutsche Zeitung, NTV und andere.
[2] FTD, Bundeswehr wirbt um Schulabbrecher, 15.2.2011, www.ftd.de.
[3] Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch 2006 zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin 2006.
[4] Strukturkommission der Bundeswehr: Vom Einsatz her denken. Konzentration, Flexibilität, Effizienz, Berlin 2010.
[5] Strukturkommission, S. 48.
[6] So der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walther Otremba, am 22. Februar 2011 in seiner rund halbstündigen Rede im Offizierheim der Julius-Leber-Kaserne, www.bmvg.de.
[7] Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 – WehrRÄndG 2011), Berlin 2011.
[8] Rüdiger Wolf: Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, Berlin 2011, S. 39. Sofern nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich alle weiteren Zitate auf das Maßnahmenpapier.
[9] Strukturkommission, S. 42.
[10] Peter Blechschmidt, Soldaten verzweifelt gesucht, sueddeutsche.de, 1.2.2011.
[11] Hellmut Königshaus: Unterrichtung durch den Wehrbeauftragen des Bundestags Jahresbericht 2010 (52. Bericht), Bundestagsdrucksache 17/4400, S. 7.
[12] Detlef Buch: Die Zukunft der deutschen Wehrpflicht. Die Rückschlüsse aus dem europäischen Vergleich sprechen für eine dauerhafte Beibehaltung, SWP-Arbeitspapier, Januar Berlin 2010.
[13] Weißbuch, S. 156.
[14] Beide Zitate: Strukturkommission, S. 42.
[15] Spiegel Online, Bundeswehr befürchtet Soldatenschwund, 19.2.2011.
[16] Erklärung des Pressesprechers des Generalinspekteurs der Bundeswehr, Berlin, 21.02.2011, www.bmvg.de.
[17] Die Bundeswehr wird im Vergleich zu „normalen“ Unternehmen nicht privat, sondern staatlich organisiert, folglich sind auch ihre Produktionsmittel nicht in privater Hand, und schließlich verfolgt sie in erster Linie nicht den Zweck, Profit zu akkumulieren. Darüber hinaus gehört die Anwendung physischer Staatsgewalt bis zur Tötung anderer Menschen zum Aufgabenbereich des Militärs.
[18] Königshaus, S. 7.
[19] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Inge Höger, Jens Petermann und der Fraktion DIE LINKE vom 3. Februar 2011, Bundestag-Drucksache 17/4634 vom 3. Februar 2011, Umfang von Werbemaßnahmen der Bundeswehr, http://linksfraktion.de/abgeordnete/ulla-jelpke/downloads/
[20] Besonders ist die Argumentation des SPD-Bundestagsabgeordneten Klingbeil in diesem Falle, weil er die wahrscheinliche Schließung des Kreiswehrersatzamts in Stade, dessen Hauptaufgabe – die Musterung von Rekruten – durch die Aussetzung der Wehrpflicht entfällt, durch den Aufbau eines Rekrutierungszentrums kompensieren möchte. Sollte sich eine solche Position in der Debatte über die Zukunft der Attraktivität der Bundeswehr und die Wehrpflicht durchsetzen, besäße die Bundeswehr ein riesige Netz institutionell verankerter Rekrutierungszentren mitsamt dem notwendigen Personal zur direkten Werbung. Hamburger Abendblatt, SPD-Politiker will die Bundeswehr in Stade behalten, 18.1.2011, www.abendblatt.de.
[21] Volker Wieker, als Generalinspekteur der Bundeswehr der erste militärische Berater der Bundesregierung und ranghöchste Militär der Republik, beschrieb ihn in seinem Bericht zu den ersten Diskussion über eine Neugestaltung der Bundeswehr Mitte 2010 wie folgt: „Die künftigen Aufgaben der Bundeswehr erfordern hervorragend qualifiziertes, gut ausgebildetes und motiviertes Personal, das in der Lage ist, in einem herausfordernden Umfeld mit Erfolg und der nötigen Umsicht zu agieren. Zum Rüstzeug gehören sowohl gute Sprachkenntnisse, interkulturelle Kompetenz und Toleranz als auch ein gefestigter Wertekanon. Die Ausbildung an hochtechnologisierten Waffensystemen und die anspruchsvolle Vorbereitung auf schwierige Kampf- und Einsatzsituationen stellen hohe Anforderungen an den einzelnen Soldaten. Er muss in Situationen bestehen, die ihm binnen kürzester Zeit Entscheidungen mit zum Teil großer persönlicher militärischer, oft auch politischer Tragweite bis hin zur Entscheidung über Leben und Tod abverlangen. In komplexen Konfliktszenarien der Zukunft werden mitdenkende, sich ihrer besonderen Verantwortung bewusste, auftragsgemäß und selbstbewusst handelnde Soldaten gebraucht. Einfühlungsvermögen, Durchsetzungsfähigkeit und Tapferkeit sind grundlegende Tugenden.“ Volker Wieker, Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010, S. 15, http://www.bmvg.de.
[22] Strukturkommission, S. 42.
[23] Dass selbst motivierte Soldaten Probleme durch die Einsatzbelastung entstehen zeigt einer der zahlreichen Frontromane, die derzeit in Deutschland Konjunktur haben: Achim Wohlgethan, Operation Kundus. Mein zweiter Einsatz in Afghanistan, München 2011. Natürlich ist der propagandistische Gehalt von Büchern wie diesen – beispielsweise bzgl. der Forderung nach besseren Waffen, kritisch zu prüfen. Nichtsdestotrotz ist es interessant und auffällig, dass viele der in Büchern wie Wohlgethans formulierten Probleme der Bundeswehr im Einsatz mit den gegenwärtigen Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der Bundeswehr korrespondieren, z.B. höhere Besoldung, bessere Ausstattung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Dienst usw.
[24] Zur beruflichen und bildungspolitischen Situation von Jugendlichen siehe z.B.: Deutscher Gewerkschaftsbund, Ausbildungsreport 2010, Berlin 2010.
[25] Michael Wolffsohn, Die Unterschicht übernimmt die Landesverteidigung, welt online, 16.1.2011, www.welt.de.
[26] NTV, „Ossifizierung“ der Bundeswehr. Unterschichtenarmee möglich, 21.4.2010, www.n-tv.de.
[27] Bundesministerium der Verteidigung, Medienkampagne zur Nachwuchsgewinnung, 24.2.11, www.bundeswehr.de.
[28] Focus, Bundeswehr will Geringqualifizierte anwerben, 15.2.2011, www.focus.de.
Quelle: http://www.imi-online.de/2011.php?id=2257
Informationsstelle Militarisierung e.V., 3.März 2011